Wovon lassen wir uns motivieren?
Ein Kommentar von Felix Feistel.
Haben Sie es schon gehört? Es ist Krieg, ja unter Umständen Atomkrieg. Der größenwahnsinnige Diktator Putin strebt nach dem Wiederaufbau der Sowjetunion, oder des Zarenreiches, will die Weltherrschaft. Da scheut er auch nicht, uns das Gas abzudrehen, Europa in Kälte, Rezession und Arbeitslosigkeit versinken zu lassen. Er ist eben ein ganz böser, der Putin. So drohen uns diesen Winter Blackouts mit weitreichenden Konsequenzen, ein Ausfall der Heizungen, die Lebensmittelversorgung hängt am seidenen Faden, während gleichzeitig der Einsatz von Atomwaffen wie ein Damoklesschwert über uns dräut. Dies alles gesellt sich zu einer todbringenden Pandemie, die Millionen von Menschen dahinrafft. Es gibt überhaupt keinen Grund für einen entspannten Winter, einen optimistischen Blick auf das neue Jahr für Entspannung und Gemütlichkeit, denn wir sind von unzähligen Bedrohungen umstellt.
Wohin man auch blickt, regiert die Angst und das schon seit Jahrzehnten. Angst vor dem Ozonloch, Angst vor dem Waldsterben, Angst vor der Überbevölkerung, Angst vor dem Russen, Angst vor dem 3. Weltkrieg, Angst vor dem Ausländer, Angst vor dem Ossi. Das sind nur einige der Ängste, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder ventiliert wurden, deren Endzeitprophezeiungen sich jedoch nie realisiert haben. Auch heute ist die Angst wieder virulent. Die Angst vor einem Virus, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor der Coronaspritze, Angst vor der Rezession, Angst vor der Inflation, Angst vor der Lebensmittelknappheit, Angst davor, dass das Toilettenpapier möglicherweise nicht mehr für alle reichen könnte, Angst vor dem Krieg. Dabei ist es egal, ob man in die öffentlichen Propagandamedien schaut, oder hierher, in die freien. Kein Horrorszenario, keine Weltuntergangsprophezeiung ist unrealistisch genug, als dass sie nicht zur Bedienung des Angstnarrativs herangezogen werden könnte. Hier die Angst vor dem bösen Russen, der nach Europa einmarschieren könnte, die Angst vor einem Virus, das Tod und Verderben über die Menschheit bringen wird, Angst vor den Reichsbürgern und Neonazis, die jederzeit drohen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu stürzen, dort die Angst vor der Inflation, dem Stromausfall, dem Zusammenbruch der Zivilisation, dem Bürgerkrieg.
So bleiben auch die vermeintlich aufgeklärten Menschen in einer Angstschleife gefangen, und lassen sich von dieser Angst bestimmen. Werden auf der einen Seite die Menschen mittels ihrer Angst dazu gedrängt, sich zuhause einzusperren, sich eine Biowaffe spritzen zu lassen, und Mitmenschen mit Argwohn und Missmut zu begegnen, so werden sie auf der anderen Seite dazu getrieben, Vorkehrungen für den nahenden Untergang zu treffen, sich abzuschotten und Mitmenschen mit Argwohn und Misstrauen zu begegnen. So kaufen sie Stromgeneratoren und Lebensmittelvorräte, sperren und igeln sich in ihren vier Wänden ein, stapeln sich die Wohnung mit Wasservorräten zu, besuchen Überlebenskurse und geraten so, angespornt durch das Umfeld, immer tiefer in den Strudel der Angst hinein.
Wohin mit dem Geld, wenn es doch bald nichts mehr wert ist? Wie schütze ich mich vor dem zu erwartenden wütenden Mob, der meine Vorräte plündern will? Argwohn und Misstrauen bestimmen auch hier die Beziehungen zu den Mitmenschen und der Gesellschaft.
Nebenbei wird eine ganze Industrie bedient, die von der Angst der Menschen lebt. Seien es die Pharmafirmen, die mit den Coronaspritzen Milliarden gemacht haben, und auch jetzt mit der Behandlung der Schäden wieder riesige Profite machen können, oder seien es die Hersteller von Generatoren, Survivalgerät, haltbaren Lebensmitteln oder anderen Dingen, die als zum Überleben des nahenden Kollapses notwendig angesehen werden. Dabei muss nicht nur die individuelle Versorgung sichergestellt werden, sondern auch die Abwehr des hungrigen Mobs, der plötzlich zum feindseligen Akteur einer Postapokalypse wird.
Übersteigerte Befürchtungen
Alle Angstnarrative beruhen auf Klischees und Vorurteilen, die zum größten Teil durch Film und Fernsehen in die Köpfe der Menschen implementiert wurden. Denn wer sagt, dass im Falle einer Katastrophe, die Menschen um einen herum zu egomanischen Bestien werden, die vor Gewalt nicht zurückschrecken um einem auch das letzte Hemd abzunehmen? Würden Sie persönlich so etwas machen? Die Wahrheit ist: Die meisten Menschen sind konfliktscheue Personen, deren einziges Anliegen es ist, in Frieden und Sicherheit zu leben. Es ist unwahrscheinlich, dass der spießige Bürokaufmann von Nebenan, der Zeit seines Lebens nur durch den akkuraten Schnitt seines Rollrasens und seinem Hang zum Abschluss einer ganzen Reihe von Versicherungsverträgen aufgefallen ist, plötzlich zur Waffe greift, um einem auch die letzten drei Dosen Bohnen wegzunehmen. Denn woher sollte er diese Waffe auch nehmen? Woher den Mut, diese auch zu benutzen?
In seinem Buch „Im Grunde gut“ beschreibt der niederländische Philosoph Rutger Bregmann, dass Menschen im Falle einer echten Katastrophe gerade nicht zu den egoistischen Gewaltfanatikern werden, wie wir sie aus Hollywood kennen, sondern solidarisch zusammenhalten um die Krise zu meistern. Alle Beispiele, die wir kennen, sind lediglich Inszenierungen einer sensationslüsternen Medienlandschaft, oder aber das Ergebnis feindseliger, staatlicher Intervention, wie er am Beispiel von Hurricane Katrina und der folgenden Zeit in New Orleans verdeutlicht. Dass Corona den inneren Blockwart und Denunzianten, den Faschisten und totalitären Kleinbürger in vielen Menschen geweckt hat, der jede Solidarität vermissen ließ hat einen ganz einfachen Grund:
Bei Corona handelte es sich nie um eine echte Krise. Im Falle falscher Krisen, so erklärt Bregmann es ebenfalls, kommt die Solidarität oft zu kurz, und der innere Egomane wird nach außen gekehrt.
Doch selbst wenn die häufig ventilierten Befürchtungen allesamt eintreffen, Strom, Lebensmittelversorgung, Wasserversorgung, Gasversorgung und letzten Endes die gesamte Zivilisation zusammenbrechen, wirken all die Vorbereitungen, welche derzeit an vielen Stellen getroffen werden, mehr als hilflos. Denn sie werden nicht ansatzweise ausreichen, um einen solchen Zusammenbruch dauerhaft zu überstehen. Es ist daher naiv zu glauben, mit ein paar Lebensmittelvorräten und etwas Wasser könne man den zivilisatorischen Kollaps überstehen. Allenfalls ein zeitweiliger Ausfall der Infrastruktur kann auf diese Weise überstanden werden. Doch auch dann stellen sich andere, ganz praktische Fragen: Wenn die Pumpen der Kanalisation und der Wasserversorgung ausfallen, wohin dann mit den menschlichen Ausscheidungen? Es sind die Banalitäten des Alltags, die im Falle des Kollapses plötzlich zu einer Herausforderung werden. Zudem reiben sich die Produzenten von Überlebenswerkzeug, Generatoren, Öfen, Brennholz und all den anderen Dingen, die Hände. Die Preise schießen allein aufgrund der gestiegenen Nachfrage in die Höhe, und einige Unternehmen kassieren wieder einmal ordentlich ab. Auch die Krypto-, Edelmetall- oder Aktienhändler freuen sich über die Gewinne.
Gefangen in der Hilflosigkeit
Die Menschen leben also beständig in Ängsten, auf die adäquat zu reagieren unmöglich ist. Wenn wirklich ein todbringendes Virus grassiert, und die viel gepriesene „Impfung“ auf ganzer Linie versagt, dann gibt es keinen Weg, eine Infektion zu verhindern. Wenn die Energieversorgung zusammenbricht, das Gas versiegt oder auch der Klimawandel den Planeten zerstört, dann gibt es auch an dieser Stelle nichts, das unternommen werden kann um das zu verhindern. Denn die Ursachen für die suggerierten Bedrohungen liegen weit außerhalb der Handlungsmöglichkeiten jedes Einzelnen. Auf diese Weise können die Menschen nicht agieren. Stattdessen sind sie gezwungen, ständig auf vollendete Tatsachen zu reagieren, Tatsachen, die von anderen Stellen bewusst inszeniert oder herbeigeführt werden, um höhere Ziele zu erreichen. Ein Volk in Angst, das beständig nur reagiert, anstatt selbstbewusst zu handeln, ist eine leicht zu steuernde Masse, von der für die Herrschenden keinerlei Gefahr ausgeht.
Beliebig können die herrschenden Stellen neue Bedrohungen erschaffen, die dann wieder das Handeln der Menschen bestimmen, und so starren letztere beständig wie das Kaninchen auf die Schlange der Herrschaft und sind damit letztendlich auch von dieser abhängig. Denn das Handeln der Herrschenden, mit dem sie Bedrohungen erschaffen, strukturiert durchgehend das Leben der Untergebenen, die sich gefangen finden in beständiger Reaktion. Es ist ein Leben in der Erstarrung in welcher die Menschen sich selbst begrenzen. Es ist gleichzeitig auch ein sehr bequemes Leben. Denn wer beständig damit beschäftigt ist, auf vermeintliche Bedrohungen reagieren zu müssen, der hat eine nachvollziehbare Ausrede dafür, dass er sein Leben nicht wirklich lebt. Denn Kunst, Kultur, Austausch und Zusammensein außerhalb von der direkten Planung des Ernstfalles, also all die Dinge, die das Leben überhaupt erst lebenswert und lebendig machen, kommen dabei in der Regel ebenfalls unter die Räder. Für selbstbewusstes Handeln, für Tatendrang und Unabhängigkeit fehlen sowohl die Energie, als auch der notwendige Fokus. Es ist auch ein Zustand der Unfreiheit, in dem man auf diese Weise gefangen ist, nur dass die Ketten aus Angst und Befürchtungen bestehen. Diese Unfreiheit macht uns regierbar.
Verdrängte Wahrheit
Diese Angst entsteht zumeist aus der Abwehr einer an sich doch recht profanen Erkenntnis: Dass der Mensch sterblich ist, und sein Leben irgendwann endet. Wann und wie das geschieht, liegt selten in der Hand des Einzelnen. Sei es nun der Weltuntergang, ein schnöder Autounfall oder das friedliche Entschlafen nach einem langen Dasein auf Erden. Wie wir aus dem Leben gehen, können wir nicht vorhersehen. Und gerade dieser Gedanke des Unvorhersehbaren, macht den Menschen Angst, ebenso wie die Vorstellung des plötzlichen Endes. Eben so betrachten wir heutzutage das mögliche Ende der Zivilisation. Der Mensch projiziert die Angst vor seiner eigenen Sterblichkeit auf die ihn umgebende Gesellschaft und fantasiert, ob berechtigt oder nicht spielt eigentlich keine Rolle, einen Untergang herbei, um sich in Beschäftigung auf dessen Vorbereitung vergessen zu können. Denn im Gegensatz zum eigenen Tod kann man sich, zumindest dem Anschein nach, auf den Tod der Zivilisation vorbereiten. Und so lenken diese Vorbereitungen von der Ausweglosigkeit des eigenen Todes ab.
Bei all den Vorbereitungen auf das Ende vergessen viele Menschen aber zumeist, davor überhaupt zu leben. Und so ist der Ausspruch nicht falsch, dass die Angst vor dem Tod eigentlich eine Angst vor dem Leben bedeutet. Denn Angst vor dem Tod hat nur, wer es davor versäumt hat, überhaupt zu leben. Wer hingegen sein Leben so gestaltet, dass er darin mit jedem Tag Erfüllung findet, und so am Ende seines Lebens, wann immer dieses ihn auch ereilen mag, zurückblicken und feststellen kann, dass er nichts vermisst und verpasst hat, der muss vor dem Ende keine Angst haben.
In einer Gesellschaft, die jedoch das ganze Leben auf einen Zeitpunkt im Rentenalter verschiebt, haben die wenigsten Menschen überhaupt wirklich zu leben angefangen, bevor der Tod sie ereilt.
Hinzu kommt die weitgehend spirituelle Leere der heutigen Gesellschaft. Diese hat die menschliche Existenz auf das materielle Dasein im dreidimensionalen Körper reduziert. In einer solchen Weltsicht endet der Mensch eben mit seinem Leben. Das Fehlen der Vorstellung von einer höheren Seinsform, das absolute, totale Ende der eigenen Existenz mit der Auslöschung des physischen Daseins schürt unglaubliche Ängste.
Wovon lassen wir uns motivieren?
Natürlich bleibt es jedem Menschen selbst überlassen, womit er seine Zeit verbringt. Jeder kann sich einen Dieselgenerator zulegen, sich Öfen in die Wohnung bauen, Nahrungsmittel horten und Überlebenskurse besuchen. Es soll damit auch nicht gesagt werden, dass es nicht sinnvoll sei, ein Stück seiner Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Die Frage ist nur, aus welcher Motivation heraus solche Schritte unternommen werden. Geht es um die Abwehr einer Gefahr, deren Eintreten nicht wirklich garantiert ist? Geht es darum, auf von oben verordnete Bedrohungen zu reagieren, sich darauf vorzubereiten um eventuell für den möglicherweise eintretenden Tag des Untergangs gewappnet zu sein, und dann eine gewisse Zeit länger überleben zu können, als alle anderen? Welcher Vorteil soll sich daraus ergeben, außer, den fortschreitenden Verfall all dessen, was man gekannt hat, bestaunen zu können, was aus künstlerischer und philosophischer Sicht ja tatsächlich auch interessant sein kann? Sprich: Handelt man aus Angst?
So ist auch die Mentalität reicher Menschen, sich in Bunkeranlagen zu verkriechen, wenn der Tag des jüngsten Gerichts über sie hereinbricht, wenig zielführend. Denn was soll schon ein Leben im Bunker noch mit Lebendigkeit zu tun haben? Eingesperrt bis ans Ende aller Tage kann man sich lediglich auf den wenigen Quadratmetern aufhalten. Da überkommt einen doch recht schnell die Langeweile, selbst wenn Pool und Sauna sowie Fernsehen mit dem kompletten Netflix- und Amazon Prime-Angebot verfügbar sind, mal angenommen, man habe sich letzteres auf eigene Server heruntergeladen. Leben im Bunker ist auch Leben in der Passivität. Und so sind auch die reichsten unter uns lediglich von Angst bestimmt, und existieren in einem Leben, das jegliche Lebendigkeit vermissen lässt.
Sich aus Angst in Bunkern oder fernab der Zivilisation zu verschanzen, Lebensmittel und Waffen horten um auf die nächste große Apokalypse, einen Angriff von Außen und den totalen Zusammenbruch vorbereitet zu sein, bietet zudem keine attraktive Perspektive für die meisten Menschen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass so wenige diesem Beispiel folgen, und sich ebenfalls auf diese Weise gegen das herrschende System wenden. Denn ein solcher Lebensentwurf entfaltet keinerlei Sogwirkung, im Gegenteil, es gibt einfach nichts, das jemanden dazu verlocken könnte, in einer Bunkermentalität auf den Tag des Untergangs zu warten, und sich dabei ständig von realen oder eingebildeten Feinden umzingelt zu sehen.
Doch die Motivation kann auch eine ganz andere sein. Man kann dasselbe tun, unabhängige Energieversorgung aufbauen, Landwirtschaft betreiben, Nahrungsvorräte anlegen und sich im Rahmen eines Überlebenstrainings über Tage im Wald aufhalten, angetrieben jedoch nicht von extrinsischer Angst und als Vorbereitung auf die Apokalypse, sondern mit der intrinsischen Motivation, seinem Leben eine andere Qualität zu geben, lebendig zu sein und die Unwägbarkeiten des Lebens in vollen Zügen zu genießen. Statt in Reaktion auf das nahende Ende kann man sein Leben in reiner Aktion gestalten, mit dem Ziel, die individuelle Freiheit zurückzugewinnen, die man in dieser Zivilisation zu einem großen Teil verloren hat. Man kann sein Leben mit Lebendigkeit und Abenteuer füllen, mit Kunst, Kultur, Kreativität und Spontaneität, und dabei dennoch unerschütterlich und unabhängig werden.
Und mit diesem Ziel vor Augen ergibt es ebenso Sinn, seine Energieversorgung sicherzustellen, seine Ernährung, seine Gesundheit, seine Trinkwasserversorgung. Doch auch, wenn das auf der Erscheinungsebene ähnlich aussieht, so bringt eine solche Motivation eine ganz andere Lebensqualität. Denn anstatt verkrampft auf die ständigen neuen Bedrohungen zu schielen, und seine Vorsorge beständig neu anzupassen, ergibt sich die Unabhängigkeit ganz alleine aus den eigenen Bedürfnissen, die zu diesem Zweck überhaupt erst einmal erkannt werden müssen. Eine solche Herangehensweise gestaltet das Leben als Experiment, als Spiel mit den Möglichkeiten. So ist auch ein unverkrampfterer Austausch mit den umgebenden Menschen möglich, eröffnet sich der Raum für Ausprobieren und Veränderungen, für Versuch und Scheitern, ohne, dass die Psyche dabei gleich in Todesangst und Verzweiflung gerät. Dabei geht auch die Freude am Leben nicht verloren, sondern kann, im Gegenteil, überhaupt erstmals entdeckt werden.
Es öffnet sich der Raum für Lebendigkeit wobei die Angst vor dem Tod zu einer vernachlässigbaren Komponente wird. Es ermöglicht auch seinen Frieden mit der eigenen Sterblichkeit zu machen.
Die Frage, die sich stellt, ist nicht, ob, wann und wie wir sterben werden, sondern nur, ob wir bis dahin gelebt haben wollen. Wenn wir diese Frage mit Ja beantworten, dann ist es an der Zeit, sich von der Angst zu lösen und mit dem Leben anzufangen.
Sich ausprobieren, kreativ, wild und unberechenbar zu sein, anstatt auf der eintönigen Gleise des reinen Überlebens zu fahren, kann einen ersten Schritt in die Lebendigkeit hinein bedeuten.
Dies kann angereichert werden mit einer Vorstellung von einem höheren Dasein, einem Leben nach dem Tod oder einer Wiedergeburt, die das Leben hier als kurze Episode erkennen lässt, die dazu dient, Erfahrungen zu machen und zu wachsen. Doch dazu muss man tatsächlich das Leben beim Schopfe packen, sich ausprobieren und immer neue Aspekte des Lebens entdecken. Nur im Unbekannten und jenseits der Komfortzone findet Wachstum statt.
So schaffen wir, ganz nebenbei, auch Lebensentwürfe, die für andere Menschen verlockender sein können, als das Leben in der momentanen, auf Konsum, Selbstoptimierung und Lohnarbeit ausgerichteten, eigentlich vollkommen monotonen und leblosen Gesellschaft. Denn diese bietet kaum Spielräume für Lebendigkeit, für Kreativität und Spontaneität. Kleine Inseln der Lebendigkeit können auf diese Weise eine unglaubliche Sogwirkung entfalten, Menschen dazu ermutigen, ebenfalls ins Leben zu springen und ihrerseits aus dem System auszuscheren. Die Menschen werden unberechenbar, und damit auch unregierbar. Wenn immer mehr Menschen die Lebendigkeit in sich entdecken, werden sie sich vom herrschenden Gesellschaftsmodell abwenden. Auf diese Weise kann sich die Gesellschaft verändern, ohne, dass man Gewalt anwenden müsste. Tatsächlich ist Gewalt der schlechteste Weg, etwas zu verändern, da man durch sie nur eine andere Form der Hierarchie schafft, eine andere Form der Unterdrückung und Abhängigkeit. Gewalt reproduziert bestehende Verhältnisse, Lebendigkeit hingegen transzendiert sie.
Die momentan Herrschenden sind selber getrieben von Angst. Angst vor dem Verlust des eigenen Wohlstands, Angst vor dem Verlust der Macht, Angst vor einer Veränderung der Verhältnisse, und letztlich auch Angst vor den Menschen. Sie selbst reagieren nur auf diese Ängste und übertragen sie auf die Gesellschaften, die sie beherrschen. Denn auf diese Weise bleiben die Menschen beherrschbar. Damit stehen sie aber auch Lebendigkeit, Unberechenbarkeit und Spontaneität hilflos gegenüber. Es ist eine Sprache, die sie selbst nicht sprechen und daher auch nicht verstehen. Sie haben die ganze Gesellschaft nach ihren Ängsten strukturiert, nach der vermeintlichen Sicherheit von Geld und materiellem Besitz. Für sie ist es unvorstellbar, aus diesem Gedankenkorsett auszubrechen. Ihre Macht untergräbt man also am besten durch Angstfreiheit, Kreativität und einem Hang zum Spiel und Experiment im eigenen Leben.
Das alles soll nicht bedeuten, dass die Ängste vor dem Untergang der Zivilisation nicht einen realen Hintergrund haben. Jede Zivilisation findet irgendwann ihr Ende, ebenso, wie jedes menschliche Leben. Doch in der Regel kommt dieser Untergang nicht mit einem lauten Knall, sondern in Form eines schleichenden Verfalls, einer Phase, in die wir längst eingetreten sind. Auch wird nicht alles mit einem Schlag verschwunden sein, auf das wir so lange vertraut haben. Stattdessen werden sich die Dinge einfach verändern. Manche Erfindungen und Einrichtungen werden verschwinden. Dafür werden neue entstehen. Die Menschheit hat, gerade in Zeiten der Krise, ein unglaubliches, kreatives Potenzial. Es ist also gar nicht notwendig, sich in der Angst zu verlieren.
Der Geist ist unter dem Einfluss der Angst wenig flexibel. Der Psychiater Bessel van der Kolk schreibt in seinem Werk „Verkörperter Schrecken“ dazu: „So lange sich unser Geist gegen Angriffe unsichtbarer Feinde zur Wehr setzt sind nicht nur unsere engsten Bindungen in Gefahr, sondern auch unsere Fähigkeit, uns etwas vorzustellen, zu planen, zu spielen, zu lernen […]“. Nur Angstfreiheit weitet den Fokus so sehr, dass Raum für kreative Lösungsansätze besteht. Natürlich ist es nicht so leicht, seine Angst einfach abzustreifen. Es ist ein beständiger Prozess der Reflexion und geistigen Arbeit, der auf vielfältige Art und Weise stattfinden kann. Ein erster Schritt könnte sein, sich bei allem, was man tut, der eigenen Motivation zu vergegenwärtigen. Handele ich aus der Angst heraus, oder möchte ich für mich ein Stück Lebensqualität gewinnen? Reagiere ich auf einen externen Reiz, der mir eine Bedrohung suggeriert, die möglicherweise gar nicht oder zumindest nicht so akut besteht, wie ich denke, oder agiere ich aus intrinsischer Motivation?
Weitere Schritte könnten die Aufarbeitung der eigenen Traumata sein, welche die Psyche immer wieder reinszeniert, und dadurch im beständigen Überlebensmodus verharrt. Ebenso könnten Meditation, Psychotherapie oder einfach Gespräche mit unseren Nächsten den Prozess der Angstfreiheit unterstützen. Auch etwas Neues wagen, die eigene Komfortzone verlassen und sich in vollkommen andere Lebenssituationen zu begeben kann den Fokus erweitern und dazu beitragen, die eigenen Ängste zu überwinden.
Bei all dem kann man sich vor Augen führen, dass nichts ewig währt. Das Leben endet irgendwann, ebenso, wie die menschlichen Zivilisationen. Wir sind nur Gast in diesem Leben, halten uns einige Zeit hier auf, und gehen dann wieder. Alles ist vergänglich, selbst die ewig scheinenden Gebirge, Ozeane, Wälder oder Wüsten. Wollen wir die kurze Zeit des Lebens in Angst erstarrt verharren, und uns an vermeintliche Sicherheiten klammern, oder die kurze Zeit des Lebens für Kreativität, Freude und zwischenmenschliche Beziehungen nutzen?
Die Beantwortung dieser Fragen bleibt natürlich jedem Einzelnen selbst überlassen.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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