Russlands letzte Erklärungen legen nahe, dass eine Verhandlungslösung im Ukraine-Konflikt nur noch schwer zu finden zu sein scheint. Haben die Entwicklungen die Ideen des RAND-Papiers vom Januar ausgehebelt?
Ein Kommentar von Thomas Röper.
In diesem Artikel werde ich ausnahmsweise mal weitgehend auf die Vorgeschichte verzichten, die ich meinen Artikeln normalerweise voranstelle. Ich schreibe diese Vorgeschichte normalerweise, um die aktuellen Entwicklungen Lesern, die mit einem Thema nicht vertraut sind, verständlich zu machen und die Gesamtzusammenhänge aufzuzeigen. Hier mache ich eine Ausnahme, dies ist also quasi ein Artikel für die Stammleser des Anti-Spiegel. Für weitere Informationen zum Verständnis verweise ich auf meinen letzten Artikel über das RAND-Papier.
Die Kernaussagen des RAND-Papiers
Das RAND-Papier, das ich hier seit Monaten thematisiere, wurde im Januar veröffentlicht, es wurde also vor etwa acht Monaten verfasst. In diesen acht Monaten ist viel passiert und es ist möglich, dass die Entwicklungen der letzten acht Monate die Lage so sehr verändert haben, dass das RAND-Papier nicht mehr so umgesetzt werden kann, wie es sich der Verfasser seinerzeit gedacht hat. Um das zu verstehen, müssen wir noch einmal einen Blick auf die im Papier beschriebene Situation, die im Papier genannten Ziele der USA und die von RAND vorgeschlagenen Lösungen werfen.
RAND kam im Januar zu folgendem Ergebnis: Die Ziele der USA in der Ukraine waren, Russlands Wirtschaft mit den Sanktionen zu zerschlagen, Russland international zu isolieren und, wenn möglich, Russland in der Ukraine eine militärische Niederlage zuzufügen. RAND stellte im Januar fest, dass all diese Ziele nicht erreicht wurden und auch in absehbarer Zeit nicht erreicht werden können.
Stattdessen steckten die USA in einem Stellvertreterkrieg gegen Russland, der viel zu teuer geworden war, zumal die USA ihre gesetzten Ziele damit nicht erreichen können. RAND sagte ganz offen, dass es den USA egal ist, wo die ukrainische Grenze verläuft und dass ein Kampf um ukrainische Gebiete für die USA keine Priorität hat und die hohen Kosten der Unterstützung für die Ukraine nicht rechtfertigt.
Daher hat RAND empfohlen, einen Ausweg aus dem Ukraine-Abenteuer zu suchen.
Die vier Optionen für Verhandlungen
RAND hat daher vier „Optionen“ vorgeschlagen, die einerseits Kiew beruhigen und andererseits ein Ende der Kämpfe zu für Russland akzeptablen Bedingungen ermöglichen sollten. Schauen wir uns die noch einmal an.
Erstens: „Klärung ihrer Pläne für die künftige Unterstützung der Ukraine“
Damit war gemeint, Kiew notfalls die Unterstützung zu reduzieren, sollte es nicht bereit sein, mit Moskau zu verhandeln, wenn die USA es wollen. Das wurde in dem Abschnitt recht deutlich gesagt und in Verbindung mit der Aussage aus dem RAND-Papier, dass es für die USA recht unwichtig ist, wo die Grenzen der Ukraine verlaufen, dürfte damit auch gemeint gewesen sein, dass Kiew Gebietsabtretungen an Russland zu akzeptieren hat, wenn die USA es für nötig halten.
Den ersten Schritt in diese Richtung haben wir vor einigen Tagen gesehen, als in der NATO erklärt wurde, Kiew könnte im Gegenzug für Gebietsabtretungen an Russland mit dem NATO-Beitritt belohnt werden. Die Aussage wurde danach nur sehr halbherzig dementiert.
Zweitens: „Zusagen für die Sicherheit der Ukraine“
In dem Abschnitt hat RAND schon im Januar nicht mehr von einem NATO-Beitritt der Ukraine gesprochen, sondern stattdessen von Sicherheitsgarantien, die die USA und andere westliche Staaten der Ukraine anstelle eines NATO-Beitritts geben könnten. Und genau das wurde inzwischen umgesetzt, denn die NATO hat eine Aufnahme der Ukraine auf ihrem letzten Gipfel, sehr zum Ärger von Selenskyj, bis zum Sanktnimmerleinstag abgelehnt. Kiew soll stattdessen nun Sicherheitsgarantien von den USA und anderen westlichen Staaten bekommen, über die derzeit verhandelt wird.
Damit sollte vor allem Russland besänftigt werden, denn der drohende NATO-Beitritt der Ukraine war einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Russland seine Militäroperation begonnen hat.
Drittens: „Zusicherung der Neutralität des Landes“
Das ist ebenfalls eine der Kernforderungen Russlands, die der stellvertretende russische Außenminister Michail Galusin erst vor einigen Tagen erneut in einem Interview wiederholt hat: Die Ukraine soll dauerhaft den Status eines neutralen, bündnisfreien und atomwaffenfreien Staates behalten. Diese russische Forderung ist lange bekannt und RAND hat bereits im Januar vorgeschlagen, Russland das anzubieten. Damit hat RAND im Januar fett unterstrichen, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine vom Tisch muss, wenn es eine Verhandlungslösung mit Russland geben soll, was ja inzwischen auch geschehen ist.
Viertens: „Festlegung von Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland“
RAND hat im Januar sogar vorgeschlagen, die Russland-Sanktionen zum Teil aufzuheben oder zumindest zu lockern. Das sollte ebenfalls ein Lockmittel für Russland sein, und weil RAND weiß, dass man in Moskau Null Vertrauen in Zusagen der USA hat, konnte man in dem Papier sogar lesen, dass die USA die Sanktionen schon „als Teil des Verhandlungsprozesses“ lockern könnten, was de facto bedeuten würde, dass die USA in Vorleistung gehen würden, um Russland zu zeigen, dass es ihnen mit den Verhandlungen ernst ist.
Die Situation im Januar und heute
Im Januar wären diese Vorschläge von RAND, wenn sie damals von der US-Regierung gemacht worden wären, für Russland vielleicht interessant gewesen, denn Russland wollte nie einen langen Konflikt in der Ukraine. Da der RAND-Vorschlag de facto auf die wichtigsten russischen Forderungen eingegangen ist, hätte ein solcher Vorschlag damals vielleicht ein Ende der Kampfhandlungen und der Beginn eines erfolgversprechenden Verhandlungsprozesses werden können.
Aber die russische Regierung hat immer wieder gesagt, dass die russischen Forderungen wachsen würden, je länger die Kämpfe dauern. Und das hat Gründe.
Im Januar wusste niemand, wie die angekündigte ukrainische Offensive laufen würde. Heute wissen wir es, denn sie ist gescheitert, obwohl der Westen so ziemlich alles an Waffen geliefert hat, was in der Zeitspanne möglich war. Weil selbst diese massive westliche Unterstützung Kiew auf dem Schlachtfeld keine nennenswerten Erfolge gebracht hat, hat die ukrainische Gegenoffensive die Kräfteverhältnisse zugunsten Russlands verschoben.
Heute will Russland, wie der russische Außenminister Lawrow gerade in einem Interview mitgeteilt hat, mehr. Die russische Regierung will nicht mehr über ukrainische Fragen verhandeln, da sind Fakten geschaffen worden, die aus russischer Sicht nicht mehr verhandelbar sind. Das hätte vermieden werden können, wenn der Westen statt der ukrainischen Offensive auf Verhandlungen gesetzt hätte. Aber der Westen hat sich so entschieden, wie er sich entschieden hat, und hat die neue Situation damit selbst geschaffen.
Die russische Regierung sieht sich im Krieg mit dem kollektiven Westen und möchte nun offenbar eine Verhandlungslösung erreichen, die eine neue europäische (oder sogar weltweite) Sicherheitsarchitektur als Ergebnis hat. Lawrow hat dem Westen vorgeworfen, unter dem Deckmantel dessen, was im Westen bisher als mögliche Verhandlungen bezeichnet wird, nur ein Einfrieren des Konfliktes steckt, das dem Westen und der Ukraine Zeit geben soll, die Wunden zu lecken und den Konflikt zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Für Russland ist das keine Option, wie Lawrow deutlich sagte:
„Die heuchlerischen Forderungen des Westens nach Verhandlungen halten wir für einen taktischen Trick, um wieder einmal Zeit zu gewinnen, den erschöpften ukrainischen Truppen eine Verschnaufpause und eine Chance zu geben, sich neu zu formieren, und sie mit Waffen und Munition vollzupumpen. Aber das ist der Weg des Krieges, nicht der einer friedlichen Lösung. Das ist uns völlig klar.“
Man sieht, dass die Vorschläge von RAND im Januar möglicherweise realistisch waren, aber inzwischen hat sich die Situation geändert. Indem der Westen Kiew in die Offensive getrieben hat, hat der Westen den Preis, den Russland in Verhandlungen fordern würde, in die Höhe getrieben.
Das Problem der US-Regierung
Die Kernforderungen aus dem RAND-Papier bleiben aktuell: Die USA wollen aus dem ruinösen Ukraine-Konflikt herauskommen, um ihre Kräfte für den Konflikt mit ihrem Hauptgegner China zu schonen. Außerdem dürfte die US-Regierung im nächsten Jahr keine Chance auf einen Wahlsieg haben, wenn der Herausforderer der US-Demokraten für ein Ende der Unterstützung der Ukraine eintritt. Die ruinöse Unterstützung der Ukraine ist bei den US-Bürgern, deren wirtschaftliche Probleme wachsen, während die US-Regierung Milliarden nach Kiew schickt, viel zu unpopulär.
Die US-Regierung hat nun wohl vier Möglichkeiten.
Erstens: Russland weiter entgegenkommen als bisher und sogar über eine neue europäische Sicherheitsarchitektur verhandeln. Das dürfte allerdings ziemlich unrealistisch sein, weil das Ziel der USA, Russland zu schwächen, bestehen bleibt. Das gilt sowohl, weil das ein generelles Ziel der USA ist, aber auch, weil Russland in einem Konflikt der USA mit China an Chinas Seite stehen würde. Russland zu schwächen ist für die USA daher in jedem Fall sehr wichtig.
Zweitens: Die Ukraine fallen lassen, was in der US-Geschichte kein Novum wäre, siehe Vietnam oder Afghanistan. Wenn ein Krieg den USA nicht mehr nützt, lassen sie ihre „Verbündeten“ schnell fallen. Was dann aus der Ukraine wird, ist vollkommen offen, aber das war den USA in Afghanistan ja auch egal, wo sie zwanzig Jahre gekämpft haben, um die Taliban zu vertreiben, nur um Afghanistan am Ende doch den Taliban zu überlassen.
Drittens: Die USA könnten auf eine „Aufgabenteilung“ im kollektiven Westen drängen, bei der die Europäer die Ukraine weiter unterstützen, während die USA sich China zuwenden. Damit könnten die USA sich geschickt aus der Affäre ziehen und die unvermeidliche Niederlage den Europäern in die Schuhe schieben. Letztlich wäre das eine „Untervariante“ von Punkt zwei, denn die USA würden die Ukraine fallen lassen, könnten aber das Blutvergießen verlängern, indem sie die Europäer die Kosten tragen lassen. Dazu könnte sogar die Entsendung europäischer Soldaten gehören, wie es in Polen recht offen diskutiert wird, was aber kein NATO-Projekt wäre und damit nicht den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages berühren würde.
Viertens: Die USA setzen die Unterstützung der Ukraine fort, was eine Abwendung vom RAND-Papier bedeuten würde und was ich für unwahrscheinlich halte. Das würde bedeuten, dass die Kampfhandlungen wesentlich verlängert würden, allerdings weiterhin ohne eine Chance auf einen Sieg Kiews. Die Fähigkeiten des Westens, Kiew mit Waffen und Munition zu versorgen sind rückläufig und bis die westliche Rüstungsindustrie genug Nachschub liefern könnte, dürften Jahre vergehen. Mit weniger militärischer Unterstützung hat Kiew jedoch erst recht keine Chance auf militärische Erfolge.
Fazit
Natürlich haben die US-Thinktanks Experten, die sich vielleicht noch eine fünfte Variante (oder eine Kombination aus verschiedenen Varianten) ausdenken können, auf die ich noch nicht gekommen bin. Aber in jedem Fall haben die USA ein Problem, für das sie eine Lösung suchen müssen.
Dass die US-Regierung dazu übergegangen ist, das RAND-Papier umzusetzen, zeigen die Entwicklungen der letzten Monate. Letztlich sind die USA so vorgegangen, wie der Autor des RAND-Papiers es empfohlen und im Sommer in einem weiteren Artikel für Foreign Policy noch detaillierter beschrieben hat: Sie sind rhetorisch weggekommen vom NATO-Beitritt der Ukraine und von dem Ziel, Russland eine „strategische Niederlage“ zufügen zu müssen. Stattdessen wird heute über Sicherheitsgarantien für die Ukraine und über mögliche „Friedensformeln“ gesprochen, was für die US-Regierung im Januar noch undenkbar war.
Wenn man in den USA gedacht hat, Russland, das bis Februar 2022 immer auf Verhandlungen gesetzt, ja regelrecht darum gebeten hat (wie zum Beispiel bei den gegenseitigen Sicherheitsgarantien vom Dezember 2021), würde um jeden Preis an den Verhandlungstisch zurückkehren, dann hat man sich getäuscht. Nachdem Russland von 2014 bis 2022 geduldig verhandelt hat, aber vom Westen betrogen wurde, will Russland nun echte Lösungen und gibt sich wohl nicht mehr mit einem Einfrieren des Konfliktes zufrieden.
Das Problem dürfte daher sein, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben, weshalb die ursprünglich in dem RAND-Papier beschriebenen Ideen unrealistisch geworden sein könnten. Das hat auch das Wall Street Journal gerade erst geschrieben, als es berichtete, Beamte westlicher Länder würden an „grandiosen Deals“ arbeiten, um den Konflikt in der Ukraine zu lösen, aber deren Bedingungen seien „weder im Interesse Moskaus noch Kiews“. Dass sie nicht in Kiews Interesse sind, dürfte den USA egal sein, weil Kiew nur Befehlsempfänger ist, aber solange die „grandiosen Deals“ für Moskau uninteressant sind, sind sie wertlos.
Daher bleibt abzuwarten, was die US-Regierung tun wird, denn ihr Problem bleibt bestehen und dürfte sich weiter verschärfen, wenn Russland zum Beispiel nach dem Ende der ukrainischen Offensive selbst in die Offensive geht und die ausgebluteten ukrainischen Truppen weiter zurückdrängt.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 21.8.2023 auf anti-spiegel.ru.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Dilok Klaisataporn / Shutterstock.com
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