Standpunkte

Revolution in Niger und die Folgen | Von Jochen Mitschka

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Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Am 10. August hatte ich schon über den Beginn der Revolution, meist „Putsch“ genannt berichtet(1). Damals war gerade ein Ultimatum des von Frankreich und den USA dominierten ECOWAS-Bündnisses verstrichen, ohne dass es zu Militäraktionen gegen Niger kam. Und niemand, der von normalem geistigen Verstand Besitz hat, kann sich vorstellen, dass ein Angriffskrieg Nigerias und evtl. Mitstreiter ein erfolgreiches Unternehmen sein könnte. Denn das Militär Nigerias ist nicht einmal in der Lage, die Sicherheit auf dem eigenen Territorium gegen marodierende Banden von Boko Haram zu schützen. Und sobald es zu einem Bruder-Krieg gegen das Nachbarland kommt, welches im übrigen von gleichen Ethnien, Völkergruppen und Familien bewohnt wird, müsste sich das Land gegenüber Boko Haram eine Blöße geben und wäre den Terroristen fast schutzlos ausgeliefert. Aber ECOWAS hat, statt einzulenken, weiter auf Konfrontation gesetzt und angeblich seien militärische Kontingente bereit gestellt worden, um jederzeit Niger und seine verbündeten Nachbarn anzugreifen. Aber bevor wir dazu kommen, zunächst zu der Behauptung, es sei eine Revolution.

Wir erinnern uns, warum das Militär überhaupt den Präsidenten gestürzt hatte, unterstützt, offensichtlich, von einer sehr breiten Mehrheit der Öffentlichkeit. Der Präsident, welcher gewählt worden war mit dem Versprechen, hart gegen den Terrorismus vorzugehen, hatte das Gegenteil des Wahlversprechens getan. Nachdem die Nachbarländer Mali und Burkina Faso westliche ausländische Truppen aus dem Land komplimentiert hatten, war Niger das wichtigste Land der Sahel-Zone verblieben, das noch französische und US-Truppen beherbergte. Und die westlichen „Helfer“ gegen den Terror hatten diesen Ländern vorausgesagt, dass nunmehr der Terrorismus natürlich zunehmen würde, da sie keinen „Schutz“ mehr durch dieses Militär hätten. Durch die russische Söldner-Truppe Wagner passierte aber das Gegenteil.

In dieser Situation verbrüderte sich der Präsident des Niger zur Überraschung und Wut seiner Bevölkerung und des Militärs mit den Terroristen. Er beherbergte sie im Präsidentenpalast, gewährte Amnestie für Massenmörder usw. Dadurch erhielt Boko Haram, die tödlichste Terrororganisation der Welt, schlimmer als der IS(2), defacto einen sicheren Zufluchtsort im Niger nach Terrorangriffen gegen Nachbarländer. Das konnte weder das Militär, noch die Bevölkerung akzeptieren. Und diese Tatsache ist auch der Grund, warum sofort, ohne zu zögern, und mit Begeisterung, die benachbarten Länder ihre Unterstützung für Niger zugesagt hatten.

Nun haben die Offiziere, welche den Präsidenten stürzten inzwischen eine zivile Regierung mit anerkannten Fachleuten eingesetzt und erklärt, den Präsidenten wegen Hochverrats anklagen zu wollen. Aber sofort wurde natürlich vehement im Westen dagegen Position bezogen. Böse Zungen behaupten, eine Rolle könnte spielen, dass ausländische Beamte in den Verrat verwickelt seien.

An dem Sturz des Präsidenten waren Offiziere beteiligt, welche Jahre, ja über Jahrzehnte eng mit den USA zusammen gearbeitet hatten, auf deren Offizierschulen gegangen waren, und sogar persönliche Freundschaften mit US-Offizieren unterhielten. Man darf annehmen, dass sie jederzeit hätten ein auskömmliches Leben in den USA führen können, hätten sie sich von dem Vorgang distanziert. Dass sie das nicht taten, deutet darauf hin, dass es keiner der üblichen „Militärputsche“ wegen Machgelüsten von Offizieren handelte, sondern um eine von der Bevölkerung getragene Revolution.

Und nun kommen wir zu den Hintergründen, warum trotz der offensichtlichen Absurdität eines Bruderkrieges in der Sahelzone, afrikanische Kreise dazu gezwungen werden, allen voran der Präsident von Nigeria, dessen Wahl derzeit noch angefochten wird, der eine Vergangenheit als Drogenhändler und Geldwäscher in den USA hat, und damit die ideale US-Marionette ist.

Eine indische Sicht

Zunächst die Einschätzung der Situation durch einen indischen Ex-Diplomaten, M.K. Bhadrakumar, der einen Artikel veröffentlichte mit dem Titel „Frankreichs koloniales Erbe und die Sicherheitsbedenken der USA kreuzen sich in Niger; die Russen vor den Toren suchen nach neuen Jagdgründen“(3).

Er schreibt, dass die Aussichten, dass Nigers prowestlicher Präsident Mohamed Bazoum wieder eingesetzt werde, gering sei. Letzterer sei ein ethnischer Araber mit einer kleinen Machtbasis in einem überwiegend afrikanischen Land und gehöre dem Migrantenstamm der Ouled Slimane an, der in der Vergangenheit als Frankreichs fünfte Kolonne in der Sahelzone gegolten habe.

Die ECOWAS, so der Autor, habe die Initiative verloren, nachdem die Putschisten die am 6. August gesetzte Frist zur Freilassung von Bazoum und seiner Wiedereinsetzung unter Androhung militärischer Maßnahmen nicht eingehalten haben.

Der Putsch in Niger sei für Frankreich ein demütigender Rückschlag und ein schreckliches Drama für Präsident Emmanuel Macron persönlich, da er seinen besten Unterstützer in Afrika für Frankreichs neokoloniale Politik verloren habe. Macron habe deshalb auch ECOWAS angestachelt, in Niger einzumarschieren und Bazoum zu retten. Er habe die Stimmung hinter dem Putsch falsch eingeschätzt und darauf gesetzt, dass sich das nigrische Militär spalten würde. Seine Überreaktion sei zum Bumerang geworden, als die Putschisten wegen seiner aggressiven Rhetorik über Nacht die Militärpakte mit Frankreich aufkündigten. Die latente Feindseligkeit gegenüber Frankreich habe zugenommen und Macron gezwungen, die Führung an Washington abzutreten.

Der Autor äußert die Vermutung, dass nicht nur Frankreich, sondern die westlichen Mächte im Allgemeinen nicht verstehen, dass die afrikanische Bevölkerung dank der gewalttätigen und erbittert geführten nationalen Befreiungsbewegungen hochgradig politisiert sei. Es überrasche nicht, dass Afrika sich schnell an den Raum angepasst habe, der sich ihm im multipolaren Umfeld neu eröffnet hat, um mit den ehemaligen Kolonialherren zu „verhandeln“.

Am vergangenen Montag habe sich General Abdourahmane Tchiani, das nominelle Oberhaupt des „Putsches“, geweigert, die amtierende stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland zu treffen. Nuland und andere US-Beamte baten darum, Bazoum persönlich zu treffen, aber auch diese Bitte sei abgelehnt worden. Stattdessen musste Nuland mit dem Kommandeur der nigrischen Spezialeinheiten und einem der Anführer des Staatsstreichs, Brigadegeneral Moussa Salaou Barmou, verhandeln, der nun als Verteidigungsminister dient.

The Intercept hat inzwischen aufgedeckt, dass Barmou nicht der einzige nigerianische General war, der von den USA ausgebildet wurde und in den Putsch verwickelt war. Zwei Wochen nach dem nigrischen Staatsstreich, so der Artikel weiter, habe das Außenministerium noch immer keine Liste der mit den USA in Verbindung stehenden Meuterer vorgelegt, aber ein anderer US-Beamter bestätigte, dass es "fünf Personen gibt, die wir als solche identifiziert haben, die eine [US-Militär-]Ausbildung erhalten haben." Es sei denkbar, dass Washington sich nicht in die Karten schauen lasse und die Russen im Ungewissen lassen möchte.

Wenn die Regierung Biden die militärische Übernahme in Niger nicht offiziell als Staatsstreich bezeichnet habe, dann deshalb, weil eine solche Bezeichnung keine weitere Sicherheitshilfe für Niger zulasse. Aber die USA haben dort eine 1100 Mann starke Militärpräsenz und, was noch wichtiger ist, eine Drohnenbasis, bekannt als Airbase 201, in der Nähe von Agadez in Zentralnigro, die für mehr als 100 Millionen Dollar gebaut wurde und seit 2018 für Operationen in der Sahelzone genutzt wird.

Ein Zitat von Reuters in der Analyse findet man im Anhang (9) Bhdrakumar dann weiter:

„In diesem bizarren Schattenspiel zwischen Washington und Moskau werden die USA möglicherweise nicht auf eine militärische Intervention der ECOWAS in Niger drängen, damit ihre militärische Präsenz in Niger nicht unhaltbar wird. Natürlich waren die Putschisten in Niamey auch klug genug, bisher keine Forderung nach einem Abzug der amerikanischen Truppen aus Niger zu stellen.“

Vor diesem düsteren Hintergrund sei die Ankündigung des US-Außenministeriums vom Mittwoch, dass die neue amerikanische Botschafterin in Niger, Kathleen FitzGibbon - bisher die Nummer zwei in der Botschaft in Nigeria - im Laufe dieser Woche in Niamey eintreffen wird, keine Überraschung. Es sei ein Signal der Zuversicht Washingtons in Bezug auf das weitere Engagement in dieser Situation. Der stellvertretende Sprecher des Außenministeriums, Vedant Patel, habe jedoch gegenüber Reportern erklärt, es sei nicht geplant, dass die neue Botschafterin den Putschisten ihr Beglaubigungsschreiben vorlege. Ich möchte hinzufügen, dass es interessant sein wird, die Reaktion der neuen zivilen Regierung zu beobachten.

Unterdessen habe der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union, das für die Durchsetzung der Beschlüsse des Blocks zuständige Organ, am Montag in Addis Abeba getagt und einen Vorschlag der ECOWAS für eine Militärintervention in Niger abgelehnt. Mehrere Mitgliedsländer aus dem südlichen und nördlichen Afrika sprachen sich "vehement gegen ein militärisches Eingreifen" aus. Der Analyse Bhdrakumars muss man hinzufügen, dass trotzdem erklärt wurde, dass ECOWAS-Militär stünde bereit, gegen Niger vorzugehen, und man nur auf eine Entscheidung warte, wie France24 berichtete(4).

Zusammengenommen, so der Autor weiter, hätten diese Entwicklungen die ECOWAS in die Defensive gedrängt. Erschwerend komme hinzu, dass die Putschisten inzwischen angekündigt haben, Bazoum wegen "Hochverrats" und Untergrabung der Staatssicherheit vor Gericht zu stellen. Interessanterweise behauptet das Militärregime, "die notwendigen Beweise gesammelt zu haben, um den gestürzten Präsidenten und seine in- und ausländischen Komplizen vor den zuständigen nationalen und internationalen Behörden anzuklagen".

Bazoum werde angeklagt, nachdem er sich nach dem Putsch mit hochrangigen westafrikanischen Politikern und "ihren internationalen Mentoren" ausgetauscht habe. Dabei seien falsche Behauptungen aufgestellt worden mit dem Versuch, einen friedlichen Übergang der Macht zu verhindern, und eine Militärintervention zu rechtfertigen. Wenn dies der einzige Anklagepunkt wird, fällt natürlich meine These der Terroristenunterstützung in der Anklage als Grund weg.

Diese Entwicklungen und die wachsende Opposition in Nigeria, das derzeit den Vorsitz der ECOWAS innehat, so der Autor weiter, hätten den amtierenden Präsidenten Bola Tinubu gezwungen, seine Haltung zu einer Militärintervention zu ändern. Eine einflussreiche nigerianische Delegation, die sich aus hochrangigen islamischen Geistlichen zusammensetzte, sei nach Niger gereist, um Gespräche mit der Junta aufzunehmen, die sich umgehend zu einem Dialog mit der ECOWAS über das weitere Vorgehen in dem Land bereit erklärte. Mit der Zeit verliere die ECOWAS die Initiative, was den Putschisten zugute komme.

Während schlechte Regierungsführung, grassierende Korruption, eskalierende Armut und Unsicherheit die Bedingungen für die Putsche in der Sahelzone geschaffen haben, sei ein tieferer Faktor die Geopolitik des Zugangs zu und der Kontrolle von Ressourcen. Ausländische Mächte konkurrieren um die Erschließung und Kontrolle der reichhaltigen Bodenschätze westafrikanischer Staaten, erklärt Bhadrakumar.

Die zunehmenden Spannungen in Niger und in der gesamten Subregion würden zweifellos durch die geopolitische und wirtschaftliche Rivalität zwischen dem Osten und dem Westen verschärft. Das Schreckgespenst, das Westafrika heimsuche, sei, dass der Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA nach Afrika übergreifen könnte. Hier, wo russische Söldner und westliche Spezialeinheiten bereits für neue Einsätze stationiert sind.

US-ausgebildete Offiziere

Der in Moskau ansässige Analyst Andrew Korybko nimmt sich noch einmal des Themas „US-ausgebildete Offiziere“ an. Er fragt, warum die US-Medien plötzlich über General Moussa Barmou schreiben(5).

Er meint, sie täten dies, weil die USA wahrscheinlich die Möglichkeit ausloten, diesen vertrauten Partner aus der Zeit vor dem Putsch als Brücke zu Niger einzusetzen, in der Hoffnung, dass er seine Vorgesetzten davon überzeugt, einer "Verhandlungslösung" zuzustimmen. Es sei das „lateinamerikanische Modell“, was der Autor später noch einmal erläutert.

Seit der Reise der amtierenden stellvertretenden Außenministerin Victoria Nuland nach Niamey in der vergangenen Woche habe sich die Darstellung der amerikanischen Medien über den Regimewechsel in Niger im letzten Monat deutlich verändert. Davor hätten die meisten Medien aggressiv die angedrohte Invasion der ECOWAS unter nigerianischer Führung unterstützt, mit der die Wiedereinsetzung des gestürzten Führers Mohamed Bazoum erreicht werden sollte. Seit Nuland jedoch erklärt habe, dass die USA "auf eine Verhandlungslösung drängen", habe sich die Aufmerksamkeit auf General Moussa Barmou gerichtet.

Das Wall Street Journal habe den Trend zwei Tage nach ihrem Besuch in einem Artikel begonnen, aber es hätte bis zu einem Beitrag von NBC News(6) am Montag gedauert, dass die breite Öffentlichkeit mit ihm bekannt gemacht wurde. Der Untertitel "Ein in den USA ausgebildeter General, den US-Militärs als engen Verbündeten betrachteten, unterstützte den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten des Landes" sei eine Anspielung auf Barmou. Dann zitiert er:

"US-Militärs glaubten, dass der Chef der nigrischen Spezialeinheiten, General Moussa Salaou Barmou, ihr enger Verbündeter, mit den anderen Militärs zusammenarbeitete, um den Frieden zu wahren. Auf einem Video, das die Anführer des Putsches am ersten Tag zeigt, ist Barmou im hinteren Teil der Gruppe zu sehen, mit gesenktem Kopf und meist verborgenem Gesicht.

Mehr Zitat im Anhang (10). Die ungenannte US-Militärquelle, die erklärt hatte, dass "wir uns Hoffnungen auf ihn machten", habe die Art und Weise verraten, in der die USA beabsichtigte, Niger durch einen Stellvertreter zu kontrollieren. Das Pentagon sei der Meinung gewesen, dass es ausreichen würde, den Chef der Spezialeinheiten des Landes zu kultivieren, um einen Staatsstreich zu verhindern. Aber Barmou habe beschlossen, sich darauf einzulassen, weil er besser als sie wusste, wie populär dieser Putsch wirklich war. Sein "Überlaufen" vom amerikanischen Stellvertreter zum Patrioten habe den Erfolg dieses überraschenden Regimewechsels gesichert.

Der nächste relevante US-Medienbericht sei einen Tag später von Politico veröffentlicht worden, fährt der Artikel fort zu berichten, und handelte davon, wie "die USA jahrelang nigerianische Soldaten ausbildeten. Dann stürzten sie ihre Regierung". Der Bericht baut auf Barmous Biografie auf, die von NBC News vorgestellt wurde, und könne daher als zweiter Schritt einer laufenden Informationskampagne angesehen werden, mit der die Amerikaner mehr über ihn erfahren sollen. Dann zitiert er, was die US-Medienkonsumenten wissen sollen:

"Brigadegeneral Moussa Barmou, der von den Amerikanern ausgebildete Kommandeur der nigrischen Spezialeinheiten, strahlte, als er einen hochrangigen US-General umarmte, der im Juni die 100 Millionen Dollar teure, von Washington finanzierte Drohnenbasis des Landes besuchte. Sechs Wochen später half Barmou, den demokratisch gewählten Präsidenten Nigers zu stürzen. (...)

Generalmajor a.D. J. Marcus Hicks, der von 2017 bis 2019 als Kommandeur der U.S. Special Operations Forces Africa diente, sagt, er sei von Barmou sofort beeindruckt gewesen. Der nigerianische General spricht perfektes Englisch und hat über fast zwei Jahrzehnte hinweg mehrere englische Sprach- und Militärtrainingskurse an Stützpunkten in den Vereinigten Staaten besucht, darunter in Fort Benning, Georgia, und an der National Defense University.

Zwischen Hicks und Barmou entwickelte sich eine Freundschaft. Sie hatten viele lange Gespräche bei einem Abendessen über den Zustrom von Extremisten nach Niger und darüber, wie schwer es für Barmou war, den Verfall seines Landes in den letzten Jahren mit anzusehen, sagte Hicks. ‚Er ist die Art von Mann, die einem Hoffnung für die Zukunft des Landes gibt, und das macht die Sache doppelt enttäuschend‘, so Hicks. Es sei ‚entmutigend und beunruhigend‘ zu erfahren, dass Barmou in den Putsch verwickelt war.“

Mehr aus dem Artikel lesen Sie bitte im Anhang (14)

Der Artikel, so Korybko, diene dazu, ein Maximum an Bewusstsein dafür zu schaffen, wie sehr das Pentagon Barmou vertraute, was ihn in den Augen der Zielgruppe vermenschlicht, die ihn bis dahin wahrscheinlich für einen gierigen Möchtegern-Despoten oder einen pro-russischen, anti-westlichen Ideologen hielt. Wenn sie erfahren, dass er Amerikas engster Verbündeter in Niger war, würden sie eher geneigt sein, Nulands diplomatische Bemühungen zu unterstützen, die Krise durch eine Art Kompromiss zu lösen, statt die Anwendung von Gewalt zu befürworten, die das Risiko eines regionalen Krieges berge.

Dann kommt Korybko auf einen Bericht im Figaro, in dem die Befürchtung geäußert wird, dass die USA den französischen Bemühungen in den Rücken fallen könnten, um ihre eigene Politik durchzusetzen. Details sind im Anhang(7) zu lesen.

Diese Abfolge von Ereignissen, so Korybko deute darauf hin, dass die USA der militärisch geführten Interimsregierung Nigers einen Deal anbieten könnten, wonach sie diese neuen Behörden stillschweigend anerkennen und die ECOWAS anweisen würden, ihre Invasion abzubrechen, wenn die USA im Gegenzug ihre Stützpunkte behalten können und Niger es ablehnt, Russland/Wagner zu „umarmen“. In diesem Szenario könnte der Rückzug der USA von ihren früheren Forderungen, Bazoum wieder einzusetzen, darauf zurückzuführen sein, dass sie Barmous Einschätzung vertrauen, dass der Staatsstreich wirklich den Willen des nigerianischen Volkes kanalisiert hat.

Korybko erklärt dann, was die Artikel in NBC-News und Politico darüber hinaus bedeuten, aber aus Formatgründen im Anhang zu finden ist(8). Dann erklärt er, warum er das Verhalten der USA in Lateinamerika als Präzedenzfall betrachtet.

Die USA würden es vorziehen, dass Frankreich Afrika im Namen des Westens nach dem "Lead From Behind"-Strategiekonzept der "Lastenteilung" im Neuen Kalten Krieg verwaltet, aber wenn sein militärisch-strategischer Rückzug aufgrund der zunehmenden antiimperialistischen Tendenzen unvermeidlich ist, dann sei es besser, wenn Amerika seine Rolle ersetzt als Russland/Wagner. Zu diesem Zweck könnte es schon bald antifranzösische Staatsstreiche durch in den USA ausgebildete Militärs unterstützen, um die populistische Stimmung in eine geostrategisch sichere Richtung zu lenken, die es vermeidet, Raum für seine Rivalen zu schaffen.

Dies ähnele dem, was die USA seit kurzem in Lateinamerika tun, nachdem die Demokraten begonnen haben, linksliberale Bewegungen wie die in Brasilien, Chile und Kolumbien zu unterstützen. Das habe u.a. dazu geführt, dass Lulas politische Partei zum Aushängeschild dieses so genannten "kompatiblen linken" Projekts wurde, um die Kontrolle über regionale Prozesse nicht zu verlieren. Es sei genau dieser Präzedenzfall, der wohl auch die Formulierung von Amerikas neuem "Lockvogel"-Ansatz gegenüber den scheinbar unvermeidlichen soziopolitischen Veränderungen in "Franceafrique" beeinflusst.

Krieg ist beschlossen?

Thomas Röper vom Antispiegel dagegen ist der Meinung(11), dass ein Krieg von ECOWAS gegen Niger bereits beschlossene Sache sei. Er glaubt nicht, dass die USA Friedensengel werden, denn sie hätten am 18. August mitgeteilt, dass sie es eilig haben, neue Partner in der Region zu finden, um ihre Drohnenbasis zu verlegen. Außerdem hätte Großbritannien sein Botschaftspersonal abgezogen. Der Außenminister der gestürzten Regierung sei in Frankreich und hätte Macron die schriftliche Erlaubnis gegeben, Niger zu bombardieren. In der jungen Welt ist Pablo Flock zuversichtlich, und schreibt, dass der Machtwechsel im Niger die Hoffnung auf neu ausgehandelte Bündnisse weckt, und Krieg unwahrscheinlich ist(12).

Wie zu erwarten war, hatte sich auch die Afrikanische Union vehement gegen eine Militärintervention ausgesprochen(13), was einen weiteren Riss in der Einheit afrikanischer Staaten bedeutet. Koloniales teile und herrsche ist noch längst nicht beseitigt. ECOWAS erweist sich als nützliches Werkzeug, insbesondere für Frankreich. Der Weg zur afrikanischen Einheit ist noch lang und mit Rückschlägen gepflastert. Hoffen wir, dass er nicht wie in Europa, erst nach zwei großen Kriegen Fahrt aufnimmt.

Fazit

Derweil sollen sich innerhalb von 2 Stunden nach dem Aufruf einer privaten Organisation über 50.000 Männer bereit erklärt haben, einen „Volkssturm“ gegen den erwarteten Angriff von ECOWAS zu bilden. Die Organisatoren haben nach eigenen Angaben die Anmeldemöglichkeit geschlossen, da sie nicht in der Lage waren, die vielen Anfragen zu bearbeiten. Diese Aussagen stimmen mit den berichteten Meinungen im Land überein. Die ersten Wagner-Söldner sollen im Land gesichtet worden sein, und Terroristen plötzlich wieder Aktivitäten entwickelt haben, während Mali und Burkina Faso am 19. August Militärflugzeuge in Niger stationierten. Und natürlich darf Wagner-Chef Prigoschin nicht fehlen, der wieder einen seiner rätselhaften Videos veröffentlichte, scheinbar aus einem afrikanischem Land sendend. Er wolle dabei helfen, meint er, Afrika freier zu machen(10).

Quellen und Informationen:

Der Autor twittert zu tagesaktuellen Themen unter https://twitter.com/jochen_mitschka

(1) https://staging.apolut.net/afrikas-entkolonialisierung-beginnt-von-jochen-mitschka/

(2) https://jomenschenfreund.blogspot.com/2015/11/bundeswehr-in-mali-resultat-des-nato.html

(3) https://www.indianpunchline.com/frances-colonial-legacy-us-security-concerns-intersect-in-niger-russians-at-the-gates-look-for-new-hunting-grounds/

(4) https://www.youtube.com/watch?v=ZHaY_0ER_t4

(5) https://korybko.substack.com/p/whys-us-media-talking-about-nigerien

(6) "Blindsided: Hours before the coup in Niger, U.S. diplomats said the country was stable" (Stunden vor dem Putsch in Niger sagten US-Diplomaten, das Land sei stabil)

(7) „Die Artikel von NBC News und Politico über Barmou wurden eine Woche nach Nulands Rückkehr aus dem Niger veröffentlicht, so dass die ständigen politischen Instanzen der USA genügend Zeit hatten, über ihren nächsten Schritt zu entscheiden. Während dieser Zeit erklärte eine ungenannte diplomatische Quelle gegenüber Le Figaro in einem Artikel, der am Sonntag, einen Tag vor dem Artikel von NBC News, veröffentlicht wurde, dass sie befürchteten, die USA könnten Frankreich hintergehen. Demnach könnten die USA die vom Militär geführte Übergangsregierung stillschweigend anerkennen, wenn sie ihre Stützpunkte behalten dürfen.

Am darauffolgenden Montag, zeitgleich mit der Veröffentlichung des Berichts von NBC News über Barmou, der in dieser Analyse als erster Schritt einer laufenden Informationskampagne gedacht war, die die Amerikaner besser über ihn informieren sollte, wehrten sich die USA öffentlich gegen das Szenario einer ECOWAS-Invasion. Der stellvertretende Hauptsprecher des Außenministeriums, Vedant Patel, erklärte, dass ‚eine militärische Intervention das letzte Mittel sein sollte‘, und bestätigte damit den Bericht von Le Figaro, dessen diplomatische Quelle die neue Haltung der USA richtig vorausgesehen hatte.“

(8) „Wenn Niger nach dem Putsch erfolgreich von Frankreichs ‚Einflusssphäre‘ in Afrika (‚Francafrique‘) in die Amerikas (‚Amerafrique‘) übergeht, könnten die USA das Modell, das sie nach der jüngsten überraschenden Wendung der Ereignisse opportunistisch improvisiert haben, als Waffe einsetzen, um es in andere ehemalige französische Kolonien zu exportieren. In den Ländern, in denen die antifranzösische Stimmung an der Basis zunimmt, könnte es auch zu Staatsstreichen durch ehemalige, von den USA ausgebildete Militärs kommen, die dann ähnliche Abkommen wie das oben genannte aushandeln würden.

Die USA könnten anbieten, die skandalöse Sicherheitsrolle Frankreichs in diesen Ländern zu ersetzen und eine ECOWAS-Invasion zu verhindern, wenn die neuen militärisch geführten Interimsregierungen den USA im Gegenzug einen Anteil an dem zuvor von Frankreich dominierten Markt anbieten und sich weigern, sich Russland/Wagner anzuschließen. Auf diese Weise könnten die USA revolutionäre Tendenzen in der Region steuern und sogar von ihnen profitieren, wenn sie das Modell, mit dem sie derzeit in Niger experimentieren, über die von Barmou geplante Brückenfunktion wiederholen. Die Artikel von NBC News und Politico enthielten auch Informationen über die Bedeutung Nigers für die Afrikastrategie der USA, was die Öffentlichkeit zu der Annahme veranlasst, dass sich das Weiße Haus auf die Ausnahmeregelung für die nationale Sicherheit berufen könnte, um die Militärhilfe für diesen Staat nach dem Staatsstreich nicht gemäß seiner innerstaatlichen rechtlichen Verpflichtung einzustellen. In diesem Fall würden die USA nahtlos an die Stelle der traditionellen Sicherheitsrolle Frankreichs treten und gleichzeitig das Entstehen einer Lücke verhindern, die andernfalls von Russland/Wagner hätte gefüllt werden können.“

(9) "Einer der US-Beamten sagte, wenn Wagner-Kämpfer in Niger auftauchen, würde das nicht automatisch bedeuten, dass die US-Streitkräfte abziehen müssten. Der Beamte sagte, dass ein Szenario, bei dem sich einige Dutzend Wagner-Kämpfer in Nigers Hauptstadt Niamey niederlassen, die militärische Präsenz der USA wahrscheinlich nicht beeinträchtigen würde, aber wenn sich Tausende von Wagner-Kämpfern über das ganze Land verteilen, auch in der Nähe von Agadez, könnten Probleme aufgrund von Sicherheitsbedenken für das US-Personal entstehen... Unabhängig davon werden die USA eine hohe Messlatte für jede Entscheidung, das Land zu verlassen, anlegen".

(10) „Weniger als zwei Wochen später traf Barmou mit einer US-Delegation in Niamey zusammen, die von der stellvertretenden Außenministerin Victoria Nuland geleitet wurde, und brachte seine Unterstützung für den Putsch zum Ausdruck: Sollte eine fremde militärische Macht versuchen, in Niger einzugreifen, würden die Putschisten Präsident Bazoum töten. ‚Das war niederschmetternd‘, sagte ein US-Militärbeamter, der in den letzten Jahren mit Barmou zusammengearbeitet hat. Wir hatten große Hoffnung in ihn gesetzt.

Barmou hatte nicht nur jahrelang mit führenden US-Militärs zusammengearbeitet, sondern wurde auch vom US-Militär ausgebildet und besuchte die renommierte National Defense University in Washington, D.C. Letzte Woche weigerte sich Barmou, Bazoum freizulassen, indem er ihn als illegitim bezeichnete und darauf beharrte, dass die Putschisten die Unterstützung des nigrischen Volkes hätten. Nuland sagte später, die Gespräche seien 'ziemlich schwierig' gewesen."

(11) https://www.anti-spiegel.ru/2023/die-ecowas-hat-den-krieg-gegen-niger-beschlossen/

(12) https://www.jungewelt.de/artikel/457270.html

(13) https://www.france24.com/en/africa/20230816-%F0%9F%94%B4-live-african-union-and-ecowas-at-odds-over-intervention-in-niger-on-eve-of-summit

(14) „Während seine Nachbarn in den letzten zwei Jahren durch Militärputsche wie Dominosteine fielen, blieb Niger - und Barmou selbst - die letzte Bastion der Hoffnung für die militärische Partnerschaft der USA in der Region. Er ‚war ein guter Partner, ein vertrauenswürdiger Partner‘, sagte ein US-Beamter, der mit den militärischen Beziehungen zwischen den USA und Niger vertraut ist. Aber die lokale Dynamik, die lokale Politik, übertrumpft einfach alles, was die internationale Gemeinschaft will oder nicht.

Es ist unklar, ob Barmou ursprünglich an der Planung des Staatsstreichs beteiligt war, der vermutlich von General Abdourahamane Tchiani, dem Chef von Bazoums Präsidialgarde, angezettelt wurde. Berichten zufolge nahmen Tchiani und seine Männer den Präsidenten gefangen, weil Tchiani glaubte, dass er aus seinem Amt gedrängt werden würde. Doch kurz darauf unterstützten nigrische Militärs, darunter auch Barmou, den Putsch.“

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle:  Millenius / shutterstock


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