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Von Kazan in die Zukunft

Von Kazan in die Zukunft

Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.

In der Berichterstattung der westlichen Medien hat der BRICS-Gipfel in Russland kaum stattgefunden. Die Ergebnisse waren nicht so spektakulär wie die von Johannesburg 2023 mit seiner Erweiterung. Welche Entwicklungen deuten sich an und welche sind eher nicht zu erwarten?

Enttäuschung

Viele Erwartungen, die im politischen Westen mit dem BRICS-Gipfel vom 22. bis 24. Oktober 2024 im russischen Kazan verbunden waren, haben sich nicht erfüllt. Die westlichen Medien hatten sich kaum mit diesem Treffen beschäftigt. Für sie stand im Vordergrund die Frage, wer sich daran beteiligt und vor allem, wer nicht. Besonders letzteres wurde mit Schadenfreude und Häme hervorgehoben und als Beweis für Russlands Isolation herausgestellt. Auch suchte man nach Signalen für den weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine.

Am Schluss kam dann noch Aufregung darüber auf, dass UN-Generalsekretär Guterres dem Gipfel durch seine Anwesenheit höhere Weihen verlieh und Putin einen Propagandaerfolg verschaffte. Aber über die Themen, die besprochen wurden, die Beschlüsse, die gefasst, und die Entwicklungen, die sich andeuteten, erfuhr der westliche Medienkonsument nur wenig aus den sogenannten Qualitätsmedien. Vielleicht waren diese aber auch außer Stande zu verstehen, was sich da anbahnt.

Auch für westliche Kapitalismus-Kritiker war der Gipfel eher enttäuschend. Hatte man 2023 in Johannesburg noch die Ausweitung des Verbandes von fünf auf inzwischen zehn Mitglieder als einen neuen Höhepunkt scheinbar antiwestlicher Entwicklung gefeiert, so blieben in Kazan vergleichbare Paukenschläge aus. Die von westlichen Kapitalismuskritikern erhoffte Fortsetzung einer Politik der Abkehr vom Dollar wurde nicht bestätigt, eher scheint sich diese zu verlangsamen.

Auch die Hoffnung auf eine Festigung des Verbandes zu einem klar antiwestlichen Bündnis, das die Multipolarität und den Niedergang des politischen Westens fest in den Blick nimmt, hat sich nicht erfüllt. Wenig deutet darauf hin, dass die Konfrontation beschleunigt und die westliche Vorherrschaft stärker bekämpft werden soll. Das ersehnte Gegengewicht zum westlichen Kapitalismus scheint sich noch nicht abzuzeichnen. Da nützen auch alle Zahlen nichts, die man so gerne bemüht, um sich mit der wachsenden Bedeutung des BRICS Mut und Hoffnung zu verschaffen. Ernüchterung hat viele Kapitalismus-Kritiker erfasst. Man weiß nicht, was man von Kazan halten soll.

Finanzkontrolle

Nun ist das BRICS ja nicht der Erfüllungsgehilfe von westlichen Interessen. Die Mitglieder des Verbandes haben eigene Vorstellungen, die sich nach den Bedürfnissen ihrer Völker richten, nicht nach denen der goldenen Milliarde. Und zu diesen Interessen scheint fürs erste weniger die Abkehr vom Dollar zu gehören und schon gar nicht die Entwicklung einer eigenen Währung. Zu groß scheinen in diesem Punkt die Unterschiede zwischen den BRICS-Staaten. Das hängt zusammen mit dem unterschiedlichen Entwicklungsstand ihrer Wirtschaften und auch deren Einbindung in die westlichen Märkte.

Die westliche Hoheit über das globale Finanzsystem erweist sich doch als wesentlich stärker und umfassender, als viele Beobachter der Vorgänge vermutet hatten. Das dürfte selbst für Vertreter von BRICS-Staaten gelten. Besonders die USA mit ihrer gewaltigen Markt- und Militärmacht scheinen doch noch mehr Asse im Ärmel zu haben, als allgemein angenommen wird und bekannt ist. Die Angst vor amerikanischen Sekundär-Sanktionen geht um und lässt selbst chinesische Banken sehr vorsichtig werden in ihren Kontakten zu Russland.

Dasselbe gilt auch für türkische Geldhäuser, über die seit dem Beginn des Krieges viele Warenströme und Zahlungsvorgänge zwischen Russland und anderen Staaten unter Umgehung von Sanktionen abgewickelt wurden. Es ist für die USA nicht so einfach, Staaten zur Einhaltung von Sanktionen zu zwingen, wie man am Beispiel Indiens sieht. Dagegen scheint es leichter, die Banken selbst unter Druck zu setzen, indem man ihnen mit Sekundärsanktionen durch die US-Finanzaufsicht droht, wie unlängst durch die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen.

Besonders die internationalen Banken fürchten um ihr Geschäft. Denn es besteht die Gefahr von Strafzahlungen, der Beschlagnahmung von Vermögenswerten und dem Ausschluss aus dem amerikanischen Markt. Die Eingriffe der USA gehen mittlerweile so weit, dass selbst die Verwendung russischer Kreditkarten zu Sanktionen gegen Banken führen kann, die diese als Zahlungsmittel akzeptieren. Das behindert nicht zuletzt auch den Handel der BRICS-Staaten untereinander, vor allem den zwischen Russland und China.

Besonders im Bereich der Abkopplung vom Dollar hat das Treffen in Kazan wenig spektakuläre Neuerungen gebracht. Schon vor dem Gipfel hatte der russische Präsident Wladamir Putin die Erwartungen in dieser Hinsicht gedämpft: „Was die einheitliche BRICS-Währung betrifft, denken wir derzeit nicht über dieses Thema nach, sie ist noch nicht reif. Wir müssen sehr vorsichtig sein, hier müssen wir schrittweise und langsam vorgehen“ (1).

Offensichtlich scheint man sich zumindest in Russland der unterschiedlichen Interessen bei den einzelnen BRICS-Mitgliedern bewusst zu sein und will keine neuen Konfliktherde schaffen. Für die sanktionierten Staaten des Verbandes wie Russland und den Iran ist dieses Thema drängender als für Länder wie Indien, Südafrika oder Brasilien. Dennoch zeigen sich alle BRICS-Staaten „zutiefst besorgt über die negativen Auswirkungen illegitimer einseitiger Zwangsmaßnahmen, einschließlich illegaler Sanktionen, auf die Weltwirtschaft, den internationalen Handel und die Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele“ (2).

Alle BRICS-Staaten scheinen sich der Gefahren bewusst zu sein, die durch westliche Sanktionen für ihre eigene Entwicklung drohen, auch wenn sie derzeit unterschiedlich davon betroffen sind. China, selbst bereits Leidtragende von westlichen Sanktionen, verhält sich zurückhaltend in diesen Währungsfragen. Die westlichen Märkte haben großen Anteil am chinesischen Warenabsatz und damit am Wohlstand seiner Bevölkerung. Vermutlich will man neben den bereits bestehenden Zöllen nicht noch weitere Belastungen für die chinesische Wirtschaft riskieren durch westliche Angriffe auf das chinesische Finanzwesen. Zudem sind neue Zölle ab Januar zu befürchten, wenn Donald Trump sein Amt als US-Präsident antritt.

BRICS im Nachteil

Wenn auch die BRICS-Staaten nach Zahlen zum politischen Westen aufgeschlossen haben, ja teilweise an ihm vorbeigezogen sind, so darf das nicht darüber hinweg täuschen, dass die Macht über die Finanzmärkte und die globalen Institutionen wie IWF, Weltbank und den Institutionen der UNO immer noch beim Westen liegt. Hinzu kommt, dass BRICS nicht diese geschlossene Organisation ist, wie der Name den Eindruck erweckt. Der Westen ist dagegen einheitlicher verfasst. Er verfügt über gemeinsame Militärbündnisse und eine sogenannte regelbasierte Ordnung, deren Regeln er selbst festlegt und ihnen gegenüber anderen Nationen Geltung verschafft.

Zudem hat er in China und Russland gemeinsame Feinde aufgebaut, die er zu einer Bedrohung für sich erklärt und gegen die er sich zu einem Block zusammengeschlossen hat. Über eine solche Blockbildung verbunden mit gemeinsamen ständigen Militäreinrichtungen verfügen die BRICS-Staaten nicht. Sie verstehen sich nicht als Bündnis und schon gar nicht anti-westlich. Sie sind ein mehr oder weniger loser Verbund von Staaten, die sich im Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung zusammen gefunden haben.

Sie haben noch nicht einmal eine einheitliche Führung, keine gemeinsamen Institutionen, die vergleichbar denen der Europäischen Union verbindlich für alle Mitglieder sind. Die BRICS verfügen nicht einmal über ein gemeinsames Sekretariat, das die Arbeit des Bundes zwischen den Gipfeltreffen fortführt. Das einzig wirkliche Zentrum des Verbandes, in dem alle Mitglieder in einer festgefügten Form miteinander verbunden sind, ist die Neue Entwicklungsbank (NDB). Sie arbeitet ständig und unabhängig von Gipfeltreffen, aber selbst diese ist nicht alleiniges Zentrum aller BRICS-Staaten, da auch andere Staaten, die nicht den BRICS angehören wie Algerien, an ihr beteiligt sind und Anteile erwerben können.

Daran wird deutlich, wie locker und lose dieser Verband ist. Insofern wäre eine antiwestliche Ausrichtung, die von vielen im Westen herbeigesehnt oder befürchtet wird, vermutlich eher schädlich als hilfreich. Es bestünde die Gefahr, dass eine solche Ausrichtung, würde sie zu einer Verbindlichkeit erhoben werden, die Spannungen, die ohnehin schon in Form von Nachbarschaftskonflikten bestehen, durch politische Auseinandersetzungen verstärken würde.

Neue Aufgaben

Aber man scheint sich darüber im Klaren zu sein, dass dieser mehr oder weniger ungeordnete Zustand auf Dauer nicht so bleiben kann, will man nicht an Handlungsfähigkeit einbüßen. So kommt denn auch in der Abschlusserklärung die Bereitschaft zum Ausdruck, „die institutionelle Entwicklung von BRICS weiter zu fördern“ (3). Man denkt also darüber nach, Institutionen zu schaffen, die die Arbeit der BRICS verstetigen und zwischen den richtungsweisenden Gipfeltreffen fortsetzen.

Trotz des großen Interesses anderer Staaten, selbst des NATO-Staates Türkei, sich dem Verband anzuschließen, wurden in Kazan keine neuen Mitglieder aufgenommen. Wie weit die Verdopplung der Mitgliederzahl nach dem Gipfel von Johannesburg bereits verarbeitet ist, kann nicht genau gesagt werden. Klar ist jedenfalls, dass die Entscheidungsfindung schwieriger geworden ist durch diese starke Erweiterung der Mitgliederzahl. Denn diese bringt neue Interessen ein und auch zum Teil sehr unterschiedliche wirtschaftliche wie politische Voraussetzungen mit sich. In entwickelten Ländern wie China und Russland sind sie andere als beispielsweise in Ägypten oder gar Äthiopien.

Damit andere Staaten sich nicht mit ihrem Beitrittsinteresse hingehalten fühlen wie etwa die Türkei seit Jahrzehnten durch die Europäische Union, wurde ein neuer Kreis für Interessenten geschaffen, den der BRICS-Partnerländer. Diese können an den Sitzungen der BRICS teilnehmen, sind aber noch nicht stimmberechtigt. Damit sind sie bereits in der Arbeit und Entwicklung des Verbandes eingebunden mit der Aussicht auf Aufnahme. Die Erweiterung der BRICS macht nicht nur Institutionen notwendig, die die Arbeit zwischen den Gipfeltreffen weiter tragen. Sie verlangt auch die Ausarbeitung von Kriterien, nach denen neue Mitglieder aufgenommen werden.

Aber sicher ist, dass die Zahl der Mitglieder und Interessenten wachsen wird. Denn die Welt ist auf dem Weg in eine neue Ordnung, in der alle Staaten gleich sind in der Berücksichtigung ihrer Interessen und ihrem Wunsch nach Sicherheit. Auch das hat der Gipfel von Kazan in seiner Abschlusserklärung als klares Ziel zum Ausdruck gebracht und weist damit den Weg in eine neue Zukunft.

Quellen und Anmerkungen

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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(1) Wsgljad vom 18. Oktober 2024: Putin: Die Frage einer einheitlichen BRICS-Währung ist noch nicht reif

(2) Tass vom 23. Oktober: Kasaner Erklärung des BRICS-Gipfels

(3) infobrics vom 24. Oktober 2024 Erklärung von Kasan auf BRICS-Gipfel verabschiedet

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Luiza Kamalova / shutterstock


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