Tagesdosis

Traumanovelle | Von Roberto J. de Lapuente

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Wenn ich ganz ehrlich bin, dann bin ich ein wenig traumatisiert. Von den letzten Monaten. Von meinen Job im Gesundheitswesen, den ich nun aufgebe. Und von meinem Alltag und meinen Mitmenschen, die offen in einen Totalitarismus laufen, der sie sie im Arbeitsleben in Angst und Schrecken versetzt.

Ein Kommentar von Roberto J. de Lapuente.

Ich bin raus. Nach sechs Jahren im Gesundheitswesen habe ich das Handtuch geschmissen. Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Ein Krankenhaus will ich nur noch als Patient betreten – dann sicherlich auch nicht mit Wonne, aber gezwungenermaßen. Als Angestellter werde ich es nie mehr tun. Es nennt sich ja Gesundheitswesen: Aber Mitarbeiter in diesem Sektor bleiben nicht gesund. Ganz im Gegenteil, man nimmt ihre Erkrankung strukturell und systemisch in Kauf. Natürlich gibt es in vielen Bereichen des Arbeitsmarktes zu wenig Personal, muss viel aufgefangen und mit Mehrarbeit ausgeglichen werden. Im Gesundheitswesen ist es aber speziell, denn Patienten gibt es immer und ohne Unterlass; man kann sich als »Gesundheitsarbeiter« nicht einfach mal rausnehmen. Ein Stück Blech legt man am Freitagnachmittag zur Seite. Ein sieches Großmütterlein eher nicht. Die Patientenversorgung in Zeiten großer Personalnot ist des Todesstoß für die eigene Gesundheit.

Nun war ich nicht als Pflegekraft oder Arzt angestellt. Das fehlte mir noch! Ich war bloß Verwaltungsangestellter in einem Krankenhaus. Und so ein Krankenhausbetrieb ist ja Arbeitgeber für allerlei Berufsgruppen. Alles greift ineinander – oder sollte es. Ich saß zuletzt in einem Aufnahmebüro, musste bestellte Patienten wie am Fließband wegschaffen. Seitdem ich damit anfing, gab es viel zu tun; der Betrieb brummte, schließlich wollte Geld verdient werden. Die Pandemie hat das Arbeitspensum nochmal drastisch erhöht – gleichzeitig die Arbeitsbedingungen erschwert. Die letzten Monate, ich will ganz ehrlich sein, waren ein traumatisches Erlebnis. Mich plagten teilweise Alpträume. Und vermutlich wird mir das noch eine Weile bleiben. Der Umgang mit Kollegen, Patienten und mit mir selbst: Es war eine ständige Ausnahmesituation.

Sind Sie geimpft? Sind Sie geimpft? Sind Sie geimpft? Sind Sie geimpft?

Es mag ja Krankenhäuser geben, die sich in den letzten beiden Jahren dem Druck der Politik nur zähneknirschend untergeordnet haben. Dort wo ich war, war das anders. In der Kollegenschaft war man sich einig und auch verärgert darüber: In diesem Haus wurde eine gewisse Freude am Notstand gepflegt. Ich erinnere mich an die ersten Tage der Pandemie, die Welt klatschte Beifall von Balkonen – und wir mussten uns fortan durch die Hintertür an die Arbeitsplätze schleichen, denn der Haupteingang blieb zu – das Krankenhaus wurde zur Festung. Bis zuletzt, bis ich das Haus verließ, wurde das beibehalten. Aber man stellte einen Tisch im Bereich der Stechuhr auf, jeden Tag konnte man sich da was anderes nehmen. Mal einen Apfel oder ein Stück Schokolade, die Geschäftsführung begrüßte die Mitarbeiter ab und an selbst: Danke, dass Sie da sind, hieß es da noch. Im Laufe der Pandemie wurde der Ton ruppiger. Am Ende bedankte sich keiner mehr. Jede vom Corona-Krisenstab vereinbarte Änderung wurde unter Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen an die Belegschaft angetragen.

Zuletzt schien sich die Arbeit jener, die die Verwaltung am Laufen hielten, auf genau eine Frage zu reduzieren, die man in verschiedenen Varianten stellen konnte: Sind Sie geimpft? Hatten Sie schon Ihre Impfung? Sind Sie denn schon geboostert? Haben Sie einen Test dabei? Sind Sie schon getestet? Wie alt ist der Test? Die Leute umklammerten beim Eintritt ins Büro ihr gelbes Impfbüchlein, als sei das die Zutrittskarte in die wunderbare Welt der medizinischen Betreuung. Dann erzählten sie brav, dass sie alle Impfungen hätten und quasi jede Berechtigung hätten, hier zu sein. Mancher Patient legte einem sein Büchlein einfach hin, auch wenn man es gar nicht sehen wollte. Ich hielt mich stark zurück mit solcherlei Fragen, ich wurde einst nicht als Impfstatuskontrolleur eingestellt. Dennoch setzte mir das zu. Tut es immer noch.

Ähnlich verlief es sicherlich an allen möglichen Arbeitsplätzen. Aber arbeitet man in einem Krankenhaus, so ist das Thema rund um die Uhr prägend. Der Hygieneplan versucht in alle Bereiche vorzudringen, selbst die Pause wurde reguliert; man empfahl sie alleine zu machen und falls man die Maske doch abnehmen wollte, dann lieber auch für sich selbst und nur im Freien. Die Cafeteria wurde, noch ehe es gesetzlich vorgeschrieben war, zu einer 2G-Zone für Mitarbeiter – Patienten hatten gar keinen Zutritt seitdem das Virus in unser Leben trat. Die FFP2-Maske war zunächst nur für Bereiche vorgesehen, die direkten Kontakt zu infektiösen Patienten hatten – zuletzt wurde sie allerdings zur Standardmaske für alle Angestellten. Gesetzlich vorgeschrieben war letzteres nicht, aber der Corona-Krisenstab mauserte sich im Laufe der letzten Jahre zu einem Gremium von true believers, das in vorauseilendem Gehorsam plante, vorschrieb und aufdrückte.

Vor der Pandemie war die FFP2-Maske ja bekanntlich eine Staubschutzmaske, die man längstens 75 Minuten tragen sollte – nun trugen sie Mitarbeiter im Gesundheitswesen acht, neun oder gar zehn Stunden am Tag. Auch dann, wenn sie nur an einem Schreibtisch saßen. Man bekommt dabei kaum Luft, soll aber in Dauerschleife quatschen, Patienten immer wieder fragen: Sind Sie geimpft? Sind Sie geimpft? Sind Sie geimpft? Bis man durchdreht und hyperventiliert, ja bis man die Kontrolle verliert. Kollegen von mir steigerten sich so rein, dass sie ungeimpfte Patienten abweisen wollten – entgegen dem, was gesetzlich zugelassen war. Aber wäre es nach manchem Arzt gegangen, hätte man eh nur noch nach 2G behandelt.

Dreifach geimpft, eingeschüchtert, mit FFP2-Maske rund um die Uhr

Das alles hat man als Angestellter offenbar als völlig normal zu erachten. Als nachvollziehbaren Alltag im Gesundheitswesen. Zweifel sind gar nicht erst vorgesehen. Wie man sich dabei fühlt, ob man das als Mitarbeiter übergriffig und grenzüberschreitend findet, interessiert wirklich niemanden. Die Aggression gegen Krankenhausmitarbeiter steigt seit Jahren kontinuierlich. Lange Wartezeiten und Personalmangel lassen manchem Zeitgenossen die Gelassenheit verlieren. Aber zuletzt wuchs der Frust noch weiter an. Menschen werden nicht mehr reingelassen, müssen Einlassgenehmigungen vorlegen, dürfen ihre Liebsten nicht besuchen. Ausbaden dürfen das die Mitarbeiter an den Einlässen, die beschimpft, angeschrien, ja auch bedroht werden. Interessiert das die Geschäftsführungen in diesem Lande? Manche vielleicht schon – es gibt immer weiße Schafe. Ich habe jedoch nicht erlebt, dass sich die Verantwortlichen viele Sorgen gemacht hätten. Stattdessen ließen sie überprüfen, ob die Mitarbeiter auch brav Maske tragen – ob sie sie ja nicht absetzen, wenn sie zu zweit in einem Raum sitzen. Falls doch, Sie ahnen es: Arbeitsrechtliche Konsequenzen.

Dann kam die Zeit, als sie ungeimpfte Mitarbeiter in die Enge trieben. Sie setzten sie unter Druck, machten ihnen Angst. Noch ehe das Gesundheitsamt ein Betretungsverbot aussprach – es ist weiterhin fraglich, ob das je geschehen wäre -, schickten sie Mitarbeiter teils ohne Bezüge in die Freistellung. Die Mitarbeitervertretung guckte zu, zuckte mit den Achseln, warum sollte sie für Menschen Partei ergreifen, die man als asozial kategorisierte? Ich war aus dem Schneider, weil ich schon vorher gekündigt hatte, man ließ mich in Ruhe. Aber ich beobachtete, wie sie andere unter Druck setzten – und wie offenbar kaum jemand etwas dabei fand.

Niemand, der auf diese Weise vor die Tür gesetzt wurde, kommt je zurück ins Gesundheitswesen. Und dabei reden wir nicht nur von Pflegekräften, wie das in der öffentlichen Debatte hin und wieder thematisiert wird. Auch Leute aus der Verwaltung kehren dem Bereich den Rücken zu – dabei sind auch dort nur schwer Mitarbeiter zu finden. Der Krisenstab im Haus zweifelte an dieser Maßnahme freilich auch nicht: Schließlich gehe es um die Patientensicherheit, also darum, Patienten nicht anzustecken. Dieser noble Grund ist längst widerlegt, selbst das RKI hat das eingesehen. Dass es in einem medizinischen Betrieb dennoch als Wahrheit gehandelt wird, wider aller Faktenbasis, ist mehr als erschreckend. Will ich von solchen Medizinern je behandelt werden? Soll mich ein Arzt versorgen, der fröhlich seine Fachexpertise ins Haus posaunt, die da lautet: Die nächste Pandemie kommt schon bald – und es wird Ebola sein?

Nun sitzen die dreifach geimpften Ex-Kollegen mit FFP2-Maske im Betrieb. Sie haben gemacht, was man von ihnen verlangte – und ihr Arbeitsleben hat sich noch erschwert. Natürlich zweifeln sie an all dem, in manchem sitzt eine Mordswut. Aber die Angst vor Arbeitsplatzverlust oder auch nur vor Abmahnungen lässt sie mitmachen. Sie werden auch einer vierten Impfung zustimmen, wenn sie denn alsbald für Angestellte im medizinischen Bereich von der STIKO empfohlen wird. Fakten interessieren dabei längst nicht mehr, die einrichtungsbezogene Impfpflicht hat mit diesem Impfstoffen keinen Nutzen, sie schützt keinen einzigen Patienten. Sie dient nur dazu, Mitarbeiter einzuschüchtern, zu Gehorsam zu zwingen und diese Lebenslüge zu stützen.

Bin ein anderer als vor zwei Jahren

Für mich ist klar: Nie wieder. Lieber keine Arbeit mehr als so eine Arbeit. Nun hatte ich Glück, ich komme wirklich gut unter. Aber selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre – und anfangs sah es noch so aus -, ich wäre wohl eher in die Arbeitslosigkeit gegangen, als mich erpressen zu lassen. In den letzten Jahren wurde das Stresslevel immer höher, die Impfpflicht war nur die Spitze dieses Eisberges, der Moment, in dem mir klar wurde, dass es jetzt endgültig reicht. Wenn ich hier nicht die Kurve kriege, werde ich die Kontrolle über mein Leben nicht mehr zurückbekommen können. Viele ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheitswesen sehen das ähnlich. Sie haben ihren Arbeitsalltag über viele Jahre als Drangsal empfunden: Die Zwangsimpfung empfanden sie als finale Entwürdigung.

Am Anfang war ich ja noch recht, denn ich hatte keine Angst, ging zur Arbeit. Als ich im Frühjahr 2020 erzählte, ich arbeite in einem Krankenhaus, sahen einen die Leute bewundernd und respektvoll an. Manche fragten, ob ich denn keine Angst habe. Dabei war damals nichts los im Haus, es war die ruhigste Zeit, die ich je dort erlebte. Patienten blieben freiwillig weg, Operationen wurden abgesetzt. Nur Notfälle kamen auf den Tisch. Ich hatte einige Tage, da saßen über den Tag verteilt lediglich vier, fünf elektive Patienten vor mir. Der Rest der Zeit war Langeweile. Für eine Woche schickte man uns sogar zum Stundenabbau heim. Das halbe Land saß jetzt für Monate und Jahre zu Hause, hatte Kurzarbeit oder Homeoffice, ich fuhr nach einer Woche Zwangspause wieder in recht leeren Bahnen zum Job. Tag für Tag. Ich baute Überstunden auf, wenn ich Vertretungsdienste antrat. Kurz und gut, da war man noch froh um mich. Am Ende ging es schändlich zu Ende. Bei mir. Bei Kollegen. Es ist beschämend. Wobei ich Glück hatte, am Ende stellte man mich einige Tage frei – unter Fortzahlung der Bezüge. Andere traf es anders. Worauf diese Ungleichbehandlung baute, weiß ich nicht – erahne ich nur.

Die Frage nach dem Impfstatus wich im Laufe der letzten Wochen etwas auf. Jetzt mussten wir alle fragen, ob sie einen Test dabei hätten. Auch die dreifach Geimpften, die alles für ihre Freiheit taten, jetzt aber ohne Test nicht vorgelassen wurden. Sind Sie getestet? Haben Sie einen Test dabei? Schon einen Schnelltest gemacht? Das fragt man solange, bis man durchdreht. Solange, bis man den Unfug auch noch glaubt. Ich erinnere mich, vor etlichen Monaten, ich saß da, trank was, aß einen Happen, meine Maske runtergezogen, als die Geschäftsführung kam, mich ermahnte. Dass ich gerade aß und trank, kümmerte nicht. Seither wähnte ich mich beobachtet, verfolgt. Ich gebe zu, das waren Angstsymptome. Ich bin ja auch nur ein Mensch. Wenn man beim Runterziehen der Maske immer erst einen Blick über seine Schulter werfen muss: Das macht was mit einem. Es gab Abmahnungen für Mitarbeiter, die gegen Vorlagen verstießen, die zum Beispiel Begleitpersonen für schwerhörige, wackelige Großväter mit ins Haus ließen, die also menschlich blieben. Am Ende waren viele Kollegen nur noch Befehlsautomaten, die kühl exekutierten: Ihr Arbeitsplatz stand auf dem Spiel, jede Menschlichkeit konnte fatale Folgen haben.

Nach sechs Jahren Gesundheitswesen, in denen zwei Jahre unter Pandemiebedingungen waren, bin ich ein anderer Mensch als vorher. Dass ich in dieser Zeit im Krankenhaus arbeitete, hat mich nicht etwa sensibilisiert für die Maßnahmen, sondern ganz im Gegenteil: Es hat mich in Opposition gebracht. Ich sah, wie vormals umgängliche Kollegen zu rabiaten Hardlinern mutierten, die keinen Faktenbezug mehr kannten. Ich sah die Menschlichkeit, die im Krankenhausbetrieb vorher schon darbte, jetzt voll und ganz verfallen. Ich ging mit Bauchschmerzen dorthin, gegen meine Überzeugungen – angewidert davon, dass vielleicht wieder eine wichtigtuerische Mail des Krisenstabs herumgereicht wird, in der neue Auflagen erläutert wurden. Krankenhäuser sind für Mitarbeiter der Vorhof zur Hölle, aus dem heraus sie den Patienten ein Idyll vorgaukeln sollen. Lächeln trotz Sorgen: Das ist der vielleicht schlimmste Krankmacher.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 01. April 2022 bei neulandrebellen.de

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Bildquelle: zef art / shutterstock


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