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Medien verdrehen Warnung der OECD zu Smartphones | Von Norbert Häring

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Der Industrieländerclub OECD machte in einer Kurzstudie die übermäßige Smartphonenutzung für den Rückgang des Leistungsniveaus der Schüler verantwortlich, den die letzte OECD-Pisa-Schulstudie 2022 gezeigt hat. Die Nachrichtenagentur DPA bewerkstelligte es, dass die deutschen Medien mit umgekehrtem Tenor über diese Studie berichteten.

Ein Kommentar von Norbert Häring.

Die Schulschließungen in der Corona-Zeit, die man zunächst für die Hauptursache des Leistungsabfalls gehalten hatte, haben nach Einschätzung von Andreas Schleicher, dem Bildungsverantwortlichen der OECD, nur in zweiter Linie eine Rolle gespielt. Schleicher sagte der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter:

„Der Zusammenhang zwischen den Schulschließungen und dem Wissensverlust ist nicht so stark wie der Zusammenhang, den wir sehen zwischen Smartphonenutzung der Schülerinnen und Schüler und den sinkenden Lernleistungen.“

Schweden und Dänemark haben aus solchen Gründen jüngst die Nutzung von digitalen Geräten im Unterricht stark zurückgefahren.

Möglicherweise hat Schleicher diese sehr deutlichen Interviewaussagen aus Frustration getätigt, weil die Kurzstudie seines Teams über den negativen Einfluss von Smartphones auf den Lernerfolg von den Medien ins Gegenteil verdreht worden war.

DPA verkehrt Tenor der Studie ins Gegenteil

Die Medien hatten eigenwillig und unauffällig über die  Studie „Students, digital devices and success“ berichtet, die Schleichers Aussagen zugrundelag. Dabei hätte diese das Potential für einen größeren Aufreger gehabt. „Smartphones schuld an Bildungsrückgang“ wäre durchaus eine zündende Artikelüberschrift. Entscheidend dafür, dass so nicht berichtet wurde, dürfte gewesen sein, wie die führende Nachrichtenagentur DPA mit dem Thema umging.

Der Spiegel schaffte auf Basis der DPA-Meldung das Kunststück, den Tenor der Studie in der Überschrift komplett umzudrehen. Das Magazin titelte: „OECD empfiehlt gezielten Einsatz von Handys im Unterricht“ und textete im Vorspann:

„Schülerinnen und Schüler, die ständig aufs Handy starren, kommen nicht zum Lernen. Aber wenn Mobiltelefone gezielt im Unterricht eingesetzt werden, kann das sogar den Lernerfolg steigern. Das zeigt eine OECD-Studie.“

Dieser Tenor ist hochgradig manipulativ verdreht. Unter den zehn konkreten Schlüsselergebnissen, die in der OECD-Studie vorneweg prominent aufgelistet werden, und die alle einen warnenden Tenor haben, findet sich die Behauptung vom steigenden Lernerfolg durch Smartphone-Einsatz nicht. Im Fließtext des Beitrags von Spiegel/DPA heißt es dazu:

„Spätestens seit der Coronapandemie seien mobile Endgeräte vollwertiger Bestandteil des Schulunterrichts geworden und hätten ihren Nutzen bewiesen, heißt es in der Studie. Schülerinnen und Schüler, die täglich eine bis fünf Stunden mithilfe von mobilen Endgeräten lernten, erzielten bessere Ergebnisse als solche, die das nicht täten.“

Die Aussage des ersten Satzes – aber ohne das „spätestens“ – findet man auf Seite 10 im Kontext der Diskussion um unterschiedlichen Zugang der Schüler zu digitalen Geräten und den Problemen, die das bei digitalem Fernunterricht mit sich bringt. Die OECD-Studie bezieht die Aussage zu Digitalgeräten als hilfreicher Bestandteil des Unterrichts nur auf die Corona-Zeit. Das von der DPA davorgesetzte „Spätestens“ erzeugt einen ganz anderen Eindruck.

Den zweiten Satz findet man ganz woanders, als eine Nebenbemerkung auf Seite 4. Schaut man sich die zugehörige Grafik an, stellt man fest, dass es keinen Unterschied macht, ob Schüler pro Tag eine, zwei, drei, vier oder fünf Stunden digitale Geräte im Unterricht nutzen. Mehr ist schlecht. Etwas schlechtere Leistungen haben die Schüler, wenn gar keine digitalen Geräte genutzt werden. Das kann sehr leicht daran liegen, dass es sich bei Schulen ohne digitale Geräte um schlecht ausgestattete Schulen, möglicherweise in ärmeren Gegenden handelt, bei denen die Schülerleistungen aus anderen Gründen schlechter sind.

Die OECD spricht von "digitalen Geräten", die nützlich für den Unterricht seien. Die von DPA inspirierten Medienberichte machen daraus, dass die Nutzung von Smartphones im Unterricht den Lernerfolg steigere. Dabei macht die Studie auf Seite 6 ganz ausdrücklich klar, dass (private) Smartphones am wenigsten als Unterrichtsinstrumente geeignet sind, weil die Schüler mit diesen multifunktionalen Geräten sehr viel anderes tun als lernen und dadurch vom Unterricht abgelenkt werden.

Die mit der Smartphone-Nutzung verbundenen Probleme, die im Zentrum des OECD-Berichts stehen, kommen erst am Ende des Spiegel-DPA-Beitrags vor.

Erfundene Warnung vor Smartphone-Verbot

Auch in Sachen Smartphone-Verbot wird der Tenor kunstvoll umgedreht. In der OECD-Studie heißt es in den vorangestellten „Schlüsselergebnissen“ zu Handyverboten:

„Maßnahmen wie Smartphone-Verbote können helfen, die Ablenkung zu vermindern, aber effektive Durchsetzung und andere Strategien sind nötig um eine auf das Lernen fokussierte Umgebung zu schaffen.“

Das heißt im Klartext: Smartphone verbieten kann eine gute Idee sein, aber man muss es auch ernst meinen und man darf sich nicht einbilden, dass allein damit alles gut wird. Auf Seite 8, im Abschnitt „Verbieten oder nicht verbieten“, heißt es sogar ausdrücklich:

„Eine Maßnahme, die nachweisbar wirkt, ist eine Verbot von Smartphones in Schulen. Pisa-Daten legen den Schluss nahe, das solche Verbote wirksam sein können, wobei allerdings viel von einer effektiven Durchsetzung des Verbots abhängt.“

Daraus machen Spiegel/DPA:

„Strikte Handyverbote in der Schule seien nicht die ultimative Lösung, heißt es in der Studie.“

Die Zeit nimmt sogar die falsche Behauptung in die Überschrift: „OECD rät von strikten Handyverboten an Schulen ab“ und schreibt im Beitrag, der erkennbar eine starke DPA-Handschrift trägt:

„Die OECD-Studie spricht sich gegen ein striktes Handyverbot an Schulen aus – und zwar nicht alleine, weil nach der Befragung trotz Verboten viele Schülerinnen und Schüler dennoch heimlich an ihrem Mobiltelefon hantieren. Spätestens seit der Coronapandemie seien mobile Endgeräte vollwertiger Bestandteil des Schulunterrichts geworden und hätten ihren Nutzen bewiesen. Entsprechend müsse politisch sichergestellt werden, dass es für junge Menschen einen gleichwertigen Zugang zu solchen Lerninstrumenten gebe.“

Die gleiche – irreführende – Passage findet sich fast wortgleich zum Beispiel auch im Bericht von Badische Neueste Nachrichten, die ebenso wie die Zeit darauf verzichten, den Lesern mitzuteilen, dass es sich bei dem Text im wesentlichen um DPA-Agenturware handelt.

In der OECD-Studie gibt es weder das explizite Abraten von einem Handyverbot, noch wird der digitale Fernunterricht wegen Corona als Argument gegen ein Handyverbot angeführt. Diese Verbindung wird von den Journalisten künstlich hergestellt. Stattdessen gibt es eine ausdrückliche Empfehlung eines Handyverbots, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. In den Berichten wird einmütig das Gegenteil behauptet, oder etwas, das mindestens dazu verleitet, das Gegenteil zu denken.

Bei ntv.de lauten Dachzeile und Überschrift: „Gute Hilfe beim Lernen: OECD empfiehlt bedachte Handy-Nutzung im Unterricht“. Der Vorspann dreht den Tenor der OECD vollends um:

„In Schulen haben Handys einen eher schlechten Ruf. Dabei können sie laut OECD hilfreich sein, vor allem als Hilfsmittel beim Lernen. Deshalb ruft die Organisation zu einem verantwortungsbewussten Umgang auf. Ein Verbot lehnt die Industrieorganisation entsprechend ab.“

Bei ntv steht das DPA-Kürzel am Ende des Textes. Die Herkunft der Aussagen und gleichlautender bei anderen Medien ist also klar. Es ist kaum plausibel, dass diese völlige Verkehrung der Aussagen versehentlich geschehen ist.

Die OECD selbst scheint auch wenig Interesse an der weiten Verbreitung ihrer Erkenntnisse gehabt zu haben, die einem Medienbericht zufolge auf Druck des französischen Präsidenten Macron erarbeitet wurden. Dieser ist mit einer ehemaligen Lehrerin verheiratet. Die häufige Mitteilung von Daten aus Frankreich in der Studie stützt diese Version. Eine Pressemitteilung über die Studie ist auf der OECD-Website nicht auffindbar. Deshalb dürften alle deutschen Medien erst durch den stark verzerrten DPA-Bericht von der Studie erfahren haben.

Schlussfolgerung

Die Journalisten von DPA haben mit beträchtlichem kreativen und zeitlichen Aufwand aus einem klar smartphonekritischen Bericht einen vorgeblich digitalisierungsfreundlichen Bericht gemacht.

Die Faktenchecker von DPA werden von IT-Konzernen – auf Druck der Regierungen – dafür bezahlt, regierungskritische Beiträge in den sozialen Medien zur Zensur zu markieren. Die DPA ist maßgebliches Mitglied einer von der EU-Kommission bezahlten Organisation namens Gadmo. Diese überwacht die sozialen Medien und kontrolliert im Auftrag der Regierungen soziale Medienplattformen – unter Aufsicht einer Vertreterin des US-Militärs und mit vom US-Militär entwickelten Instrumenten.

Wenn dieses Geflecht, in das die DPA eingebunden ist, etwas mit dem bemerkenswert kreativen Einsatz der Agentur für ungebremste Schuldigitalisierung zu tun hat – wovon ich ausgehen würde -, dann darf man folgern, dass sie sich damit zum Büttel der genannten Akteure macht, also der Regierenden und der IT-Konzerne.

Den Journalisten der Magazine und Zeitungen, die mit DPA-Zulieferungen arbeiten, rate ich zu einem erhöhten Maß an Misstrauen und Kontrolle. Schon wer nur die Zusammenfassung der Empfehlungen der OECD-Studie kurz überfliegt, merkt leicht, dass etwas faul ist mit dem, was die DPA daraus gemacht hat. OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher dürfte gern bereit sein, auch Medien in anderen Ländern Interviews zu geben. Journalisten, die objektiv informieren wollen, können in ihren Beiträgen zur Schuldigitalisierung auch Stellungnahmen wie die folgenden erwähnen:

Im Bericht der Unesco „2023 Global Education Monitoring Report – Technology in Education: A Tool on Whose Terms?“ heißt es (übersetzt):

„Es gibt wenig robuste Belege für den Zusatznutzen von digitaler Technologie im Unterricht. (…) Dank Lobbyismus und großer Werbeetats werden die Positionen der IT-Industrie prominent in der Presse platziert, kritische Berichte delegitimiert.“

Im November 2023 haben 40 Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen gemeinsam ein „Moratorium der Digitalisierung in Deutschlands KITAs und Schulen“ gefordert. Die Mainstream-Medien dürften gern auch über solche Wortmeldungen berichten, anstatt immer nur die Digitalisierung hochleben zu lassen und mehr zu fordern.

Anmerkungen

 

Videohinweis: Von Klaus Scheidsteger gibt es eine aktuelle 90-minütige Dokumentation mit dem Titel „Das digitale Dilemma“ über die ignorierten Gefahren der Smartphone-Nutzung und der Digitalisierung.

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 10. Juni 2024 bei norberthaering.de +++ Bildquelle: Ground Picture / shutterstock


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