Ein Meinungsbeitrag von Christian Hamann.
Die Entscheidung auf dem NATO-Gipfel, ein Kommandozentrum in Deutschland einzurichten, demonstriert die Souveränität der MIC-Militaristen, die das Hauptquartier ihres mächtigen Werkzeugs NATO über Nacht aus der Reichweite der US-Regierung verlegen können. Selbst ein möglicher Präsident Trump wird sie nicht davon abhalten können, in der Ukraine weiter zu eskalieren. Die Prioriät dieser Option wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die Kernaufgabe des Wiesbadener Kommandozentrums in der Koordinierung der Waffenlieferungen an das ukrainische Militär besteht.
Es ist höchste Zeit für Europas Bürger und Journalisten zu erkennen, dass einflussreiche Militaristen das Kräftegleichgewicht zum Nachteil des alten Kontinents dramatisch verändert haben: Erstens löst sich der angebliche amerikanische „nukleare Schutzschild“ in Luft auf, indem Trump, wenn er schon den Krieg in Europa nicht beenden kann, die USA mit Sicherheit daraus fernhalten wird. Zweitens bietet die ebenfalls beschlossene Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland eine sehr fragwürdige Abschreckung gegen russische Erstschläge – aber mit Sicherheit neue vorrangige Ziele für russische Präventivschläge und Gegenangriffe.
Diese bedrohliche Perspektive entspricht dem eigentlichen Ziel der NATO-Gründung im Jahr 1949, das ihr erster Generalsekretär, Lord H. l. Ismay, zu Beginn seiner Karriere offen bekannt hat: „Die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten.“ Inzwischen haben sich zahlreiche Beweise angesammelt, dass selbst diese Aussage nicht die volle Wahrheit widerspiegelt. Das angebliche Ziel, „die Amerikaner drinnen zu halten“, wurde keineswegs ernsthaft verfolgt. Die überwiegend friedliebenden amerikanischen Bürger wurden nie gefragt, bevor „ihre“ Streitkräfte in die Schlacht beordert wurden. Dies konnte man im Ersten Weltkrieg beobachten, als Präsident Woodrow Wilson, nachdem er 1916 seine Wiederwahl mit dem Slogan „Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten“ gewonnen hatte, die USA nur fünf Monate später zu einem entscheidenden Kriegsteilnehmer machte.
Aber die wachsende Kluft zwischen den tatsächlichen Interessen der amerikanischen Nation und den Aktionen ihres angeblichen Sicherheitsapparats hat einen breiteren und tieferen Kontext, einen Kontext von Prinzipien und sogar von Gut gegen Böse. Diese Nation wurde nach ihrer Unabhängigkeit zum Vorbild für die ganze Welt. Besonders in Europa haben sich immer mehr Länder von der Herrschaft der Aristokraten befreit und die Demokratie eingeführt.
Millionen von Menschen waren nach Amerika ausgewandert und hatten innerhalb weniger Generationen eine neue Identität angenommen. Der erfolgreiche Aufbau der amerikanischen Nation basierte auf Idealismus. Dieser betraf erstens das gemeinsame Ziel, in Freiheit zu leben, und zweitens auf der Bereitschaft der Einwanderer aus allen europäischen Ländern, sich in die neu entstehende Gesellschaft zu integrieren. Zu diesem Erfolg trug auch eine faire Marktwirtschaft bei, durch die die Vereinigten Staaten zum führenden Land der Welt wurden.
Diese friedliche Ausbreitung der beiden integrierenden Ideen von freier Demokratie und fairer Marktwirtschaft war historisch vorprogrammiert. Unter ungestörten Bedingungen hätte die Entwicklung in erster Linie zu den demokratischen Vereinigten Staaten von Europa geführt. - Diese Idee wurde wiederholt propagiert, unter anderem vom Franzosen Victor Hugo. Auch über Amerika und Europa hinaus zeichnete sich eine Vision der globalen Integration am Horizont ab. Besonders in Japan hatte sich bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts eine grosse Aufgeschlossenheit sowohl für die europäische Kultur als auch für die amerikanische Freiheit entwicklet.[1]
Doch diese Entwicklung wurde von unsolidarischen Kräften mit vor allem britischen Wurzeln sabotiert, die eine völlig andere Vision von einer wünschenswerten Weltordnung hatten. Mit verheerenden historischen Folgen konnte der Einfluss dieser undemokratischen Kreise wachsen, ohne in das Bewusstsein der Bürger zu gelangen und die angemessene Besorgnis und Ablehnung auszulösen. So konnte ein doppelter Paradigmenwechsel zum Schlechteren in der amerikanischen Politik stattfinden.
Eine betraf die Ökonomie und brachte eine Ablösung der dynamischen, fairen Marktwirtschaft der Gründerjahre und deren schrittweisen Ersatz durch die Herrschaft privilegierter, oligopolbildender Großkonzerne und eines mächtigen Bankensystems. Die meisten Menschen ahnten nichts von dem zunehmenden Einfluss von Lobbyisten, privaten Medien und „wohltätigen“ Organisationen. Noch weniger war ihnen bewusst, dass all dies zugunsten einer nicht-solidarischen, vermögenden Minderheit geschah, „der Menschen, denen die Gesellschaft gehört“, wie der Sozialkritiker Noam Chomsky sie nannte. Erst mit der jüngsten Corona-Pandemie begann ein wachsender Teil der Bürger, Journalisten und Politiker, diesen Einfluss als gegen die Interessen der freien, demokratischen Nationen gerichtet zu erkennen.
Mit kurzer Verzögerung dringt auch der noch bedrohlichere Einfluss des großen Geldes auf den Sicherheitsapparat von Militär, Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden ins öffentliche Bewusstsein vor. Historisch gesehen kommt dieses Bewusstsein in letzter Minute, nachdem die Bedrohung gefährliche Dimensionen angenommen hat – die eines Dritten Weltkriegs.
Es war Anfang 1961, als Dwight D. Eisenhower angeblich der erste hochrangige Politiker war, der öffentlich vor diesen verfassungswidrigen Einflüssen warnte und dabei insbesondere den sogenannten MIC ins Visier nahm, den militärisch-industriellen Komplex aus führenden Persönlichkeiten in Militär, Rüstungsindustrie und Politik. Aber seit Jahrhunderten ist auch das Finanzestablishment in jede größere militärische Aktivität verwickelt. Vor allem in Großbritannien finanzierten Privatbanken regelmäßig die Kriege, die vom Adel geführt wurden.
Tatsächlich war es nicht Eisenhower, der als erster vor dem undemokratischen Einfluss dieser Kräfte warnte, sondern der US-Gründervater Thomas Jefferson, der erklärte:
„Ich glaube, dass Bankinstitute für unsere Freiheiten gefährlicher sind als stehende Armeen.“
Unsere westliche Zivilisation wäre nicht in den gegenwärtigen katastrophalen Zustand geraten, wenn die wohlüberlegten Warnungen Jeffersons und anderer Liberaler seiner Zeit noch immer Teil des politischen Bewusstseins der Bürger wären.
Kuba bietet ein weiteres Beispiel für den historischen Paradigmenwechsel, der von polarisierenden, narzisstischen Militaristen ohne jede harmonische und faire Vision vollzogen wurde. Wie auf den Philippinen fand das militärische Engagement der USA im Kontext politischer Strömungen unter den Einheimischen statt, sich von Spanien zu befreien. Und ebenso führte diese Befreiung weder zu einer unabhängigen freien Demokratie noch zu einem mit Begeisterung beitretenden neuen US-Staat – obwohl solche Ambitionen existierten und nur hätten unterstützt werden müssen.
Als Kuba 1902 schließlich in eine eingeschränkte Unabhängigkeit entlassen wurde, waren die Einwohner unzureichend auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorbereitet. Fidel Castro gelang es, die instabile Situation für eine kommunistische Machtübernahme zu nutzen. Das US-Militär, das in allen Teilen der Welt gegen tatsächliche und angebliche Kommunisten gekämpft hat, versäumte dies vor seiner Haustür in Kuba und ließ Castro unangefochten gwähren. (Die von der CIA geplante „Invasion in der Schweinebucht“ von 1961 mit weniger als 1.500 Mann kann als schlechter Scherz und gefakte militärische Intervention betrachtet werden. Tatsächlich wären etwa einhundertmal mehr Truppen nötig gewesen, um einen raschen Erfolg zu gewährleisten.)
All diese irrationalen, den Interessen der amerikanischen Nation zuwiderlaufenden Ereignisse waren die Spätfolgen des niemals korrigierten Verlusts der demokratischen Kontrolle über das Militär und seine Aktionen während des Spanisch-Amerikanischen Krieges auf den Philippinen.[2] Nach der einfachen Regel der Selbstverstärkung konnte die Macht des Sicherheitsapparats und ebenso auch seine Unabhängigkeit von Staat und Nation seither stetig wachsen. In den mehr als eineinhalb Jahrhunderten nach dem Bürgerkrieg (1861-1865) konnten sich das US-Militär und die Geheimdienste zu einem Staat im Staat entwickeln, genauer gesagt zu einer autokratischen Struktur mit eigener Gerichtsbarkeit innerhalb einer freien demokratischen Gesellschaft. Unvermeidlich verlagerten sich die Interessen des zunehmend unabhängigen Sicherheitsapparats in Richtung eigener Machterweiterung - während die bei jeder Gelegenheit verkündete „nationale Sicherheit“ Gefahr lief, zu einer hohlen Phrase zu verkommen, mit der sich Steuergelder für die Rüstungsindustrie eintreiben lassen.
Quellen und Anmerkungen
1) https://www.frieden-freiheit-fairness.com/blog/2024-entscheidungsjahr-fuer-die-freiheit, Abschnitt 3
2) https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/geschichte/guerillakrieg-amerikas-suendenfall/1467292.html
+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: AliaksaB / shutterstock
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