Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Es ist wirklich schwer, bei den vielen fundamentalen Ereignissen in der Politik dieser Tage, über etwas zu schreiben, das eher Hintergrund als aktuell ist. Wie gerne würde ich über den Haftbefehl des IStGH gegen Putin berichten. Aber nein, ich habe versprochen meine Meinung über Lula zu überdenken. Also hier ist sie: Schon vor der Wahl von Brasiliens neuen Präsidenten, hatten Stimmen gewarnt, dass Lula die Seiten gewechselt habe, und er nicht mehr der vehemente Vertreter des Multipolarismus sei, der er einmal war. Ich hatte das als Propaganda angesehen, um Lulas Wahl zu verhindern. Nun wird die Vermutung immer drängender, dass Lula im Gefängnis nicht wie Nelson Mandela seinen Gefängniswärter bekehrte, sondern selbst eingenordet wurde, zukünftig besser mit den USA zu kooperieren. Zwar, so scheint es, darf er seine Politik der Unterstützung der armen Schichten des Landes weiterführen, und auch hinsichtlich der BRICS-Teilhabe hat sich noch kein Anzeichen ergeben, dass Lula Brasilien aus dem Multipolarismus zugunsten eines Vasallentums zurückziehen könnte. Aber es gibt zweifellos eine größere Nähe zur Politik der Partei von US-Präsident Biden, als vor seinem Gefängnisaufenthalt. Dieser Beitrag will versuchen zu erklären, was an Lulas Politik für den Globalen Süden so verstörend ist, und welche Folgen für die Geopolitik von BRICS+ zu erwarten sind.
Die Vorgeschichte
In einem Grundsatzartikel vom 23. Februar (1) hat Andrew Korybko die Entwicklung der causa Lula aus seiner, einer sehr russischen Sicht, zusammengefasst. Es sind insgesamt 17 Artikel, beginnend am 31. Oktober 2022 bis zum 21. Februar 2023. Eine beeindruckende Liste, die erklärt, warum die Partei Lulas versuchte, den Autor medial anzugreifen.
Seine wichtigsten Argumentationspunkte waren:
1) Die USA unterstützen Lula aufgrund seiner engen Übereinstimmung mit den Ansichten der Democrat Party;
2) die Außenpolitik seiner dritten Amtszeit sei US-freundlicher als die der ersten beiden;
3) Lulas G20-ähnlicher Friedensvorschlag diene lediglich der Eigenwerbung;
4) die Verurteilung Russlands sei verdächtig; und
5) die Unterstützung von Soros für Lula sei es auch.
Dann erklärt er, wie die US- und andere Medien versuchten, seine Artikel durch Angriffe auf Glaubwürdigkeit und Voreingenommenheit als Putin-Troll zu entwerten. Nun sind seine Artikel tatsächlich äußerst freundlich in Hinsicht auf die Politik Russlands, und er macht keinen Hehl daraus. Jedoch zu behaupten, er sei ein Autor für den russischen Geheimdienst ist gerade deshalb lächerlich.
Der Nach-Wahl-Analyse folgte dann ein weiterer Artikel (2), indem Lula gemeinsam mit der US-Regierung und ihren Verbündeten eine Resolution unterstützte, welche Russland wegen seines Eingreifens im Ukraine-Krieg verurteilte.
Nun hatte ich bis dahin die erkennbare Freundlichkeit Lulas gegenüber der US-Regierung mit Diplomatie gerechtfertigt gesehen, um an Einfluss zu gewinnen. Allerdings war es verstörend, dass diese Freundlichkeit so weit ging, die Beziehung zu Russland zu stören. Korybko schreibt, dass es stimme, dass Moskau sich durch diese jüngste Entwicklung nicht von seinem Wunsch abbringen lassen wird, die Beziehungen zu Brasilien umfassend zu stärken, aber es bestehe kein Zweifel daran, dass Russland seine Einschätzung der weitergehenden Absichten Lulas neu justieren werde.
Das seien keine Spekulation, sondern beruhten auf den Aussagen eines russischen Spitzendiplomaten bei der UNO. In Anbetracht dessen könne man sagen, meint der Autor, dass Lulas Entscheidung, seine Diplomaten diese antirussische Resolution unterstützen zu lassen, in der Tat darauf abzielte, die Informationskriegsführung des Westens und seine militaristische russophobe Linie zu unterstützen. Er hätte sich wie seine BRICS-Kollegen der Stimme enthalten können, habe sich aber stattdessen entschieden, sich auf die Seite der USA zu stellen.
Wenn Lula seinen G20-ähnlichen Friedensvorschlag ernst meinte, so der Autor, dann hätte er dies als Vorwand für Brasilien nutzen können, sich der Stimme zu enthalten. Das habe er aber nicht getan und könne daher von keinem objektiven Beobachter mehr glaubhaft als neutral gegenüber dem Ukraine-Konflikt bezeichnet werden.
Schon am 25. Februar legt Korbyko dann weiter nach. Der Grund, warum Russland so wütend über die von Lula unterstützte Resolution sei, liege darin begründet, dass der fünfte Absatz des Dokuments "seine Forderung bekräftigt, dass die Russische Föderation unverzüglich, vollständig und bedingungslos alle ihre militärischen Kräfte aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet innerhalb der international anerkannten Grenzen der Ukraine abzieht, und zur Einstellung der Feindseligkeiten aufruft". Im Gegensatz dazu enthalte der Friedensplan von Präsident Xi keine solche Forderung, weshalb er für Russland akzeptabel sei.
Erwähnenswert sei auch, dass Lula während seiner Reise nach Washington Anfang Februar in einer gemeinsamen Erklärung mit Biden Russland offiziell verurteilte und damit der erste BRICS-Staatsführer war, der dies tat, was nicht einmal sein Vorgänger Bolsonaro nach einem Treffen mit Biden im letzten Sommer gewagt hätte.
Darüber hinaus habe die überschwängliche Unterstützung Lulas durch George Soros, den Vordenker der Farbrevolutionen, in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar, die Aufmerksamkeit der Beobachter erregt. Diese berüchtigte liberal-globalistische Figur habe in derselben Rede de facto einen hybriden Krieg gegen Brasiliens BRICS-Partner Indien erklärt und vor fast genau einem Jahr ähnliche Pläne gegen China. Sein globales Netzwerk stelle eine solche Bedrohung für die nationale Sicherheit Russlands dar, dass Moskau seine Aktivitäten vor über sieben Jahren verboten habe. Dann schreibt er, welche Folgen der Friedensplan Lulas seiner Meinung nach hätte.
„Die russischsprachige Bevölkerung der Krim und des Donbass, ganz zu schweigen von den anderen neu vereinigten Regionen Cherson und Saporoschje, würde von den von der NATO unterstützten Neonazis in Kiew abgeschlachtet, wenn Moskau sich Lulas Forderung beugt, was für den Kreml absolut inakzeptabel ist und daher niemals geschehen wird. Allerdings ist die russische Führung auch pragmatisch genug, (…) so dass nicht zu erwarten ist, dass die Beziehungen darunter leiden werden.“
Dann erklärt er, dass Lula eben nicht mehr Lokomotive der BRICS+-Erweiterung sein dürfte, sondern im Gegenteil wohl eher ignoriert werden wird.
Am gleichen Tag erschien ein Artikel von Glenn Greenwald (4). Dieser nimmt ein Gesetz Lulas zum Verbot und zur Bestrafung von Fake News und Desinformation zum Anlass, ebenfalls Lulas Politik neu zu bewerten. Es ist eine in die Tiefe gehende Analyse der Verhaltensänderung von Lula. Und im Untertitel schreibt Greenwald:
„Viele Nationen scheinen bereit zu sein, die zentrale Lektion der Aufklärung aufzugeben: Keiner menschlichen Institution kann oder sollte vertraut werden, die absolute Wahrheit zu verkünden und abweichende Meinungen zu bestrafen“
Greenwald weist darauf hin, dass nun so genannte demokratische Staaten nachmachen, was Diktaturen vorgemacht haben. Wenn man mit dem Begriff demokratische Welt großzügig umgehe und Malaysia und Singapur - bestenfalls hybride Demokratien - einbeziehen möchte, so der Autor, könne man argumentieren, dass ein paar andere demokratische Regierungen bereits die Macht ergriffen hätten, die absolute Wahrheit zu verkünden und dann jede Abweichung davon zu verbieten. Wenn es keine unerwartete Opposition gebe, werde Brasilien aber bald das erste Land sein, das eindeutig zur demokratischen Welt gehöre und dennoch Fake News verbietet und Regierungsbeamte mit der Macht ausstatte, ihre Urheber zu bestrafen.
Er weist daraufhin, wie in den USA noch ein Machtkampf um diese absolute Zensurmöglichkeit ausgefochten wird. Und dass das brasilianische Gesetz die Strafverfolgungsbehörden ermächtigen würde, gegen Bürger vorzugehen, die Aussagen veröffentlichen, die von der Regierung als falsch eingestuft werden. Er erklärt dann, wie Richter schon vor Inkrafttreten des Gesetzes drastische Mittel gegen Kritiker einsetzten.
„Schon vor der Verabschiedung dieses neuen Gesetzesvorschlages waren die Online-Zensurmaßnahmen dieses einzelnen brasilianischen Richters, der mit Unterstützung der Mehrheit des Obersten Gerichtshofs handelt, so extrem, dass sogar liberale amerikanische Nachrichtenagenturen kritische Artikel über ihn und seine ihrer Meinung nach gesetzlosen und wilden Zensurmaßnahmen veröffentlicht haben (darunter drei in der New York Times, einer in der Associated Press und ein weiterer in der Washington Post).“ (4)
Der Autor berichtet weiter, dass schon vor dem Gesetz Richter Moraes fünf Personen ohne Gerichtsverfahren inhaftiert hatte, weil sie in sozialen Medien Beiträge veröffentlicht hatten, die seiner Meinung nach die brasilianischen Institutionen angriffen. Er habe auch angeordnet, dass soziale Netzwerke Tausende von Beiträgen und Videos entfernen müssen, ohne dass ein Einspruch möglich gewesen sei. Und in diesem Jahr haben 10 der 11 Richter des Gerichts einen Kongressabgeordneten zu fast neun Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in einem Livestream Drohungen gegen sie ausgesprochen hatte.
Weitere Erklärungen des Artikels würden das Format an dieser Stelle sprengen. Kommen wir zurück zu Korybko, der am 3. März über einen Telefonanruf Lulas mit Selenskyj berichtete(5).
Alles, was Lula und Selenskyj in ihrem Telefonat am Donnerstag besprachen, so der Autor, beweise, dass der brasilianische Staatschef unbestreitbar gegen Russlands Sondereinsatz sei. Allerdings nicht gegen Russland an sich und auch nicht gegen einen umfassenden Ausbau der Beziehungen zu diesem BRICS-Partner, trotz ihrer unüberbrückbaren Differenzen über dessen Stellvertreterkrieg mit der NATO in der Ukraine.
„Die Verschwörungstheorien, die seit der Wiederwahl von Präsident Lula do Silva in den brasilianischen sozialen Medien kursieren und die besagen, dass er im Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO in der Ukraine insgeheim auf der Seite Moskaus steht, wurden gerade von keinem Geringeren als dem frisch wiedergewählten und nun dreimaligen Staatschef selbst widerlegt. Laut seiner offiziellen Website erklärte er seinem ukrainischen Amtskollegen in einem Telefonat am Donnerstag, dass "Brasilien die territoriale Integrität der Ukraine verteidigt" und eine Einladung zu einem Besuch in Kiew angenommen hat.“(5)
Korybko beschreibt dann Details einer nächtlichen Ansprache an die Nation, welche auf der offiziellen Website von Lula in voller Länge verfügbar ist. Darin äußert er, die Beziehungen zur Ukraine wieder aufzunehmen, welche Bolsonaro ohne große Ankündigungen bei Beginn der Militäraktion Russlands stillschweigend unterbrochen hatte. Was nun wirklich nachdenklich macht.
Nichtsdestotrotz habe der hochrangige russische Diplomat Rjabkow gesagt, dass sich die Gespräche seines Chefs, Außenminister Sergej Lawrow, mit seinem brasilianischen Amtskollegen auf Themen konzentrierten, die die beiden zusammenbringen, und dass er daher nach wie vor glaube, dass ihre Partnerschaft „vielversprechend“ sei. Was das Treffen zwischen den beiden Spitzendiplomaten angehe, so sei Lawrow erwartungsgemäß höflich gewesen und habe sich dafür entschieden, keinen Skandal aus dem brasilianischen Votum für die jüngste UN-Resolution zu machen.
Der Autor weist dann darauf hin, dass die Partei Lulas nach wie vor versuche, Mitgliedern zu erklären, dass die Politik des neuen Präsidenten eigentlich freundlich gegenüber Moskau sei, und er angeblich insgeheim auf der Seite Russlands stehe. In Wahrheit gebe es aber einen hybriden Krieg in Brasilien, der das Ergebnis eines unerklärten Machtkampfes innerhalb der Partei sei. Anhänger des neuen Lula führten ihn gegen den Teil der Partei, die noch am alten Lula festhielten.
„Der Ausgang dieses Kampfes wird Brasiliens Weg im neuen Kalten Krieg bestimmen. Entweder wird es sich inmitten der bevorstehenden Dreiteilung der internationalen Beziehungen weiter in Richtung USA bewegen oder es wird sich stärker auf die chinesisch-russische Entente und/oder den globalen Süden ausrichten.“(5)
Dann erklärt er, dass dies bereits der zweite hybride Krieg sei.(6) Der erste hybride Krieg gegen Brasilien sei von den Gegnern von Präsident Lula geführt worden, um einen Regimewechsel gegen seine Arbeiterpartei (PT) herbeizuführen, was den jüngsten hybriden Krieg gegen Brasilien umso interessanter mache, als er von vermeintlich Lula-freundlichen Kräften zur Stärkung des Regimes geführt werde. Dann definiert er noch einmal den Begriff hybrider Krieg. Details finden sich im Anhang.(7)
Danach erklärt er die Realität von Lulas Herangehensweise an den Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland. "Lulas rekalibrierte multipolare Vision macht ihn für die großen strategischen Interessen der USA empfänglich“. Der Punkt sei, dass seine Politik gegenüber diesem Konflikt nicht dem entspreche, was die Basis der PT erwartet hatte, die hoffte, dass er die Haltung seines Vorgängers Bolsonaro, in der UNO gegen Russland zu stimmen, umkehren und sich stattdessen der Stimme enthalten würde.
Um interne Meinungsverschiedenheiten in den eigenen Reihen zu verhindern, sei es im Internet in Form von Kritik in den sozialen Medien oder auf der Straße in Form von Protesten, hätten vermeintliche Lula-Befürworter eine Verschwörungstheorie über seine Haltung aufgestellt. Sie würden behaupten, trotz der objektiv vorhandenen und leicht nachprüfbaren gegenteiligen Fakten, dass Lula insgeheim die russische Sonderoperation unterstützt und alle damit zusammenhängenden gegenteiligen öffentlichen Züge nur ein 5D-Schachspiel von ihm sind.
Diese Verschwörungstheorie sei im Grunde ein brasilianischer Abklatsch der Theorie des berüchtigten QAnon, der behaupte, dass jeder Zug, den Trump öffentlich in die entgegengesetzte Richtung der Erwartungen seiner Basis machte, ebenfalls nur ein 5D-Schachspiel gewesen sei, um seine Gegner zu verunsichern, aber dass nur sie und nicht ihre Rivalen die Wahrheit kennen. Beide seien realitätsfern, wurden nur erfunden, um internen Dissens in den Reihen ihrer Anhänger präventiv abzuwenden, und funktionieren im Wesentlichen als säkulare Religionen.
Die Basis der PT sei allerdings politisch viel bewusster und aktiver, als es die MAGA Bewegung in den USA war, so dass es tatsächlich eine Chance gebe, dass einige gegen Lulas unfreundliche Politik gegenüber Russland protestieren, und das könnte tatsächlich etwas bewirken. Selbst wenn ihr interner Dissens im Cyberspace verbleibe, könne er sich spürbar auf die Wahrnehmung von Lula und der Außenpolitik dieser dritten Amtszeit auswirken und so die interne Dynamik innerhalb der Partei langfristig verändern.
Der Fall Nicaragua
Am 8. März aber kommen noch schärfere und konkretere Vorwürfe gegen Lula in die alternativen Medien. Auf der Seite Zububrothers,(8) aber als Quelle wieder Korybko, wird darauf hingewiesen, wie Lula sich angeblich in Bidens Auftrag in Nicaragua einmische. Dort hatte die Regierung, offensichtlich als Reaktion auf einen Regimechange-Versuch der USA, 300 Bürgern Nicaraguas die Staatsangehörigkeit entzogen.
Der nicaraguanische Staatschef Ortega beschuldigte die USA bereits zu Beginn der seit viereinhalb Jahren andauernden Unruhen, sich gegen seine demokratisch gewählte Regierung verschworen zu haben, um sie zu stürzen. Ihm zufolge wurden Drogenhändler, ausländische Agenten und Geheimdienstfronten zu diesem Zweck eingesetzt, um ihn gewaltsam aus dem Amt zu drängen. Nachdem dieser Teil ihres Plans gescheitert war, hätten die Verschwörer versucht, die Wähler vor den Wahlen im November 2021 gegen ihn zu manipulieren, doch auch das schlug fehl.
Tatsache ist, dass die USA einen ewigen Krieg gegen Nicaragua führen, in dem das Imperium sogar schon einmal von einem Weltgericht zu natürlich niemals gezahltem Schadenersatz verurteilt worden war (9). Nun muss das Ganze vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die USA alles, ähnlich wie im Fall der NordStream-Pipeline, tun werden, um zu verhindern, dass ein Infrastrukturprojekt realisiert wird, das nicht in ihrem Interesse ist. Diesmal handelt es sich um einen Kanal, welcher als Konkurrent zum Panama-Kanal durch chinesische Ingenieure gebaut werden soll.
Zurück zu Korybko. Der weist auf Aussagen des brasilianischen Gesandten in Nicaragua hin, welche im Prinzip die Positionen der USA wiederholen. Schließlich habe sich dann Brasilien bereiterklärt, die 300 ehemaligen Bürger Nicaraguas, welche beschuldigt werden, einen Regimechange gegen die gewählte Regierung geplant zu haben, in Brasilien aufzunehmen. Brasilien hatte dies als humanitäre Aktion zum Schutz staatenloser Personen erklärt und ihnen einen Sonderstatus im Rahmen der Migrationsgesetze eingeräumt.
Die Vorstellung Lulas von Multipolarität sei nicht mehr annähernd dieselbe wie die Russlands oder Nicaraguas, deutet der Autor diese Politik. Genau wie Biden sei Lula davon überzeugt, dass der neue Kalte Krieg zwischen Demokratien und Diktaturen ausgetragen werde, anstatt dass es darum gehe, ob die internationalen Beziehungen zur Unipolarität zurückkehren oder multipolar werden. Gleichzeitig gehe er aber nicht so radikal gegen Russland vor, wie es die USA wünschen. Er lehnt es zum Beispiel immer noch ab, Kiew zu bewaffnen oder Sanktionen gegen Moskau zu verhängen, aber seine Aufnahme von Agenten, die den Regimewechsel in Nicaragua vorbereiteten, stelle eine Eskalation dar. Und, so sollte man hinzufügen, eine Gefahr für Brasilien.
Am 10. März folgte dann ein weiterer Artikel von Korybko, der sich wie kein anderer diesem Thema gewidmet hatte, um die Desinformationskampagne zur Verschleierung von Lulas Nicaragua-Politik zu entlarven.(10) Der Artikel will eine Kampagne erklären, welche die Aktionen zugunsten des Nicaragua-RegimeChanges als humanitäre Aktion darstellt.
Dieselbe Zeitung derselben professionellen Desinformationsagenten hätten sich schamlos von der Verurteilung des Vorschlags, Brasilien solle hunderte von US-Agenten aufnehmen, gewendet, hin zur Unterstützung der Aufnahme von Regime-Change-Agenten, nachdem Lula diese Politik verkündet habe. Diese verblüffende Umkehrung der Darstellung sei der vernichtende Beweis für die Desinformationskampagne, um Lulas auf die USA ausgerichtete Außenpolitik zu vertuschen und die PT-Basis in die Irre zu führen.
Krieg über unwichtige Dinge
Am 16. März führt dann eine Äußerung Lulas zu einer empörten Widerlegung durch Korybko (11). Lula hatte gesagt, dass im 21. Jahrhundert es nicht möglich sein sollte, dass „wir wegen Kleinigkeiten Krieg führen“. Dies habe er geäußert, nachdem er erklärt hatte, dass er wegen der Sonderoperation weder Russland noch die Ukraine besuchen werde. Der Autor erklärt dann die Bedeutung des Krieges aus Sicht Russlands, das nicht nur für russische Menschen in der Ukraine und seine Sicherheitsinteressen, sondern gegen seine Balkanisierung, genannt Entkolonialisierung kämpfe.
Brasiliens Haltung im Sicherheitsrat
Am 18. März schließlich wird Lulas gegenüber Russland noch einmal deutlich, und zwar in seiner Haltung im Sicherheitsrat. Dort sollte über Russophobie diskutiert werden, was Brasiliens Vertreter mit der Begründung ablehnte, dass es keinen Sinn mache, nationale Positionen einfach zu wiederholen.
„Es war zu erwarten, dass es unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema geben würde, aber wichtig ist, dass es diskutiert wurde, was den stellvertretenden Ständigen Vertreter Brasiliens überraschenderweise zu stören schien.“(12)
Der Autor stellt fest, dass nicht vergessen werden sollte, dass Russophobie eine der Hauptursachen für den damaligen ukrainischen Bürgerkrieg war, der sich mit dem Beginn der russischen Sonderoperation in einen internationalen Konflikt und bald darauf in die gegenwärtige Phase eines Stellvertreterkriegs zwischen der NATO und Russland verwandelt habe.
Diese Äußerung im Sicherheitsrat könne daher im Nachhinein als ein entscheidender Moment in der brasilianischen Außenpolitik angesehen werden, da er das Land in dem geostrategisch bedeutendsten Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg unbestreitbar auf die politische Seite der USA gestellt habe. Lula habe gelogen, indem er behauptete, es ginge nur "um Kleinigkeiten", während er seine Diplomaten bei der UNO anwies, die als Russophobie bekannte Form der Bigotterie als nicht aufklärungswürdig zu bezeichnen - beides Standpunkte, die auf der Seite der USA stehen.
Fazit
Ich habe mich geirrt, als ich frühe Warnungen gegenüber einer Veränderung von Lulas Politik verwarf. Aber das heißt nicht, dass ich der Meinung bin, dass Brasilien und BRICS+, dass die Weltpolitik mit einem Präsidenten Bolsonaro besser aufgestellt wäre. Lula ist eine Enttäuschung für Menschen, die annahmen, er würde seine ursprüngliche Politik der Stärkung der Multipolarität noch intensiver weiter verfolgen. Diese müssen nun damit leben, dass Lula sich anscheinend mit dem mächtigen Nachbarn im Norden arrangieren will, eine Konfrontation mit ihm versucht zu vermeiden. Während andere BRICS-Länder das Gegenteil erkennen lassen.
Vielleicht ist auch das Kalkül Lulas, ähnlich wie bei seiner Rolle in der Realisierung des Atomvertrages JCPOA mit dem Iran, zukünftig eine Vermittlerrolle zwischen dem Block der Multipolaren und des Imperiums wahrzunehmen. Wie sich seine Rolle tatsächlich entwickelt, muss natürlich beobachtet werden. Dabei sollte man bedenken, dass nun weitere südamerikanische Länder in die BRICS-Gemeinschaft drängen dürften, wodurch der Einfluss Brasiliens reduziert werden wird.
Quellen und Hinweise:
Der Autor Jochen Mitschka twittert zu aktuellen Themen unter @jochen_mitschka
(1) https://korybko.substack.com/p/korybko-to-brazils-pco-youre-useful (2) https://korybko.substack.com/p/russias-anger-at-the-latest-un-resolution (3) https://korybko.substack.com/p/brazil-and-china-are-poles-apart (4) https://greenwald.locals.com/post/3585012/new-law-sought-by-brazils-lula-to-ban-and-punish-fake-news-and-disinformation-threatens-the-free (5) https://korybko.substack.com/p/lula-made-it-clear-in-his-call-with (6) https://korybko.substack.com/p/the-latest-hybrid-war-on-brazil-is
(7) Mit dem Begriff "Hybrider Krieg" sei die unkonventionelle Manipulation der soziopolitischen Prozesse eines Zielstaates gemeint, um die eigene Agenda voranzutreiben. Was das Wort "Regime" in den Begriffen "Regimewechsel" und "Regimestärkung" betrifft, so beziehe es sich einfach auf die Regierung und werde nicht in der Weise verwendet, wie es von westlichen Propagandisten als Waffe zur Delegitimierung der Behörden eingesetzt wird. Dann erklärt er Details des ersten hybriden Krieges. Der erste und zweite Hybridkrieg gegen Brasilien.
Der erste wurde von den USA mit der "Operation Car Wash" inszeniert, um die PT durch einen postmodernen Staatsstreich zu beseitigen, als Strafe für ihre vergleichsweise viel stärkere multipolare Außenpolitik zu jener Zeit. Der zweite jedoch wird auf das unabhängige Vorrecht der vermeintlichen Pro-Lula-Kräfte hin geführt, um die Wahrnehmung der PT-Basis über Lulas vergleichsweise viel stärker auf die USA ausgerichtete Außenpolitik während seiner dritten Amtszeit zu manipulieren und so präventiv internen Dissens abzuwenden.
Der erste hybride Krieg gegen Brasilien stützte sich auf angebliche Korruptionsenthüllungen, um die Lawfare-Dimension dieses Regimewechselprozesses in Gang zu setzen, der dann eine Kombination aus unabhängig organisierten Protesten gegen die PT und solchen, die von als NRO getarnten ausländischen Geheimdiensten organisiert wurden, katalysierte. Im Gegensatz dazu stützt sich der zweite hybride Krieg gegen Brasilien ausschließlich auf Verschwörungstheorien, um die Basis der PT davon abzuhalten, gegen Lula zu protestieren.
(8) http://zububrothers.com/2023/03/08/lula-is-meddling-in-nicaragua-at-bidens-behest/ (9) https://de.wikipedia.org/wiki/Contra-Krieg#Verurteilung_der_USA (10) https://korybko.substack.com/p/exposing-the-pco-cults-disinfo-campaign
(11) https://korybko.substack.com/p/lula-is-lying-the-nato-russian-proxy
(12) https://korybko.substack.com/p/brazil-discredited-itself-by-expressing
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+++ Bildquelle: Isaac Fontana / shutterstock
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