Ein Meinungsbeitrag von Eugen Zentner.
Seit geraumer Zeit steht die Kunstfreiheit auf dem Prüfstand. Im Zuge der gesellschaftlichen Verwerfungen der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass der gesamte Kunstbereich zunehmend ideologisiert wird. Wer die herrschende Meinung, die Regierung oder offizielle Narrative mit künstlerischen Mitteln kritisiert oder davon abweicht, gerät schnell unter Druck. Immer öfter üben ihn die Staatsanwaltschaften und Gerichten aus, indem sie unangepasste Künstler zunächst strafrechtlich verfolgen und danach verurteilen. Dabei geht es bisweilen sehr skurril zu, wie der jüngste Fall des Politikwissenschaftlers, Publizisten und Künstlers Rudolph Bauer veranschaulicht.
Der ehemalige Professor aus Bremen fertigte in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 mehrere Bildmontagen an, in denen die Maßnahmen-Politik und deren gesellschaftliche Folgen satirisch-kritisch verarbeitet werden. Insgesamt sind fünf Broschüren in der Reihe «Edition Kunst» des pad-Verlags in Bergkamen erschienen. „Die Bildmontagen“, beschreibt Bauer seine Kleinwerke auf der Rückseite jedes Exemplars, „intervenieren bzw. korrigieren und verändern das Bestehende, Faktische – teils kritisch, teils parodistisch, satirisch und karikaturenhaft, teils auf heiter-spielerische Art, in ironischer Verkehrung.“
Im Februar dieses Jahres schickte Bauer zwei seiner Broschüren zusammen mit einem Brief an den Querdenken-Gründer Michael Ballweg, der sich zu dem Zeitpunkt noch in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart in Untersuchungshaft befand. Für den Künstler aus Bremen war es lediglich ein Solidaritätsakt, über den sich schon bald ein Mantel der Vergessenheit legen würde – wie über die vielen anderweitigen Lebensereignisse. Doch am 15. Juli erhielt er zu seiner Überraschung Post vom Amtsgericht Stuttgart. In seinem Briefkasten lag ein Strafbefehl und ein Begleitschreiben. „Sie werden (…) beschuldigt, einen anderen Menschen beleidigt zu haben“, heißt es in dem Schreiben.
Der Betroffene ist kein Geringerer als Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Ihn hat Bauer in einer seiner Montagen mit einem knappen Schnauzer dargestellt, der Ähnlichkeit mit dem Adolf Hitlers aufweist. Angefügt ist auf diesem Bild ein angewinkelter Arm. „Sieh dort das Untier mit dem spitzen Schweife, / Das Berge übersteigt und Wehr und Mauern / Zertrümmert. Sieh, was alle Welt mit Stank erfüllt“, steht über der Montage – ein Zitat Dantes aus dessen «Göttlicher Komödie». Wie alle Kunstwerke lässt sich auch diese Montage unterschiedlich interpretieren, je nachdem, wie viel Raum dessen Urheber lässt. Das Amtsgericht Stuttgart hat sich für die folgende entschieden: „Der Brief“, bezieht es sich auf Bauers Sendung an Michael Ballweg, „enthielt zwei Bände mit zahlreichen Fotomontagen, mit denen Feindbilder aus dem Coronaleugner-/Impfgegner-Milieu bedient wurden.“ Denn die Montage mit „Hitlerbart“ und angewinkeltem Arm sollte dazu dienen, „Michael Ballweg ihre (sic) Missachtung gegenüber Prof. Dr. Karl Lauterbach“ auszudrücken.
Deswegen wurde gegen den Künstler eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen je 100 Euro verhängt – ohne vorherige Gerichtsverhandlung. Zu der kommt es erst, wenn Bauer Einspruch einlegt. Das hat er mittlerweile getan. Für ihn stellt das Vorgehen eindeutig einen Verstoß gegen Kunst- und Meinungsfreiheit, die im Art. 5 GG verankert sind. Sie gälten für seine Montagen schon insofern, sagt er, „als die Kennzeichnung der Reihe besagt, dass es sich bei dem betreffenden Band um eine Kunst-Edition handelt“. Außerdem könne die Broschüre käuflich erworben werden. „Sie ist im Buchhandel öffentlich erhältlich, in Bibliotheken zugänglich und unterliegt dem Zensurverbot“. Sollte er damit gegen Vorschriften der allgemeinen Gesetze verstoßen haben, argumentiert Bauer weiter, „wäre mit Einschränkung durch richterlichen Beschluss lediglich die Schwärzung der betreffenden Bildmontage zu verfügen oder die gesamte Broschüre zu verbieten.“ Das sei aber nicht geschehen.
Den Vorwurf der Beleidigung findet Bauer ziemlich absurd, schließlich stehe er mit seinen Bildmontagen in der Tradition so namhafter Künstler wie John Hartfield, Kurt Schwitters, Hanna Höch, Fritz Roh oder George Grosz, die in ihren Collagen Kritik an der Obrigkeit und den gesellschaftspolitischen Verhältnissen äußerten. „Die Bildmontagen sollen helfen und anregen, auf anderem Wege einen der vielen überfälligen Beiträge zur Aufarbeitung der Corona-Politik zu leisten“, so Bauer. Deshalb habe er nicht eine persönliche Missachtung gegenüber Karl Lauterbach ausdrücken wollen. Das gehe bereits aus dem thematischen Gesamtzusammenhang der Broschüre hervor, die den Titel «Charakter-Masken» trägt.
„Bei der historisierenden Verfremdung des auf der Fotomontage abgebildeten Politikers Lauterbach“, erklärt Bauer, „gelangen Erkenntnisse zur Geltung, die auf geschichtswissenschaftlichen Forschungsergebnissen beruhen und ihren exemplarischen Niederschlag gefunden haben in der Veröffentlichung ‚Ärzte im Dritten Reich‘ von Robert Jay Lifton.“ In seinen eigenen Publikationen zur Kritik der Grundrechte-Aufhebung im Rahmen der politischen Corona-Maßnahmen habe er zudem aufgezeigt und begründet, „dass der Medizin- und Hygiene-Fundamentalismus nicht neu ist, sondern nationalsozialistische Vorläufer hat“. Die Intention seiner Kritik sei daher, Karl Lauterbach in seiner öffentlichen Funktion an den Pranger zu stellen – „als SPD-Bundestagsabgeordneten, der sich in zahlreichen Talkshows und Interviews apodiktisch zur zwingenden Notwendigkeit von Masken und Impfungen geäußert hat, gegenteilige Meinungen missachtet und die Corona-Maßnahmen öffentlichkeitswirksam propagiert hat“.
Bauer sieht sich als wissenschaftlich informierter Bürger im Recht, die Erkenntnis von Parallelentwicklungen in Gegenwart und Vergangenheit provokativ zu verdeutlichen – erst recht mit künstlerischen Mitteln. Das Urteil gegen ihn empfindet er hingegen als einen Akt, der auf einer Voreingenommenheit der Richterin beruht. „Darauf verweisen die Ausdrücke ‚Feindbilder‘ und ‚Coronaleugner-/Impfgegner-Milieu‘“, sagt er. „Der Strafbefehl ergreift Partei und lässt Objektivität vermissen.“ Die Art und Weise, wie es zu der Anzeige überhaupt kam, bestätigt diesen Vorwurf. Im Rahmen der Untersuchungshaft von Michael Ballweg, geht aus dem Strafbefehl hervor, sei eine Überwachung des Schriftverkehrs angeordnet worden. Bauers Bildmontagen wurden demnach von den Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft Stuttgart beschlagnahmt und wohl an Karl Lauterbach weitergeleitet. Der wiederum „hat form- und fristgerecht Strafantrag gestellt“, so der Originalwortlaut.
Laut Artikel 5 Grundgesetz gilt das Briefgeheimnis. Doch dieses Recht wurde durch einen richterlichen Beschluss aufgehoben, weshalb Bauers Brief samt Broschüren nicht den Weg zu Michael Ballweg fand. „Mir ist nicht ersichtlich, auf welcher rechtlichen Grundlage der Staatsanwaltschaft inhaltliche Interpretationen von einer Art gestattet sind, die das Verfahren und den gegen mich ergangenen Strafbefehl höchst fragwürdig erscheinen lassen“, kommentiert Bauer das Vorgehen und übt deutliche Kritik: „Offensichtlich wurde dem Gesundheitsminister auch nahegelegt, Strafantrag zu stellen. Ein dubioses Verfahren, bei welchem von einer Gewaltenteilung kaum noch die Rede sei kann. Im Gegenteil: Justiz, Justizvollzug, Staatsanwaltschaft, Ermittlungsbehörden und Politik kollaborierten im vorliegenden Fall zu Lasten eines Bürgers, der an einen nicht verurteilten Untersuchungshäftling, für den immer noch die Unschuldsvermutung spricht, Post geschickt hat.“
+++ Quelle der inkriminierten Bildmontage: Rudolph Bauer: Charakter-Masken. Bildmontagen. Bergkamen: pad Verlag 2023 (= pad Edition Kunst #2), 84 Seiten, 9.00 Euro. Bestelladresse (direkt): pad-Verlag@gmx.net
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Jorm Sangsorn / Shutterstock.com
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