Krieg in unserer Zeit
Ein Kommentar von Willy Wimmer.
Es ist in dem Zensur-Wahn der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten ein Wunder, dass die internationalen Nachrichtenkanäle noch funktionieren, Wer entsprechend eingerichtet ist, kann sich von Al Jazeera über BBC bis hin zu France 24 und CNN noch ein Bild vom Kriegsgeschehen in der Ukraine machen. Auch, wenn seit Kriegsbeginn mehr als einhundert Tage vergangen sind, ist eines deshalb im Gedächtnis fest verwurzelt. Der Aufschrei der Welt und in der Ukraine selbst nach Einstellung der Kampfhandlungen ist jedenfalls bei denen ausgeblieben, die zweifellos ein gewichtiges Wort bei einer Durchsetzung dieser Forderung der Humanität haben würden. Stattdessen sind die Äußerungen mit dem Inhalt, die Dinge auskämpfen zu wollen, ohne Rücksicht auf die betroffenen Menschen, inzwischen sprichwörtlich "Legion".
Man sollte für diese Beurteilung das Gesamtbild heranziehen können. Das ist bei allen ehernen Verfassungsgrundsätzen wegen des Rechtes, sich in allgemein zugänglichen Nachrichtenquellen informieren zu können, in Deutschland und allgemein im Westen nicht mehr möglich. Nicht nur wegen des medialen Einheitsbreis, sondern auch deshalb, weil bei "Feind-Nachrichten" der Zensurknüppel frühzeitig und gut abgesprochen geschwungen werden konnte. Man erfährt das über Moskau, was die Zensurmechanismen im Westen als Meldungen aus Moskau uns glauben machen wollen. Im Zweiten Weltkrieg hörte man im Reich "Radio Beromünster" aus der Schweiz oder "BBC". Es ist wieder soweit, auch wenn die Radio- oder Fernsehstationen mit ungefilteter Information sich noch nicht herumgesprochen haben.
Bei dieser Gesamtlage hat es Wochen gedauert, bis in der deutschen Medienlandschaft und – losgetreten in der Waffen-Reichweitenfrage – das durchschimmerte als treibende Motivation, was der ukrainische Präsident Selenskiy bereits vor einem Jahr mit präsidialer Durchschlagskraft dekretierte. Wolfgang Effenberger hat in diesen Tagen nachdrücklich darauf hingewiesen, nicht nur, was die grundlegenden amerikanischen militärischen Planungsdokumente angelangt. Die Rückeroberung der separatistischen Donbass-Gebiete und der Krim – jenseits aller völkerrechtlich verpflichtenden Vereinbarungen wie dem Minsk-Prozess – ist das staatliche Ziel der Ukraine und zwar fast ein Jahr, bevor russische Truppen die ukrainisch-russische Staatsgrenze überschritten.
Das war die Zeit, als US-Präsident Joe Biden den russischen Präsidenten Putin vor laufender Kamera einen "Killer" nannte und die amerikanische Staatssekretärin, Frau Nuland, Anfang Oktober 2021 nach allem, was man dazu öffentlich hören konnte, bei einem Besuch in Moskau die russische Regierung zu einer "bedingungslosen Kapitulation" zugunsten der USA aufgefordert hatte. Mit allen, auch und gerade militärischer Mitteln, sollte die Ukraine in völkerrechtlicher Hinsicht, wie sie und ihre Hintermänner es verstanden haben, wieder in die Lage versetzt werden, in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des NATO-Vertrages, beitrittsfähig zu werden. Wegen der in Kiew vertretenen Rechtsauffassung war es dazu zwingend, die Krim und den Donbass "heim ins Reich" zu holen, da Staaten mit regionalen Differenzen und ungeklärten Gebietsverhältnissen eben nicht der NATO beitreten können.
Nach dem SPD-Granden Klaus von Dohnanyi haben im Frühjahr 2021 die NATO-Staats-und Regierungschefs die Aufnahme der Ukraine in die NATO beschlossen, in kompletter Abkehr von den Bukarester Beschlüssen aus dem Jahr 2008. Bei der – wegen der westlichen Gesprächsverweigerung Moskau gegenüber – dort bekannten Haltung in dieser Frage, glich dieses NATO-Verhalten der Zündung einer "Nuklearwaffe" am Unterleib der Russischen Föderation. Von wegen, Frau Baerbock, "unprovoziertes Verhalten."
Diese westliche Einstellung zur Ukraine in ihrer dienenden Funktion für das eigentliche Ziel, Russland als europäischen Faktor zu beseitigen und im Vergleich zu den USA wirklich zu "Obamas Regionalmacht" zu machen, bestimmt seither die Welt. Der ukrainische Präsident Selenskyj und zunehmend die deutsche "Pranger-Presse" machen bei der Frage nach den ukrainischen Kriegszielen deutlich, dass es nicht darum geht, die russischen Streitkräfte auf die Frontlinien zurückzudrängen, wie sie vor dem Überschreiten der gemeinsamen Staatsgrenzen gegeben war. Unbeschadet der tatsächlichen, militärischen Möglichkeiten der Ukraine soll das Selenskyj paper von vor einem Jahr umgesetzt werden. Die Krim und der Donbass müssen heimgeholt werden, auch wenn das den großen Krieg mit Russland bedeutet, einen Krieg, in den wir alle dann verwickelt sein werden.
Hat die Regierung Merkel vor allen gemeinsamen Beschlüssen aus dem Vorjahr in der NATO, sich mit diesem kriegsgeilen Verhalten einverstanden erklärt? Den europäischen und globalen Krieg gegen das Land, dem man nach Ansicht des französischen Präsidenten Macron in substantiellen Fragen das gebotene Gespräch seitens des Westens verweigert hat? Das Deutschland nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges den Weg zur nationalen Einheit ermöglicht hatte? Das bei zwei Weltkriegen der zuverlässigste deutsche Handelspartner aller Zeiten war und hoffentlich wieder sein wird, trotz der Harakiri-Politik des deutschen Ministers Habeck?
Man kann aus dem russischen Vorgehen in der Ukraine bestimmte Dinge geradezu ableiten. Das militärische Vorgehen Russlands im Donbass und bis vor Odessa entspricht beinahe spiegelbildlich den NATO-Aspirationen seit dem Frühjahr 2021 und der amerikanischen Politik mit der Ukraine als Mittel zum Zweck in der geopolitischen Auseinandersetzung mit Russland. Russland macht durch seine derzeitigen militärischen Erfolge es unmöglich für die Ukraine und die Koalition der Genötigten, den Donbass und die Krim zurückzuholen, weil Moskau sich von Charkiw bis vor Odessa gleichsam mit einem zusätzlichen Puffer versieht, was russisch kontrolliertes Gebiet anbetrifft. Von einem Jahrhundertkrieg abgesehen, dürfte es der Ukraine unmöglich sein, das Selenskyj-Dekret von vor einem Jahr unter diesen Umständen umzusetzen, auch nicht mit Hilfe des Westens.
Das hätte zur Folge, dass im Sinne des Wortlautes des NATO-Vertrages nicht nur die Hindernisse für einen NATO-Beitritt der Ukraine bestehen bleiben würden. Sie wären erheblich verschärft worden. An einen NATO-Beitritt der Ukraine wäre bis zum St. Nimmerleins-Tag nicht zu denken. Es sein denn, der gesamte Westen und die Ukraine erkennen eine neue Frontlinie zwischen der russischen Armee und den ukrainischen Verbänden in Donbass und bis Odessa als völkerrechtlich verbindliche Grenze zwischen diesen Gebieten und der Ukraine an. Soweit muss heute gedacht werden, wenn man sich das ansieht, zu dem der ukrainische Präsident Selenskyj den Startschuss, ermuntert von Präsident Joe Biden, gegeben hatte.
In der Öffentlichkeit wird eine sinngleiche Alternative erörtert, bei der der Dauerkrieg im Donbass und entlang der Schwarzmeerküste erhalten bleiben dürfte. Polen scheint willens zu sein, den Anschluß der Westukraine an Polen – unter Aufhebung der Nachkriegsvereinbarungen auch über die Oder-Neisse-Gebiete und damit deutsches Kernland – betreiben zu wollen. Ziel dürfte es dabei auch sein, nach dem völlig anders gelagerten Beispiel nach der deutschen Wiedervereinigung die verbliebenen ukrainischen Gebiete klammheimlich der NATO anzugliedern. Pandorra lässt grüßen bei diesen polnischen Gewaltträumen.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: photocosmos1 / shutterstock
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