Ein Standpunkt von Wolfgang Effenberger.
Die Wahlen in Thüringen und Sachsen waren auf den 1. September 2024 festgelegt worden - genau 85 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Diesen geschichtlichen Zusammenhang nahm am Wahlabend die erfahrene ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten zum Anlass, einen historischen Bogen vom Überfall auf Polen über die Ermordung von 6 Millionen Juden bis zu den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen zu spannen. Wahlergebnisse, die in der Tat mehr als ein Desaster für die Berliner Regierungsparteien sind. In Thüringen erreichte die Ampel nur noch 10,4 %, in Sachsen 13,3 %. Die FDP muss sich aus beiden Landtagen verabschieden, die Grünen in Thüringen, in Sachsen fehlte nicht viel. In Sachsen gewann die CDU mit 31,9 % knapp das Kopf-an-Kopf-Rennen gegen die AfD (30,6 %). Platz drei ging an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit 11,8 %. In Thüringen siegte die AfD deutlich mit 32,8 % vor der CDU mit 23,6 % und dem BSW mit 15,8 %.(1)
So wundert es nicht, dass Bettina Schausten diesen Wahlausgang für gefährlich hält - die von ihr gezogene Parallele zwischen dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und dem Wahlausgang vom 1. September 2024 empört jedoch viele Menschen.
In den von Hysterie und Hybris geprägten Reaktionen der politmedialen Elite wurde durchwegs deren Ignoranz gegenüber dem Willen des Wählers deutlich; man beeilte sich, eine Brandmauer gegen das eigene Volk zu errichten - vor allem gegen die AfD-Wähler mit ihren Hochburgen im Osten. Unbestreitbar hat der Verfassungsschutz - eine politische Behörde, die es so nur in Deutschland und Österreich gibt - die AfD als "gesichert rechtsextrem" eingestuft und es sich - laut ihrem Chef Haldenwang - zur Aufgabe gemacht, die Umfragewerte der AfD zu senken. Richtig ist, dass ein Gericht in Münster entschieden hat, dass der Verfassungsschutz die AfD so benennen und beobachten darf, ohne eine Einschätzung darüber zu geben, ob der Vorwurf "gesichert rechtsextrem" auch inhaltlich richtig ist. Richtig ist, dass es den durchschnittlichen AfD-Wähler ärgert, wenn er als rechtsextrem bezeichnet wird. „Ihm ist nur die Diffamierung egal geworden“, so Peter Löcke in seinem beeindruckenden Kommentar "Die Brandmauer gegen das Volk“.(2)
Zurück zur Tagesordnung?
Nach dem Wahldesaster in Thüringen und Sachsen - die AfD ist neben der CDU stärkste Kraft und das BSW wird Königsmacher - will die Ampel zur Tagesordnung übergehen, obwohl das überlieferte Parteiensystem kollabiert ist. Zum ersten Mal gewinnt die AfD in Thüringen mit ihrem rechtesten Landesverband unter Björn Höcke mit fast 10% Vorsprung vor der CDU eine Landtagswahl. Während die Grünen und die FDP aus dem Landtag fliegen und die ehemalige Volkspartei SPD einstellig bleibt, erhebt sich eine neue Kraft:
„Das Bündnis Sahra Wagenknecht zieht sicher in beide Landtage ein, vernichtet die Linke auf dem Weg und ist in Sachsen so stark wie alle Ampelparteien zusammen“(3).
Ministerpräsident Kretschmer konnte nur einen ganz knappen Sieg einfahren. Auf Einsichten nach einer Politik am Bürgerwillen vorbei wartet die Bevölkerung vergebens. Dafür lässt die SPD-Spitze verlauten, dass man in der Ampel eben „weniger streiten“ und die Ergebnisse nur „besser kommunizieren“ müsse. Viele hätten laut Generalsekretär Kevin Kühnert
"Entscheidungen nicht verstanden, die in der Bundespolitik getroffen wurden".
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sieht den Grund für das Debakel ihrer Partei nicht in der Migrationspolitik, und die Journalisten nennen nicht mehr nur die AfD selbst, sondern auch die Stimmen für die Partei undemokratisch(4).
Moritz Eichhorn hat in seinem erhellenden Kommentar klargestellt, dass erstens die Verteufelung der AfD gescheitert ist. Die Beschimpfung ihrer Politiker durch die Ampel, aber auch durch Ministerpräsidenten wie Ramelow, der noch kurz vor der Wahl von „braunen Arschlöchern“ sprach, war nach Eichhorns Ansicht kontraproduktiv. In Kretschmers Weg der ernsthaften Auseinandersetzung, in der er klare Grenzen zum Extremismus zog, sieht er eine überlegene Taktik, die aber auf Dauer nur funktionieren kann, wenn sich die Politik grundsätzlich ändert.
Zweitens stellt Eichhorn fest, dass die Angst-Strategie von Politikern und Medien nicht gefruchtet hat. Über Wochen seien Katastrophenszenarien bei Siegen der AfD und Erfolgen des BSW an die Wand gemalt worden: „Nicht nur die Industrie würde wegziehen, auch die dringend gebrauchten ausländischen Fachkräfte würden die Länder ab sofort meiden. Abgesehen davon, dass letztere sowieso nicht nach Deutschland kommen, weil Bürokratie und Steuern und die deutsche Sprache sie davon abhalten, darf man gespannt sein, ob der Konzern-Exodus beginnt. Es ist nach dieser Logik sowieso schwer zu erklären, wie die Länder Osteuropas, Skandinavien, Italien oder die USA überhaupt noch Industrie besitzen, wo doch überall dort schon rechte Kräfte an der Macht waren oder es weiterhin sind“.(5) Auch hätten die durchschaubaren Manöver kurz vor der Wahl mit den Versuchen, AfD und BSW durch dürftige Correctiv-Berichte zu diskreditieren, nicht gefruchtet.
Drittens seien vor der Wahl die Versuche von SPD und Grünen, einen Kurswechsel vorzutäuschen, um einen Sieg der AfD und ein starkes Abschneiden des BSW zu verhindern, von den Wählern erkannt worden. „Die Abschiebung von 28 Schwerverbrechern nach Afghanistan, die Nancy Faeser am Freitagmorgen völlig überraschend verkündete, hat keinen Unterschied für die Sozialdemokraten gemacht. Eher hat die Innenministerin sich unglaubwürdig gemacht, als sie solche Rückführungen über Jahre für unmöglich erklärte. Dass der Bundespräsident auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Anschlags von Solingen auf einmal die Begrenzung der Migration zur obersten Priorität erklärt, zeigt nur die Angst des Establishments, aber nicht den Willen zum Kurswechsel“,(6) so Eichhorn.
Die Aussage von Thüringens CDU-Chef Mario Voigt scheinen das zu bestätigen. Trotz deutlichem 9%-Rückstand zur AfD erklärt der Zweitplatzierte sich zum Sieger und der CDU-Generalsekretär Linnemann definiert Brandmauern.
Reaktionen der Spitzenkandidaten in Thüringen(7)
- Björn Höcke (AfD) hat den Erfolg seiner Partei bei der Landtagswahl als "historischen Sieg" bezeichnet, "… man wird an uns nicht vorbei kommen, wenn man stabile Verhältnisse für Thüringen will".
- Mario Voigt (CDU) sieht in den Hochrechnungen zum Ausgang der Landtagswahl den Auftrag zur Regierungsbildung bei den Christdemokraten. "Wir begreifen als CDU das auch als Chance für den politischen Wechsel unter der Führung der CDU“.
- Bodo Ramelow (Die Linke): Er wolle die "demokratischen Parteien" nun bei der Regierungsbildung unterstützen: "Um es klar zu sagen, es darf nicht sein, dass am Ende Herr Höcke und die AfD die Demokraten erpressen“.
- Katja Wolf (BSW) spricht nach dem Wahlergebnis von "Gänsehaut“. Eine Partei, die sich vor fünf Monaten gegründet habe, ziehe "mit einem absolut historischen Ergebnis" in den Landtag ein. Sie sprach von "Dankbarkeit" gegenüber all jenen, "die das möglich gemacht haben".
Nach „all jenen“, die dieses „historische“ Ergebnis möglich gemacht haben, sollte man in der Tat fragen: An der Wiege des BSW dürften all die Kräfte vereint gestanden haben, die den Höhenflug der AfD ausbremsen wollten.
Reaktionen aus der Bundespolitik? (8)
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sieht das Ergebnis "sehr positiv". Spitzenkandidat Mario Voigt habe den Auftrag, "aus der Mitte des Parlaments" eine Regierung zu bilden.
Grünen-Bundeschef Omid Nouripour bezeichnet es als "Zäsur", dass mit der AfD "in Thüringen jetzt eine offen rechtsextremistische Partei stärkste Kraft geworden ist". Er sehe und höre viele Menschen, "die einfach jetzt Angst haben".
AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla sagt, "…der Wählerwille ist, dass es hier einen Politikwechsel geben soll, in Sachsen wie in Thüringen“. Die AfD sei "…zum Wohle Deutschlands bereit und auch gesprächsbereit, mit allen Parteien zu reden".
Sahra Wagenknecht nennt das Starkmachen für eine andere Außenpolitik im Bund als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung in Thüringen. Es müsse mehr Frieden und Diplomatie geben, so die BSW-Gründerin.
Linken-Chef Martin Schirdewan: "Wenn man sich ansieht, dass das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine im Kern faschistische Partei hier in Thüringen, im Freistaat Thüringen, hier die Mehrheit errungen hat, dann ist das extrem besorgniserregend“.
Der Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, hat die sich abzeichnenden Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen in einem Post auf X als „schmerzhaft“ bezeichnet. In beiden Landtagen wird seine Partei keine Rolle spielen.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht in den Ergebnissen das Schlimmste für die SPD abgewendet. Die Partei sei aus keinem Landtag geflogen. Dennoch würden im Ergebnis "Botschaften an die Bundespolitik" liegen. Kühnert sieht schon darin einen Erfolg, aus keinem der beiden Landtage geflogen zu sein. Wie ist es um eine ehemalige Volkspartei bestellt, die nun schon dankbar ist, in Thüringen nur auf 6,1 % und in Sachsen auf 7,3 % gefallen zu sein?
Das ist viel mehr als ein Denkzettel, das ist ein unüberhörbares Alarmsignal! Die Ampel nur noch Kopf an Kopf mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht! Kein Gedanke an Neuwahlen – höchstens an eine "Optimierung der Kommunikation"!
Rückblick zu den Neuwahlen 2005
Am 22. Mai 2005 fiel in der Nordrhein-Westfälischen Landtagswahl die SPD mit 37,1 % hinter die CDU (44,8%) zurück, sie hatte 5,7 % eingebüßt.(9) Das wurde von der SPD-Spitze als deutliche Niederlage gesehen. Schon eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale (!) erklärte der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, eine Neuwahl schon im Herbst 2005 herbeiführen zu wollen. Für die dramatische Erklärung am Abend brauchte der Kanzler keine zwei Minuten. Mit versteinerter Miene, dunklem Anzug und rot-grüner Krawatte trat er um Punkt 20.00 Uhr - pünktlich für die "Tagesschau" - im Kanzleramt vor die Presse und las seine Erklärung Wort für Wort von zwei Manuskriptseiten ab (10) „Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Es geht darum, unser Land unter den besonderen Bedingungen der Überwindung der deutschen Teilung auf die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts auszurichten… Mit dem bitteren Wahlergebnis für meine Partei in Nordrhein-Westfalen ist die politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit in Frage gestellt. Deshalb betrachte ich es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland als meine Pflicht und Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich, also realistischerweise für den Herbst dieses Jahres, Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen“.(11)
Bundeskanzler Gerhard Schröder richtete die Vertrauensfrage an den Bundestag, der ihm mit dem Votum vom 1. Juli 2005 das Vertrauen vorenthielt. Anschließend schlug er die Auflösung des Bundestags vor.(12)
Bundespräsident Horst Köhler löste am 21. Juli 2005 den 15. Deutschen Bundestag auf und ordnete eine Neuwahl an. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Verfahrens war umstritten, wurde vom Bundesverfassungsgericht aber bestätigt.
SPD-Kanzler Schröder - 1999 noch zuverlässiger Verbündeter der USA im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Rest-Jugoslawien(13) - wurde seit Anfang 2003 vom großen Bruder nicht mehr als der deutsche Kanzler gesehen, der den "Erfordernissen des 21. Jahrhunderts"(14) gerecht werden könnte.
Schröders Nein zum Irakkrieg 2003
Im Januar 2003 hatte der damalige Bundeskanzler Dr. Gerhard Schröder (SPD) bei einer Wahlkampfveranstaltung im Vorfeld der niedersächsischen Landtagswahl angekündigt, dass Deutschland auch einer Resolution, die den Krieg im Irak legitimiere, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht zustimmen werde. Dafür geriet Schröder nicht nur international, sondern auch bei der eigenen Opposition ins Kreuzfeuer der Kritik. Ziel der internationalen Bemühungen müsse es sein, so Schröder, den Waffeninspekteuren im Irak auf der Grundlage der UN-Resolution 1441 wieder die Arbeit zu ermöglichen. Die Bundesregierung setze sich daher für eine Entwaffnung des Iraks auf friedlichem Weg ein und lehne eine „militärische Option“ strikt ab: Der Krieg berge das Risiko, „…die Reform- und Dialogbereitschaft in den islamischen Ländern zu blockieren und die Gefahr weiterer terroristisch motivierter Anschläge“.(15)
Die Oppositionsführerin und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Dr. Angela Merkel warf Schröder dagegen vor, auf dem „Irrweg“ zu sein. Mit seiner Ankündigung, auf keinen Fall eine Resolution im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen, habe er den Krieg „wahrscheinlicher gemacht“. Der Druck auf Saddam Hussein sei gesunken, behauptete Merkel. Schröders „Sonderweg“ habe „außenpolitischen Schaden“ angerichtet: Nicht nur Europäische Union, NATO und Vereinte Nationen seien durch sein international nicht abgestimmtes Nein geschwächt worden, monierte die Politikerin, Deutschland sei nun auch isoliert.
„Solange Schröder in Berlin regiert, wird Washington ihn als Gegner sehen, in Paris und London gilt er als überambitionierter Amateur“.(16)
Der FDP-Vorsitzende Dr. Guido Westerwelle griff in seiner Rede Bundeskanzler Schröder scharf an: Dass er die Opposition als „Allianz der Willigen zum Krieg“ bezeichne und als „Kriegstreiber“ darstelle, die Koalition dagegen als „Friedensfreunde“, sei ein
„Tiefpunkt der Kultur in diesem Hause“.
Tatsächlich verhalte es sich umgekehrt, erklärte Westerwelle: „Sie machen den Krieg wahrscheinlicher und wir sind mehr für den Frieden, als Sie es mit ihrer Politik je erreichen können“. Er beschuldigte die Regierung zudem, den Irak-Konflikt für die Innenpolitik zu instrumentalisieren:
„Ihnen geht es nicht um die Außenpolitik, sondern darum, dass eine ins Schwanken geratene Regierung noch einmal einen Anker erwischt!“(17)
Zwei Tage nach der Bundestagsdebatte kam es am 15. Februar 2003 weltweit zu Massendemonstrationen gegen den drohenden Irak-Krieg: Die größten Kundgebungen fanden in Spanien, Italien und Großbritannien statt: In Barcelona, Rom und London gingen jeweils über eine Million Menschen für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts auf die Straße. Auch in Berlin protestierten Hunderttausende - es war eine der größten Friedensdemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik.
Schon Anfang Februar 2003 hatte Angela Merkel bei der Münchner Sicherheitskonferenz der US-Regierung ihre Unterstützung zugesagt. Sie ließ durchblicken, dass sie die Ergebenheitsadresse der acht europäischen Staaten unterschrieben hätte, anstatt wie die Schröder-Regierung eine Amerika-kritische Politik zu verfolgen. Mit dem nachfolgenden Beitrag für die US-Tageszeitung Washington Post sorgte Angela Merkel für einen handfesten Eklat: Darin stimmte die CDU-Chefin in den Kriegsgesang der US-Regierung ein, wetterte gegen die Bundesregierung und brach damit nach Ansicht der SPD eine Tradition deutscher Politik; die SPD reagierte empört auf Merkels Zeitungsbeitrag mit dem Titel "Schröder spricht nicht für alle Deutschen". Die CDU-Chefin bereite ihre USA-Reise „…mit einer Diffamierung der eigenen Regierung und einem Bückling gegenüber der US-Administration vor“, wetterte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering.
„Klassenstreber zeichnen sich seit jeher durch Feigheit und Opportunismus aus. Achtung gewinnen sie nicht.“(18)
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von „geschmackloser Anbiederei Merkels“, die dem Ansehen Deutschlands "schweren Schaden" zufüge und der damalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz legte nach: Merkel verstoße gegen die Grundregel, die eigene Regierung im Ausland "nicht madig zu machen". Sie falle mit ihrer Kritik der Bundesregierung und Hunderttausenden von Friedensdemonstranten in den Rücken.
Ungeachtet der Proteste begannen die USA am 20. März 2003, Bagdad zu bombardieren, um dann im April dort einzumarschieren. Erst im August 2010 verließen die letzten amerikanischen Soldaten das Land. In siebeneinhalb Jahren wurden mehr als 4.400 amerikanische Soldaten im Irak getötet und knapp 32.000 verletzt. In der gleichen Zeit kamen schätzungsweise rund 100.000 irakische Zivilisten ums Leben. Das Land befindet sich auch heute noch im Chaos. Als Kriegsgrund mussten angebliche Massenvernichtungswaffen herhalten, die bis heute nicht gefunden wurden.
Eine Woche nach Beginn des Irak-Kriegs stellte CDU-Chefin Angela Merkel noch klarer als bislang ihre Unterstützung für die Vereinigten Staaten und Großbritannien dar. Trotz der weit verbreiteten Bedenken an der CDU-Basis und in der deutschen Bevölkerung verteidigte sie den amerikanisch-britischen Angriff ausdrücklich als unumgängliche Schadensbegrenzung.(19)
Aus den Neuwahlen 2005 ging Angela Merkel als klare Siegerin hervor und wurde am 22. November 2005 vor dem Deutschen Bundestag zum ersten Mal als Bundeskanzlerin vereidigt. Über vier Wahlperioden prägte Merkel die Politik in Deutschland.
Zur Bundestagswahl 2021 trat sie nicht mehr an. Nach 16 Jahren endete die zweitlängste Kanzlerschaft nach der von Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Spuren ihrer Kanzlerschaft sind heute überall im Land sichtbar. So wundert es, dass die CDU in Thüringen noch 20 und in Sachsen über 30 % erringen konnte. Wird so schnell vergessen?
Am 24. Juli 2024 gab es im Görlitzer Bahnhof eine Showveranstaltung, in der Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD), der DB-Vorstandsvorsitzende Richard Lutz und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die Weichen für den Ausbau wichtiger überregionaler Bahnstrecken stellten. Angekündigt wurden Streckenausbau, Neubau und Schnellfahrtstrecke nach Cottbus, evtl. sogar nach Berlin. Bei diesen Infrastrukturmaßnahmen scheint es sich weniger um Sanierungsmaßnahmen für den allgemeinen Bahnbetrieb zu handeln, sondern vielmehr um die Vorbereitung der freien Fahrt in die Kriegswirtschaft. Es handelt sich hier nämlich um die NATO-Trasse von Kiew über Horka/Görlitz nach Bremerhaven mit Abzweigung nach Cottbus in das modernste Instandhaltungswerk Europas. Das Werk wurde für die NATO-Instandsetzung aller Kriegsmilitärfahrzeuge für den geplanten Krieg gemäß TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“ vom September 2014 (20) errichtet.
Ministerpräsident Kretschmer sollte alle Kriegsmaßnahmen der USA mittragen - ebenso wie es Altkanzlerin Merkel gemacht hat.
Willy Wimmer: „Die Welt erklären, Dresden und Erfurt machen es möglich“
Willy Wimmer, Urgestein des deutschen Bundestags (1976-2009), Staatssekretär im Verteidigungsministerium (1988-1992) und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (1994-2000) sieht in den Wahlen in Sachsen und Thüringen zunächst örtliche Ereignisse, die durch die einzigartige Vermischung landes- und bundespolitischer Aspekte ein dramatisches Gewicht gewinnen. Er findet es müßig, „…das alles für ein innerdeutsches oder gar nur deutsches Phänomen zu halten. Die gegen die AfD erhobene ‚Rechts-Keule‘, die sehr speziell in Thüringen seit Jahren fabriziert worden ist, macht deutlich, wie bestimmte Muster des politischen Kampfes zwischen Los Angeles und Helsinki identisch zu sein scheinen. In dieser Region geht es um nicht weniger als den ‚Kampf des Lichts‘, gestellt durch die US-Demokraten und verbündete Parteienkonstellationen gegen die neuen ‚Hitlers‘, wie die Sponsorenpresse uns glauben machen will“(21).
Wimmer wirft auch die Frage auf, wer an der Formatierung des Dämons Hitler so alles beteiligt gewesen sein könnte:
„Was ist in der letzten Dekade so alles unternommen worden, nach ‚shareholder value‘ unsere demokratische Struktur durch die volksferne Struktur der ferngesteuerten ‚Nicht-Regierungsorganisationen‘ zu zersetzen. Dies mit dem Ergebnis, die tragenden Säulen der Verfassungsordnung so zu beschädigen, dass ein effektiver Widerstand gegen die Pläne des ‚Umbaus im fremden Interesse‘ nicht geleistet werden konnte. Fraglich ist, ob es nicht schon zu spät ist, das klare Bekenntnis zur Verfassung zum zentralen Element des Widerstandes gegen den laufenden Umbau in allen Staaten in dem vorgenannten Gürtel der ‚gesichert anti-demokratischen Tendenzen‘ zwischen Los Angeles und Helsinki zu machen?“
Für Wimmer ist der anti-demokratische Umbau unserer Staaten und damit auch Deutschlands von einer Dimension, „…dass es ohne die realitätsfreie Benennung einer neuen ‚Wiedergänger-Formation des Geschöpfs der US-Botschaft in Berlin aus den beginnenden zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts‘ nicht zu gehen scheint“(22).
Das klingt etwas kryptisch. Wimmer spielt hier auf Truman Smith (1893-1970) an, einen Infanterie- und Nachrichtenoffizier der US-Armee. Zwischen 1920 und 1924 diente er als stellvertretender Militärattaché in Berlin. Im November 1922 wurde Smith nach München geschickt, um mit dem damals noch weitgehend unbekannten Adolf Hitler Gespräche zu führen und ein Dossier zu erstellen. In seinem Bericht an Washington bezeichnete er den jungen Hitler prophetisch als „wunderbaren Demagogen“, der die bayerische faschistische Bewegung dominiere und mit seiner energischen, logischen und fanatischen Rede einen neutralen Zuhörer überzeugen könne.(23)
Anschließend stellte Smith Hitler Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl (1887-1975), genannt „Putzi“, an die Seite,(24) der dann sogar Mitglied in der NSDAP und von Hitler zum Auslands-Pressechef der NSDAP ernannt wurde. Zu den Kommilitonen während des Studiums von Hanfstaengl in Harvard zählte der spätere US-Präsident Franklin D. Roosevelt.(25)
Smith kehrte 1935 nach Berlin zurück und war dort bis 1939 Militärattaché, er konnte also während der Rheinlandbesetzung Hitler Ratschläge geben.
Während seines Dienstes in Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg sammelte Smith wertvolle Informationen über die militärischen Fähigkeiten der Deutschen. Am Aufstieg Hitlers und an den Kontakten zwischen Luftwaffenchef Hermann Göring und dem US-Fliegerheld Charles Lindbergh war er nicht ganz unbeteiligt. Im Krieg war Smith persönlicher Berater von Generalstabschef General George C. Marshall. Nach dem Krieg spielte Smith eine maßgebliche Rolle bei der Gründung der neuen Bundeswehr, die eine wichtige Aufgabe im Kalten Krieg haben sollte. Mehr Einfluss ist kaum möglich.(26)
Für Willy Wimmer gehen die Ergebnisse der Wahlen in Sachsen und Thüringen an die Substanz Deutschlands und seiner Existenz:
„Man kann von Bundeskanzler Scholz halten, was man will, der Eindruck jedenfalls ist nicht von der Hand zu weisen, dass er darüber zu Fall gebracht werden soll. Und dann? Soll in der Person des Bundeskanzlers der beseitigt werden, der bislang zwar in Sachen Ukraine vieles unternommen hatte und das Grundlage des Abstimmungsverhaltens in beiden Bundesländern gewesen ist? Er scheint aber auch derjenige zu sein, der bislang den direkten Krieg gegen Russland verhindert hat und zwischen uns und dem Untergang steht. Wenn über die Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen das NATO ‚Dreamteam‘ Merz und Pistorius etabliert werden soll, dann dürfte unser Schicksal besiegelt sein, über Dresden und Erfurt. Die neuen Dämonen werden nicht verboten, sie werden für den Umbau zum Untergang willkürlich angeleuchtet und damit benötigt“.
Bettina Schausten blickte zu Beginn ihres ZDF-Wahlkommentars in die Geschichte zurück. Das ist wichtig und wird leider viel zu selten getan. Leider hat sie nur die Fenster geöffnet, die sie für ihre Absicht für zweckmäßig hielt. Wenn schon ein Blick in die Geschichte, dann so wahrhaftig wie möglich. Gerade am 1. September wäre ein schonungsloser Blick auf die Wege, die in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts geführt haben, mehr als wichtig. Denn alle heutigen Konflikte stehen in direktem bzw. indirektem Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg, dessen nicht gelöste Konflikte durch den Zweiten Weltkrieg noch verschärft wurden.
Schausten hält das Wahlergebnis für gefährlich. Sie sollte sich darüber klar sein, dass Politik und Medien sich kein neues Volk wählen können. Mit ihr begann am ersten September 2024 ein weiteres trauriges Kapitel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
„Der eine oder andere politmediale Elfenbeinturm bräuchte ein Fenster, um einen Blick in die Lebensrealität der Menschen zu werfen. Damit kann die Demokratie gerettet werden und nicht mit weiteren Brandmauern und antifaschistischen Schutzwällen. Auch die gab es schon in der deutschen Geschichte“.(27)
Schröder macht Russlandpolitik für SPD-Verluste verantwortlich
Gerhard Schröder (SPD), deutscher Bundeskanzler von 1998 bis 2005, hat das Abschneiden seiner Partei als "katastrophal" bezeichnet. Mit dem Begriff der Zeitenwende in Bezug auf das Verhältnis zu Russland habe die SPD einen Fehler gemacht, gerade in Ostdeutschland. Trotz „ihrer berechtigten Kritik am Krieg Russlands“ gegen die Ukraine sollten die Sozialdemokraten nun „jene Kraft sein, die sich nicht mit Waffenlieferungen begnügt, sondern sich kraftvoll für Verhandlungen zur Beendigung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine einsetzt“(28). Diese Verhandlungen müssten "unabhängig von den USA" vorangetrieben werden.
Schröder sollte aus eigener Erfahrung wissen, dass sich der Hegemon nicht auf der Nase herumtanzen lässt.
Ein wichtiger Aspekt der Wahlanalyse ist nirgends angesprochen worden: Das gemeinsame Anliegen der beiden siegreichen Parteien AfD und BSW, die Sorge um den Frieden in Europa und die Bemühung um ein Ende des Krieges in der Ukraine. Fast möchte man dies als Zeichen des Wiederauflebens einer Friedensbewegung in Deutschland deuten. Nur leider scheint die Rechnung der Kriegsbefürworter, die Bewegung zu spalten, durch die Gründung des linken Bündnisses Sahra Wagenknecht aufgegangen zu sein. Wir können nur hoffen, dass auf Dauer das Engagement für die Sache die links-rechts-Spaltung überwindet.
„Die SPD sollte schleunigst friedfertig handeln“, empfiehlt der SPD-Genosse und ehemaliger einflussreicher Gewerkschaftsfunktionär Herbert Krüger:
„wenn sie den Menschen im Land belegen will, dass von Deutschland nie wieder Krieg ausgehen wird und begreifen, dass dies die einzige Chance ist politisch zu überleben. Wohin der Weg führt belegen die Wahlen in Thüringen und Sachsen eindrucksvoll…Wer gegen den Willen des Volkes regiert, ruiniert sich selbst“(29)
Anmerkungen und Quellen
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld” in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022).
2) https://clubderklarenworte.de/die-brandmauer-gegen-das-volk/
4) Ebda.
5)Ebda.
6) Ebda.
7) Wahl in Thüringen: AfD und Höcke klar vorn - ZDFheute https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/landtagswahl-thueringen-ergebnisse-afd-cdu-hoecke-voigt-100.html
8) Ebda.
9) https://de.wikipedia.org/wiki/Landtagswahl_in_Nordrhein-Westfalen_2005
10) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/politisches-beben-schroeder-will-neuwahlen-a-357076.html
11) https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2005
12) https://www.nzz.ch/articleCUBK5-ld.345749
13) Schröder gab 2014 zu, als Kanzler im Jugoslawien-Krieg auch gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben. „Da haben wir unsere Flugzeuge […] nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte,“ so Schröder unter https://www.wsws.org/de/articles/2014/03/14/schr-m14.html
14) Es sind die geostrategischen Langzeitplanungen der USA: TRADOC 525-3-1 vom September 2014 „Win in a Complex World 2020-2040“.
15) https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2013/42835651_kw06_kalenderblatt_irakkrieg-210866
16) Ebda.
17) Ebda.
19) https://www.faz.net/aktuell/politik/cdu-csu-merkel-verteidigt-irak-krieg-189806.html
21) Gesendet an Wolfgang Effenberger mit der mobilen Mail App am 2.9.2024
22) Ebda.
23) Shirer, William (1990). The Rise & Fall of the Third Reich. New York: Simon & Schuster. p. 47.
24) https://www.hoover.org/research/berlin-alert-memoirs-and-reports-truman-smith
25) Joseph E. Persico: Roosevelt's Secret War. FDR and World War II Espionage. New York 2002, S. 193–194.
26) https://en.wikipedia.org/wiki/Truman_Smith_(officer)
27) https://clubderklarenworte.de/die-brandmauer-gegen-das-volk/
28) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-09/gerhard-schroeder-spd-russland
29) Herbert Krüger ehem. langj. Zeitsoldat in einem NATO Einsatzverband, Gew, Sekr. IG BCE i.R. und ehem. SPD OVV persönlich an Wolfgang Effenberger am 4.9.2024
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: DesignRage / Shutterstock.com
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