Eine Rezension von Eugen Zentner.
In dem derzeitigen Ukraine-Krieg setzt sich keine deutsche Partei so vehement für Waffenlieferungen ein wie die Grünen. Dabei liegen ihre Ursprünge in der Friedensbewegung. Seitdem ist die Farbe der Partei Stück für Stück in Olivgrün übergegangen, in einem langjährigen Prozess voller interner Querelen und Winkelzüge. „Heute sind die Grünen eine Partei, die im Interesse des Kapitals bereit ist, in den Krieg zu ziehen“, schreibt der Publizist Matthias Rude in seinem neuen Buch, das diese Entwicklung im Schnelldurchlauf nachzeichnet und dabei einige Schlaglichter auf die entscheidenden Ereignisse wirft.
«Die Grünen. Von der Protestpartei zum Kriegsakteur», so der Titel, ist eine der ersten beiden Erscheinungen des Hintergrund-Verlags, der zu Beginn des Jahres die neue Buchreihe «Wissen Kompakt» gestartet hat. Wer in Rudes schmales Werk eintaucht, findet genau das vor: kompaktes Wissen. Alle wichtigen Informationen werden komprimiert zusammengefasst und verständlich dargestellt. Auf knapp 80 Seiten liefert der Autor einen geschichtlichen Abriss über die Wandlung der Grünen, die sich nach der Lektüre besser nachvollziehen lässt. Der „lange Marsch durch die Institutionen“ hat seinen Preis und geht damit einher, dass Grundpositionen für Karriere und Macht eingetauscht werden.
Diesem Prinzip konnten sich auch die Grünen nicht entziehen, wie Rude zeigt, indem er zunächst daran erinnert, dass die Bundespartei aus lokalen Wahlbündnissen hervorgegangen ist, aus grünen, bunten und alternativen Listen, „die ab 1977 entstanden“. Die Anfangskapitel werfen die Leser in eine Zeit der Proteste zurück, von der sich einige Parallelen zur Gegenwart ziehen lassen. Sie erfahren zum Beispiel, dass sich die Grünen in der Gründungszeit als eine Bewegungspartei verstanden, als „parlamentarisches Spielbein der außerparlamentarischen Bewegungen, welche das Standbein sein sollten“. Anfangs hätten auch Konservative eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Selbst „einzelne, vor allem ältere Rechtsradikale fanden sich in den Reihen“, „zogen sich allerdings bald zurück oder verließen mit dem konservativen Flügel die Partei“. Danach habe die linke Tendenz dominiert.
Der Grundsatz des Pazifismus sei jedoch von Anfang an prägend gewesen, so Rude. Er verweist darauf, dass die Entstehung der Partei mit dem Höhepunkt der Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss zusammenfiel, „in einer Zeit, in der die Friedensbewegung Massen mobilisierte“. In dem ersten Bundestagsprogramm habe die Gewaltfreiheit eine der vier Säulen gebildet. Doch sie bekam im weiteren Verlauf immer mehr Risse, wie der Autor anhand prägender Ereignisse genauso veranschaulicht wie an Aussagen bestimmter Parteiakteure. Am profiliertesten tritt Joschka Fischer auf. Ein Kapitel ist nur ihm gewidmet und skizziert seinen Werdegang vom Straßenrebellen zum gewieften Machtpolitiker. Seine Wandlung ist Beispielhaft für die ganze Partei. Mit den Jahren, das macht die Lektüre überaus deutlich, verabschiedete sie sich von ihrer „System-Kritik“ und Ablehnung gegenüber der NATO, ohne jedoch ihr Image der linksalternativen Friedenspartei abzulegen – bis heute.
Den Übergang von einer „Antiparteien-Partei“ zu einer Reformpartei vermittelt Rude vor allem anhand des innerparteilichen Machtkampfs zwischen den sogenannten Fundis und Realos oder der Auseinandersetzung mit dem späteren Koalitionspartner SPD, der die Grünen 1995 praktisch dazu nötigte, für den NATO-Angriffskrieg in Jugoslawien zu stimmen. Ein gewaltiger Einschnitt in der Parteigeschichte: „Es war das erste Mal, dass Grüne für die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz votierten“. Aufgrund der Bedeutung dieses Ereignisses, verweilt der Autor an dieser Stelle ein wenig länger, um deren Dimension mit diversen Kontextinformationen zu unterstreichen. Zu ihr gehört auch der damalige Protest der Basis gegenüber der Führungsriege. Heute sieht die Situation ganz anders aus: Die Grünen können unverhohlen den Krieg antreiben, ohne dass ihnen von unten Gegenwind entgegenbläst.
Die Abkehr vom Pazifismus sei davor längst vollzogen gewesen, so Rude, der für die Beschreibung dieses Prozesses unter anderem die Verankerung der Partei in transatlantischen Institutionen heranzieht. Eine wichtige Rolle spielen dabei Vertreter der zweiten Generationen, Funktionäre wie Cem Ödzemir. Auch er steht Pate für die Wandlung der Grünen, die einst basisdemokratische Instrumente einführte, um die Herausbildung eines Berufspolitikertums zu verhindern. Im Laufe der Jahre, so Rude, seien sie genauso ausgehöhlt und abgeschafft wie andere Grundprinzipien: „Die Grünen“, fasst er zusammen, „gründeten sich als parlamentarischer Arm der Friedens- und Umweltbewegung und übten – zum Teil auch radikale – Kritik an Kapitalismus, Ausbeutung, Krieg und Militarismus. Erste Wahlerfolge lockten Karrieristen an, die den Anspruch, eine Antiparteien-Partei zu sein, die keine Koalitionen eingeht, zunehmend hintertrieben.
Um regierungsfähig zu werden, habe die ablehnende Haltung gegenüber der NATO fallen müssen. „Was Russland und die Ukraine angeht, so war schon lange klar, wohin die Reise gehen würde, wenn die Grünen mit an Bord sind. Der Regime Change in der Ukraine mit dem Ziel der Installation einer pro-westlichen Regierung und der militärischen Westintegration des Landes wurde von US-amerikanischen und europäischen Interessengruppen über Jahre hinweg vorbereitet, finanziert und protegiert. Vorne mit dabei: Die Grünen und ihre Parteistiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS).“ Was die Partei so gefährlich mache, erläutert der Autor so: „Mit einer linksalternativen Aura lässt sich eine Politik, die sich an den Interessen des Kapitals und der Industrie orientiert, leichter durchsetzen.“
Obwohl in solchen Passagen klare Kritik durchschimmert, verfällt Rude zu keinem Zeitpunkt in Polemik. Sein Durchlauf durch die Parteigeschichte erfolgt in einer nüchternen wie objektiven Sprache, die ohne Schnörkel auskommt. Das Buch liest sich fast schon wie eine politikwissenschaftliche Arbeit mit vielen Zitaten, Fußnoten und Angaben von Quellen, zu denen unter anderem Wahlprogramme und Zeitdokumente gehören. Es ist so geschrieben, dass selbst Laien den Überblick behalten. Am Spannendsten erweist sich die Lektüre an Stellen, die durchblicken lassen, mit welchen Bandagen in der Politik gespielt wird. Das öffnet zwar die Augen, wirkt aber auch desillusionierend. Eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse ist selbst von neuen Parteien kaum zu erwarten. „Die Grünen“, schreibt Rude treffend, „sind ein Paradebeispiel für das Scheitern des Versuchs, das System über den parlamentarischen Weg grundlegend zu ändern; dafür, dass der ‚Marsch durch die Institutionen‘ eben genau dort endet – in den Institutionen.“
Das Buch ist hier erhältlich: https://www.buchkomplizen.de/buecher/politik/innenpolitik/die-gruenen.html +++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: penofoto / Shutterstock
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