Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Der französische Präsident Macron empfing am Montag über 20 andere europäische Staats- und Regierungschefs in Paris, um gemeinsam die nächsten Schritte zur Unterstützung, bzw. der Rettung der Ukraine vor den bösen Russen zu besprechen. Die Beratungen schlossen sogar explizit die Möglichkeit einer konventionellen NATO-Intervention in der Ukraine ein. Zum Glück konnte darüber keine Einigung erzielt werden. Macrons polnischer Amtskollege Duda bestätigte, dass dieses Thema beim Treffen am hitzigsten diskutiert wurde. Aber was sagt uns das? Allein die Tatsache, dass dieses Szenario offiziell erwogen wird, zeigt, wie verzweifelt die EU-„Eliten“ und ihre anderen NATO-Kollegen sind. Eine Niederlage in der Ukraine würde nicht nur das Ende ihrer Karrieren bedeuten, sondern mit ziemlicher Sicherheit auch ihre persönliche Ächtung und Verbannung vom internationalen Parkett, Denn sie würden für das Ende der Dominanz der westlichen, neo-kolonialistischen Werte- und Ausbeutergemeinschaft verantwortlich gemacht.
Russlands Sieg in Awdejewka, der das natürliche Ergebnis seines Vorteils beim „Wettlauf der Logistik“, bzw. des „Zermürbungskrieg“ mit der Ukraine und der sie unterstützenden NATO war, veranlasste die politischen Entscheidungsträger im Westen, darüber nachzudenken, was sie tun würden, falls Russland einen Durchbruch über die aktuelle Frontlinie hinweg erzielen und beginnen würde, den Rest der Ukraine aufzurollen. Über diese – naheliegende – Möglichkeit hatten sich die abgehobenen und in ihrem Wunschdenken verfangenen West-Eliten zuvor nie ernsthafte Gedanken gemacht. Erst die gescheiterte Gegenoffensive im letzten Sommer hatte die Schwächen nicht nur der Ukraine, sondern auch des gesamten militärisch-industriellen Komplexes der NATO und auch deren offensichtlichen taktischen und strategischen Fehlleistungen offengelegt.
Inzwischen wird laut glaubwürdigen Berichten in EU- und NATO-Kreisen ein Szenario gehandelt, das die Spekulationen von vor einem Jahr über eine von Polen angeführte Intervention im östlichen Teil der Westukraine wiederbelebt. Eine solche Intervention sollte darauf abzielt, eine so genannte „rote Linie“ zu ziehen, um einen möglichen russischen Durchbruch weiter in den Westen der Ukraine zu stoppen. Dies würde den angeblichen „wirtschaftlichen Einflussbereich“ der G7 -Länder in der Ukraine bewahren und gleichzeitig den kompletten Zusammenbruch der Selenskyj-Ukraine verhindern. Damit wären die West-Eliten zumindest teilweise aus dem Schneider, denn auf diese Weise könnten sie eine weitere außenpolitische Katastrophe nach afghanischem Vorbild für den Westen verhindert. Da gibt es jedoch zwei Kernprobleme. Erstens müssten die Russen aus Angst vor den Polen vor deren „roten Linie“ stoppen. Und das zweite Problem besteht darin, dass die Polen selbst nicht an ihre „rote Linie“ glauben, selbst wenn die Regierungen der EU/NATO Staaten diese lautstark verbal unterstützen würden. Denn in Paris ist klar geworden, dass die Polen der Sache nicht so ganz trauen und – zurecht - befürchten, allein gelassen zu werden, wenn etwas schief geht.
Obwohl sich Polen nach der Rückkehr des von Berlin unterstützten Tusk ins Amt des Ministerpräsidenten Ende letzten Jahres inzwischen weitgehend Deutschland untergeordnet hat und die Schaffung eines eigenen „Einflussbereichs“ in der Westukraine in Betracht zieht, bedeutet dies nicht, dass es eine westliche Intervention dort anführen möchte. Das Risiko, dass durch eine Fehleinschätzung ein Dritter Weltkrieg mit Russland ausbricht, ist viel zu hoch. Die Polen befürchten meiner Ansicht zurecht, dass die NATO-Artikel 5 nicht aktivieren kann und wird, wenn Polen eigenständig in der Ukraine interveniert und dort mit Russland zusammenstößt. Hier sollte nochmals daran erinnert werden, dass die russische Führung öffentlich erklärt hat, dass sie egal welche Streitkraft aus egal welchem Land, die sich ihr in der Ukraine bewaffnet entgegenstellt, vernichten wird. Die militärischen Fähigkeiten dazu haben die Russen bereits bewiesen und der politische Wille, das durchzuführen, steht auch außer Zweifel.
Diese Bedenken der Polen und anderer EU-Teilnehmerstaaten könnten erklären, warum es bei der Sitzung am Montag in Paris zu diesem Thema keinen Konsens gab, da andere Mitglieder klugerweise nicht das Risiko eingehen wollen, ein Weltuntergangsszenario auszulösen. Hier kommt die Spekulation ins Spiel, warum der Westen möglicherweise einen Angriff unter falscher Flagge in Polen plant, um die Schuld Russland und Weißrussland in die Schuhe zu schieben. Präsident Lukaschenko von Weißrussland hat in den letzten Tagen vor einer solchen Aktion gewarnt, die dem kollektiven Westen als Auslöser dafür dienen könnte, Polen dazu zu einer Intervention in der Ukraine zu drängen, ohne dabei vorher die volle schriftliche Unterstützung der NATO zu haben.
Offensichtlich ist unter den westlichen Regierungseliten der Virus des kollektiven Wahnsinns ausgebrochen, der sich im Endstadium in Selbstmordgelüsten manifestiert. Wozu das führen wird, hat der russische Außenminister Sergeij Lawrow jüngst beim Gipfeltreffen der G20-Außenministerinnen in Rio de Janeiro deutlich gemacht und dabei jedem noch vernünftig denkenden Zuhörer einen Schauer über den Rücken gejagt. Denn laut Lawrow erlebt die Welt derzeit die fast vollständige Zerstörung der Grundlagen des Systems zur Eindämmung der Risiken eines Atomkonflikts.
Am Rande des Treffens in Rio de Janeiro am 21. und 22. Februar 2024 erklärte Lawrow, dass die während des Kalten Krieges zwischen der UdSSR und den Vereinigten Staaten im gegenseitigen Einvernehmen ausgehandelten und so sorgfältig aufgebauten Hürden gegen ein zufälliges Abgleiten in einen Nuklearkrieg derzeit durch die irrationalen Handlungen des Westens zerlegt werden. Mit anderen Worten, derzeit passiert all das, was auf beiden Seiten der Systemauseinandersetzung während der schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges befürchtet wurde.
All die sorgfältig errichteten Hindernisse zur Verhütung eines Atomkriegs in Form von Verträgen über Rüstungsbeschränkungen wie Obergrenzen für Interkontinentalraketen und über die Zahl und den Wirkungsgrad der Nuklearsprengköpfe und später in Form von Abkommen zum Abbau von Atomwaffen und Trägersystemen, sowie die dazugehörigen Verträge über vertrauensbildende Maßnahmen, Streitkräftetransparenz und gegenseitige Überprüfungen über die Einhaltung der Abkommen, all dies ist seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1991 von den USA einseitig und systematisch Schritt für Schritt abgebaut und in die Abfalltonne getreten worden.
In den vorangegangenen 50 Jahren des Kalten Krieges haben inmitten eines Gleichgewichts des Schreckens und der totalen gegenseitigen Vernichtung ganze Generationen von Diplomaten aus den USA und der UdSSR letztlich mit Erfolg daran gearbeitet, ein Modicum von gegenseitiger Sicherheit zu schaffen. Dies war nicht mit mehr oder besseren Waffen gelungen. Vielmehr begann der richtige Weg zum Ziel mit der Suche nach gegenseitigem Verständnis und der Bereitschaft, die Lage aus der jeweiligen Sicht des Gegners zu sehen, zu erkennen, wo die roten Linien des Gegners verlaufen und zu verstehen und zu respektieren, warum das so und nicht anders ist.
Wichtig war auch auf beiden Seiten die Einsicht, dass, wenn man bei der Schaffung eines für beide Seiten akzeptablen Sicherheitssystems weiterkommen will, die roten Linien beziehungsweise die größten Sorgen des Gegners berücksichtigt werden müssen. Auf den Kern gebracht darf meine Sicherheit nicht durch mehr Unsicherheit des Gegners erreicht werden, weil dies nur ein neues Wettrüsten hervorbringen würde und noch mehr Unsicherheit zufolge hätte. Vielmehr ging es damals darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem meine Sicherheit auch die Sicherheit des Gegners ist. Wenn man das erreicht, dann können auch Gegner Sicherheitspartner werden.
Für eine erfolgreiche Friedensarbeit vor dem Hintergrund der Möglichkeit einer totalen atomaren Vernichtung beider Seiten ist die Anerkennung des Gegners als gleichberechtigter Verhandlungspartner unabdingbar! Als Nächstes kommt die beiderseitige Bereitschaft, Verständnis für die Lage des Gegners aufzubringen, für dessen Geschichte und Kultur, für dessen wirtschaftliche und politische Probleme und wo immer womöglich Bereiche gemeinsamer Interessen und Kooperationen herauszuarbeiten. Bei all dem haben ab Mitte der 1980er-Diplomaten und Politiker beider Seiten im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) erfolgreich kooperiert und auf diese Weise die Welt davor bewahrt, dass der Kalte Krieg zwischen den Supermächten zu einem heißen wurde und stattdessen sein Ende fand.
Von diesen friedenspolitischen Maßnahmen, von den Verträgen und Abkommen ist heute, 33 Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion, nichts mehr da. Ein Abkommen nach dem anderen wurde von einer neuen, neokonservativen Kriegerkaste in Washington in die Mülltonne getreten. Ganz unverhüllt demonstrierten die US-Exzeptionalisten als Vertreter der einzig übrig gebliebenen Supermacht rund um den Globus ihre militärische Dominanz, mit der sie ihre hegemonialen Ansprüche zu untermauern versuchten.
Aber heute existieren immer noch Tausende von Atomsprengköpfen und dazugehörige interkontinentale Trägersysteme sowohl auf US-amerikanischer als auch auf russischer Seite. Aber die Hindernisse gegen ihren zufälligen Einsatz, die Verträge und Abkommen, die gegenseitigen Überprüfungen und all das andere, was während des Kalten Krieges einen ungeplanten Atomkrieg verhindern sollte, existiert nicht mehr. Und das Forum, in dem die gegenseitige Verständigung und die vertrauensbildenden Maßnahmen institutionalisiert wurden, die KSZE, ist leider zu einem billigen Propagandainstrument der US/NATO und EU gegen Russland verkommen.
In dieser Situation haben die US/NATO-Großmanöver in der Nähe der russischen Grenze begonnen. Die heizen die wegen des Krieges in der Ukraine ohnehin bereits angespannte Situation weiter an. Zugleich haben die USA jüngst wieder Übungen zum Ersteinsatz von Nuklearwaffen abgehalten und in alle Weltrichtungen ihren atomaren Knüppel geschwungen. Vor diesem Hintergrund beklagte der russische Außenminister Lawrow in Gesprächen am Rande des G20-Gipfels in Rio de Janeiro, wie Washington unter dem fiktiven Vorwand einer von Russland angeblich geplanten Aggression gegen die NATO-Ostgrenze versucht, seine Verbündeten in Westeuropa gegen Russland aufzuhetzen. Es sei "nicht schwer zu erraten, wozu das führen kann", so Lawrow.
Ursprünglich wurde das Format der G20-Treffen nicht geschaffen, um globale Probleme zu diskutieren, sondern als Chance für einen engeren Kontakt zwischen westlichen Ländern und dem Globalen Süden. Vertreter Chinas äußerten die Hoffnung, dass während der Sitzungen keine geopolitischen Fragen aufgeworfen würden, sondern im Gegenteil der Gipfel zur Stärkung der Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern beitragen sowie einen positiven Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum und zur globalen Entwicklung leisten würde.
Der Gastgeber des Treffens, der brasilianische Außenminister Mauro Vieira, sagte jedoch, dass die Tagesordnung des Gipfels globalen Sicherheitsfragen sowie Fragen der Reform internationaler Organisationen gewidmet sei, die ihre Ineffizienz und Unfähigkeit gezeigt hätten, das Problem zu lösen, für das sie einst geschaffen wurden. Diese Liste umfasst die UNO, den IWF und die Weltbank – diese Institutionen haben sich an ihre westlichen Herren angepasst und seien zu deren Geldtaschen geworden. Lawrow erinnerte etwa daran, dass der IWF im Rahmen des von der G7 genehmigten Finanzierungsprogramms für die Ukraine im Jahr 2023 insgesamt 15,7 Milliarden Dollar nach Kiew überwiesen hat. Das habe das gesamte sechsmonatige Kreditvolumen des IWF an den Rest der Welt deutlich überstiegen.
Neben der Warnung vor nuklearen Bedrohungen, denen die Welt ausgesetzt ist, wies Lawrow auch darauf hin, dass die westlichen Länder die Nachrichten über Putins Interview mit dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson mit schäumender Wut aufgenommen haben, weil die Wahrheit, die von den westlichen Mainstream-Medien so sorgfältig verborgen wird, endlich bekannt wurde und Millionen von Menschen sie hören konnten.
Er erklärte, dass der Westen seine berüchtigten "Regeln" anstelle des Völkerrechts vorantreibe. "Eine solche Politik basiert auf Neokolonialismus, dem Wunsch nach Dominanz im politischen, wirtschaftlichen und humanitären Bereich unter dem Deckmantel schöner Phrasen", sagte Lawrow. Auf Betreiben des Westens würden die Grundfesten des internationalen Dialogs und der internationalen Kommunikation untergraben.
Zugleich suche der Westen nach kriminellen Wegen, Staatsvermögen und Privateigentum anderer Staaten zu beschlagnahmen, während in der Ukraine Ackerland von US-Unternehmen in großem Stil aufgekauft wird. Zugleich würden die Ukrainer selbst von Präsident Volodimir Selenskyj als "Verbrauchsmaterial" (Kanonenfutter) benutzt.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Bumble Dee / Shutterstock.com
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