Standpunkte

Märchenstunde der Propaganda | Von Tom J. Wellbrock

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Deutschland und die Unabhängigkeit von Russland

Direkt nach dem Beginn des aktuellen Ukraine-Krieges stand die wichtigste Maßnahme der deutschen Politik fest: Unabhängigkeit von russischem Gas. Seitdem hält sich der Unsinn in der Öffentlichkeit, es könne so etwas wie Unabhängigkeit überhaupt geben.

Ein Standpunkt von Tom J. Wellbrock.

Verzichtet Deutschland seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine auf russisches Gas? Selbstverständlich nicht, das Gas kommt, auf Umwegen und teurer als notwendig gewesen wäre, aber es kommt. Insofern ist das ganze Gerede, man habe sich unabhängig von Russlands Gas gemacht, vollkommener Blödsinn. Aber eben Blödsinn, der – dank des liebevollen Zusammenspiels von Politik und Medien – unter die Bevölkerung gebracht wird. Allein die Tatsache, dass die Erzählung der deutschen Unabhängigkeit von russischem Gas funktioniert, macht das Trauerspiel deutlich.

Selbst der Mainstream widerspricht nur noch saft- und kraftlos, wenn jemand sagt, dass Deutschland US-Interessen folge. Es ist einfach zu offensichtlich, dass den USA jedes Mittel recht ist, um ihr eigenes Ding durchzuziehen. Es ist schlicht zu eindeutig, dass das erste Ziel der USA das Treiben eines Keils zwischen Deutschland und Russland ist. Bemerkenswert dagegen ist die Reaktion der deutschen Politik (und ihrer hinterher hechelnden Medien). Gut, dass Politik Schaden vom deutschen Volke abwenden und stattdessen den Wohlstand mehren soll, ist natürlich Folklore, die auf Straßenfesten zum Jubiläum der Berliner S-Bahn oder ähnlich nutzlosen Anlässen gesungen werden kann. Dass aber die Zerstörung einer ganzen Gesellschaft so tänzerisch aufgeführt wird, kann doch überraschen.

Auf der anderen Seite reicht wohl die Vorstellung einer dicken, saftigen Karotte vor den sabbernden Mündern der Habecks & Co., um deren Verhalten zu erklären. Die dicken Fische der ausführenden deutschen US-Außenpolitik werden nach ihren politischen Karrieren auf weichen Sesseln in Aufsichtsräten, Thinktanks und sonstigen Unternehmen oder NGOs sitzen. Man kann davon ausgehen, dass auch daher keine wirkliche Angst vor der nächsten Bundestagswahl existiert. Der Job ist ja erledigt, eine Wiederwahl nicht notwendig.

Die Nähe zwischen deutschen Politdarstellern und US-amerikanischen Entscheidern ist eklatant, und in diesem Zusammenhang ist es nur noch tragisch-komisch, wenn allen Ernstes von Unabhängigkeit gesprochen wird.

Unabhängigkeit? Gibt's nicht!

Unabhängigkeit ist immer gut, steht in einer Reihe mit Demokratie, Freiheit und Solidarität. So positiv konnotierte Begriffe braucht es, um den Menschen ein Bild zu vermitteln, das es zwar nicht gibt, sich aber irgendwie richtig anfühlt. Der Punkt ist aber, dass Unabhängigkeit nicht existiert, nirgends auf der Welt. Vermutlich ist Russland das einzige Land, das am nächsten dran ist an der Autonomie und somit der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Dennoch strebt das größte Land der Welt nicht auf Biegen und Brechen die Selbstversorgung an, sondern handelt auf der ganzen Welt mit allen Ländern, die das wollen.

Handel bedeutet ja nicht nur, dass A etwas hat, was B gern hätte, sondern kann zu gemeinsamen Entwicklungen führen, zu Optionen, die zunächst noch gar nicht sichtbar sind, vielleicht auch zu wissenschaftlichen oder medizinischen Kooperationen, die sich für beide Seiten positiv auswirken.

Verzichtet man auf den Handel - und genau das tut Deutschland ja gerade in Bezug auf Russland -, stehen die Perspektiven nicht mehr zur Verfügung, man igelt sich ein, verzichtet auf das, was der andere hat und muss es sich woanders herholen. Man könnte den Begriff "Abhängigkeit" durch "Handel" ersetzen und den der "Unabhängigkeit" durch "Isolation". So gesehen wird deutlich, dass die deutsche Politik sich keinen Gefallen tut, wenn sie auf den Handel mit Russland verzichtet, insbesondere, weil es dem Wohl des Volkes nun überhaupt nicht dient. So dumm die Politik auch vorgeht, so klug agieren unzählige Unternehmen. Man muss nur durch einen größeren Supermarkt in Moskau gehen, um die vielen westlichen Marken in den Regalen zu finden. Die Markenvielfalt westlicher Produkte in Russland reicht vom Kaugummi bis zum Luxusauto. Anders als die Politik, die ihre Entscheidungen auf moralische Aspekte hin fällt, haben Unternehmen einen Blick aufs Monetäre, und dieser Blick führt zu pragmatischen Entscheidungen, während das durch Moral getränkte Gebaren der Politik jeglicher sachlicher Grundlage entbehrt.

Um sich die fatalen Auswirkungen der deutschen "Unabhängigkeit" vor Augen zu führen, reicht ein kurzer Blick auf die Entstehung von Preisen. Die ist in einer globalisierten Welt natürlich von vielen Faktoren abhängig, doch das alte Prinzip von Angebot und Nachfrage bestimmt nach wie vor die Preise. Mehr Nachfrage bei geringerem Angebot treibt die Preise nach oben, umgekehrt sinken sie. Doch die deutsche Politik lässt die Preise trotz Ausgeglichenheit von Angebot und Nachfrage steigen. Indem sie auf das russische Gas verzichtet, das zu vernünftigen Preisen zu haben war, treibt sie die Preisspirale auf andere Art und Weise an.

Denn die Lüge der deutschen Unabhängigkeit besteht ja darin, dass sie faktisch nicht existiert. Die Tatsache, dass Deutschland - zumindest nicht auf direktem Wege – kein russisches Gas kauft, heißt ja nicht, dass dieses Gas nicht benötigt wird. Das wird es sehr wohl, und so kommt es entweder auf Umwegen nach Deutschland oder durch andere Anbieter. Und so begibt sich die deutsche Politik in die Abhängigkeit der USA, die zu hohen Preisen ihr Flüssiggas auf den Markt spülen, mit all den Nachteilen für die deutsche Wirtschaft und die Auswirkungen auf die Umwelt durch katastrophale Transportbedingungen.

Kurzum: Ein Land, das über wenige eigene Rohstoffe verfügt, kann nicht unabhängig sein, es ist schlicht nicht möglich. Und erneut sind wir bei der traurigen Geschichte Deutschlands und seiner Erzählungen. Vor einem guten Jahr war auf YouTube ein Video zu finden (es scheint inzwischen gelöscht worden zu sein, was einen Hauch von Vernunft erahnen lässt), das von einem öffentlich-rechtlichen Sender gemacht worden war. Der Moderator des Videos wollte aufzeigen, wie groß Russlands wirtschaftliche Probleme sind. In ernstem Ton referierte er, dass eines der großen Probleme Russlands sei, dass es von seinen eigenen Rohstoffen abhängig sei.

Da kann man nur sagen: q.e.d.

Deutschlands maximale Abhängigkeit

Als der Zweite Weltkrieg beendet worden war, entschieden die Siegermächte über Deutschland, zumindest oberflächlich. Faktisch wurden zwischen den USA und Deutschland direkt nach dem Krieg Absprachen getroffen, zu denen auch gehörte, Nazis in das Nachkriegsdeutschland zu integrieren und/oder zu deren Schutz ins Ausland zu schaffen. Offiziell aber war Deutschland abhängig von den Entscheidungen der Alliierten.

Deutschlands Abhängigkeit von speziell den USA ist heute auf einem ganz anderen Niveau angekommen. Die inoffiziellen Kooperationen von damals gibt es heute nicht mehr, die USA beuten Deutschland erbarmungslos aus und nehmen keine Rücksicht auf Wirtschaft, Wohlstand oder Demokratie. Deutsche Politik verkauf diese auf Gedeih und Verderb vorhandene und zutiefst destruktive Abhängigkeit von den USA als freie und starke Unabhängigkeit von Russland. Man muss das als Propaganda der Extraklasse bezeichnen, denn während die Menschen sehen und spüren, wie das Land regelrecht wirtschaftlich vernichtet wird, wird die Verbindung zu den dafür verantwortlichen USA einfach nicht hergestellt. Stattdessen wird Russland für das Versagen und Zerstören Deutschlands verantwortlich gemacht, was sachlich schlicht nicht zu belegen ist.

Kursk und Deutschlands Abhängigkeit

Wohl niemand kann mit Sicherheit sagen, was die Befehlshaber der Ukraine geritten hat, als sie sich entschieden, Kursk anzugreifen, also recht tief in russisches Gebiet einzudringen. Militärisch musste klar sein, dass es sich um ein Himmelfahrtskommando handelte, denn die Ukraine war wissentlich nicht in der Lage, sich lange auf russischem Gebiet zu halten. Gleichzeitig mussten ukrainische Gebiete vernachlässigt werden, die Versorgung der Soldaten in Kursk stellte ein weiteres Problem dar. Selbst wenn sich der Aufenthalt ukrainischer Soldaten im Gebiet Kursk länger hinziehen würde (bei Redaktionsschluss war dies noch nicht bekannt), hätten die Entscheidungsträger davon keinerlei größeren Nutzen, sondern eher Schäden und Nachteile zu beklagen.

Doch die Angriffe der Ukraine auf russisches Gebiet hatte weitere Folgen. Denn einmal mehr geriet dadurch die Gasversorgung Europas in Gefahr. Denn nachdem ukrainische Soldaten der Meinung waren, russischen Boden angreifen zu müssen, ist die Gaslieferung in Teile Europas in Gefahr. Von Kursk aus werden Länder wie Ungarn, die Slowakei, Moldau und Österreich beliefert. Von Kursk aus geht es über die Ukraine in diese Länder. Käme es zu einem durch die Ukraine verschuldeten Ausfall der Gaslieferungen, wären die betroffenen Länder in einer unangenehmen Situation. Speziell die Slowakei und Österreich wären wohl gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen, und die wären Flüssiggas, das aus Europa gekauft werden müsste, natürlich zu den entsprechend höheren Preisen. Die Gefahr, dass Kiew mit Gaslieferungen auf Europa Druck ausübt, ist zwar aktuell nicht hoch, im Zweifel aber sicher ein letztes Instrument, wenn es eh nichts mehr zu verlieren gibt. Und dieser Punkt rückt unveränderbar näher.

All das und die weiteren möglichen Folgen des Angriffs von Kiew auf Russland schert die Europäische Union (EU) nicht. Der allgemeine Tenor ist, dass es schon in Ordnung ist, auf Russen zu schießen, man verteidige sich ja nur. Sollte es aber zu einer Unterbrechung des Transits von Gas über die Ukraine kommen, wäre die EU der Dumme. Die Preise würden erneut steigen. Es wäre ein erneuter Schock, nachdem die Ukraine erst kürzlich den Transit nach Ungarn und die Slowakei unterbrochen hatte. Die EU schwieg damals, und sie schweigt auch heute.

Um das Bild zu vervollständigen, muss aber noch erwähnt werden, dass die USA, deren Flüssiggas in Deutschland als Heilsbringer angekündigt wurde, längst die Richtung geändert haben und ihr Gas zu Teilen nach Asien umleiten. Die Amerikaner sind halt Partner, die ihren eigenen Kopf und vor allem ihre eigenen Interessen haben.

Die deutsche Erzählung von der Unabhängigkeit von russischem Gas ist schon ziemlich dumm, doch sie lässt sich noch steigern: Indem man der Öffentlichkeit doch tatsächlich vorgaukelt, die USA seien unser Freund.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: DesignRage / shutterstock


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