Ein Beitrag von Wolfgang Effenberger.
Nach der Anerkennung der abtrünnigen Gebiete im Donbass durch den russischen Präsidenten tönten Printmedien wie die Süddeutsche Zeitung und die Neue Osnabrücker Zeitung gleich auf ihrer Titelseite: „Putin entsendet Truppen in die Ukraine“.
Das musste und sollte wohl als Fakt wahrgenommen werden, obwohl Putins Dekret erst noch von der Duma ratifiziert werden muss. Im ZDF-"Morgenmagazin"des 23. Februar erteilte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), einer Wiederaufnahme des auf Eis gelegten Pipeline-Projekts Nord Stream 2 im Namen ihrer Partei eine deutliche Absage und schloss definitiv aus, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in ein wirtschaftliches Geschäft einzutreten; sie verwies auf die russische Armee, „die inzwischen mit 190.000 Mann die Ukraine umzingelt hat“1).
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass diese Feststellung mehr als töricht ist. Noch stehen die russischen Truppen im Osten der Ukraine auf russischem Gebiet. Die objektive Wahrnehmung scheint den deutschen Regierungen in den letzten Jahrzehnten in steigendem Maße abhanden gekommen zu sein. In allen illegalen Kriegen der USA des 21. Jahrhunderts war Deutschland immer Kriegspartei, und zwar wechselnd: mal auf der Seite der Rebellen wie in Syrien oder im Kosovo, mal auf Seiten der Regierung wie nun in der Ukraine – aber immer im Fahrwasser der USA. Völkerrecht und Friedensgebot spielten nicht einmal mehr eine untergeordnete Rolle. Ende Februar 2018 forderte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Ende des "Massakers" in Syrien, Assad töte Kinder und zerstöre Krankenhäuser. Seit 2014 schießen die ukrainischen Regierungstruppen mit schwerer Artillerie in die abtrünnigen Gebiete (nichtregierungskontrollierte Gebiete - NGCA), töten dort auch Kinder und treffen auch Schulen und Krankenhäuser. Doch da blieb jede Verurteilung bis heute aus. Und die Medien melden jeden Tod eines ukrainischen Regierungssoldaten, gehen jedoch auf die Verluste auf der anderen Seite nicht ein. Diese einseitige Betrachtung ist der sichere Weg in einen größeren Konflikt. Zu einer abwägenden Beurteilung der Situation in der Ostukraine könnten die täglichen Berichte der Special Monitoring Mission (OSZE) beitragen.2) Die Artillerieduelle beider Seiten werden exakt aufgezeichnet – so wurde am 18. Februar auch ein unprovozierter Beschuss durch die Artillerie der ukrainischen Streitkräfte festgehalten. Zugleich wurden auf beiden Seiten die Funkstörung und die Bereitstellung von Truppen festgestellt, wobei vor allem Kiew die Truppen verstärkt. Noch wird davon ausgegangen, dass die Fronttruppen der Rebellen einem allfälligen ukrainischen Angriff standhalten können. So steht Russland auch nicht vor der Notwendigkeit, unmittelbar einzugreifen.
Eine größere Gefahr könnte von den aktuellen Aktivitäten von USA/NATO ausgehen. Der Pendelverkehr zwischen der US-Base Ramstein und dem polnischen Rzeszow nahe der ukrainischen Grenze nimmt nicht ab. Die aktuellen Truppenverstärkungen und Waffenlieferungen sind hier kein Thema für die Medien. In diesen emotional aufgeladenen Tagen brachte die New York Times am 21. Februar den differenzierenden Kommentar von Thomas L. Friedman „Dies ist Putins Krieg. Aber Amerika und die NATO sind keine unschuldigen Zuschauer“, der zur Deeskalation beitragen sollte.
Darin schildert Friedman, dass er am 2. Mai 1998 unmittelbar nachdem der US-Senat die NATO-Erweiterung ratifiziert hatte, George Kennan – den Architekten der erfolgreichen Eindämmung der Sowjetunion durch die USA –angerufen hatte. Kennan war 1926 in das Außenministerium eingetreten und diente ab 1952 als US-Botschafter in Moskau. Der damals 94 Jahre alte Top-Russlandexperte sprach mit schwacher Stimmer und wurde von Friedman als geistesgegenwärtig empfunden, als er ihn nach seiner Meinung zur NATO-Erweiterung fragte. In seinem Kommentar gibt Friedman die Antwort Kennans wieder:
"Ich glaube, dass dies der Beginn eines neuen Kalten Krieges ist. Ich denke, die Russen werden allmählich ziemlich negativ reagieren, und das wird ihre Politik beeinflussen. Ich denke, es ist ein tragischer Fehler. Es gab überhaupt keinen Grund für diese Aktion. Niemand bedrohte einen anderen. Bei dieser Ausweitung würden sich die Gründerväter dieses Landes im Grabe umdrehen.
Wir haben uns verpflichtet, eine ganze Reihe von Ländern zu schützen, obwohl wir weder die Mittel noch die Absicht haben, dies in irgendeiner Weise ernsthaft zu tun. Die [NATO-Erweiterung] war einfach eine leichtfertige Aktion eines Senats, der kein wirkliches Interesse an außenpolitischen Angelegenheiten hat. Was mich stört, ist, wie oberflächlich und schlecht informiert die gesamte Senatsdebatte war. Besonders gestört haben mich die Verweise auf Russland als ein Land, das darauf brennt, Westeuropa anzugreifen.“3)
Der US-amerikanische Ökonom und Publizist Paul Craig Roberts hat Putins Ansprache an das russische Volk verfolgt. Für ihn hat Putin darin seine Trauer darüber ausgedrückt, „dass die Verhandlungen mit dem Westen ihn völliges Misstrauen gegenüber Washington gelehrt haben“; er, Putin, habe acht Jahre lang versucht, „die Situation in der Ukraine so zu befrieden, dass die abtrünnigen Republiken Teil der Ukraine bleiben, sei aber von Washington frustriert worden. Daher habe nun er keine andere Wahl, als die Anerkennung der beiden Republiken durch Russland anzukündigen.“4)
Es ist bedauerlich, dass sich die Medien nicht mit Putins Rede auseinandergesetzt haben. Für Paul Craig Roberts hat Russland mit der Anerkennung eine neue Welt geschaffen. Nachdem der Hegemon (USA) nun tot sei, sollten Russland und China damit beginnen, sich vom Westen zu lösen. Sie sollten jedoch darauf achten, dass die USA immer noch in der Lage seien, mit „Atomwaffen zuzuschlagen, während es sich im Todeskampf befindet“. Für Paul Craig Roberts gibt es im Westen nichts mehr, was wirklich etwas wert ist.
„Die Länder haben bereits ihre wichtigsten Industrien an die Chinesen verschenkt und auf die bürgerlichen Freiheiten ihrer Bürger verzichtet. Wie die Covid-Mandate beweisen, glaubt der Westen selbst nicht mehr an die Werte, die er verkündet. Menschen, die ihre verfassungsmäßigen Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ausüben oder dies versuchen, werden als "inländische Terroristen" gebrandmarkt. Ihre Stimmen werden unterdrückt, sie werden aus ihren Jobs entlassen, ihre ärztliche Zulassung wird ihnen entzogen, sie werden verhaftet und eingesperrt. Die westliche Welt hat sich in ein Höllenloch der Tyrannei verwandelt.“(5)
Für Aufsehen sorgte der frühere US-Präsident Donald Trump mit einem ungewöhnlichen Lob für das Vorgehen des russischen Staatschefs Wladimir Putin. Er bezeichnete Putin als genial, smart und ausgebufft. Zudem sagte Trump, dass es unter seiner Präsidentschaft nie zu einer solchen Eskalation der Ukraine-Krise gekommen wäre.(6)
Nun kommt es darauf an, schnellstens die Deeskalation einzuleiten. Das wird aber nur möglich sein, wenn die Geschichte, zumindest aber die Entwicklung seit 1990, endlich vorurteilsfrei aufgearbeitet wird.
Dazu gibt uns Max Karl Ernst Ludwig Planck (1858-1947), Begründer der Quantenphysik, einen Rat:
„Die größte Gefahr sind heute die Leute, die nicht wahrhaben wollen, daß das jetzt anhebende Zeitalter sich grundsätzlich von der Vergangenheit unterscheidet. Mit den überkommenen Begriffen werden wir nun dieser Lage nicht mehr fertig werden. Der Bankrott der traditionellen Vorstellung von Krieg, Angriff und Verteidigung ist offenbar. Ohne Umdenken ist kein Ausweg aus der Gefahr möglich.“(7)
Anmerkungen
1) https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/russland-ukraine-konflikt-im-live-news-ticker,SxWdozS
2) https://www.osce.org/files/2022-02-18%20Daily%20Report_ENG.pdf?itok=23379
3) https://www.nytimes.com/2022/02/21/opinion/putin-ukraine-nato.html
4) https://www.paulcraigroberts.org/2022/02/21/breaking-news-feb-21-4pm-us-central-time/
5) https://www.paulcraigroberts.org/2022/02/22/russia-and-china-should-go-their-own-way/
7) Eberhard Punsch: Das neue Zitatenbuchhandbuch, Augsburg 1997, S. 826
+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: Tomasz Makowski / shutterstock.com
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