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Implikationen der Corona-Schutzmaßnahmen für pflegebedürftige Menschen in der stationären Altenhilfe

Implikationen der Corona-Schutzmaßnahmen für pflegebedürftige Menschen in der stationären Altenhilfe


Ein Kommentar von Björn Lerch.

Im Folgenden soll versucht werden ein Blick auf die Auswirkungen der Schutzmaßnahmen auf pflegebedürftige Menschen die in stationären Pflegeheimen leben zu werfen.

Pflegebedürftige Menschen mit verschiedenen Vorerkrankungen sowie alte Menschen galten bereits zu Beginn der Corona-Gesundheitskrise als hochgradig gefährdet. Sie gelten als besondere Risikogruppe. Daher erscheint es zunächst naheliegend, dass für Pflegeheime bereits zu Beginn intensive Schutzmaßnahmen vorgegeben wurden, welche sich in verschiedenen Bundesländern ähnlich, jedoch nicht gleich ausgestalteten. Viele der in diesem Zuge erlassenden Regelungen sind bis heute in Kraft. Dieses bedeutet auch, dass sie das Leben der betroffenen pflegebedürftigen Menschen bis heute prägen. Ein Diskurs über derartige Maßnahmen wäre jedoch nicht nur verkürzt sondern unmöglich, wenn man es vermeidet die Auswirkungen für die betroffenen Personenkreis in Rechnung zu stellen.

Dort wo diese Diskussion geführt wird, entfacht sich vielfach eine Grundsatz-Diskussion über das tatsächliche Gewicht des Gefährdungspotenzials des Corona-Virus. Über diese Frage gibt es bekanntermaßen sehr verschiedene Meinungen, die weiter kaum auseinander gehen könnten. Dieser Diskurs soll allerdings an dieser Stelle nicht aufgegriffen werden, da er bereits an anderer Stelle sowohl von normalen Bürgern wie auch von Fachexperten geführt wird. Es sei allerdings gesagt, dass die nachfolgenden Passagen unter der Prämisse verfasst sind, dass die Gesundheit eines Menschen neben somatischen Gesundheitsaspekten zugleich maßgeblich durch psychische und soziale Komponenten geprägt ist, welche als hochgradig relevant verstanden werden müssen. Was diese Annahme angeht erscheint es legitim, davon auszugehen, dass beide Seiten des schwierigen Corona – Diskurses ihr zustimmen.

Durch den Autor des Artikels sei an dieser Stelle bereits vorab angemerkt, dass an keiner Stelle bestritten wird, dass die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung in der Absicht handeln (und gehandelt haben) die betroffene Zielgruppe zu schützen. Diese Absicht entbindet uns -und noch weniger die verantwortlichen Entscheidungsträger- jedoch nicht davon, einen Blick auf die lebensweltlichen Auswirkungen für die betroffenen Personen zu werfen.

Zeitnah zum zeitlichen Beginn der bis heute andauernden Corona – Lage wurden in mehreren Bundesländern Besuchsverbote für Pflegeheime verhängt. Pflegebedürftige Menschen konnten ihre Angehörigen daher (für eine unbestimmte Zeit) nicht sehen. Wer mit der Branche vertraut ist, weiß welchen hohen Stellenwert diese Besuche für viele pflegebedürftige bzw. alte Menschen haben. Während Kontaktbeschränkungen für viele jüngere Menschen zumindest durch Technik und soziale Medien teilweise kompensierbar waren, bleibt dieser Weg einem großen Teil des betroffenen Personenkreises verschlossen. Viele Einrichtungen haben sich an dieser Stelle um Kompensationsmaßnahmen bemüht - etwa Gespräche per Skype auf einem mobilen Gerät, Hilfestellung bei der Nutzung von Telefonen usw. All den Einrichtungen, die sich an dieser Stelle besonders engagiert haben ist dieses uneingeschränkt positiv anzurechnen! Hier eröffnet sich jedoch zugleich das Problem, dass die Verfügbarkeit dieser Ausweichlösungen für den einzelnen pflegebedürftigen Menschen maßgeblich von der Kultur der bewohnten Einrichtung, ihren verfügbaren Personalressourcen und dem Engagement der Mitarbeiter abhing.

Zusätzlich stießen diese Ansätze an weitere Grenzen. Wenngleich rein praktische Probleme bei der Technik-Nutzung (die bei der betroffenen Personengruppe nahezu allgegenwärtig sind), noch durch beherzten Mitarbeiter-Einsatz kompensiert werden konnten, waren diese Lösungen für einen gewissen Teil der betroffenen Personengruppe leider unwirksam. Dieses lag einfach daran, dass Gespräche per Video-Chat oder in einigen Fällen sogar die Nutzung eines einfachen Telefons für einen gewissen Anteil der pflegebedürftigen Menschen eine derart diffuse Situation darstellt, dass jegliche Interaktion hier unmöglich ist. Für die Betroffenen entsteht hier eine Situation, welche sie schlichtweg nicht verstehen oder einordnen können. Dass hierbei insbesondere dementielle Erkrankungen und im Einzelfall andere degenerative Prozesse eine zentrale Rolle spielen, braucht kaum näher ausgeführt werden. Wichtiger ist hingegen, darauf hinzuweisen, dass auch bei vielen Menschen, welche in ihrer Kognition und ihrer Sinneswahrnehmung beeinträchtigt sind vielfach immer noch die Möglichkeit zur Interaktion besteht. Diese besteht hier z.B. im bloßen Anblick einer vertrauten Person, durch Blickkontakt und vielfach durch Körperkontakt. Diese Formen der Interaktion werden jedoch durch ein Besuchsverbot unmöglich (sie erfolgen allerhöchstens noch zwischen dem Pflegebedürftigen und den Mitarbeitern der Einrichtung).

Die bereits angesprochene eingeschränkte Orientierung vieler betroffener Menschen führt im Zusammenhang mit Besuchsbeschränkungen und Besuchsverboten zugleich zu einem weiteren Problem: Viele der Betroffenen verstehen diese Situation im Grundsatz nicht. Vermeintlich stand nahezu jeder Mitarbeiter aus dem Bereich der Pflege und Betreuung schon vor der Situation, dass Bewohner nach Besuchen fragten – die Erklärungen bezüglich einer Virus-Pandemie und eines Besuchsverbotes jedoch kaum oder gar nicht nachvollziehen konnten. Das eigentlich als fachlicher Grundsatz geltende Prinzip, demenzkranke Menschen so wenig wie möglich durch ungreifbare Schilderungen zu irritieren wurde an dieser Stelle unerfüllbar (wobei es hier keinen Unterschied machte, ob der jeweilige Mitarbeiter die verordneten Maßnahmen selbst befürwortete oder auch nicht).

Den Bewohnern, die die Situation verstanden blieb folglich nur über, diese als festgefügte Gegebenheit hinzunehmen, da Ihnen auch keine Möglichkeit für eine Veränderung geben war. Zugleich kann der Autor an dieser Stelle berichten, diverse Gespräche geführt zu haben, in denen Bewohner von Pflegeeinrichtungen ihren Unmut schilderten. Eine hierbei vielfach angetroffene Sichtweise war, dass die alten Menschen fürchteten zu versterben ohne ihre Familien vorher noch zu sehen. Sie erlebten im Laufe der Zeit ein immer größer werdendes Spannungsfeld, dass darin bestand, dass ihnen erklärt wurde, dass all dies geschehe um ihre Leben zu schützen – dieses jedoch, ohne sie selbst in irgendeiner Form in die Risikoabwägung einzubeziehen. Es sei an dieser Stelle -der Transparenz halber- darauf hingewiesen, dass sich die zuletzt vorgenommene Schilderung nur auf eine Zahl persönlich geführter Gespräche bezieht. Diese Einschränkung muss hier gemacht werden. Zugleich aber scheint die Annahme im Mindesten sehr plausibel, dass es auf Seite der Pflegebedürftigen anderenorts zu einer ähnlichen Wahrnehmung kam.

Die oben genannte Angst des Versterbens führt zu einem weiteren schwierigen Aspekt des Besuchsverbotes. Bei diesem galt regelmäßig eine Ausnahme: Dieses galt nicht bei Menschen, die sich in der Sterbephase befanden. Auch wenn dieses selbstverständlich berechtig erscheint entfalten sich hier folgende Probleme der praktischen Umsetzung. Zum einen zeichnet sich die Sterbephase nicht immer im Voraus ab. In einigen Fällen tritt der Tod in einer kurzen Zeitspanne und ohne Vorzeichen ein. Wenn dieses geschieht, darf es selbstverständlich als gnädig angesehen werden. Die Erfahrung die dieses jedoch für betroffenen Familien bedeutet kann sich jeder empathische Mensch ausmalen. Dieses gilt für Menschen aller Altersgruppen – es gibt keinen Grund anzunehmen, dass (kognitiv orientierte) pflegebedürftige Menschen hier eine Ausnahme bilden würden. Das Problem dieser Ausnahmeregelung für ein Besuchsverbot bringt weiter das Problem, dass die palliative Situation, wenn sich eine solche abzeichnet, auch als solche erkannt werden muss. Dieses erfordert ein präzises fachliches Ermessen (wobei es im Einzelfall selbstverständlich auch zu irrtümlichen Einschätzungen kommen kann). Wer die Pflegebranche kennt weiß, dass auch in dieser eine gewisse Zahl an Menschen arbeitet, welche von großer Angst geplagt sind (und sei es versehentlich) gegen geltende Vorgaben zu verstoßen. Daher muss davon ausgegangen werden, dass diese Palliativ-Regelung verschiedene Arten des Umganges nach sich gezogen hat. Einige Einrichtungen werden mögliche Anzeichen eines sich anbahnenden Versterbens, derart behandelt haben, dass sie die Situation im Zweifelsfall immer als Palliativ-Situation ausgelegt haben um letzte Besuche in der vermeintlichen finalen Phase in jedem Fall zu ermöglichen. Andere werden vermeintlich aus o.g. Sorge abgewartet haben, bis sich der Eintritt einer finalen Lebensphase eindeutig abzeichnet, getrieben von der Sorge, dass ihnen ein Verstoß angelastet wird. Die potentiellen Folgen des letzteren Falls kann sich jeder Mensch ausmalen.

Positiverweise wurden die Besuchsverbote im Laufe der Zeit aufgehoben. Dabei unterlagen die Einrichtungen jedoch der potentiellen Gefahr auf diese Situation zurückgeworfen zu werden. So konnten neue Fälle von Covid-Erkrankungen immer wieder dazu führen, dass neue zeitweilige Besuchsverbote behördlicherseits verordnet wurden. In den dem Autor bekannten Fällen machte die Symptomlage des - ohnehin quarantänisierten - Bewohners an dieser Stelle ebenso wenig einen Unterschied wie der Impfstatus.

Jenseits der Thematik vorheriger und potentiell wiederkehrender Besuchsverbote unterliegen die Besuchssituation in Pflegeheimen bis heute einer gewissen Reglementierung durch Gesetze und Verordnungen, wobei dezente Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen. Ähnlich wie in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, dreht es sich im Kern um eine Registrierung der Besucher, Testpflicht, Maskenpflicht und teilweise auch um eine Beschränkung der Personenzahl. Auch hier gibt es jeweils verschiedene Sichtweisen, was Richtigkeit und Zweckmäßigkeit angeht, was gleichfalls nicht ausgeführt werden braucht. Vielmehr soll es auch hier genügen, die Auswirkungen anzusehen. Diese verdeutlichen sich z.B. an folgendem Beispiel. Lehnt jemand als Kritiker der Corona-Maßnahmen die Schnelltestung ab, so kann er oder sie entscheiden, für eine (un-) gewisse Zeit auf Restaurantbesuche zu verzichten. Viele kritische Menschen haben in den letzten Monaten genau dieses für sich selbst entschieden. Wie aber soll jemand damit umgehen, wenn der Besuch der eigenen Eltern im Pflegeheim einer Testpflicht unterliegt? Es darf wahrscheinlich angenommen werden, dass sich eine Mehrheit der Kritiker der gegenwärtigen Testpraxis in diesem Dilemma im Zweifel für eine Testung entscheiden. Doch werden mittlerweile erste Stimmen laut, die eine 2G – Regelung für den Besuch von Pflegeheimen fordern.

Bei den gegenwärtigen Besuchsregelungen darf zudem ein Punkt nicht außer acht gelassen werden. Ihre Umsetzung, etwa die Besucherdokumentation, die Besuchertestung, die Begleitung der Bewohnerinnen in gesonderte Besuchsbereiche (die mancherorts zum Einsatz kommen) erfolgt vollständig durch Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen. All dieses geschieht in einer Branche, die bekanntermaßen ohnehin von Personal- und Zeitmangel gebeutelt ist. Die Implikationen die dieses mit sich bringt, dürften sich jedem Menschen erschließen: diese Zeit fehlt zwingend für andere Aufgaben. Nur mit größter Fantasie ließe sich hier noch argumentieren, dass sich dieses nicht auf die Versorgung der Bewohner auswirke.

Dieser Aufsatz hat einige der problematischen Auswirkungen der Corona-Schutzmaßnahmen angesprochen, wobei allein die Effekte für die pflegebedürftigen Menschen in den Mittelpunkt gestellt wurden. Kritiker mögen nun einwenden, dass alle bis heute genutzten Maßnahmen allein dem Schutz der betreffenden Zielgruppe dienen sollten. Wie eingangs bereits gesagt, wird diese Absicht auch an keiner Stelle bestritten - ganz im Gegenteil. Gleichfalls bedeutet der Schutz von Gesundheit jedoch deutlich mehr als der bloße Schutz vor Infektionskrankheiten. Wen diese Anmerkung irritiert, dem sei geraten z.B. die offizielle Gesundheitsdefinition der regelmäßig als Referenz verstandenen WHO zu Rate zu ziehen. Es scheint vielmehr kaum möglich über Gesundheit zu sprechen und die psychische Komponente hierbei außer Acht zu lassen. Daher hat der Autor hier versucht einzelne problematische Auswirkungen für eine nicht nur körperlich, sondern auch psychisch vulnerablen Personengruppe anzusprechen.

Gegenüber den verantwortlichen Entscheidungsträgern ist dringend zu appellieren, die psychosozialen Auswirkungen in Zukunft verstärkt in die Entscheidungsfindung zu präventiven Schutzmaßnahmen einzubeziehen – ungeachtet dessen, dass der Diskurs gegenwärtig stark von Themen wie Dritt-Impfung und Impfdurchbrüchen dominiert ist. Vor einem Jahr wurden viele pflegebedürftige Menschen noch mit der Hoffnung vertröstet, dass sich alles normalisiere, wenn der Impfstoff verfügbar sei. Diese Vorstellung hat sich mittlerweile -bekanntermaßen- selbst demontiert. Es wird somit Zeit für einen Paradigmenwechsel.

+++Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Alonafoto / shutterstock.com


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