Ein Kommentar von Willy Wimmer.
Man musste schon staunen, als sich der deutsche Bundeskanzler bei seinem Antrittsbesuch in Washington auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem "Boss der westlichen Wertegemeinschaft" und US-Präsidenten, Joe Biden, zu einer von ihm so genannten "regelbasierten Ordnung" vernehmen lies. Das kam aus dem Munde des deutschen Bundeskanzlers, der offensichtlich völlig vergessen musste, dass die internationale Völkerrechtsordnung auch und gerade auf den Frieden von Münster und Osnabrück des Jahres 1648 zurückzuführen ist. Diese Völkerrechtsordnung fand ihre letzte Ausprägung in der Charta der Vereinten Nationen, die aus dem Grauen und den Verwüstungen von zwei Weltkriegen 1945 die bis heute gültigen Konsequenzen zog.
An diesen Säulen der internationalen Ordnung wird seit Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts mächtig gerüttelt.
Es ist die klare und erkennbare Absicht der Regierungen der Vereinigten Staaten seither, die tragenden Grundsätze der internationalen Völkerrechtsordnung zum Einsturz zu bringen. Die Charta der Vereinten Nationen soll auf den Müllhaufen der Geschichte wandern. Sie soll durch Regeln ersetzt werden, die die Vereinigten Staaten der Welt aufzwingen. Man hätte aufmerken müssen, als ausgerechnet eine frühere Verteidigungsministerin plötzlich von einer "regelbasierten, internationalen Ordnung" sprach, als sie eine deutsche Fregatte auf große Fahrt gen China schickte, weil die USA dies von ihr verlangt hatte. Statt durch einvernehmliche Veränderungen eine unter Umständen notwendige Anpassung an veränderte Zeitläufe vorzunehmen, gehen die USA mittels völkerrechtswidriger Kriege vor, der Welt Zwangsregeln aufzuerlegen, um die ihnen genehme internationale Rechtsordnung zu finden. Es ist mit dem Völkerrecht wie mit der Charta der Vereinten Nationen. Dieses Verhalten und Vorgehen finden wir auch in dem innerstaatlichen Vorgehen unserer Regierungen, Nicht nur in der Kriegsfrage sondern auch beim Schutz der deutschen Staatsgrenzen wird die verfassungsmäßige Ordnung gleichsam geschreddert, um im wesentlichen ausländischen Interessen, darunter denen der NATO, genüge zu tun.
Das wurde alles in diesen Wochen der kriegsgeneigten Lage auf dem euro-asiatischen Kontinent wieder einmal deutlich. Die beiden Mächte, China und Russland, verlangten von den USA ein klares Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen als Maßstab ihres Verhaltens und Vorgehens in der Welt. Bis heute ist keine Antwort aus Washington eingegangen. Das ist umso bedauerlicher, weil es genügend Anlässe gibt, alle Staaten und internationale Formationen zu mahnen, die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und vor allem die Menschenrechte weltweit zu achten.
Man spielt denen, die es mit diesen Rechte nicht so genau nehmen, massiv in die Hände, wenn man sich so verhält, wie es die USA seit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nachweislich tun.
Nicht, dass wir in Berlin nicht ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung an dieser Entwicklung tragen würden. Dafür stehen zwei Entwicklungen. Auf der einen Seite ist es der Abgesang der ehemals weltweit angesehenen Völkerrechtsabteilung des Auswärtigen Amtes. Seit Mitte der neunziger Jahre ist diese ehemals stolze Völkerrechtsabteilung nur noch ein Schatten ihrer alten, internationalen Bedeutung und Wertschätzung. Ihre Spitzenleute fanden stets den Arbeitsweg in die Führungsetagen der internationalen Organisationen. Nichts davon in der heutigen Zeit.
Dem entspricht gerade in dieser Zeit eine weitere Grundsatzänderung, wie sie bei einer Personalentscheidung im Auswärtigen Amt deutlich wird. Seit langem ist in Berlin zu beobachten, dass der frühere Einfluss des Staatsbürgers auf die staatlichen Belange durch ein undurchschaubares Dickicht von nationalen und internationalen Nicht-Regierungsorganisationen abgelöst und ersetzt wurde und wird. Mit der Ernennung einer Staatssekretärin aus dem internationalen Steuerungsumfeld der Neuen Weltordnung wird diese Veränderung jetzt nachdrücklich unter Beweis gestellt. Vor Jahren hat man darüber gejammert, als man in den Ministerien Spitzenleute aus der Industrie vorfand. Das wurde zu Recht abgestellt. Jetzt geht die Außenministerin hin und zeigt unverhohlen, was sie von der Grundstruktur einer parlamentarischen Demokratie, die an die Volkssouveränität gebunden ist, hält.
Wenn der deutsche Bundeskanzler in Washington geradezu beflissen von "regelbasierter Ordnung" spricht, müsste nicht zuletzt ihm auffallen, wie schal dieser Begriff sich anhört. Warum spricht und handelt der deutsche Regierungschef nicht nach dem "Völkerrecht", wie Bundeskanzler in Bonn das über Jahrzehnte gehandhabt haben? Muss nicht jeder Regierungschef in einem Land, das Bundeskanzler Olaf Scholz nach Washington aufsucht, in ihm nicht jemanden sehen, der "bis in die Haarspitzen" auf amerikanische Konzepte des Umsturzes der internationalen Völkerrechtsordnung eingeschworen ist? Das wird in wenigen Tagen bei der Münchner Sicherheitskonferenz, einer Versammlung nicht gerade friedensfördernder Elemente, erneut unter Beweis gestellt. Wie bei einer Discounter-Werbung wird im Motto für dieses Treffen auf das neue "Glaubens-Bekenntnis der Neuen, amerikanischen Weltordnung" aufmerksam gemacht. Man trifft sich, um der "regelbasierten Ordnung" zu huldigen.
Dabei gab es seit den Bombenangriffen auf Belgrad im Frühjahr 1999 nur eine Regel, die für das gesamte Bündnis galt. Es musste alles unternommen werden, den russischen Einfluss von der Adria nicht nur fernzuhalten. Dieser Einfluss musste, koste es, was es wolle, bis an die russischen Staatsgrenzen zurückgedrängt werden und dies im globalstrategischen Interesse der USA. Das wurde durch das US-Außenministerium im April 2000 bei der Konferenz von Bratislawa ausdrücklich so formuliert. Bei dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Moskau in diesen Tagen läuft die Fortsetzung dieser Platte. Damals wurde in Bratislawa dekretiert, dass Russland aus Europa herausgedrängt werden müsse. Jenseits einer "roten Linie", die vom Baltikum über Odessa bis nach Anatolien reichte, könne es Russland oder etwas anderes geben. Auf der westlichen Seite dieser Linie sei, bis zur Rechtsordnung, eben alles amerikanisch.
Der Besuch der amerikanischen Unterstaatssekretärin, Frau Nuland, am 10.10.2021 in Moskau stellte die Kriegserklärung für dieses Konzept dar. Bundeskanzler Olaf Scholz wird sich in Moskau fragen müssen, ob er sich in die Gedanken des stolzen Russland beim Angebot auf "bedingungslose Kapitulation" hineinversetzen kann?
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: esfera / shutterstock
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