Eine Rezension von Eugen Zentner.
"Die unterschätzte Macht" – Der Titel von Wolfgang Effenbergers neuem Buch klingt so geheimnisvoll wie vielversprechend. Dabei stellt sich sofort die Frage, wer sich hinter diesem bedeutungsvollen Singular verbirgt – der Macht. Handelt es sich um eine homogene Gruppe oder einem Geflecht aus verschiedenen heterogenen Akteuren? Und warum wird sie unterschätzt, diese ominöse Macht, die sich weder begrifflich noch personell greifen lässt? Wer die folgenden knapp 400 Seiten liest, stellt recht schnell fest, dass die Antwort auf diese Fragen nur schwer zu beantworten ist. Das Gefüge der Macht ist hochgradig komplex, kaum überschaubar nur im Ansatz sichtbar, weshalb Effenberger kleinteilig vorgeht und schlaglichtartig unterschiedliche Akteure beleuchtet, die den größten Einfluss auf das Weltgeschehen ausüben. Wollte man sie auf einen Nenner bringen, so ist es das Big Money.
Effenberger, als Publizist seit Jahren auf Geopolitik spezialisiert, zeigt in einer chronologischen Zeitfolge, wie sich das große Geld in Politik, Militär, Wissenschaft und Medien eingekauft hat, um die Welt in seinem Sinne umzubauen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Vereinigten Staaten von Amerika, wo viele Fäden der Macht zusammenlaufen. Das Land des Geldes konnte seine übergeordnete Position jedoch erst im frühen 20. Jahrhundert erlangen. Die Weichen dafür wurden in der Zeit der Aufklärung gelegt, weshalb der Autor sein Buch dort beginnen lässt. Mit der Ablösung alter Autoritäten und dem Zusammenbruch der Ständeordnung beginnt die Zeit der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Das sind zugleich die fünf Grundideale der Freimaurerei, die zu diesem Zeitpunkt an Aufwind gewinnt.
Obwohl Effenberger diesen sagenumwobenen Geheimbund zu Beginn aufgreift, verwendet er wenig Raum dafür, ihn und dessen Tätigkeiten genau zu beschreiben. Stattdessen konzentriert er sich darauf, zu veranschaulichen, inwiefern in der Aufklärung Strukturen für Big Money geschaffen wurden. Von nun an sei ein innovatives Moment in die Arbeit und das wirtschaftliche Denken geflossen, schreibt er: „Der unendliche Vorrat der Zukunft konnte angezapft und damit Wachstum und Wohlstand für alle gesichert werden. Übersehen wurde dabei, dass in einer kapitalistisch orientierten Gesellschaft ein ungehindertes Konkurrenzdenken jenseits der alten Ständeordnung zu neuen Machtkonzentrationen führt.“
Nach diesem Einstiegskapitel schweift der Blick von Europa in die USA, wo sich in dem nächsten Jahrhundert ein Geldadel herausbildet. Treibender Motor sei nach Effenberger der Sezessionskrieg gewesen, der mit einem Triumpf des mobilen über das immobile Kapital geendet habe. Und das wiederum, so der Autor, „hat uns den Finanzkapitalismus beschert, dem das Schicksal der Menschen wie des Planeten herzlich egal ist, ja der sogar von Krieg und Zerstörung profiliert“. Fortan liest sich das Buch wie ein Thriller, mit einem gewaltigen Ensemble aus unterschiedlichen Akteuren, die miteinander kooperieren, in geschichtliche Großereignisse eingreifen und sich in bestimmten Zirkeln treffen, um handfeste Politik zu machen.
Unter dem Geldadel der ersten Stunde befinden sich so Namen wie du Pont, Morgan, Rockefeller, Carnegie, Astor, Aldrich oder Vanderbelt, allesamt Familien, die in verschiedenen Wirtschaftszweigen zu enormem Reichtum gekommen sind. Sie alle seien miteinander verflochten gewesen, genauso wie ihre Gegenstücke in Europa: die Rothschilds, Warburgs und Schiffs. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts soll der Geldadel sein angehäuftes Vermögen zunehmend dafür benutzt haben, auch politisch Einfluss auszuüben, mit dem Ziel, „die USA in den Rang einer unipolaren Weltmacht zu bringen.“
Die wohl spannendsten Passagen beginnen dort, wo Effenberger die Ereignisse rund um den Ersten Weltkrieg beschreibt. In diesem Zusammenhang enthüllt er unter anderem den Zweck der FED, des US-amerikanischen Zentralbanksystems, dessen Gründung der Geldadel für die ökonomische Kriegsführung benutzt habe. Mit einer ausgeklügelten Strategie seien Länder über Schulden abhängig gemacht worden, um sie beherrschen zu können. Eine Dynastie soll dabei eine besonders große Rolle gespielt haben: „Im ersten Weltkrieg räumte J.P. Morgan Jr. der Bank von England weitgehende Kreditlinien ein, die London ermöglichten, den Krieg gegen Deutschland zu finanzieren. Er gilt daher als Hauptgeldgeber der Entente.“ Effenberger spricht in diesem Zusammenhang von einer Symbiose aus Finanz- und Rüstungskonzernen.
Um seine Behauptungen zu belegen, zitiert der Autor aus älteren Dokumenten und Schriften. Er verwendet Grafikgen, Fotocollagen und Karikaturen aus dem 19. Jahrhunderten, die in humoristischer Form die Verquickung von Politik und Kapital anprangern. Diese Zeitdokumente verdeutlichen, dass der Einfluss des neuen Geldadels damals zum allgemeinen Wissensbestand gehörte, während er heute als „Verschwörungstheorie“ heruntergespielt wird. Weil die Spuren heute verwischt zu sein scheinen, muss Effenberger wie ein Archäologe arbeiten, der an verschiedenen Stellen tief gräbt, um die Rudimente der Wahrheit auszugraben.
Was er aus der verschütteten Geschichte zu Tage fördert, sind zunächst Versatzstücke, kleine Puzzleteile eines Machtzusammenhangs, die die Leser selber zu einem Ganzen zusammensetzen müssen. Und obwohl das nicht wirklich gelingt, so lässt sich anhand Effenbergers Erläuterungen erahnen, wie Big Money im Hintergrund die Geschicke lenkt, selbst dort, wo man es gar nicht erwartet. Beispielsweise sollen US-Oligarchen selbst bei Stalins Zwangskollektivierung des bäuerlichen Mittelstandes mitgewirkt haben. Dessen „industrielle Ziele erhielten in einem gewaltigen Fünf-Jahres-Plan Gesetzeskraft. Amerikanische Banken hatten das Feld vorbereitet, nun konnten sich auch US-Firmen an Stalins Aufbauwerk beteiligen. Eine ganze Expertenschar strömte aus den Vereinigten Staaten herbei, um Stalin beim Aufbau behilflich zu sein: Spezialisten für Industrie- und Montagehallen, für Traktoren und Autos und für den Telefon- und Bergbau.“
Nicht weniger überraschend muten die Verstrickungen der Bushs mit dem NS-Regime an, obwohl die Familie, aus der zwei US-Präsidenten hervorgingen, für ihre Winkelzüge bekannt ist. So soll Georges Vater Prescott, wie Effenberger unter Verweis auf die 2013 freigegebenen Akten aus den US-Nationalarchiven zeigt, eng mit deutschen Unternehmen zusammengearbeitet haben, die Hitlers Aufstieg unterstützten – „zu einem Zeitpunkt, als es bereits bedeutende Informationen über die Pläne der Nationalsozialsten gab“. Im Zusammenhang mit der Bush-Familie wird im Buch ein illustrer Zirkel vorgestellt, in dem sich seit Jahrhunderten die Macht konzentriert: Die Studentenverbindung Skull & Bones an der Yale University. Ihre Mitglieder sollen in fast allen sozialen Bereichen Schlüsselpositionen besetzen, ob in Politik und Verwaltung, Geheimdienst, Wirtschaft oder Justiz.
Das Netz mit derartigen Knotenpunkten der Macht scheint riesig zu sein. Wer Effenbergers Buch liest, stößt auf Institutionen wie den Knickerbocker Club, den Union Club, die Bilderberger, die Trilaterale Kommission und nicht zuletzt den Council on Foreign Relations, der „Personifikation des US-Imperialismus“, wie der Autor schreibt. Von diesen Machtzentren werden schließlich die Linien zu den geschichtlichen Großereignissen gezogen, von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, von dem Kalten Krieg bis zum Ukraine-Konflikt, von 9/11 bis zu den Unruhen im Nahen Osten, von der Corona-Politik bis zur Agenda 2030. Mit der Zeit tauchen schließlich auch die neuen „Plutokraten“ auf, Personen wie George Soros, Bill Gates oder Elon Musk, die heute nicht weniger Macht ausüben als der Geldadel im 19. Jahrhundert.
Effenbergers Buch gleicht einem Parforceritt durch ein vermintes Gelände, das Politik und Leitmedien hermetisch abriegeln. Die Ausführungen lassen einen immensen Rechercheaufwand erkennen und enthalten so viele Informationen, dass man viele Passagen vermutlich mehrmals lesen muss, um alle Punkte zu verbinden und die Erkenntnisse vollends zu verdauen. Mit diesem Werk leistet der Autor eine wichtige Aufklärungsarbeit, die notwendig ist, um wahrhaft demokratische Verhältnisse herzustellen; um zurück zu den Werten zu finden, die die Freimaurerei einst auf ihre Fahnen geschrieben, von denen sie sich aber genau so weit entfernt hat wie die Supermacht USA. Von den Grundpfeilern „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität“, schreibt Effenberger, seien heute in den Vereinigten Staaten nur noch Fragmente zu erkennen – obwohl sie das Erbe der Amerikanischen Revolution darstellten: „Die Ideale werden zwar in fast jeder Staats- und Nichtregierungsorganisation als Leitlinien angeführt, dienen meist aber nur als Vorwand für imperialistische Zwecke.“
+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: bragimova / Shutterstock
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