Standpunkte

Politisches ist persönlich | Von Alexa Rodrian

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Ein Standpunkt von Alexa Rodrian.

Redaktionelle Anmerkung: Dieses Buch sollte ursprünglich ein ganz anderes sein – ein zweisprachiges Begleitbuch zu meinem Ende 2019 fertiggestellten und 2020 erschienenen Album „one hour to midnight“. Die englischen Songtexte und die deutsche Lyrik sind
geblieben. Dazugekommen sind Texte, die Alexa Rodrian in jenen Jahren geschrieben hat, weil sie sich mit dem Geschehen auseinandersetzen musste. In diesem Sinne ist dieses Buch eine persönliche Aufarbeitung und gleichzeitig ein politisches Statement.

Souverän und jetzt hilflos?

Hinter den Schlagzeilen, 24. März 2021

Neulich sagte eine von mir sehr geschätzte und mir immer noch, im buchstäblichen Sinne, nahestehende Freundin: „Ihr wart immer so souverän und jetzt seid ihr so hilflos.“

Mit „ihr“ meinte sie im Speziellen meinen Mann, mich und im Allgemeinen wohl unsere Branche, die heute gern als die der Kulturschaffenden bezeichnet wird. Dieser, von ihr durchaus gut gemeinte, Satz löste in mir eine Kaskade von höchst ambivalenten Gedanken und Gefühlen aus. Er repräsentiert in merkwürdiger Weise das, was sich seit vielen Monaten in uns und mir abspielt.

Fangen wir mit der Souveränität an, eines der vielen Stigmata, denen wir uns als Künstlerinnen unser ganzes Leben lang ausgeliefert sehen, denn souverän sind wir nicht einfach so – nein, das müssen wir uns hart erarbeiten. Um souverän zu werden, müssen wir lernen, unsere Kunst, Musik, Lyrik und unsere Darstellung von der subjektiven Betrachtung unseres Publikums zu lösen. Wir müssen vertrauen in unsere eigene Sprache, den Prozess des Kreierens als essenziell verinnerlichen und als die eigentliche Magie verstehen. Den Erfolg können wir nur als sehr unstetige Koordinate in unser Leben integrieren.

Auch verstehe ich Souveränität als die Fähigkeit, loszulassen von sich selbst, von einengenden Ideen, Schubladen, Vorurteilen. Und, last but not least, braucht es natürlich ein großes Maß an Selbstreflexion und Differenziertheit. In diesem Sinne haben wir gelernt zu lieben, was wir tun, und wir tun es so gut wir können. Meist haben wir jahrelang intensiv geübt dafür. Wir haben studiert, uns demontiert, wieder aufgebaut, sind viele Male auf- und wieder abgetreten. Wir haben Geld verdient, es ausgegeben und Steuern gezahlt. So weit, so gut.

Nun sind wir also nicht mehr souverän, sondern hilflos, geschuldet der Causa Corona.

An dieser Stelle sei gesagt, dass ich als hilflose und nicht mehr souveräne Kulturschaffende mich jetzt wahrscheinlich schnell an die Idee gewöhnen würde, nun hilflos und nicht mehr souverän zu sein. Auch scheint mir, dass das gerade mit vielen Kollegen passiert sein muss, denn nur so kann ich mir die für mich schon fast unerträgliche Stille aus ihren Reihen erklären.

Ich persönlich aber möchte mich nicht an so eine Idee gewöhnen, vielmehr möchte ich wissen, was Hilflosigkeit aus mir machen würde.

Ich denke, wenn ich hilflos wäre, würde ich keine Fragen mehr stellen. Und wenn ich es doch täte, würde ich keine Antworten mehr haben wollen. Es könnte sein, dass ich Menschen, die ich lange kenne, Tendenzen unterstellen würde, von denen sie so weit entfernt sind, dass ich mich im Nachhinein sehr dafür schämen müsste.

Vielleicht wäre meine Angst um das eigene Leben so groß, dass ich sie anderen überstülpen müsste, um mich stärker, weniger einsam und der Gemeinschaft der Ängstlichen zugehörig zu fühlen. Ein neues Narrativ würde mich eventuell so manipulieren, dass ich meine Fähigkeit zum eigenständigen Denken aufgäbe. Wenn dies passierte, könnte ich wahrscheinlich keinen Diskurs mehr führen und schon gar keinen Dissens mehr ertragen.

Ich würde mich im schlimmsten Falle einem Schwarm der Konformen anschließen und meine Individualität verlieren, nur noch sprechen, was die anderen sagen, und andere Meinungen nicht mehr akzeptieren.

Kurz – ich kann mich nicht mehr wehren und nehme alles hin, wenn ich hilflos bin! Deshalb habe ich beschlossen, dieses Prädikat, für mich, entschieden abzulehnen. Ich möchte nicht aufhören, Fragen zu stellen, und deshalb werde ich und will ich alle Antworten hören. Freunden, weil wieder en vogue ja nun Kontaktschuld über Freundschaft steht, ein „Misstrauensvotum“ auszustellen, lehne ich zutiefst ab. Meine subjektiven und zum Teil übertriebenen Ängste zum Standardnarrativ zu deklarieren ebenso. Noch nie war es eine Option für mich, differenziertes Denken aufzugeben. Kein System kann und wird auf Dauer undifferenziert überleben. Der Diskurs, das Austauschen verschiedener Perspektiven und das Ertragen der Kontroverse sind genauso wichtig wie die Fähigkeiten mitzufühlen, mitzuerleben und mitzudenken. Wer Letzteres tut, wird sich kaum einem Mob anschließen können, der blind, unwissend, zum Teil naiv und höchst aggressiv Menschen, die anders denken, diffamiert, beleidigt und ausgrenzt.

Meine Freundin sprach, ohne es so zu meinen, aus, wie das Gros der Gesellschaft zu uns Künstlern wirklich steht. Wir sind ein guter Zeitvertreib, im besten Falle bereichernd und inspirierend, aber auf keinen Fall sind oder waren wir jemals relevant. Dementsprechend wird kaum nach uns gefragt, geschweige denn für uns gekämpft. An dieser Stelle möchte ich realistisch einfügen, dass auch für systemrelevante Berufe wie zum Beispiel die der Pflegerinnen und Erzieher und vieler mehr keiner, außer den Betroffenen selbst, auf die Straße geht. Einziger Unterschied – wir werden gerade gänzlich ausgeblendet. Man findet sich ab damit, dass Tausende im Berufsverbot sind und viele ihre Profession „danach“ nie wieder ausüben können.

Ein Großteil unserer Auftrittsorte wird wahrscheinlich nie wieder öffnen.

Einige Kollegen haben sich jetzt schon für den Freitod entschieden.

Neben dieser Tragik und dem wirtschaftlichen Desaster hat man uns auch einen Teil unserer Passion geraubt, die wir durchaus nicht einfach so in uns tragen, denn auch hier bedarf es vieler Mühe und Arbeit, um sie aufrechtzuerhalten. Wer sich allerdings nicht mehr wahrgenommen fühlt, die Sinnhaftigkeit mangels Resonanz nicht mehr spüren kann und/oder sogar als potenzielle Gefahr angesehen wird, der wird es schwer haben, Leidenschaft am Leben zu halten. Wer sich zudem noch vielseitig informiert und sich deshalb kritisch mit den Maßnahmen und den daraus resultierenden Veränderungen einer eigentlich demokratischen Grundordnung auseinandersetzt, hat es besonders schwer.

So geht es mir. Ich muss Abschied nehmen von vielem Alten und vielem Neuen eine Chance geben. Ich bin oft verzweifelt und manchmal zutiefst traurig und entsetzt, dennoch bleibe ich souverän und lieber nicht hilflos.

Somnambul


Die Pfarrersfrau sie kann es nicht ertragen
was ich mir erlaube ihr zu sagen
Ein gehemmtes Grinsen steht ihr im Gesicht
Es ist für alle gleich schlimm sagt sie mir
nein das ist es nicht spreche ich
und hoffe dass ihr Grinsen jetzt zerbricht

Das tut es nicht unbeholfen größer wird’s
und wundern soll’s mich nicht
ihr Gatte lässt jetzt Kinder impfen in der Kirche und
2G ist dort schon lange Pflicht
Halleluja wollt’ ich singen
Halleluja auf meiner Zunge jetzt zerbricht

Die Dame neben ihr die tut’s ihr gleich
sogar schlimmer noch
In ihr da sehe ich das du bist schuld
du und dein Moloch
Verachtung zeigt sie im Gesicht denn ganz klar
für sie verletz ja ich die Bürgerpflicht

Gemeinsam geht ihr jetzt ganz somnambul in jeden Laden rein
Ihr zeigt ihn her euren neuen Lebensberechtigungsschein
und sagt mir allen Ernstes es solle gleich für alle sein
Es geht hier nicht ums Shoppen gehen
für viel mehr sollten wir jetzt beisammen stehen
doch wenn ihr nicht einmal mehr fühlt
wie’s den Ausgegrenzten dabei geht
ist es dafür wahrscheinlich schon viel zu spät
Im Supermarkt gleich neben dran
da geht’s dann weiter mit dem Drill
Immer wieder ist’s der Oberlehrerinnen-Typ
der mich zurechtweisen will
Sie tragen keine Maske sagt sie schrill
ja ich weiß sag’ ich zurück ganz still
Der nette Mann im Edeka war nämlich gerade dran zu checken warum ich ohne Maske kam
Na ein Attest das kann ja jeder sagen
mischt sie sich nun wieder ein
was kann denn das wohl sein ich hab kein Problem beim Tragen.

Am Rande sei erwähnt meinen Biomarkt
den darf ich maskenlos nun gar nicht mehr besuchen
Ein Missgeschick ist dort geschehen beim Streichen ist’s passiert
Die oberste Etage Rot und Grün sind ausgelaufen
Das wird arg braun
die müssen erst die Farben wieder auseinanderklauben
An der Kasse dann man denkt ja öfter mal
es könnt nicht schlimmer kommen
wünscht die Kassiererin mir zusätzlich noch das Virus und den Tod
und gleichzeitig kommt ein Vater neben mir in große Not
Sein Kind versucht die Maske ihm zu ziehen vom Gesicht
Mit strenger Stimme sagt er nein nein nein
das darfst du nicht das ist hier Pflicht

Verzweifelt wendet sich das Kindlein ab und schaut auf mich – erstaunt scheint es zu sein
Nicht lang denn dann beschließen wir zu lachen und
Grimassen miteinander zu machen
Dem Vater aber dem gefällt das nicht
er dreht das Kindlein weg von mir
denn schließlich bin ja ich die die die Regel bricht

Was soll ich jetzt nur tun ich kann sie nicht verstehen
egal wie ich es dreh und wende
Mein Menschsein ist bedroht vom Ende
es ist dem Gehorsam wohl gewichen
Wörter wie Meinungsfreiheit Interesse und
Diskurs aus dem Duden bald gestrichen
Ich gebe zu sie ist sehr groß die Wut
wo liegt es wohl mein eigenes Versagen
muss auch ich mich täglich fragen

Friedvoll fällt mir immer schwerer macht ja auch tatsächlich Sinn denn ich les es jeden Tag rücksichtslos rechts antisemitisch Nazischlampe das ist es was ich heute bin
Noch gar nicht lang ist’s her da war ich linke Feministin Menschenrechtlerin Grün
und noch vieles vieles mehr
Mein Ruf der ist nun sehr geschädigt und endlich welch Erleichterung er ist mir scheißegal
Und ja ich weiß ihr werdet es wohl wieder sagen
Es war einmal doch heute hast du eine andere Wahl
Du wirst ja schließlich nicht gefoltert oder vergewaltigt
Und hier steig ich dann gänzlich aus und versuch es noch einmal die Empathie in euch zu wecken

Du lässt dich impfen oder du fliegst raus
Studieren ohne Spritze das geht auch nicht mehr
Als Schwester und im schlimmsten Falle als Patient kommst du nicht mehr rein ins Krankenhaus
Nun knickst du ein nur damit du weiterleben kannst
Eigentlich hast du vor diesem Eingriff aber eine riesengroße Angst
Und tatsächlich bist du seither nur noch krank
aber Nebenwirkungen die sind egal aus Solidarität kollateral
Nein das alles ist natürlich keine Folter oder Vergewaltigung
Es ist doch nur ein bisschen penetrieren
ein kleiner Piks in deinen Körper abgespritzt
Nun hör doch endlich auf dich so hysterisch zu gerieren

Täglich hörst du wie sie dich beschimpfen
Du kannst nicht kritisch sein oder demonstrieren gehen
ohne in den Medien nur Lügen über dich zu sehen
Du wirst verprügelt an die Wand geschleudert und gewürgt
in der Öffentlichkeit aber hast du niemand mehr
der für dich bürgt
Denunziert wirst du noch obendrein
deine Freunde die wollen’s sicher nicht gewesen sein
Nun lass mich euch noch einmal fragen
welchen Teil daran wollt ihr nicht sehen
Ihr solltet doch schon lange mit uns auf die Straße gehen

Schließlich möchte ich noch etwas sagen
denn es gibt hier nicht nur Grund zum Klagen
Viele neue wunderbare Menschen treffe ich in diesen Tagen
Und einige sind auch geblieben wir haben es geschafft
trotz all den Unterschieden
An uns sollten wir die Zukunft messen,
wir haben das Fühlen noch nicht vergessen

Und zuallerletzt noch einmal zurück zum Biomarkt da sei gesagt
In der unteren Etage da ist’s noch bunt und obwohl ausgestiegen
ist mir mein Biomarktrabatt geblieben
Ihr habt euch Zivilcourage hinters Ohr geschrieben
Eure Farben, die sind klar geblieben
Dafür dank ich euch ihr mutigen Lieben

Stell dich nicht so an

Manova, 30. April 2022

Die folgenden Worte und Gedanken möchte ich gerne allen Opfern von sexueller, psychischer, häuslicher, allen anderen Arten der Gewalt und den Opfern von Staatsgewalt widmen. Im Speziellen den vielen unter ihnen, die auf dem schmerzhaften Weg der Aufarbeitung allein gelassen wurden und die viel zu lange um Verständnis, Anerkennung und Wiedergutmachung kämpfen mussten und immer noch müssen.Der Beitrag „Nein heißt Nein“ von Roland Rottenfußer/Manova hat mir sozusagen die Tür geöffnet, seinen, von mir zuvor auch schon einmal, gehegten Gedanken weiterzudenken und auszuformulieren.

Rottenfußer spricht über Grenzen – überrannte Grenzen! Er vergleicht die Intensität der Impfaufforderung und des angedrohten Impfzwanges mit der eines uneinsichtigen, balzenden Mannes, der das Nein nicht hören will. Ein Opfer von sexueller Gewalt berichtet in seinem Artikel anonym, wie dieser neue, gut organisierte Machtapparat versucht, ihren Willen zu brechen, ähnlich dem von ihr schon mal Erlebten.

Auch zieht er Erfahrungsberichte des Wiener Psychiaters Ralph Bonelli hinzu, dessen Patienten den dauernden Druck, die impertinenten Aufforderungen und Drohungen einer eventuellen Zwangspenetration durch eine Spritze, deren bedingt zugelassener Inhalt für manche eben sehr bedrohlich ist, mit einer versuchten Vergewaltigung vergleichen.

Summa summarum eine streitbare, aber mutige und für mich persönlich sehr aufwühlende These.

Aufwühlend, weil ich selbst Opfer von sexuellen Übergriffen im Kindes- und Erwachsenenalter war und genau weiß, welche Konsequenzen das für ein Leben haben kann und meistens hat.

Aufwühlend auch, weil ich ein paar Tage vor Erscheinen des Artikels mal wieder darüber nachdachte, warum ich mit körperlichen Beklemmungsgefühlen, Angst und großer Wut gegen die Maßnahmen und vor allem die angedrohte und teils schon angewandte Impfpflicht reagiere.

Ich kann diese neuen geregelten Zwänge oft kaum ertragen und frage mich, warum es anderen so viel besser zu gelingen scheint – Resilienz ist hier wohl das Wunderwort. Habe ich meine verloren? Stelle ich mich eventuell einfach nur an oder haben andere, die auch stark unter den Maßnahmen leiden, vielleicht sogar ähnliche Biografien, und wenn ja, wird uns Bewusstwerdung und Erkenntnis darüber Erleichterung bringen?

An erster Stelle finde ich auffallend, dass sich unter den maßnahmenkritischen Menschen viele befinden, die schon mal Opfer von staatlicher Gewalt waren – sprich unsere Bewegung ist unter anderem durchwandert von Menschen, die im Osten groß geworden sind und sich aufgrund ihrer Prägung nicht mehr wirklich viel vormachen lassen wollen. Sätze wie, das hatten wir alles schon und oder ich lass mir nicht noch mal erzählen, es würde keine Mauer gebaut werden, sind hier an der Tagesordnung.

Ein allgemeingültiges Narrativ gibt es hier selbstredend nicht – und kann es dementsprechend auch bei individueller Gewalt und Übergriffserfahrungen nicht geben.

Jeder Mensch reagiert auf Traumata anders. Was den einen zerstört, macht den anderen stark und oder was den einen hörig macht, bringt den anderen in den Widerstand.

Ein guter Freund, der Opfer einer unberechenbaren und zerstörerisch psychisch kranken Mutter wurde, erträgt die Maßnahmen kaum. Als halber Palästinenser hat er zusätzlich noch Framing und andere Formen der politischen Gewalt erleben müssen.

Eine Freundin, die von einem Mann mit Maske misshandelt wurde, verlässt seit zwei Jahren, wegen einer Maskenphobie, kaum mehr das Haus.

Eine andere Bekannte, die sich in der DDR gegen das Regime aussprach und der das Studium verweigert wurde, kann kaum aushalten, dass ihrer nicht geimpften Tochter das Gleiche widerfahren soll.

So vermuten wir, in gemeinsamen Gesprächen, dass wir aufgrund unserer unterschiedlichen Übergriffs- und Gewalterfahrungen heute besonders sensibilisiert und besonders beunruhigt sind.

Für mich persönlich ist das wie eine Art Zelluläre Erinnerung – aus Selbstschutz musste ich früh im Leben alle meine Antennen ausfahren, und diese spüren heute ganz genau, wenn es nicht um meine Belange geht, sondern ausschließlich um die Befriedigung, Bereicherung und die Bemächtigung meines Gegenübers.

Mein Vater liebte die Geschwindigkeit, das Risiko, viel Sex mit vielen verschiedenen Frauen und gesundes Essen. Heute im Zeitalter des „Es gibt für alles eine Diagnose“ sagt man wohl risikosüchtig dazu. Auch würde man ihm eine Sexsucht zuordnen und obendrauf eine Orthorexie.

Das hätte für mich als Kind alles keine Rolle spielen müssen, wenn mein Vater um seine Grenzen gewusst hätte. Leider aber tat er das nicht. Er hatte es, wie so viele Kriegskinder, nicht gelernt und war selbst Opfer eines Systems, das äußerst traumatisiert, patriarchal und gewaltbereit war.

So erinnere ich mich noch, wie wir immer zu schnell Auto fuhren und egal wie intensiv die Bitte von vor allem den Frauen im Auto war, es wurde weiter Gas gegeben.

Auch war er leider der häuslichen Gewalt zugeneigt, legte nicht selten Hand an bei seinen vielen verschiedenen Frauen, seiner Schwester und leider auch immer mal wieder bei uns Kindern.

Menschen massiv zu bedrängen und zu zwingen, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die sie nicht mochten, weil er überzeugt davon war, sie seien gesund, war auch Teil seines Repertoires.

Aus der Perspektive des eigenen Kindes, bereits weit über das Ziel hinausgeschossen, war es damit aber leider noch nicht getan.

Seine weiteren Übergriffe waren gerne auch sexueller Natur. Aus Selbst- und Fremdschutz aber möchte ich darauf nicht detailgenau eingehen.

Wichtig in diesem Kontext hier ist nur, dass es sich um große Übergriffe, vor allem in den Augen von Kindern, handelte, nicht aber um buchstäblich penetrierende sexuelle Gewalt.

Dies ist zwar eine wichtige Differenzierung, aber tatsächlich wenig hilfreich in der Aufarbeitung für die Opfer. Es ist eher wie ein Leben in der Grauzone. War es oder war es nicht? War es richtig oder nur halb? Wo fängt Übergriff an und wo hört er auf? Muss erst richtig vergewaltigt werden oder darf man auch geschädigt sein „nur“ durch eine Art der „Penetration“?

Als ich sechs Jahre alt war, verlor mein Vater sein Leben an eines seiner gesuchten Risikos und ich meines beinahe auch. Es ist ausschließlich dem scharfen Instinkt meiner Mutter zu verdanken, dass wir heute noch leben. Ein einfaches Nein, ich steige nicht mit dir in dieses Flugzeug ein und schon gar nicht mit unserem Kind, hat uns gerettet. Die Privatmaschine stürzte wenige Stunden später über einem Acker nahe Bern ab. Die drei Insassen, mein Vater, sein Fluglehrer und dessen Freundin, waren sofort tot.

Mein Vater hat mich geliebt. Er war sich seiner Übergriffe und deren Folgen nicht bewusst. Deshalb kann ich ihm heute persönlich auch vergeben.

Nie aber kann und werde ich vergessen, dass ein Mensch, dem ich schutzbefohlen war, meine natürlichen Grenzen niedergerissen hat und dadurch mein Leben und mich in größtem Ausmaß verletzt und unwiderruflich geprägt hat.

So ist meine tiefe Aversion gegen Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen deshalb auch nicht überraschend.

Jemand, der mir sagt: „Tue etwas, das du nicht magst, weil ich dir sage, dass es gut für dich ist“, löst in mir allerhöchstens hohe Alarmbereitschaft, keinesfalls aber Vertrauen aus.

Ebenso geht es mir mit dem indirekten Impfdruck und den meisten Maßnahmen. Für notwendigen Fremdschutz oder vielleicht besser gesagt Brutschutz würde ich viel getan haben und tun. Mal auf die Spitze getrieben. Auch ich hätte mich, wie viele andere Frauen in der Geschichte zuvor, zum Wohle meiner Kinder und meiner Familie vergewaltigen lassen. Mich aber gegen ein respiratorisches Virus, das ein Großteil der Menschheit gut übersteht, einer neuartigen und für diesen Zweck fast gänzlich nutzlosen Gentherapie zu unterziehen, die mein Leben unter Umständen für immer durch schwere Nebenwirkungen verändern könnte und von der ich zudem vermuten muss, dass sie aus purer Profitgier von der Pharmaindustrie in so großem Umfang beworben wird, ergibt für mich persönlich keinerlei Sinn.

Die jahrelange Aufarbeitung meiner frühkindlichen Traumata, das mühsame Lernen, mich abgrenzen zu dürfen und zu können, hat sich in diesem Falle tatsächlich bezahlt gemacht. So kann und konnte ich mich widersetzen. Erleichternd kommt hinzu, dass meine Familie und ich uns, trotz großer beruflicher und persönlicher Verluste, immer noch in einer nicht existenziell bedrohten Lage befinden, dieses enorme Privileg macht vieles objektiv deutlich leichter.

Anders geht es Menschen, die diesem enormen Impfdruck nachgegeben müssen, des puren Überlebenswillens halber. Wenn dann noch Nebenwirkungen auftreten, sind sie meist völlig allein gelassen. Sie haben keine Lobby, ihre schwerwiegenden, oft chronischen Symptome werden nicht ernst genommen, nicht als Impfschäden registriert und oder sogar gänzlich negiert und in die Psychoecke abgeschoben. Ähnlich den Vergewaltigungs- und Missbrauchsopfern. Viel zu lange wurden schwerwiegende Übergriffe überhaupt nicht als solche anerkannt und auch heute noch ist der Täterschutz in vielen Ländern ausgeprägter als der Opferschutz.

Es muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass es den Menschen, die sich freiwillig und aus Überzeugung haben impfen lassen und die ihre Krankheitszustände als Impfschäden wahrnehmen wollen und können, ebenso ergeht, manchmal sogar schlimmer, denn die sogenannte Freiwilligkeit macht eine Identifikation als Opfer oft noch viel schwerer.

Zurück zu Roland Rottenfußers These, die eben viel mehr als nur eine solche ist.

Ein Mensch, der das Nein seines Gegenübers nicht akzeptiert, wird auf alle Fälle übergriffig, mitunter sogar gewalttätig werden, um zum Ziel zu gelangen.

In den letzten zwei Jahren haben zuhöchst chauvinistische Regierungen und deren Zöglinge sich eben genau wie diese unaufhörlich und unaufhaltbar balzenden Männer geriert. Durch ständige Bedrohung, Erpressung und Belästigung wurden in beruflichen, persönlichen sowie auch in medizinischen Bereichen Maßnahmen ohne Konsens „penetriert“.

Aussagen wie: „Stell dich nicht so an!“ „Es ist doch nur ein kleiner Piks!“ „Was kann denn schon passieren!“, um eine Spritze, die unter Umständen sogar fatale Folgen haben kann, zu bewerben, ist der Gipfel des Ganzen. Dies stellt zweifellos nochmals klar, wie ähnlich Übergriffe in ihren Grundzügen, ihrer Intention und ihrer Wirkung sein können, und lässt mich persönlich auch von der Streitbarkeit dieser These abrücken.

„Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter.“ In diesem Sinne habe ich geschrieben und werde weiter sprechen.

Zum Ende muss, aus gegebenen Anlass, erwähnt werden, dass die angedrohte Impfpflicht vorläufig, zumindest teilweise, vertagt wurde. Wir werden sehen, ob das so bleibt. Herr Scholz, der Mann ohne rote Linien, sagt, das Thema sei vom Tisch – wir wissen alle, was das aus seinem Munde bedeutet. Selbst wenn dieser Albdruck jetzt wirklich vorbei sein sollte, werden wir uns als Gesellschaft noch lange nicht erholen können, so tief ist die Verletzung und so vieles ist verloren – was bleibt, ist Hoffnung und in diesem Sinne hoffentlich ein mehr und mehr wachsendes Verständnis – für „Nein heißt Nein“.

Hexenstunde

Poesienote, 26. Januar 2023

Mit 12 Jahren schrieb ich mein erstes politisches Gedicht. Ich war von meiner Mutter gefüttert worden mit Lyrik von Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Boris Vian, Erich Fried, Sylvia Plath, Mascha Kaléko, Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und vielen anderen. Mein erster Versuch war dementsprechend sicher ein mehr oder minder eklektischer. Leider entsinne ich mich nur noch der letzten Zeilen: „… und die, die sich nicht anpassen, sind dann gleich die kommunistischen Rassen“. Sehr wohl aber erinnere ich mich, warum ich diesen Schlussreim schrieb. Ein guter Freund der Familie erhielt als DKP-Mitglied Berufsverbot und wurde vom Verfassungsschutz ständig beobachtet. Diese Tatsache wurde in meiner linken Familie mit Entsetzen kommentiert und degoutiert und als große Bedrohung dieser – damals noch relativ jungen – Demokratie empfunden. Mein auch heute noch widerständiges Gebaren und Schreiben und die Angst vor Freiheitsverlust ist somit wohl tief verwurzelt und scheint mir in meiner Biografie völlig logisch.

Anders bei anderen; denn es gibt anscheinend keine wirkliche Logik in Lebensläufen und dementsprechend auch keine Allgemeingültigkeit, wer wann wie wo was schreibt. Salomea Genin, eine außergewöhnliche Frau und die Autorin des Buches „Ich folgte den falschen Göttern“, die wir euch bald in einem neuem Mutmach-Gespräch vorstellen werden, sagte mir vor ein paar Tagen: „Es gibt nichts Persönliches, was nicht auch politisch, und nichts Politisches, was nicht auch persönlich ist.“ So verstehe ich die Poesie: als die kurz gefasste, rhythmisierte Darstellung des Innen und des Außen.

In diesem Sinne wünsche ich mir für unsere „Poesienoten“ mutige und vorsichtige, zarte und stürmische, wütende und liebende, verbindende und entbindende, politische und persönliche Beiträge. Mein erster Beitrag ist die „Hexenstunde“. Sie wollte einstmals alles verbinden, was heute so schwierig zu verbinden scheint. So bleibt mir nur zu hoffen, dass Worte eben doch so kraftvoll sind, wie man es ihnen unterstellt. Mit einem Bonmot von Hans Magnus Enzensberger wünsche ich euch eine schöne und kraftvolle Woche:

Denn das Dichten ist eine absurde Tätigkeit.“

Hexenstunde


Hexenstunde hier sind wir
teilen wollen wir mit euch was uns bewegt
Hexenstunde wir sind bereit wo auch immer dieser Weg hingeht
wir wollen einstehen für die Menschlichkeit
denn beten hat uns leider viel zu oft entzweit

Hexenstunde das sind wir
wissen wollen wir’s jetzt ganz genau
warum das oft nicht so gut geht von Frau zu Frau
Hexenstunde kommt doch zu uns in die Runde
denn nur so wird’s uns gelingen Patriarchales zu bezwingen

Hexenstunde heute ist die Kirche unser Platz
viele gute Hirten gibt es hier wir wollen keine Männerhatz
Wir haben keinen Buckel und kein Hinkebein
wir sind schön mit und ohne Kerzenschein
Hexenstunde kommt herein die Türen werden offen sein

Und deshalb wollen wir singen heut mit euch
Frauen sind wir Frauen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir tanzen heut mit euch
Menschen sind wir Menschen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir unsere Schönheit feiern heut mit euch
Weiber sind wir Weiber wollen wir sein
Lasst uns gehen Seit an Seit mit Stolz und frei von Neid

Hexenstunde kurz vor Zwölf
zugegeben unsere Kirche ist noch nicht so voll
Denn nicht jede Frau findet Frauen wirklich toll
Die Wahrheit ist zu viele von uns werten unaufhörlich ab
Es wird gelästert und gelacht und viel zu misogyn gedacht
Hexenstunde kurz vor Zwölf
anders soll das sein es ist noch früh in dieser Nacht

Hexenstunde hört uns zu denn dies ist nicht nur Weiberkram
die Männer geht das ganz genauso an
denn sie lästern mit uns ohne Scham
Sündenböcke wieder voll en vogue
Die Ausgrenzung schlicht ohne Dialog
Die Opfer aber werden kaum beklagt
Das Menschsein wird schlechthin vertagt
Hexenstunde ist für alle da
kommt herein bei uns werdet ihr nicht gejagt

Hexenstunde hier stehen wir Hand in Hand
Nur deshalb wird hier niemand mehr verbrannt
Erhaben fühlen wir uns nicht und niemals unfehlbar
Wir stehen hier bescheiden am Altar
Kein Aug um Aug kein Zahn um Zahn
Menschen aller Art werden hier gebraucht und sind gefragt

Und deshalb wollen wir singen heut mit euch
Frauen sind wir Frauen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir tanzen heut mit euch
Menschen sind wir Menschen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir unsere Schönheit feiern heut mit euch
Weiber sind wir Weiber wollen wir sein
Lasst uns gehen Seit an Seit mit Stolz und frei von Neid <1>

one hour to midnight


one hour to midnight we are here to share
for what we profoundly and seriously care
one our to midnight we got something to say
we shall fight for our purpose and not only pray

one hour to midnight we are curious to know
why it is that we mostly play a one wo-man show
one our to midnight guess what we found out
together we are much better much stronger for our matter

one hour to midnight this church is our place
the holy shepard is a man but exclusion is not for what we stand
one hour to midnight we see more and more
that a one wo-man song ain’t gonna open us no door

that’s why I sing with you you are a wo-man like me too
that’s why I dance with you you are a wo-man I am too
that’s why we cherish our beauty we are womyn so are you
that’s why we walk side by side we are we a wo and man sometimes too

one hour to midnight we must agree upon
the fact that just a few of us like to have a real ladies pact
one hour to midnight we feel ashamed to admit
that too many of us still call their fellow ladies fat ass slut and ugly bitch

one hour to midnight we wanna let you know
if we don’t stop our contemptuous talk
man power will grow and grow
one hour to midnight here is our plea
womyn stop being misogynous don’t judge let others free

one hour to midnight it is not too late
people come on join us here and be (are) our mate
one our to midnight this is our church
for you for me for all of us equality rather than hate to urge

that’s why I sing with you you are a wo-man like me too
that’s why I dance with you you are a wo-man I am too
that is why we cherish our beauty we are womyn so are you
that’s why we walk side by side we are we a wo and man sometimes too

Das Buch ist unter folgendem Link erhältlich: https://edition-bodoni.de/buecher/anders-als-es-einmal-war/

Quelle


<1> https://music.apple.com/de/album/hexenstunde/1517656771?i=1517657147

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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Rawpixel.com / shutterstock


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