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St. Petersburg bereitet die Bühne für den Krieg der Wirtschaftskorridore | Von Pepe Escobar

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In St. Petersburg versammeln sich die neuen Mächte der Welt, um die von den USA geschaffene „regelbasierte Ordnung“ umzustürzen und den Globus auf ihre Weise neu zu ordnen.

Ein Kommentar von Pepe Escobar.

Das Internationale St. Petersburger Wirtschaftsforum[1] wird seit Jahren als absolut essenziell für das Verständnis der sich entwickelnden Dynamik und der Irrungen und Wirrungen der eurasischen Integration angesehen.

St. Petersburg im Jahr 2022 ist sogar noch wichtiger, da es in direktem Zusammenhang mit drei gleichzeitigen Entwicklungen steht, die ich zuvor[2] in loser Reihenfolge skizziert hatte:

Erstens, das Aufkommen der „neuen G8“ – vier BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China), sowie Iran, Indonesien, die Türkei und Mexiko, deren BIP pro Kaufkraftparität (KKP) die alte, westlich dominierte G8 bereits in den Schatten stellt.

Zweitens die chinesische „Drei-Ringe“-Strategie zur Entwicklung geoökonomischer Beziehungen mit seinen Nachbarn und Partnern.

Drittens die Entwicklung von BRICS+ oder den erweiterten BRICS, einschließlich einiger Mitglieder der „neuen G8“, die auf dem kommenden Gipfel in China diskutiert werden sollen.

Es bestand kaum ein Zweifel daran, dass Präsident Putin der Star von St. Petersburg 2022 sein, und eine scharfe[3], detaillierte Rede vor dem Plenum halten würde.

Zu den Höhepunkten gehörte, dass Putin die Illusionen der so genannten „goldenen Milliarde“, die im industrialisierten Westen lebt (nur 12 Prozent der Weltbevölkerung), sowie die „unverantwortliche makroökonomische Politik der G7-Länder“ zerschlug.

Der russische Präsident wies darauf hin, dass „die Verluste der EU aufgrund der Sanktionen gegen Russland“ 400 Milliarden Dollar pro Jahr übersteigen könnten und dass die hohen Energiepreise in Europa – die „im dritten Quartal des letzten Jahres“ begonnen hätten – auf den „blinden Glauben an erneuerbare Energien“ zurückzuführen seien.

Er wies auch die westliche Propaganda von der „Putinschen Preiserhöhung“ gebührend zurück und erklärte, die Lebensmittel- und Energiekrise sei auf eine fehlgeleitete westliche Wirtschaftspolitik zurückzuführen, d. h. „russisches Getreide und Düngemittel werden zum Nachteil des Westens sanktioniert“.

Kurz gesagt: Der Westen hat die Souveränität Russlands bei der Verhängung der Sanktionen falsch eingeschätzt und zahlt nun einen sehr hohen Preis.

Der chinesische Präsident Xi Jinping richtete in einer Videoansprache an das Forum eine Botschaft an den gesamten globalen Süden. Er beschwor einen „echten Multilateralismus“, bestand darauf, dass die Schwellenländer „ein Mitspracherecht beim globalen Wirtschaftsmanagement“ haben müssen, und forderte einen „verbesserten Nord-Süd- und Süd-Süd-Dialog“.

Es kam dem kasachischen Präsident Tokajew, Herrscher eines zutiefst strategischen Partners sowohl für Russland als auch für China, zu, die Pointe persönlich zu liefern: Die Integration Eurasiens sollte Hand in Hand mit Chinas Belt and Road Initiative (BRI; Neue Seidenstraße, Anm. d. Redaktion) voranschreiten. Hier schließt sich der Kreis.

Aufbau einer langfristigen Strategie „in Wochen

In St. Petersburg fanden mehrere spannende Diskussionen zu zentralen Themen und Nebenthemen der eurasischen Integration statt, wie z. B. Geschäfte im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ)[4], Aspekte der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und China[5], die Zukunft der BRICS[6] und die Aussichten für den russischen Finanzsektor[7].

Eine der wichtigsten Diskussionen konzentrierte sich auf die zunehmende Interaktion zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) und der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations; Verband Südostasiatischer Nationen, Anm. d. Redaktion)[8] – ein Schlüsselbeispiel für das, was die Chinesen als „Süd-Süd-Kooperation“ definieren würden. Und das in Verbindung mit dem noch langen und beschwerlichen Weg zu einer tieferen Integration[9] der EAEU selbst.

Dies bedeutet Schritte hin zu einer eigenständigeren wirtschaftlichen Entwicklung der Mitglieder, die Festlegung von Prioritäten für den Ersatz von Importen, die Nutzung des gesamten Transport- und Logistikpotenzials, die Entwicklung transeurasischer Unternehmen und die Einbettung der „Marke“ EAEU in ein neues System globaler Wirtschaftsbeziehungen.

Der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexej Overtschuk äußerte sich besonders deutlich zu den dringenden Problemen, die es zu lösen gilt: die Einführung einer vollständigen Freihandels- und Wirtschaftsunion sowie eines einheitlichen Zahlungssystems mit vereinfachten Direktabrechnungen unter Verwendung der Mir-Zahlungskarte, um neue Märkte in Südostasien, Afrika und am Persischen Golf zu erschließen.

In einer neuen Ära, die von russischen Wirtschaftskreisen als „das Spiel ohne Regeln“ definiert wird und die von den USA geprägte „regelbasierte internationale Ordnung“ entlarvt, konzentrierte sich eine weitere wichtige Diskussion mit dem wichtigen Putin-Berater Maxim Oreschkin auf die Frage, welche Prioritäten[10] Großunternehmen und der Finanzsektor im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Außenpolitik des Staates setzen sollten.

Es besteht ein Konsens darüber, dass die derzeitigen „Regeln“ vom Westen aufgestellt wurden. Russland konnte sich nur an die bestehenden Mechanismen anschließen, die durch internationales Recht und Institutionen gestützt werden. Aber dann hat der Westen versucht, „uns rauszudrängen“ und sogar „Russland zu streichen“. Es ist also an der Zeit, „die regellosen Regeln zu ersetzen“. Das ist ein zentrales Thema, das dem von Putin in seiner Plenar-Rede entwickelten Konzept der „Souveränität“ zugrunde liegt.

In einer anderen wichtigen Diskussion, unter dem Vorsitz des Vorstandsvorsitzenden der vom Westen sanktionierten Sberbank, Herman Gref, wurde viel darüber geredet[11], dass der russische „Evolutionssprung nach vorn bis 2030“ früher hätte stattfinden sollen. Jetzt muss eine „langfristige Strategie innerhalb von Wochen aufgebaut werden“, wobei die Lieferketten in allen Bereichen zusammenbrechen.

Dem Publikum – der Crème de la Crème der russischen Geschäftswelt – wurde eine Frage gestellt: Was würden Sie empfehlen – einen verstärkten Handel mit dem Osten oder eine Neuausrichtung der Struktur der russischen Wirtschaft? Satte 72 Prozent stimmten für Letzteres.

Jetzt kommt der Knackpunkt, denn all diese Themen greifen ineinander, wenn wir uns anschauen, was nur wenige Tage vor St. Petersburg passiert ist.

Der Korridor Russland-Iran-Indien

Ein wichtiger Knotenpunkt des Internationalen Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC), der den Nordwesten Russlands über das Kaspische Meer und den Iran mit dem Persischen Golf verbindet, ist nun im Spiel. Die Transportzeit zwischen St. Petersburg und den indischen Häfen beträgt 25 Tage.

Dieser logistische Korridor mit multimodalem Transport hat eine enorme geopolitische Bedeutung für zwei BRICS-Mitglieder und ein künftiges Mitglied der „neuen G8“, da er eine wichtige Alternativroute zum üblichen Frachtweg von Asien nach Europa über den Suezkanal eröffnet.

Der INSTC-Korridor ist ein klassisches Projekt der Süd-Süd-Integration: ein 7.200 km langes multimodales Netz von Schiffs-, Schienen- und Straßenverbindungen, welches Indien, Afghanistan, Zentralasien, Iran, Aserbaidschan und Russland bis nach Finnland am Baltischen Meer miteinander verbindet.

Stellen Sie sich eine Reihe von Containern vor, die auf dem Landweg von St. Petersburg nach Astrakhan transportiert werden. Dann wird die Fracht über das Kaspische Meer zum iranischen Hafen Bandar Anzeli verschifft. Dann wird sie auf dem Landweg zum Hafen von Bandar Abbas transportiert. Und dann nach Übersee nach Nava Sheva, dem größten Seehafen Indiens. Der Hauptbetreiber ist die Islamic Republic of Iran Shipping Lines (IRISL-Gruppe), die sowohl in Russland als auch in Indien Niederlassungen hat. Und das bringt uns zu dem, worum Kriege von nun an geführt werden: um Transportkorridore – und nicht um territoriale Eroberungen.

Pekings rasante Neue Seidenstraße wird als existenzielle Bedrohung für die „regelbasierte internationale Ordnung“ angesehen. Sie entwickelt sich entlang von sechs Überlandkorridoren quer durch Eurasien, sowie der maritimen Seidenstraße vom Südchinesischen Meer und dem Indischen Ozean bis nach Europa.

Eines der Hauptziele des Stellvertreterkrieges der NATO in der Ukraine ist die Unterbrechung der BRI-Korridore durch Russland. Das Imperium wird alles daransetzen, nicht nur die BRI, sondern auch die INSTC-Knoten zu unterbrechen. Das von den USA besetzte Afghanistan wurde daran gehindert, ein Knotenpunkt für BRI oder INSTC zu werden.

Mit dem uneingeschränkten Zugang zum Asowschen Meer – jetzt ein „russischer See“ – und wahrscheinlich der gesamten Schwarzmeerküste, wird Moskau seine Möglichkeiten im Seehandel enorm erweitern (Putin: „Das Schwarze Meer war historisch gesehen russisches Gebiet“).

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden die Energiekorridore stark politisiert und stehen im Mittelpunkt eines unerbittlichen globalen Pipeline-Wettbewerbs[12] – von BTC und South Stream über Nord Stream 1 und 2, bis hin zu den nicht enden wollenden Seifenopern der Gaspipelines Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien (TAPI) und Iran-Pakistan-Indien (IPI).

Dann gibt es noch den Nördlichen Seeweg entlang der russischen Küste bis zur Barentssee. China und Indien sind sehr auf die Nördliche Seeroute fokussiert, die nicht zufällig auch in St. Petersburg ausführlich diskutiert wurde.[13]

Der Kontrast zwischen den Petersburger Debatten über eine mögliche Neuverdrahtung unserer Welt – und The Three Stooges, die einen Zug nach Nirgendwo nehmen, um einem mittelmäßigen ukrainischen Komiker zu sagen, er solle sich beruhigen und über seine Kapitulation verhandeln (was vom deutschen Geheimdienst bestätigt wurde) – könnte nicht krasser sein. (The Three Stooges waren eine US-amerikanische Komikergruppe, Anm. d. Redaktion).

Fast unmerklich – so wie es die Krim wieder eingegliedert hat und in Syrien auftritt – zeigt Russland als militärische und Energie-Supermacht, dass es potenziell in der Lage ist, einen großen Teil des industrialisierten Westens in die Steinzeit zurückzutreiben. Die westlichen Eliten sind einfach hilflos. Wenn sie nur in einem Korridor des eurasischen Hochgeschwindigkeitszuges mitfahren könnten, würden sie vielleicht etwas lernen.

Quellen:

[1] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/>

[2] Zerohedge.com, Tyler Durden, „Escobar: The New G8 Meets China’s Three Rings“, am 17.6.2022, <https://www.zerohedge.com/geopolitical/escobar-new-g8-meets-chinas-three-rings>

[3] Youtube, „June 17, 2022: Putin´s Speech at 25th St. Petersburg International Economic Forum“, <https://www.youtube.com/watch?v=237by6jzHPY>

[4] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97124/>

[5] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97804/>

[6] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97125/>

[7] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97168/>

[8] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97251/>

[9] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97127/>

[10] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97149/>

[11] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/99895/>

[12] Tom Dispatch, Pepe Escobar, „Welcome to Pipelineistan“, am 24.3.2009, <https://tomdispatch.com/pepe-escobar-welcome-to-pipelineistan/>

[13] St. Petersburg International Economic Forum, <https://forumspb.com/en/programme/business-programme/97142/>

Dieser Text wurde zuerst am 18.6.2022 auf www.thecradle.co unter der URL <https://thecradle.co/Article/columns/11928> veröffentlicht. Lizenz: Pepe Escobar, www.thecradle.co

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: shutterstock / ID1974


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