Ein Kommentar von Anke Behrend.
Auch bei den diesjährigen CSDs werden große Unternehmen mit ihren Trucks vertreten sein und ihr Engagement für die Anliegen queerer Menschen bekunden. In Berlin bemühten sich unter anderem Mercedes Benz, die Deutsche Telekom, Amazon, Siemens Energy, Vattenfall, Allianz, die Commerzbank, IKEA und die Deutsche Bahn um die Gunst der bunten Community. (1) Diesem Boom der kommerzialisierten Identitätspolitik könnte marktlogisch bald der Absturz folgen – Eine heilsame Herausforderung für postmoderne Aktivisten?
Jeder Trend geht irgendwann zu Ende, jede Mode wird früher oder später hässlich, verschleißt und landet auf dem Müll. Nun könnte diese Zwangsläufigkeit die postmoderne Identitätspolitik erwischen. Das war absehbar, denn spätestens als aus einem legitimen politischen Anliegen – der Emanzipation Menschen mit nichtweißer Hautfarbe und sexuellen Minderheiten – eine PR-Strategie wurde, hatten linke Kräfte die Deutungshoheit über ihre progressiven Ziele den Marktinteressen ihrer eigentlichen Widersacher überlassen. Sie ließen sich vor den Karren spannen und wurden zu bloßen Symbolen degradiert, zu Tokens – Erfüllungsgehilfen, die nur den Anschein von Fortschritt erwecken, ohne nachhaltige Veränderung zu bewirken. Denn – und das mag vielleicht verwundern – eine echte emanzipatorische Bewegung würde grundsätzliche Machtfragen stellen, statt im Dschungel der postmodernen Theorien immer neue Interessengruppen aufzuspüren und sich um bunte Glasperlen zu balgen, die man aus den Chefetagen der Konzernzentralen gönnerhaft auf sie herab regnen lässt.
Falsche Freunde
Eine solche Bewegung würde die Identität von Menschen nicht auf die zwei unveränderlichen Unterschiede Geschlecht und Hautfarbe reduzieren, sondern sich der komplizierten Aufgabe widmen, die gemeinsamen Interessen herauszuarbeiten. Stattdessen wurde in den letzten Jahren das Gegenteil betrieben und eine wohlfeile aber triviale Vielfalt beschworen. Unter dem Label DEI – „Diversity, Equity, Inclusion“ (2)(3) – entstand ein gigantischer Geschäftszweig, der immer neue Kunden und Zielgruppen hervorbringt. Praktischer Nebeneffekt: Die originär linken Ziele, vor allem soziale Gerechtigkeit und Kritik an Herrschaftsstrukturen, wurden verdrängt durch Konzepte wie „Geschlechtergerechtigkeit“, die in der Umsetzung mit Frauen- und Homosexuellenrechten kollidiert (4)(5), oder Postkolonialismus, der nicht nur mit Universalismus unvereinbar ist, sondern überdies den Fortschritt in menschlichen Gesellschaften leugnet, indem er den Nachkommen kolonialistischer Akteure einen unüberwindlichen inhärenten Rassismus attestiert, für den sie bestenfalls Buße tun können (6). Folgerichtig brechen entlang verschiedenster Verwerfungen mehr und mehr interne Konflikte auf. Eine konsistente politische Linie existiert nicht mehr in diesem, zum reinen PR-Stunt verkommenen Zirkus (7) identitärer Eitelkeiten nebst zur Schau getragener mentaler Bedürftigkeit.
Rainbow Washing
Keine soziale Bewegung wurde je zuvor von Politik und Wirtschaft derart hofiert wie der postmoderne Tribalismus. Selbst aus dem Widerstand und der Reaktanz gegen diesen Trend lässt sich noch Publicity saugen (8). Verlässliche Statistiken über den Boom von Rainbow Marketing und seinen Vorläufer, dem Pink Marketing, sind kaum zu finden. Ziemlich sicher ging der Trend von den USA aus und verbreitete sich rasch im gesamten Westen. Nach der Entscheidung des Supreme Court von 2015 zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften (9) in den USA entwarfen viele Marken und Organisationen Regenbogenversionen ihrer Logos (10). Wahrscheinlich nahm der kommerzielle Regenbogenboom dort seinen Ausgangspunkt und war 2019 auch in Europa ein unübersehbarer Trend. Seither sind die buntgestreiften Ablasszettel nicht nur in der Produktwelt allgegenwärtig. Der mittlerweile als „DEI industrial Complex“ (11) bekannte Geschäftszweig setzt mit Maßnahmen wie Inklusionstraining allein in den USA jährlich angeblich etwa acht Milliarden Dollar um. Doch etablierte Denkweisen und Ressentiments lassen sich nur schwer ändern und so ist der Erfolg von DEI-Maßnahmen in Unternehmen umstritten, wird in Befragungen allerdings positiv dargestellt (12).
Ethische und moralische Scheinrealitäten
Einige Unternehmen betreiben zwar Rainbow Marketing, spenden jedoch gleichzeitig an Organisationen, die nicht für diese Ziele stehen. Beispiele dafür sind Unternehmen wie AT&T (13), Walmart (14) und Amazon (15), die einerseits Pride-Kampagnen durchführen, andererseits jedoch Millionen von Dollar an Politiker und Organisationen gespendet haben, die diese Werte nicht teilen (16)(17). Banken, Pharmaindustrie, sogar Militär und Rüstungsindustrie, Bundeswehr und Rheinmetall polieren inzwischen ihr Image mit Regenbogenfarben auf (18).
Nach dem Bull-Run droht der Bärenmarkt
Doch langsam scheint sich den Regeln des Marktes folgend eine Wende abzuzeichnen. Erste Großkonzerne haben bereits im Jahr 2023 begonnen, ihre DEI-Abteilungen für Diversität, Gleichheit und Inklusion abzubauen und identitätspolitische Maßnahmen zurückzufahren. Ein prominentes Beispiel dafür ist Microsoft, das kürzlich sein gesamtes DEI-Team entließ, da Vielfalt und Integration nicht mehr als „geschäftsrelevant“ betrachtet werden (19). Zoom, Google und Meta (20) haben ähnliche Schritte unternommen und ihre DEI-Programme reduziert (16)(17), gleichzeitig jedoch weiterhin Regenbogen Marketing betrieben (20)(21).
Business as usual
Bereits vor der Einführung von DEI gab es ähnliche Bewirtschaftungen von Ethik und Moral, unter anderem die als Greenwashing kritisierte Initiative „Corporate Social Responsibility“ (CSR) (22). Diese Bewegung zielt darauf ab, Unternehmen zu verpflichten, durch Gemeinschaftsprojekte und Programme, finanzielle Unterstützung einschlägiger NGOs, philanthropische Aktivitäten und ethisches Geschäftsgebaren soziale Ziele umzusetzen. Um die Jahrtausendwende erlebte Deutschland einen regelrechten CSR-Boom. Jedoch verkam CSR bald zu bloßer Moral-PR mit erheblicher Eigenrotation und wenig echten Resultaten.
Scheitert der DEI-Industriekomplex?
Obschon mächtige Akteure, beispielsweise das WEF, die Weltverbesserungsprogramme vorantreiben (23), stehen die progressiven Akteure nun möglicherweise vor der Erkenntnis, dass sie lediglich als Marionetten in einem Spiel fungierten, dessen Regeln sie nicht nur missverstanden, sondern dessen Konsequenzen sie fundamental unterschätzten. Ihre Allianz mit der Industrie könnte sich bald als ein verhängnisvoller Irrweg und strategisches Fehlkalkül herausstellen, das von den finanzstarken Gönnern nur so lange aufrechterhalten wird, wie es den marktwirtschaftlichen Interessen dienlich scheint. Hat der PoC seine Schuldigkeit getan, muss er gehen.
Aber nicht nur das. Die bisweilen ins Extrem abgedriftete Identitätspolitik hat den rechtskonservativen Kräften Vorschub geleistet und die progressiven Bewegungen vermutlich um Jahrzehnte zurückgeworfen. Die Fragmentierung der Linken durch zunehmend kleinteiligere Identitätsdebatten lieferte ihren Gegnern immer neue Angriffsflächen. Queere Protagonisten strapazieren mit ständiger Präsenz und provokanter Attitüde die Toleranzgrenzen und stoßen zunehmend auf Unverständnis bis hin zu offener Feindschaft (24). Damit sabotieren sie nicht nur ihre eigenen Ziele, denn immer mehr Menschen wenden sich bereits pauschal von sämtlichen progressiven Anliegen ab – leichtes Spiel für rechtskonservative Agitatoren mit ihren vermeintlich einfachen Lösungen nebst puritanischen Moralvorstellungen.
Strategische Neuausrichtung
Es wäre geboten, diese Schichten und Milieus durch Reflexion und strategische Neuausrichtung zurückzugewinnen. Dazu wäre es hilfreich, sich vom Gezänk um tribalistische Symbolpolitiken zu verabschieden und eine kohärente, verbindende Vision zu formulieren, die sich auf soziale und ökonomische Gerechtigkeit fokussiert und somit das Wohl der Allgemeinheit fördert. Die Identitätspolitik hat durch ihre Allianz mit wirtschaftlichen Akteuren und die Kommerzialisierung ihrer Ziele an politischer Legitimität verloren. In ihrer Selbstbezogenheit kann sie die Probleme des derzeitigen kapitalistischen Wirtschaftens und die Gefahren libertärer und konservativer Bestrebungen nicht mehr analysieren und aufzeigen, geschweige denn bekämpfen.
Es wäre daher nur wenig bedauerlich, wenn diese Bewegung in ihrer aktuellen narzisstischen Ausprägung dem Ende zugeht und stattdessen neue, integrative Ansätze entwickelt werden, die anstatt ideologischer Kleinstaaterei echte soziale und ökonomische Veränderungen anstreben und die gemeinsamen Interessen aller Menschen wieder in den Vordergrund stellen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://csd-berlin.de/die-csd-wagenreihung-2024
(2) https://en.wikipedia.org/wiki/Diversity,_equity,_and_inclusion
(4) https://www.emma.de/artikel/ist-emma-transphob-337429
(6) https://www.vielfalt-mediathek.de/critical-whiteness
(7) https://www.markenartikel-magazin.de/_rubric/detail.php?rubric=marke-marketing&nr=49202
(9) https://hbr.org/2024/03/lessons-from-the-bud-light-boycott-one-year-later
(10) https://www.buzzfeed.com/jarrylee/beautiful-rainbow-brand-logos-celebrating-marriage-equality
(11) https://hbr.org/2022/12/the-failure-of-the-dei-industrial-complex
(12) https://www.ehi.org/presse/so-bunt-wie-moeglich/
(13) https://www.goodsuniteus.com/brands/#/brand/at-and-t
(14) https://www.goodsuniteus.com/brands/#/brand/wal-mart
(15) https://www.goodsuniteus.com/brands/#/brand/amazon
(16) https://www.fairplanet.org/story/how-to-combat-corporate-pinkwashing-in-pride-month/
(17) https://fashionchangers.de/rainbow-washing-warum-ein-regenbogen-nicht-genug-ist/
(18) https://www.telepolis.de/features/Jetzt-auch-in-bunt-und-queer-Krieg-und-Militaer-6047913.html
(20) https://www.cnbc.com/2023/12/22/google-meta-other-tech-giants-cut-dei-programs-in-2023.html
(21) https://fortune.com/2022/06/01/major-corporations-donate-anti-lgbtq-legislators-pride/
(22) https://www.csr-in-deutschland.de/DE/CSR-Allgemein/CSR-Grundlagen/csr-grundlagen.html
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Dank an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Josh Namdar / Shutterstock.com
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