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Tollpatschige Europäer – kluge Asiaten | Von Hermann Ploppa

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Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Funktionäre der Europäischen Union zertrampeln gerade Porzellan in Südostasien, während die NATO jetzt auch gegen China kämpfen will

Mitte Dezember trafen sich zum ersten Mal Spitzenfunktionäre der Europäischen Union mit den Führern des südostasiatischen Bündnisses ASEAN, was für Association of Southeast Asian Nations steht <1>. Dieses Südostasien-Bündnis sollte seit den Zeiten des Kalten Krieges einen Schutz- und Trutzbund darstellen gegen den Vormarsch des Kommunismus in der Region. Das Bündnis blieb aber auch zusammen, nachdem Vietnam, Kambodscha und Laos kommunistisch wurden. Das bereitete dann auch weiterhin keine großen Probleme. Denn wo Kommunismus draufsteht, ist in den seltensten Fällen Kommunismus drin. Diese Länder spielen auf der Klaviatur des so genannten freien Marktes. Südostasien erlebt gerade ein Wirtschaftswunder. Insofern ist ja der Gleichklang mit Europa eigentlich gegeben. Schon vor 45 Jahren hatten der Vorläufer der EU, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und ASEAN eine Zusammenarbeit vereinbart. Doch erst jetzt, am 14. Dezember, trafen sich die Spitzen beider Gemeinschaften in Brüssel. Nassforsch wollten die EU-Strategen ihre asiatischen Kollegen einschwören auf einen kriegerischen Konfrontationskurs sowohl gegen Russland als auch gegen die Volksrepublik China. Im Abschlusskommuniqué sollten beide Länder verurteilt werden. Nun, was würden Sie sagen, wenn Sie sich nach vielen Jahren Brieffreundschaft endlich einmal persönlich treffen und Ihr Gast verlangt dann als Erstes, dass Sie mit ihrem Nachbarn Streit anfangen sollen? Die südostasiatischen Partner waren peinlich berührt. So eine plumpe Holzhacker-Diplomatie mögen sie nicht. Turnusmäßig ist jetzt gerade der kambodschanische Regierungschef Hun Sen Vorsitzender der ASEAN. Eigentlich hätten sich die Brüsseler Gecken schon im Vorfeld ausrechnen können, dass sie höflich aber bestimmt auf Granit beißen werden. Denn Hun Sen ließ die Presse schon vor dem Gipfeltreffen wissen: „Weder wollen wir Teil von Chinas Eindämmungspolitik sein, noch wollen wir irgendeinen anderen Krieg um Vorherrschaft unterstützen. ASEAN und der EU kommt eine wichtige Rolle zu, um zu zeigen wie Multilateralismus beim Aufbau von Vertrauen und Zuversicht helfen kann. Wir sollten es vermeiden, Öl ins Feuer zu gießen.“ <2>

Doch die Schlafwandler aus Brüssel wollen ihren Zweifrontenkrieg gegen Russland und China auf Teufel komm raus so schnell wie möglich haben. Sie verstehen von den Feinheiten asiatischer Diplomatie nicht das Geringste. In ihrem proamerikanischen Übereifer wollen sie ihre asiatischen Partner mehr oder weniger subtil in das amerikanische „Sicherheits“system einbeziehen. Es klingt verrückt, aber haben wir nicht schon so viel Aberwitziges in den letzten Jahren erlebt, dass auch das noch möglich erscheint: nämlich eine Einladung zur Mitgliedschaft in die NATO anzubahnen. Die NATO hat noch vor zwei Jahren China sowohl als Herausforderung wie auch als Chance gesehen. Das neueste Strategiepapier der NATO allerdings stimmt im Paragraph 13 und 14 neuerdings ganz andere Töne an. Dort lesen wir:

„Die Volksrepublik China versucht die Kontrolle zu erlangen über Schlüsseltechnologien und industrielle Sektoren, über kritische Infrastruktur, strategische Materialien und Lieferketten. Sie nutzt ihren wirtschaftlichen Einfluss, um strategische Abhängigkeiten zu schaffen und seinen Einfluss auszuweiten. Sie versucht die internationale regelbasierte Ordnung zu zersetzen, einschließlich Weltraum, Cyber und Meeresbereiche. Die immer enger werdende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation und ihre Versuche, sich gegenseitig zu stärken, untergräbt die regelbasierte internationale Ordnung und widerstrebt unseren Werten und Interessen.“ <3>

Da ruft die NATO also im Ton des trotzigen Kindes: „Das gildet nicht!“ Dass die Chinesen jetzt auch Einfluss ausüben wollen, das geht gar nicht. Und die „regelbasierte Ordnung“: das bestimmen immer noch wir! Basta! Die Geister die ich rief. Hatte nicht dereinst der US-Außenminister Henry Kissinger der kommunistischen Volksrepublik China die Türen in die Mysterien der kapitalistischen Bereicherung geöffnet? Hatte nicht der marktradikale Prophet Milton Friedman das Politbüro beraten, wie man den Turbokapitalismus einführt? Was beklagt man sich jetzt, dass China nicht länger als Subunternehmer der USA die unökologische und asoziale Dreckschleuder abgeben will? Sondern lieber seine eigenen Regeln aufstellt, die sich deutlich vom Pleite-Kapitalismus der ungedeckten Schecks und der überzogenen Konten unterscheidet, wie es Uncle Sam vorexerziert?

Den USA fallen zur Konfliktlösung nur Militärische Mittel ein. Sie wollen mit zwei Gürteln von Raketenabschussbasen im Pazifik und in der Peripherie des chinesischen Festlands selbige Regionen in einer bislang ungekannten Art und Weise militarisieren <4>.

Das sind die Mittel, die die US-amerikanischen Streitkräfte ergreifen werden. Das ist die innere Haut der weltweiten US-Hegemonie. Die äußere Haut dieser Einschüchterung bezahlen die Vasallenstaaten für die USA. Mit eigenen aufgeplusterten Streitkräften. Mit dem Leben der eigenen Soldaten. Nun gibt es bislang nur für Europa und Nordamerika mit der NATO ein solches homogenes Vasallensystem. Dasselbe für Asien zu installieren wurde immer wieder versucht. Hat aber nie funktioniert. Jetzt soll ein neuer Versuch gestartet werden. Und die schlüpfrigen Annäherungen der EU-Vasallen bei der bislang nicht sonderlich militarisierten ASEAN dürften zunächst mit einem Korb quittiert werden, wie Herr Hun Sen klar gemacht hat. Aber wir haben ja auch die Zweideutigkeit in der Ansage von Hun Sen vernommen. Am liebsten möchten die Staaten Südostasiens weiterhin friedliche Beziehungen zu allen Ländern beibehalten.

Es gibt leider, das wollen wir nicht verschweigen, einige Ereignisse, die das Zusammenleben dieser Völker mit China nicht ganz einfach macht. China kauft überall auf der Welt wie verrückt Holz. Sogar deutsche Wälder werden filetiert nach guten Hölzern für China. Man kann in Südostasien hingehen wohin man will: überall begegnen einem diese ultralangen Tieflader-LKWs, die Holzstämme nach China transportieren. Viele Regionen verwandeln sich in staubige Savannen. Zum anderen bauen die Chinesen auf ihrem eigenen Territorium riesige Staudämme. Unter anderem auch auf dem chinesischen Teil des Mekong-Flusses. Mit der Folge, dass ganze Regionen in den anderen Mekong-Ländern veröden werden. Betroffen ist zum Beispiel der große Binnensee Tonle Sap in Kambodscha, der dann vermutlich völlig austrocknen wird. Das internationale Mekong River Komitee umfasst die Länder Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam, wo der Mekong schließlich ins Meer mündet. Jedoch die beiden anderen Mekong-Länder China und Myanmar sind hier nicht vertreten. Da kann das Mekong-Komitee noch so viele Maßnahmen gegen die ökologische Zerstörung des Riesenflusses beraten: es ist ein zahnloser Tiger. Zudem verhält sich die chinesische Marine im Südchinesischen Meer auch nicht immer sonderlich zimperlich.

Alles Gründe genug für die Anrainerstaaten, sich gegen China zusammenzutun. Doch wissen die Menschen dort nur zu genau, was die Amerikaner im Vietnamkrieg, der ja in Wirklichkeit ein Vietnam-, Laos- und Kambodscha-Krieg war, an ihnen angerichtet hat. Allein im schmächtigen Laos haben die Amerikaner damals entlang des Ho-Tschi-Minh-Pfades über achtzig Millionen Streubomben ausgeschüttet, die bis heute noch nicht annähernd ausgegraben und entschärft wurden. Noch heute sterben Menschen oder werden verstümmelt, wenn sie auf Bomben aus jener Zeit stoßen. Die Unterstützung des grauenhaften Pol Pot-Regimes durch die USA ist ebenfalls nicht vergessen. Die Urnen mit der Asche der Pol Pot-Opfer stehen in kambodschanischen Wohnzimmern.

Die Südostasiaten möchten, wie Hun Sen sagte, sich keinem Hegemon an den Hals werfen. Und sie möchten auch gegen niemanden Krieg führen. Das hindert allerdings Vietnam und Südkorea nicht, an den Hegemonialmächten China und USA vorbei eigene strategische Bündnisse zu schmieden <5>. Und leider ist es immer noch wahr: wo Waffen angehäuft werden, kann es auch mal knallen. Südkorea steigt groß in den internationalen Waffenhandel ein und verdient sich mit Geschäften mit Polen eine goldene Nase <6>. Das kann irgendwann nach hinten losgehen.

Angesichts des Harakiri-Kurses der EU-Staaten können sich die Engländer glücklich schätzen, nicht mehr der EU anzugehören. Die Briten gehen jetzt auch gehorsam auf Distanz zu China. Dereinst hatte die damalige englische Regierungschefin Theresa May noch 1,5 Milliarden Pfund in die neu gegründete Asiatische Infrastruktur Investitionsbank (AIIB) eingezahlt, die im Zusammenspiel mit der Seidenstraße ein Gegenstück zum Internationalen Währungsfond darstellt. Doch jetzt verkündet der neue englische Premierminister Rishi Sunak, es sei „naiv“ gewesen zu glauben, mit einer engen Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft dort eine Kopie einer westlichen Demokratie installieren zu können. Es war gewiss sehr naiv zu glauben, die Volksrepublik China würde im Jelzin-Stil zu einem Subunternehmer des angloamerikanischen Kapitalismus mutieren. Aber Rishi Sunak hat ja selber asiatische Wurzeln. Und so übt auch er sich in asiatischer Doppeldeutigkeit und in Pragmatismus. Heißsporne in seiner konservativen Tory-Partei kreiden Sunak an, dass er mit dem chinesischen Großen Steuermann Xi Jinping immerhin telephoniert. Die britische Sendeanstalt BBC fasst Sunaks Haltung wie folgt zusammen:

„Die Regierung [Großbritanniens] hofft, dass bei den Leuten ankommt, dass internationale Beziehungen, wie alle zwischenmenschlichen Beziehungen, komplex und nuanciert sind; und dass ein einfacher Ansatz mit den zwei Polen von Gut und Böse, wie sie es wahrnehmen, nicht im Interesse Großbritanniens ist.“ <7>

Es wäre sehr zu wünschen, dass auf die Crackpots von der Europäischen Union ein paar Tropfen von dieser diplomatischen Grundweisheit herunter regnen mögen.

Quellen und Anmerkungen

<1> https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9114

<2> https://www.euractiv.com/section/global-europe/interview/eu-asean-should-work-closer-together-avoid-adding-fuel-to-the-fire-cambodia-pm-says/

<3> 290622-strategic-concept.pdf

<4> https://asiatimes.com/2022/12/us-building-a-missile-wall-in-the-pacific/

<5> https://asiatimes.com/2022/12/from-chips-to-ships-south-korea-and-vietnam-cozy-up/

<6> https://asiatimes.com/2022/12/south-korea-becoming-top-tier-global-arms-merchant/

<7> https://www.bbc.com/news/uk-politics-63789175

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Ink Drop/ shutterstock


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