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Telegram: Warum die Bundesregierung zum Lukaschenko-Versteher werden müsste | Von Thomas Röper

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Ein Kommentar von Thomas Röper.

Weißrussland wurde vom Westen vorgeworfen, gegen Telegram-Kanäle vorzugehen. Nun fordert der deutsche Justizminister das Gleiche, und auch noch mit den gleichen Argumenten. Verkehrte Welt?

Nach den Präsidentschaftswahlen in Weißrussland 2020 hat der Westen Fälschungsvorwürfe erhoben und die Proteste gegen den gewählten Präsidenten Lukaschenko angefeuert. Da die Proteste in Minsk vor allem über einige Telegram-Kanäle mit Sitz in Polen gesteuert wurden, hat Weißrussland diese Telegram-Kanäle im Land als extremistisch eingestuft und versucht, sie zu verbieten. Im Westen wurde das letztes Jahr als Einschränkung von Menschenrechten und Unterdrückung kritisiert und Telegram als eine Art Hort von Freiheit gefeiert.

Nun jedoch fordert der deutsche Justizminister exakt das gleiche Vorgehen gegen Telegram, das der Westen gerade noch in Weißrussland kritisiert hat. Und plötzlich wird Telegram auch in westlichen Medien als „Gefahr für die Demokratie“ bezeichnet. Was ist bei diesen Geschichten vergleichbar und was nicht?

Die deutschen Vorwürfe

Die FAZ berichtet unter der Überschrift „Buschmann fordert europäische Maßnahmen gegen Telegram“ über die Gründe für die Forderungen des neuen deutschen Justizministers: 

„In den vergangenen Monaten ist der Messengerdienst Telegram in den Fokus der Diskussion gerückt, weil sich dort neben vielen normalen Nutzern auch Verschwörungstheoretiker, Kriminelle und Rechtsextreme austauschen. Sie tun dies über Direktnachrichten, aber auch in öffentlichen Kanälen oder Chatgruppen, die mehr als hunderttausend Teilnehmer haben. Dort werden immer wieder Menschen eingeschüchtert und beleidigt. Gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer sollen auch Mordabsichten geäußert worden sein.“

Das sind zum Teil die gleichen Kritikpunkte, die auch in Minsk vor einem Jahr geäußert wurden. Auch dort waren der Stein des Anstoßes „Kanäle und Chatgruppen, die mehr als hunderttausend Teilnehmer“ hatten und die zu verbotenen Demonstrationen und sogar offen zu einem Staatsstreich aufgerufen haben. Das waren also wesentlich radikalere Gruppen als die, über die sich die deutsche Regierung beschwert. 

Und dass „immer wieder Menschen eingeschüchtert und beleidigt“ werden, ist geradezu niedlich im Vergleich zu dem, was die aus Polen gesteuerten Telegram-Kanäle der weißrussischen Opposition vor einem Jahr veranstaltet haben. Die weißrussische Opposition hatte sogar einen Kanal, in dem sie offen ein „Schwarzbuch Weißrusslands“ geführt hat. Dort wurden Wohnadressen von weißrussischen Journalisten und Polizisten veröffentlicht und es wurde gedroht, man könne sie besuchen kommen und sich an ihren Kindern vergreifen. Das waren Morddrohungen gegen Journalisten und Polizisten und sogar gegen deren Familien. 

Das wäre so, als wenn Telegram-Kanäle in Deutschland die Wohnadressen der Chefredakteure der großen deutschen Zeitungen und der Nachrichtensprecher von ARD und ZDF mit der Empfehlung veröffentlichen würden, ihnen und ihren Familien etwas anzutun. So ein Vorgehen ist hochkriminell, aber der Westen hatte nichts daran auszusetzen, dass die weißrussische Opposition Angst und Schrecken verbreitet hat. 

Für den deutschen Justizminister sind schon Beleidigungen auf Telegram Grund genug, gegen Telegram vorzugehen. Da war die böse weißrussische Diktatur wesentlich geduldiger, denn Beleidigungen auf Telegram gegen Unterstützer von Lukaschenko sind dort seit Jahren an der Tagesordnung, dort ging es um Morddrohungen, wovon wir in Deutschland (vielleicht von ganz wenigen Ausnahmen) Gott sei dank weit entfernt sind.

Extremismus und Drogen

Weitere Vorwürfe erhebt der deutsche Justizminister gegen Telegram, weil über Telegram auch Drogen verkauft werden und weil dort radikale Chatgruppen zum Beispiel des IS existieren, wobei Telegram anscheinend zumindest gegen letztere vorgeht und sie löscht. Die FAZ schreibt:

„Im Kampf gegen Radikalisierung und Hetze im Netz hat sich Bundesjustizminister Marco Buschmann für ein gemeinsames europäisches Vorgehen gegen die Online-Plattform Telegram ausgesprochen. Dies mache auf die Betreiber von Telegram „mehr Eindruck, als wenn das jedes Land allein versucht“, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Beim Umgang mit dem IS (Islamischen Staat) ist es auf diese Weise gelungen, dass die Kanäle der Terrororganisation einfach abgestellt wurden.““

Justizminister Buschmann fordert, dass die EU gemeinsam gegen Telegram vorgehen solle, um den Messengerdienst dazu zu bringen, Kanäle abzuschalten, die offen illegal sind, weil dort mit Drogen gehandelt wird oder weil sich dort Islamisten vom IS absprechen.

Als Russland vor einigen Monaten im Streit mit Twitter lag, ging es um exakt die gleichen Vorwürfe. Twitter hatte in Russland Kanäle, auf denen mit Drogen gehandelt wurde, in denen Kinderpornografie zu finden war und außerdem noch radikale Kanäle, die verfassungsfeindlich unterwegs waren. Als Russland mit Twitter deswegen im Streit lag und drohte, Twitter in Russland vom Netz zu nehmen, wenn diese illegalen Inhalte nicht gelöscht werden, haben westliche Medien und Politiker Russland vorgeworfen, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen. 

Die Unterschiede 

Wir sehen, dass die Vorwürfe, die der deutsche Justizminister gegen Telegram erhebt, ziemlich identisch mit denen sind, die auch Weißrussland und Russland gegen Telegram und andere soziale Netzwerke erheben. Obwohl die Vergehen, die über Telegram begangen werden oder zu denen über Telegram aufgerufen wird, in Russland und Weißrussland wesentlich schlimmer waren als das, was man Telegram (bisher) in Deutschland vorwirft, hat man im Westen keinerlei Verständnis dafür, wenn Russland und Weißrussland gegen Telegram und andere soziale Netzwerke vorgehen.

Hinzu kommt ein weiterer großer Unterschied: Die Telegram-Kanäle, die in Weißrussland und Russland zu Protesten aufrufen, sitzen im Ausland und werden aus dem Ausland bezahlt und organisiert. In Deutschland gibt es keinerlei Hinweise (und auch keine Vorwürfe), dass die regierungskritischen Telegram-Kanäle aus dem Ausland finanziert, befeuert oder organisiert werden.

Jedes Land hat laut Völkerrecht das Recht dazu, sich gegen Einflüsse aus dem Ausland zu wehren. Auf dieses Recht pocht der Westen selbst ständig, wenn er mal wieder (unbelegte) Vorwürfe erhebt, Russland oder China würden sich in irgendeine Wahl einmischen. Aus irgendwelchen Gründen gesteht der Westen Russland, Weißrussland und anderen Staaten aber nicht das Recht zu, was der Westen für sich selbst in Anspruch nimmt.

Die Proteste und radikalisierten Telegram-Kanäle in Deutschland sind nicht aus dem Ausland angefeuert worden, sie sind das Ergebnis der deutschen Politik, sie sind – im Gegensatz zu Russland und Weißrussland – hausgemacht. In Weißrussland war die Opposition aus dem Ausland, genauer gesagt aus Polen, gesteuert und Nawalny in Russland ist ebenfalls ein Produkt des Westens, der – nachweislich – aus dem Westen finanziert und unterstützt wurde. 

Wie groß wäre wohl das Geschrei in Politik und Medien in Deutschland, wenn Russland oder China die Reichsbürger oder Querdenker finanziell und organisatorisch unterstützen und auch offen anfeuern würden?

+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 22. Dezember 2021 auf dem Blog anti-spiegel. +++ Bildquelle: Allmy / shutterstock


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