Ein Standpunkt von Ansgar Schneider.
In die kurze Reihe von hochrangigen politischen Repräsentanten, die die von der US-Regierung verbreiten Behauptungen über den Hergang der Terroranschläge des 11. September 2001 zurückwiesen, reihte sich am 16. August 2022 Lijian Zhao, Sprecher des chinesischen Außenministerium und Stellvertreter des Ministers, ein. Er verbreitete eine Photocollage mit Bildunterschriften über die Kurznachrichtenplattform Twitter, welche die US-amerikanischen Kriege thematisiert und die Urheberschaft der Anschläge des 11. Septembers dem US-amerikanischen Sicherheitsapparat zuweist. Zhaos Tweet liegen wohl kaum neu gewonnene Erkenntnisse und ein an die internationale Diplomatie gerichtetes bildungspolitisches Bemühen zugrunde. Eher ist die Frage angebracht, welche konkrete machtpolitische Aussage sich hinter dem Tweet verbirgt.
Der Sicherheitsrat
Der 12. September 2001 war ein geopolitisch außerordentlich bemerkenswerter Tag dieses noch jungen Jahrhunderts. Einen Tag nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center (WTC), das Pentagon und ein Feld in Sommerset County verabschiedete der UN-Sicherheitsrat – das höchste politische Gremium der Erde, dessen Entscheidungen bindend für alle Vertragsstaaten der UNO sind – seine Resolution 1368, in der es unter Punkt 1. heißt:
»Der Sicherheitsrat […] verurteilt unmissverständlich mit allem Nachdruck die grauenhaften Terroranschläge, die am 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania stattgefunden haben, und betrachtet diese Handlungen, wie alle internationalen terroristischen Handlungen, als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« [1].
Das außerordentlich bemerkenswerte an diesem Satz ist das hier so unscheinbar daherkommende Wort »international«. Denn mit diesem Wort wird hier eine Tatsachenfeststellung, nämlich daß die Anschläge des 11. Septembers eine »internationale terroristischen Handlung« gewesen seien, codiert. Es wird also bestritten, daß die Attentäter und deren planerisches Umfeld ein rein US-nationales Umfeld hatten.
Freilich gibt es bis heute keine Beweise für diese Behauptung: Die Täter wurden nie ermittelt, weil die US-amerikanischen Behörden bis heute eine rechtsstaatliche Untersuchung der Anschläge verhindern [2, 3, 4], und natürlich war nur einen Tag nach den Anschlägen die Informationslage zum Hergang der Ereignisse noch ungleich dürftiger, als sie es heute, nach über zwei Dekaden ist.
Man sollte zwar anmerken, daß der Informationskrieg um den Hergang der Ereignisse zeitgleich mit den Anschlägen selbst begann: Die Massenmedien berichteten schon bevor der erste der drei Wolkenkratzer des WTC überhaupt eingestürzt war, über die Falsche Fährte von Osama bin Laden als Kopf der Anschläge, und dies unter Berufung auf offizielle Quellen [3, Seite 123] [4, Seite 49]. Daß sich aber die Top-Diplomaten der Veto-Mächte Rußland und China von solch einfältigen Beschuldigungen, die gänzlich ohne Beweise vorgetragen wurden, nun hätten beeindrucken lassen, und daraufhin eine Resolution des Sicherheitsrates unterzeichneten, in der jedes Wort und Komma auf seine potentielle Bedeutung hin untersucht wird, ist nicht glaubhaft.
Viel mehr muß man davon ausgehen, daß Rußland und China der Resolution in der vorliegenden Form aus Machtkalkül zustimmten, was aus zwei Gründen plausibel erscheint.
Zum einen war das geopolitische Machverhältnis vor 20 Jahren – verglichen mit heute – deutlich zugunsten der USA verschoben, so daß ein vordergründiges Akzeptieren der von der US-Regierung vorgebrachten Beschuldigungen, den politischen und wirtschaftlichen Interessen der beiden Mächte außenpolitisch vorteilhaft erschien.
Zum anderen gibt ein als »international« dargestelltes Bedrohungsszenario (eine »Bedrohung des Weltfriedens«!) den jeweiligen Machthabern auch innenpolitisch die Möglichkeit, nachfolgende autoritäre Reaktionen zu begründen, wie dies weltweit und insbesondere auch in Deutschland geschah. Zudem werden bereits bestehende Anti-Terrorismus-Maßnahmen im Nachhinein gerechtfertigt: Rußland beispielsweise führte bereits seit 1999 in der russischen Teilrepublik Tschetschenien einen Krieg, der als Antwort auf die tödlichen Terroranschläge auf Wohnanlagen in Moskau geführt wurde und den der damalige Ministerpräsident Vladimir Putin als »Krieg gegen den Terrorismus« [5] bezeichnete, weil die Anschläge tschetschenisch-islamistischen Terroristen angelastet wurden. Offenkundig war Bushs »Krieg gegen den Terror« [6] nicht nur von der verwendeten Wortwahl, sondern auch von der zugrundeliegenden Handlungslogik von ähnlicher Struktur.
Eine Handvoll staatstragender Kritiker
Diejenigen in den westlichen Staaten, die in den letzen 20 Jahren anfingen den 11. September unvoreingenommen aufzuarbeiten, kamen alle an denselben Punkt: Während Freunde, Familie und enge Vertraute sich Sachargumenten zugänglich zeigen und die leicht aufzuzeigenden Absurditäten und eklatanten Lücken der US-amerikanischen Darstellung erkennen, hört die Einsicht an dem Punkt auf, an dem man sich an eine sich in der Öffentlichkeit bewegende Person wendet, die ihre Position nutzen könnte, um einer öffentlichen Stellungnahme Gewicht zu verleihen [7]. Offensichtlich ist diese Tabuisierung des 11. Septembers der Durchschlagskraft der westlichen Massenmedien und dem Einfluß transatlantischer Denkfabriken mit ihrer gezielten Ächtung von Dissidenten zuzuschreiben [8, 9].
Ein Vergleich: Als etwa anläßlich des 5. Jahrestages des 11. Septembers das venezolanische Staatsfernsehen VTV einen Diskussionsbeitrag ausstrahlte, in dem der Journalist Carlos Sicilia von der Sprengung der drei WTC-Türme und einer US-amerikanische Urheberschaft der Anschläge sprach [10], wurde dieser nicht etwa wie die wenigen deutschen Kritiker Bröckers, Hauß, von Bülow und Wisnewski von den Massenmedien, allen voran das Meinungsmedium Der Spiegel, mit Ächtung bestraft [11], sondern am Tag danach griff Präsident Hugo Chaves dies auf und beantwortete die Frage nach dem Grund für einen solchen Anschlag mit dem Verweis auf die folgenden Kriege in Afghanistan und im Irak und die geopolitischen Interessen der USA [12]. Die Folge dieser so unterschiedlich gearteten Kommunikationskultur ist, daß in der breiten Masse der Bevölkerung der geopolitische Analphabetismus vermutlich nirgends so stark ausgeprägt ist wie in der westlichen Welt.
Chavez blieb mit seinen Überlegungen nicht allein unter den Staatschefs dieser Erde. Ein Jahr später veröffentlichte der kubanische Staatschef Fidel Castro einen Essay, der im kubanischen Fernsehen verlesen wurde, indem er zutreffend feststellte, daß die Welt zum Narren gehalten wurde [13], und im Jahr 2010 ließ es sich der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad nicht nehmen, vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen verschiedene Täterszenarien zum 11. September zu erörtern [14].
Irgendeine nennenswerte Debatte haben diese Äußerungen in den westlichen Massenmedien natürlich nicht ausgelöst, und das war den drei Herren selbstverständlich auch vorher bewußt. Zu groß ist die amerikanische Hegemonie und zu unbedeutend sind Venezuela, Kuba und der Iran als politische Orientierungspunkte in der westlichen Logik des Stärkeren. Und da diese drei Länder ohnehin mit massiven US-Sanktionen belastet sind, haben diese auch nichts zu verlieren. Alle anderen Staatschefs tun gut daran, sich nicht zur Sache zu äußern, um nicht den Unmut des amerikanischen Hegemons heraufzubeschwören.
Es lassen sich noch zwei weitere höchste Staatsrepräsentanten benennen, die die offizielle Version entschieden zurückwiesen, die allerdings zum Zeitpunkt ihrer Äußerungen nicht mehr im Amt waren, nämlich Francesco Cossiga, von 1985 bis 1992 Staatspräsident Italiens [15], und Mahathir Mohamad, ehemaliger Premierminister von Malaysia. Letzterer eröffnete 2012 in Kuala Lumpur eine große Konferenz mit dem Titel »9/11 Revisited«, auf der internationale Experten zum aktuellen Forschungsstand referierten [16]. Bemerkenswerterweise wurde Mohamad 2018 erneut zum Premierminister gewählt, was im gegenwärtig verleumderischen Klima der westlichen Staaten undenkbar wäre.
Diese Handvoll Politiker sind die einzigen (mir bekannten) höchsten (ehemaligen) Staatsrepräsentanten, die sich dieserart geäußert haben. Ich gehe hier nicht inhaltlich und im einzelnen auf die jeweiligen Äußerungen ein, weil dies jeweils eine ausführliche Diskussion und weitergehende Kenntnis über die Begebenheiten des 11. September und eine anschließende Bewertung voraussetzt, was den thematischen Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Gemein ist allen fünf Äußerungen der wesentliche Punkt, daß die offizielle Geschichte zurückgewiesen wird und daß Elemente aus dem US-Sicherheitsapparat für die Anschläge verantwortlich sind.
Und jetzt China
Zhaos Tweet, der mit effektgeladenen Bildern und kurz-knackigen Bildunterschriften arbeitet, ist eine Art der Kommunikation, die man in der Prä-Twitter-Ära im diplomatischen Bereich sicher nicht erwartet hätte: kein Text im Diplomatensprech, auf Wort und Komma penibel genau formuliert und mit wissenschaftlichen Quellen belegt, sondern aufgebaut wie ein lässig beiläufiger Kommentar, wie man ihn auf der Cocktailparty dem Nebenmann zuwirft. Twitter eben.
Lijian Zhao, Twitter-Kurznachricht, 16. August 2022 [17]. Unterschrift unter dem Bild rechts unten, das den Feuerball nach dem Angriff auf den Südturm des WTC zeigt: »What I actually do«. Auf deutsch: »Was ich [Amerika] tatsächlich mache«.
Hinter dieser scheinbar nebensächlichen Lässigkeit verbirgt sich die eigentliche Botschaft: »Hey Leute, wir wissen doch alle, was gelaufen ist, erklären muß ich das gar nicht mehr.« Es handelt sich also nicht nur um eine Aussage über die Täterschaft, die Resolution 1368 hinter sich läßt, sondern insbesondere auch um eine Aussage über den Verbreitungsgrad des Wissens darüber.
Zhao weiß natürlich, daß der Informationskrieg um den 11. September auf Sachebene unter den geopolitisch Gebildeten schon längst von der US-Seite verloren ist, daß das ganze Schauspiel aber auch aufgrund der – das muß man bemerken: äußerst effektiven! – propagandistischen Nebelkerzen der Massenmedien [8] in der westlichen Welt mit ihrem hohen geopolitischen Analphabetismus noch lange nicht vorbei ist. Folgerichtig reagierte auch kein einziges deutsches Medium auf Zhaos Tweet.
Zu einem Zeitpunkt an dem die Spannungen zwischen China und den USA wegen der Taiwan-Frage und Chinas Intensivierung der chinesisch-russischen Beziehungen, zeugt Zhaos digitales Säbelrasseln vom gewachsenen Selbstbewußtsein in Peking, wo man sich darüber im klaren ist, daß die US-amerikanische Hegemonie langsam dem Ende entgegen geht.
Eine ehrliche und umfassende Aufklärungskampagne von chinesischer Seite, so wünschenswert sie auch wäre, ist allerdings kaum zu erwarten. Macht und Wahrheit vertragen sich im allgemein sehr schlecht.
Ansgar Schneiders aktuelles Buch »Generation 9/11 – Die verhinderte Aufklärung des 11. Septembers im Zeitalter der Desinformation« (gemeinsam mit Klaus-Dieter Kolenda, Fifty Fifty, 2021) beleuchtet den 11. September aus naturwissenschaftlicher Sicht und gibt eine umfassende Analyse aktueller und historischer Propagandabemühungen zur Delegitimierung und Ächtung von Aufklärung.
Quellen
[1] Resolution 1368, 12. September 2001, https://www.un.org/depts/german/sr/sr_01-02/sr1368.pdf
[2] Siehe dazu: Ansgar Schneider: Der verklärte Tag, Rubikon, 11. September 2020, https://www.rubikon.news/artikel/der-verklarte-tag und die darin angegebenen Quellen.
[3] Ansgar Schneider, Klaus Dieter-Kolenda: Generation 911 – Die verhinderte Aufklärung des 11. Septembers im Zeitalter der Desinformation, Fifty-Fifty, 2021
[4] Elias Davidsson: America’s Betrayal Confirmed – 9/11: Purpose, Cover-Up am Impunity, Tonar-og-steinar, 2020
[5] Zitiert nach: Tagesschau, 24. September 1999, Minute 9:50, https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-598689.html
[6] George Bush: »Our war on terror begins with al Qaeda, but it does not end there«, Address to a Joint Session of Congress and the American People, 20. September 2001, https://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2001/09/20010920-8.html
[7] Paul Schreyer: Die 9/11-Denkblockade, Telepolis, 10. September 2012, https://www.heise.de/tp/features/Die-9-11-Denkblockade-3395548.html
[8] Ansgar Schneider: Der heilige Gral der Gegenaufklärung, Multipolar, 11. September 2020, https://multipolar-magazin.de/artikel/der-heilige-gral
[9] Florian Warnweg: ›Gegneranalyse‹ – Das Bundesfamilienministerium finanziert ein Überwachungs- und Diffamierungsportal gegen kritische Medien, Nachdenkseiten, 1. Juli 2022, https://www.nachdenkseiten.de/?p=85379
[10] Siehe etwa: Aporrea, 12. September 2006, https://www.aporrea.org/actualidad/n83483.html
[11] Dominik Cziesche, Jürgen Dahlkamp, Ulrich Jaeger und Gunther Latsch: Panoptikum des Absurden, Der Spiegel, 37/2003, https://www.spiegel.de/politik/panoptikum-des-absurden-a-82c321da-0002-0001-0000-000028530325?context=issue
[12] Siehe etwa: NBC News, 13. September 2006, https://www.nbcnews.com/id/wbna13401534
[13] Siehe etwa: Reuters, 12. September 2007, https://www.reuters.com/article/us-sept11-castro/fidel-castro-says-u-s-fooled-world-over-9-11-idUSN1146186220070912
[14] Mahmoud Achmadinejad, Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, 23. September 2010, englischer Wortlaut, Seite 6 ff., https://digitallibrary.un.org/js/pdfjs-2.9.359/web/pdf_viewer.html?file=https%3A%2F%2Fdigitallibrary.un.org%2Frecord%2F693954%2Ffiles%2FA_65_PV.12-EN.pdf%3Fregister_download%3D0&chunksize=65536#pagemode=thumbs
[15] Siehe etwa: Corriere della Sere, 30. November 2007, https://www.corriere.it/politica/07_novembre_30/osama_berlusconi_cossiga_27f4ccee-9f55-11dc-8807-0003ba99c53b.shtml#
[16] Eröffnungsrede von Mahathir Mohamad, 19. November 2012, online erschienen 14. Dezember 2012, https://www.youtube.com/watch?v=th0xmtfkgqE
[17] Zijian Zhao, Twitter-Kurznachricht, 16. August 2022, https://twitter.com/zlj517/status/1559530185686675457
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Joseph Sohm/ shutterstock
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