Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Schmeiß das Wort KLIMAWANDEL in den Ring der Sozialen Netzwerke und du wirst ein Schauspiel erleben, das dir den Schrecken in die Glieder jagt. Kaum ist das Wort nämlich gepostet, springen sie von allen Seiten herbei, die Rechthaber jedweder Couleur. Wie ausgehungerte Kojoten stürzen sie sich auf den Begriff, der schon als Totgeburt auf die Welt kam, da er jedes Vorstellungsvermögen überstieg. Aber totes Fleisch ist ihre Lieblingsspeise, auch im mentalen Bereich, und so zerren sie am Wortkadaver – laut, aggressiv, beleidigend, erschreckend dumm und ungemein schlau. Jetzt sind sie beschäftigt, jetzt brauchen sie sich keine Gedanken mehr um die weltweiten Umweltsauereien zu machen. Klick Klick Panikmacher! Klick Klick Klimasekte! Klick Klick Klimahysterie! Klick Klick Hat es schon immer gegeben! Klick Klick Klimaindustrie! Klick Klick Fleck ist doof! Immerhin, diesen Spaß hält unsere bis ins Mark manipulierte Zivilgesellschaft kurz vor dem Ökozid noch für uns bereit.
Allen Abwieglern, Augenschließern und Berufsoptimisten möchte ich einen Mann vorstellen, der zu einer Erkenntnis gekommen ist, die das Dilemma völlig neu beleuchtet. Der Mann ist Professor für Umweltpolitik und Nachhaltige Entwicklung an der Yale University in New Haven (Connecticut), eine der renommiertesten Universitäten der Welt. Er war Chefberater der Nationalen Umweltkommission unter den US-Präsidenten Jimmy Carter und Bill Clinton. Aber erst jetzt ist bei ihm der Groschen gefallen. Sein Name: Gus Speth. In einem Interview mit der New York Times kommt Speth zu einer nicht gerade ermutigenden Erkenntnis.
„Früher dachte ich,“ so sein deprimierendes Statement, „dass die größten Umweltprobleme der Verlust der Artenvielfalt, der Kollaps der Ökosysteme und der Klimawandel wären. Ich dachte, 30 Jahre gute Wissenschaft könnte diese Probleme angehen. Ich habe mich geirrt. Die größten Umweltprobleme sind Egoismus, Gier und Gleichgültigkeit, und um mit ihnen fertig zu werden, brauchen wir einen kulturellen und spirituellen Wandel. Und wir Wissenschaftler wissen nicht, wie man das macht.“
Wenn man nicht ohnehin der Meinung ist, dass der Drops gelutscht ist, weil wir es bereits heute mit irreparablen Langzeitschäden zu Lande (Atommüll, erodierende Böden, Abholzung der Regenwälder, Verlust der Artenvielfalt), zu Wasser (Plastikschwemme) und in der Luft (Geoengineering) zu tun haben, muss man zumindest konzedieren, dass der dringend notwendige Umbau unserer globalen Konsumkultur das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Menschheit sein wird. Und, wie Gus Speth zurecht befürchtet, wird er wohl kaum zu stemmen sein. Den Menschen ins Bewusstsein zu bringen, dass sie auch Naturwesen sind, die verinnerlicht haben, dass die Natur ein Existenzrecht hat, unabhängig davon, ob sie etwas davon haben, ist eine Herkulesaufgabe, von der niemand weiß, wie sie bewerkstelligt werden kann.
Was wir im Grunde bräuchten, wäre eine Magna Charta der Ökologie, die sich grundsätzlich von dem unterschiede, was wir bisher unter Umweltschutz verstehen. Bisher reden wir ausschließlich von Beständen, wenn wir von der Natur sprechen. Wir machen in allem unsere Rechnung auf. Dieses Denken ist nicht dem Leben verpflichtet, sondern einer Haushaltsphilosophie. Es ist aber höchste Zeit, dass wir die Leitvorstellungen der politischen Ökonomie den Leitvorstellungen der Ökologie unterordnen. Es gilt, mit den Machtstrukturen zu brechen, die der ungezügelte Kapitalismus bis zur Selbstvernichtung aufrechterhalten wird. Die gesellschaftspolitische Debatte müsste sich völlig neu aufladen, denn es geht nicht mehr um die klassische Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts, auch nicht um Oben und Unten, es geht nur noch um zukunftsfeindlich oder zukunftsfreundlich.
Was wir bisher für Fortschritt gehalten haben, ist nicht Ausfluss von Intelligenz, sondern ein Substanzverzehr – reine Plünderung. Nun sind wir aber nicht dazu da, einem todkranken Wirtschaftssystem durch den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen das Leben zu verlängern. Das muss endgültig klar werden, wenn wir noch eine weitere Chance haben wollen. Wir hatten unsere Chance. Wir hatten sie immer. Wir konnten sie nur nicht nutzen, weil wir als politisches Gemeinwesen keine Idee besaßen, was und wer wir eigentlich sein wollten, jenseits unseres immer kümmerlicher werdenden Konsumentendaseins im Scheinpluralismus weniger Konzerne.
Die Frustration gegenüber dem kapitalistischen Raubritter-System moderner Prägung ist inzwischen riesengroß. Viele Menschen wollen es nicht mehr hinnehmen, dass jede ihrer produktiven Handlungen in ein globales Wirtschaftssystem gepresst wird, um einen Wert zu bekommen. Sie sehnen sich nach Identität. Ihre Identität finden sie nur, wenn sie ihre Probleme vor Ort angehen. Der einzige Weg, das globale Desaster in den Griff zu kriegen, sind weltweite lokale Lösungen. Das gilt es in zu propagieren.
Der US-amerikanische Philosoph und Schriftsteller Henry David Thoreau (1817 – 1862) notierte am 19.7.1851 in seinem Tagebuch folgende Sätze:
„Ich bin vierunddreißig Jahre alt, und dennoch ist mein Leben beinahe ganz unentfaltet. Wie viel liegt da erst im Keim? Zwischen meinem Ideal und der Wirklichkeit herrscht oft ein solcher zeitlicher Abstand, dass ich sagen kann, ich sei noch nicht geboren.“
Gilt dies nicht für die Menschheit insgesamt? Sind wir nicht ebenfalls noch ganz unentfaltet? Und tragen wir als Menschenfamilie nicht auch den Keim des Verständnisses in uns, der uns, erst einmal erblüht, wieder eingliedert in die Schöpfung, die wir bisher nur zu beherrschen versuchten?
+++
Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.
+++
Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
+++
Bildquelle: Parilov / Shutterstock.com
+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoinzahlung
Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/
+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.
+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/
+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut