Scharfsinnige Analyse von Herrschaftstechniken Eine Rezension von Eugen Zentner.
Die öffentliche Meinung wird manipuliert – nicht nur seit der Corona-Politik und dem Ukraine-Krieg, sondern schon sehr, sehr lange. Dabei kommen unterschiedliche Techniken zum Einsatz, die der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld und die Publizistin Daniela Dahn unter dem schillernden Begriff «Tamtam und Tabu» zusammenfassen. Er beschreibt ein Wirkprinzip, nach dem die Leitmedien arbeiten, wenn sie die Meinung in eine bestimmte Richtung lenken wollen. «Tamtam» steht dabei für die permanente Ablenkung mithilfe von immer neuen Sensationsmeldungen, während «Tabu» die Strategie bezeichnet, ganz bestimmte Informationen zu verschweigen. Es handelt sich somit um ein „Arsenal hochentwickelter Techniken des Meinungs- und Affektmanagements, der Indoktrination und Ablenkung, der Angsterzeugung und der Ächtung emanzipatorischer Alternativen“. So steht es in Mausfelds und Dahns gemeinsamem Buch, das 2020 erstmals erschienen ist und nun in aktualisierter und erweiterter Fassung neu aufgelegt wurde.
«Tamtam und Tabu» kommt als ein Werk mit unterschiedlichen Textsorten daher. Den Kern bildet Daniela Dahns Analyse der medialen Berichterstattung der Wendezeit, in der sie ganz nah an die damaligen Vorgänge herangeht und zeigt, wie der öffentliche Debattenraum um 1989/90 herum verzerrt wurde. Das «Tamtam», arbeitet sie auf scharfsinnige wie eloquente Weise heraus, bezog sich auf die angeblichen Skandale von SED-Größen, die davon ablenken sollten, worum es im Hintergrund wirklich ging: die Umwälzung der Eigentumsordnung. An den Schalthebeln der BRD arbeitete man nach dem Mauerfall mit Hochdruck daran, das Volkseigentum an die zu liefern, die es nach 1945 verloren hatten. In der medialen Berichterstattung war das jedoch tabu, genauso wie das Wissen um den wirtschaftlichen Zusammenbruch, der mit der schnellen Wiedervereinigung und der Einführung der D-Mark in Verbindung stand.
Noch 1989 sollen knapp drei Viertel gewünscht haben, „dass DDR ein selbständiger souveräner Staat bleibt“, schreibt Dahn. Für den Großteil sei ein reformierter Sozialismus eine bessere Lösung gewesen als ein kapitalistischer Weg. Diese Stimmung ließen die Leitmedien unter Rückgriff auf «Tamtam und Tabu» in atemberaubend kurzer Zeit kippen. Diese Meinungsmanipulation entlarvt Dahn, indem sie die damaligen Dokumente seziert und wie eine Archäologin die Mittel von Halb- und Desinformation, von richtigen und falschen Versprechen sowie von Angstkampagnen und Zermürbungsstrategien zutage fördert. Am Ende des Buches finden Leser einige Faksimiles bedeutsamer Zeitungsartikel jener Jahre, in denen sie die Aussagen der Publizistin abgleichen können.
Während Dahn in ihrem Beitrag eine Quellenanalyse betreibt, nähert sich Mausfeld dem Gegenstand aus einer abstrakten Perspektive. Er konzentriert sich dabei vor allem auf die illusionserzeugende Kraft westlicher Ideologien, deren Kern darin bestehe, die kapitalistische Demokratie als Paradies darzustellen. Doch die berge bereits in ihrer Konstellation einen Makel, so Mausfeld. Kapitalismus und Demokratie seien fundamental miteinander unverträglich, weil sie auf geradezu entgegengesetzten Funktionsprinzipien basierten. Die Demokratie beruhe auf dem Gleichheitsprinzip bei der Vergesellschaftung von Macht; der Kapitalismus hingegen auf der Ungleichheit des Eigentums an Produktionsmitteln. Insofern sei dieser eine autoritäre Herrschaftsform, die wie keine andere über ausgefeilte Mittel verfüge, Menschen zu einer freiwilligen Knechtschaft zu verführen. Dazu gehörten Mittel zur Spaltung der Gesellschaft und zur Zersetzung von Dissens.
„Ohne eine massive Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch eine geeignete Form der Indoktrination“, schreibt Mausfeld, „würde in einer kapitalistischen Demokratie rasch offenkundig, dass es sich in Wahrheit gar nicht um eine Demokratie handelt“. Als Kognitionsforscher habe er sich mit den Methoden dieser Herrschaftsform beschäftigt und festgestellt, dass seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts „mit hohem finanziellem Aufwand und unter massiver Beteiligung der Sozialwissenschaften und auch der Psychologie ein breites Arsenal von Techniken der Meinungs- und Affektmanipulation“ entwickelt werde. Mit ihnen sei es gelungen, die Bedeutung des Wortes Demokratie in ihr Gegenteil zu verkehren, „sodass sie nicht mehr Volksherrschaft, sondern Elitenherrschaft bedeutet“.
Neben diesen Beiträgen enthält das Buch mehrere Gespräche der beiden Autoren, in den sie gemeinsam über verschiedene Themen diskutieren. Noch aus der ersten Ausgabe stammt die Auseinandersetzung mit ihren Aussagen in den vorhergehenden Texten. Dahn und Mausfeld sprechen über Medien, Indoktrination und Demokratiemanagement, betrachten aber auch die Rolle der Wissenschaft, die sich zwischen theoretischer Neugierde und Herrschaftsmittel bewegt. Es handelt sich um interessante Anmerkungen und Präzisierungen, zumal sie sich in einem Gespräch jüngeren Datums unter der Perspektive von «Tamtam und Tabu» unter anderem auf die Corona-Krise beziehen. Daniela Dahn stellt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Meinungsmanipulation fest, die für sie in groben Nachlässigkeiten, Widersprüchen und Unterlassungen in der Argumentation erkennbar werden.
Rainer Mausfeld macht hingegen darauf aufmerksam, dass sich die Corona-Krise aus der Sicht der Mächtigen als ein einzigartiges globales Feldexperiment betrachten lässt. Sie biete sagenhafte Chancen, „repressive Methoden weiterzuentwickeln und zu erproben, durch die sich endlich die Risiken einer demokratischen Bedrohung beseitigen lassen. Die Methoden digitaler Überwachung, einschließlich der Bemühungen um eine Abschaffung des Bargeldes, und die Methoden der Repression werden also einen gewaltigen Entwicklungsschub erfahren“, so seine Vermutung. Die beiden Autoren sind nicht immer einer Meinung. Das zeigt sich besonders in einem Gespräch über den Ukraine-Krieg, um das die aktuelle Taschenbuchausgabe ebenfalls ergänzt wurde.
Daniela Dahn betrachtet Russlands Angriff als Fehler. Sie verstehe zwar, dass Moskau jahrelang provoziert worden sei und auf die eigenen Vorschläge keine Antworten bekommen hätte, betrachte den Krieg aber keineswegs als alternativlos. Ihrer Meinung nach hätte Russland nach weiteren Lösungsmöglichkeiten suchen müssen. Rainer Mausfeld hält dagegen und zeigt sich skeptisch: Es gebe wenig Grund zu der Annahme, „dass die Zahl der menschlichen Opfer und das Ausmaß an Zerstörungen geringer ausgefallen wären, wenn Russland auf militärische Provokationen nur reaktiv gehandelt hätte“. Beide stimmen jedoch darin überein, welche Rolle die USA in dem Konflikt spielen. Der Krieg sei von ihnen seit Langem systematisch vorbereitet worden. Der Angriff Russlands habe schließlich den innigen Wunsch der politischen Elite und des militärisch-industriellen Komplexes der USA erfüllt.
Dieses Gespräch bildet in dem Buch insofern einen Höhepunkt, als es den Ukraine-Krieg ebenfalls auf das Prinzip des «Tamtam und Tabu» untersucht. Dahn und Mausfeld liefern pikante Informationen, die nicht zum Allgemeinwissen gehören dürften, eben weil sie in den Leitmedien verschwiegen werden. Dazu gehören beispielsweise die 2018 öffentlich gewordenen Regierungsdokumente, die – wie der Kognitionsforscher ausführt – belegen, „dass die Pläne für eine massive Ostausdehnung der NATO bereits 1993 im Detail formuliert waren und es letztlich darum ging, dass sich Russland dem us-dominierten (sic) liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystem unterzuordnen habe. Während Mausfeld hier das Tabu beleuchtet, veranschaulicht Dahn das Tamtam: „Den Medien gelang es, innerhalb weniger Wochen, die Stimmung der Bevölkerung dadurch zu lenken, dass sie die Geschichte der Ukraine vollständig umgeschrieben haben. Sie haben alle Fakten, die ihnen nicht in das gewünschte Narrativ passten, in kürzester Zeit verschwinden lassen und für die Öffentlichkeit nahezu unsichtbar gemacht“.
Dieses Gespräch ist voll von brisanten Details und geht sowohl auf die institutionelle Korruption als auch auf den Einfluss der Biden-Administration in der Ukraine ein. Es zeigt aber auch, wie die Leitmedien „ultrarechte Netzwerke in demokratiebegeisterte Freiheitskämpfer“ verwandelt hätten. Beide Autoren schlagen Alarm. Die EU habe in der Bewältigung der Ukraine-Krise in einem historischen Ausmaß versagt, sagt Rainer Mausfeld. „Sie hat die Krisenregie vollständig an die USA abgetreten und die europäische Stabilität und Friedensordnung sowie den Wohlstand ihrer Bürger den imperialen geopolitischen Zielen der USA untergeordnet.“ In der Folge sei mit wachsenden politischen Instabilitäten zu rechnen. „Gesellschaftliche Verwerfungen werden zunehmen und die soziale Kluft wird sich massiv vergrößern.“ Daniela Dahn sieht das ähnlich: „Wir werden keine Sieger sehen, nur Besiegte. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Besiegte.“
+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: YouTube Westend Verlag
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