Von Wolfgang Effenberger.
Zu der vom deutschen Verteidigungsministerium als das wichtigste informelle sicherheitspolitische Treffen der Welt bezeichneten Sicherheitskonferenz (58. Munich Security Conference - MSC) versammeln sich vom 18. bis 20. Februar im Hotel „Bayerischer Hof“ am Promenadenplatz in der Münchner Altstadt vor allem die Vertreter der westlichen Politprominenz. Dabei ist die MSC keine offizielle Regierungsveranstaltung. Ausrichter ist die Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz – eine gemeinnützige GmbH. Ein Großaufgebot der Polizei muss für die Sicherheit der Gäste sorgen und sperrt dazu großräumig den Raum zwischen Marienplatz, Frauenkirche und Odeonsplatz ab. Da bleiben Demonstrationen nicht aus, vor allem wenn man bedenkt, dass nur wenige Kilometer von München entfernt die auf dem Kasernengelände in Fürstenfeld liegende Offizierschule der Luftwaffe die Teilnehmer aufs beste unterbringen, betreuen und sichern könnte. Auch könnten so die Kosten für die Veranstaltung erheblich gesenkt werden.
Nein, für das Stelldichein der Politprominenz – US-Vizepräsidentin Kamala Harris, US-Außenminister Blinken, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj und Vertreter der Bundesregierung, Scholz, Baerbock und Lambrecht - in der Isarmetropole werden weder Kosten noch Mühen gescheut.
Schon in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar legte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf der diesjährigen Vorabendveranstaltung, der 2018 eingeführten Innovation Night, ihre Sicht auf das Thema „Innovation at Frontlines“ dar. Da die heutigen militärischen Konflikte auch im digitalen Raum stattfinden, würde künftig die digitale Innovationsfähigkeit auf den immer noch analogen Schlachtfeldern über Sieg und Niederlage entscheiden.(1)
Im Fokus stehen in diesen Tagen freilich die Ukraine-Krise und die Spannungen der NATO mit Russland. Wolodymyr Selenskyj hat sich für Samstag (19.2.) zum Gespräch über die “Ukraine und die Europäische Sicherheitsarchitektur“ ankündigt.(2)
Die Europäische Sicherheitsarchitektur wurde bereits am 16. Februar 2022 in Brüssel in einen festen Rahmen gezurrt. Das Gespräch von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin vor Beginn der Sitzung des NATO-Atlantikrats am Hauptsitz der Organisation in Brüssel am 16. Februar 2022 veranlasste die US-Militärzeitschrift Stars and Stripes zu dem Artikel: „USA und NATO sehen in Russland eine anhaltende Bedrohung für Europa und werden als Reaktion darauf weitere Kampftruppen aufstellen.“
So sollen Pläne für die Bildung alliierter Gefechtsverbände in Mittel- und Südosteuropa ausgearbeitet werden, um auf die "neue Normalität" einer anhaltenden russischen Bedrohung des Kontinents zu reagieren. Stoltenberg sehe keine Deeskalation, auch weil die russischen Streitkräfte um die Ukraine aufgestockt würden. In einer gemeinsamen Erklärung wiesen Stoltenberg und Austin darauf hin, dass Russlands Vorgehen eine "ernste Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit" darstelle. Weiter machte Stoltenberg klar: "Russland entscheidet nicht darüber, wer Mitglied der NATO wird oder nicht".(3)
Seit 1963 findet die Münchner Sicherheitskonferenz jährlich in München statt. Zwischen 1963–1992 als Internationale Wehrkundebegegnung / Münchner Wehrkundetagung, dann in Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik umbenannt und seit 2009 firmiert sie als Münchner Sicherheitskonferenz.
Auf der Konferenz vom 31. Januar bis 2. Februar 2014 – also während des vom Westen orchestrierten Regimechanges in der Ukraine – sprachen sich der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kurz nacheinander dafür aus, dass sich Deutschland „früher, entschiedener und substanzieller“ in der Welt einbringen müsse. Sie hatten die Münchner Sicherheitskonferenz als Forum gewählt, um ein Signal an die internationale Gemeinschaft auszusenden: Die Bundesrepublik ist zu mehr Verantwortung bereit.(4) Ab dem 18. Februar 2014 eskalierten die Vorgänge in der Ukraine, die über 80 Todesopfer forderten.(5) Nach der vereinbarten Beilegung des Konflikts durch die Bemühungen der Außenminister Frankreichs, Polens und Deutschlands – hier „glänzte“ Steinmeier mit seinem diplomatischen Coup(6) - flüchtete der gewählte Staatspräsident Janukowytsch überstürzt noch in derselben Nacht.
Viele sehen in der MSC ein Forum, welches die transatlantische Agenda nach einer unipolaren Welt unterstützt. Das bringt natürlich die Gegner jeglicher imperial erscheinenden Politik auf die Straße. So forderten 2017 Eugen Drewermann und Lisa Fitz in aufrüttelnden Friedensappellen eine dem Frieden dienende Politik und wandten sich gegen die Absichten einer Tagung, die in ihrer Diplomatie auf gegenseitige Bedrohung und Krieg setzt.
Die Gegner der SIKO sehen in ihr ein Propaganda-Forum zur Rechtfertigung der NATO, ihrer Milliarden-Rüstungsausgaben und ihrer auf Lügen aufgebauten völkerrechtswidrigen Kriegseinsätze, die der Bevölkerung als "humanitäre Interventionen" verkauft werden. Die Forderungen 2017 waren: Schluss mit dem Krieg in Syrien, Schluss mit der militärischen Mobilmachung gegen Russland und Schluss mit den Kriegen und Regime-Change-Operationen für mehr Macht und Vormacht. Die westlichen Werte – Freiheit, Demokratie und Menschenrechte - sind nur der Deckmantel, um mehr Kontrolle über Rohstoffe zu erreichen und um Märkte für sich zu sichern. Vor diesem Hintergrund fordern die Demonstranten eine andere, eine friedlichere Welt. Ihr Appel: Wir wollen sozial, nachhaltig und friedlich sein. DAFÜR lasst uns eintreten! (7) So trägt der Aufruf zum Protest gegen die Münchner „Sicherheitskonferenz“ 2022 die Überschrift: Stoppt den Kriegskurs der NATO-Staaten(8)
Ein ähnliche Sichtweise wie die Demonstranten hat auch Scott Ritter, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps, „der in der ehemaligen Sowjetunion bei der Umsetzung von Rüstungskontrollverträgen, im Persischen Golf während der Operation Wüstensturm und im Irak bei der Überwachung der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt war.“
In seinem wegweisenden Artikel vom 11. Februar 2020 „The Ultimate End of NATO“(9) schreibt er, dass es nicht Russlands Ziel ist, die Ukraine zu zerstören. Ziel sei es eher, die Ohnmacht der NATO aufzudecken. Die Position der USA habe auch weniger mit der europäischen Sicherheit zu tun hat als mit dem Versuch der USA, den europäischen Markt für sich zu erobern.
Ritter prophezeit, dass in den kommenden Monaten die NATO mit der Realität konfrontiert wird, „dass Russland niemanden angreift und dass das derzeitige Muskelspiel nicht nur überflüssig, sondern, schlimmer noch, unhaltbar ist“. Im Gegensatz zu den einseitigen Regeln, die nur den Interessen der USA und kleiner Blöcke verbündeter Nationen dienen, streben Russland und China eine "rechtsbasierte internationale Ordnung" an, die sich auf "die Charta der Vereinten Nationen stützt“. (10)
An diese Charta soll hier erinnert werden. In Kapitel I „Ziele und Grundsätze“ findet sich in Artikel 1 die Zielsetzung der Vereinten Nationen. (11)
1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;
2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;
3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;
4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden.
Dieser wegweisende Artikel 1 der Charta scheint schon seit Jahrzehnten nicht mehr als Makulatur zu sein, wenn an die illegalen Kriege seit Auflösung der Sowjetunion gedacht wird. „Wenn dasselbe "defensive" Bündnis, das seinen Verbündeten Belgrad bombardiert und am Sturz des libyschen Staatschefs mitgewirkt hat“, so Scott Ritter, „die Aufnahme der Ukraine und Georgiens als Mitglieder anstrebt, können solche Aktionen aus russischer Sicht nur als aggressive, offensiv ausgerichtete Maßnahmen betrachtet werden, die Teil einer umfassenderen antirussischen Kampagne sind“ (12).
Diese westliche Politik hat mit dazu geführt, Putin und Deutsche zu entfremden. Am 25. September 2001 hatte der russische Präsident Wladimir Putin im Bundestag seine Hand ausgestreckt und mit seiner brillanten Rede die Herzen der Deutschen erobert. Heute liegt das Verhältnis auf Eis. Warum hat der Westen damals die angebotene Freundschaft ausgeschlagen und die Chance einer friedlichen Koexistenz vertan? War es die transatlantische Agenda, die lieber einen Keil zwischen Westeuropa und Russland treiben wollte und immer noch treiben will?(13)
Wenn die Welt nicht zur Besinnung kommen sollte, könnte für Europa ein kaum vorstellbares Szenario wahr werden. Thomas Mann hatte im amerikanischen Exil die Neigung der USA erkannt, „Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.“(14)
Quellen:
1) https://www.bmvg.de/de/muenchner-sicherheitskonferenz-2022 2) https://www.merkur.de/politik/siko-muenchen-scholz-baerbock-kamala-harris-blinken-ukraine-wolodymyr-selenskyj-91356285.html 3) https://www.stripes.com/theaters/europe/2022-02-16/nato-russia-stoltenberg-europe-ukraine-5042504.html?utm_source=Stars+and+Stripes+Emails&utm_campaign=36e1da19ac-Newsletter+-+Weekly&utm_medium=email&utm_term=0_0ab8697a7f-36e1da19ac-296504235 4) https://www.bmvg.de/de/themen/informelles-sicherheitspolitisches-treffen-seit-1963-21472 5) Basler Zeitung vom 23. Februar 2014 6) https://www.welt.de/politik/ausland/article125094196/Der-diplomatische-Coup-des-Frank-Walter-Steinmeier.html 7) Immer wieder anhörenswert: Eugen Drewermann: https://www.youtube.com/watch?v=esSPb0FeITM Lisa Fitz: https://www.youtube.com/watch?v=esSPb0FeITMhttps://sicherheitskonferenz.de/Lisa-Fitz-SIKO-18.2.2017-Stachus 8) https://www.attac-netzwerk.de/ag-globalisierung-und-krieg/aufrufe/siko 9) https://consortiumnews.com/2022/02/11/the-ultimate-end-of-nato/ 10) Ebd. 11) https://unric.org/de/charta/ 12) https://consortiumnews.com/2022/02/11/the-ultimate-end-of-nato/ 13) https://www.mdr.de/geschichte/putin-und-die-deutschen-100.html 14) Thomas Mann: Deutsche Hörer! Europäische Hörer! Darmstadt 1980, Rückseite
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Drop of Light / shutterstock
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