Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Da sich Ostern mit Riesenschritten nähert, hatte ich Ende letzter Woche in einem Artikel unter dem Titel „Vorsicht vor Fake-Friedensdemos“ gewarnt und den Lesern nahe gelegt, sich zuerst anzuschauen, hinter welchen Fahnen sie sich einreihen. Dafür erntete ich aus einigen Strömungen der vielschichtigen Friedensbewegung harte Schelte und von anderer Seite starke Unterstützung. Dennoch könnte man argumentieren, dass mein Artikel möglicherweise spaltet und Unentschlossene ganz davon abhalten könnte zu demonstrieren.
Meine Intention richtete sich jedoch vielmehr darauf, dass Organisationen und ihre Anführer, die zu Demonstrationen für einen ohnehin nicht durchsetzbaren Waffenstillstand in der Ukraine oder für ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine aufrufen, am Kern der Ursache für die weit über die Ukraine hinausgehende Katastrophe vorbeigehen. Ein Waffenstillstand ist weder von den USA noch der NATO noch von dem Clown-Präsidenten Selenskyj gewollt. Das wurde von den entsprechenden Kreisen bereits so oft wiederholt, dass es als Gemeingut in den aktuellen Wissensstand einging.
Während des jüngsten Besuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Moskau, als aus US-Sicht auf einmal die schreckliche Möglichkeit drohte, dass Xi einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine vermitteln könnte, hat das Weiße Haus vorsorglich erklärt, dass ein von China ausgehandelter Frieden für Washington inakzeptabel ist. Denn das erklärte Ziel der USA ist, Russland zu schwächen. Folglich gilt: In dem US-hörigen NATO-Land Deutschland für Waffenstillstand zu kämpfen ist vergleichbar mit dem Kampf Don Quijotes gegen Windmühlen. Es bringt nichts. Zudem geht die Forderung am Kern des Übels vorbei. Und wer damit gegenüber den Herrschenden nur ein Signal setzen will, hat bessere Möglichkeiten, das zu tun.
Die Forderung nach einem Ende der Waffenlieferungen, ohne auf die Vorgeschichte der aktuellen Phase des Krieges einzugehen und ohne die schweren Brüche des Völkerrechts – auch unter Beteiligung Deutschlands – in Bezug auf Minsk II zu thematisieren, hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Darauf wird weiter unten im Text eingegangen. Über so etwas können die Herrschenden nur lachen.
Wir müssen verstehen, dass das Grundübel in der Ukraine nicht mit einem Stopp von NATO-Waffenlieferungen oder einem Waffenstillstand geheilt werden kann. Das Grundübel in der Ukraine - und auch hier bei uns - sind die NATO und die ihr hörigen transatlantischen Eliten. Daher sollte für die Ostermärsche gelten:
Nur wo „NATO raus aus Deutschland“ oder „Deutschland raus aus der NATO“ draufsteht, ist auch wirklich Frieden drin. Nur so kann es Frieden in der Ukraine, Frieden mit Russland und Frieden in Europa geben. Und wenn es keine Fahnen mit entsprechenden Forderungen gibt, dann beschriftet selbst Plakate und reiht Euch in die Demo, um nicht das Feld denen zu überlassen, die den Kern des NATO-Übels noch nicht erkannt haben!
Meine Sorge um die Möglichkeit organisierter Fehlorientierung der Ostermärsche in NATO-neutrale oder gar Pro-NATO-Demonstrationen kommt nicht von ungefähr.
Denn vor dem 74. Jahrestag der Gründung der NATO am 4. April kann davon ausgegangen werden, dass bei den Oster-Friedensmärschen jede Menge Bauernfänger unterwegs sind, um vor allem politisch weniger erfahrene, junge Leute den falschen Demos zuzuführen.
Denn Friedensorganisation ist nicht gleich Friedensorganisation. Selbst die NATO präsentiert sich seit Jahren unentwegt als erfolgreichste Friedensorganisation der Welt. Das ist weder Witz noch Satire, höchstens Realsatire. Und die gekauften und bezahlten Presstituierten verbreiten diesen NATO-Heiligenschein fleißig in ihren Schrott-Medien, die sich selbst weiterhin hochtrabend als „Qualitätsmedien“ bezeichnen.
Anders Fogh Rasmussen, ex-Generalsekretär der NATO und ehemaliger Ministerpräsident von Dänemark, hat allen Ernstes die NATO bei einem Symposium in Sankt Gallen im Jahre 2015 trotz der unprovozierten, brutalen, völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskriege gegen und die Zerstörung von Jugoslawien, Irak, Libyen und Syrien als „the worlds most successful peace organisation“, also als die „erfolgreichste Friedensorganisation der Welt“ bezeichnet. Und vom Publikum wurde er nicht einmal ausgelacht. So tief eingepflanzt ist das Narrativ von der guten NATO und den friedliebenden USA in den Hirnwindungen der Mehrheit der Bevölkerung.
2019 feierte das Pentagon 70 Jahre NATO auf seiner Internetseite pompös mit dem Aufmacher: „NATO feiert 70 Jahre Frieden“[1] und das US-Qualitätsmedium vom Typ „Relotious-Spiegel“ erklärte seinen gutgläubigen Lesern, „Warum die NATO unverzichtbar für den Weltfrieden ist“[2]
Schauen wir uns nun an, was so alles im Vor- und Umfeld der Friedensdemonstrationen abläuft. Ich komme gerade von einer Konferenz, zu der ein gestandener, international anerkannter Militärwissenschaftler und ehemaliger Oberst den Organisatoren im Vorfeld mitgeteilt hatte, aus „Gründen des Selbstschutzes vor Diffamierungen und Nachstellungen“ müsse er die russische Sonderoperation in der Ukraine als Angriffskrieg verurteilen. Damit verbeugte sich auch der gestandene Mann im vorauseilenden Gehorsam vor dem Gessler-Hut, den die US/NATO-Kriegstreiber – wie ihn damals bei Willhelm Tell jener Reichsvogt an einer Wegkreuzung aufgestellt hatte. So weit sind wir in unserem Land gekommen. Aber für die Herrschenden ist der Gessler-Hut ein wirksames Mittel, um die Vorgeschichte des Krieges, um Ursache und Wirkung zu verschleiern und die Anti-Kriegsbewegung zu teilen.
Jede Verbeugung vor dem Gessler-Hut bedient die US/NATO-Kriegspolitik gegen Russland – zum Schaden Europas und vor allem zum Schaden der Ukraine. Denn jede Verurteilung des angeblich „brutalen russischen Angriffskriegs gegen unschuldige ukrainische Frauen und Kinder“ aus den Reihen von Friedensdemonstrationen bei den Ostermärschen ist Wasser auf die Mühlen der imperialistischen Politik Washingtons; Wasser auf die Mühlen des Krieges gegen Russland, der bis zum letzten ukrainischen Soldaten verlängert werden soll. Und ganz nebenbei wird auch noch unsere deutsche Wirtschaft ruiniert. Denn die von US-Präsident Joe Biden erklärte Politik der Re-Industrialisierung Amerikas forciert die De-Industrialisierung Europas!
Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte. Dieser Krieg ist die Konsequenz einer über 20 Jahre dauernden Aneinanderreihung von schweren, anti-russischen Provokationen und höhnischen Zurückweisungen nachvollziehbarer und berechtigter Sicherheitsbedürfnisse Russlands, die angesichts der ständigen US/NATO-Expansion im Laufe der letzten Jahrzehnte mehr als gerechtfertigt waren. Zugleich haben die vielen US/NATO-Angriffskriege und Destabilisierungen ganzer Staaten in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass die NATO das Gegenteil einer Friedens- oder Sicherheitsorganisation ist.
Zudem fand die NATO-Expansion gen Russland unter der lauten und begeisterten Begleitmusik ukrainischer Faschisten und osteuropäischer Russenhasser statt. Die haben von Anfang an verstanden, dass es dabei gegen Russland geht. Wer noch daran zweifelte, der wurde im April 2022 vom US-Verteidigungsminister Lloyd Austin anlässlich seines Besuchs in Warschau eines Besseren belehrt. Der erklärte, dass es den USA bei dem Krieg nicht um die Ukraine geht, sondern „um die nachhaltige Schwächung Russland“, weshalb der Krieg auch möglichst lange dauern soll. Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung von einem „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ schwer zu belegen.
Aber es gibt auch einen weiteren Grund, weshalb echt friedensbewegte Menschen sich nicht vor dem „Gessler-Hut“ des US/NATO-Narrativs verbeugen sollten. Eine zwecks Selbstschutz geäußerte Beschuldigung Russlands, einen „unprovozierten Angriffskrieg“ in der Ukraine zu unternehmen, führt argumentativ auf Glatteis. Es öffnet eine Flanke, in die jeder halbwegs gewiefte Vertreter der NATO-Kriegstreiber in einer Debatte mit Leichtigkeit vorstoßen kann.
Die Initiative von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ist dafür ein anschauliches Beispiel. Beide haben sich mit Ihrer symbolischen Verbeugung vor dem Gessler-Hut derart in eine argumentative Schieflage begeben, dass beide unabhängig voneinander selbst von drittklassigen Talkshow-Moderatoren in die Ecke gedrängt wurden. Alice Schwarzer ist dabei vollkommen in die Knie gegangen. Unter dem Druck, öffentlich als Monster zur Schau gestellt zu werden, hat sie ihre ursprüngliche Forderung nach einem sofortigen Stopp deutscher Waffenlieferungen schmachvoll revidiert.
Die in den Talk-Shows angewandte Methode, der auch Schwarzer nicht gewachsen war, erinnerte an die Verhöre der Bundeswehrkommissionen in den 1960 Jahren, die über die Anträge auf Kriegsdienstverweigerung zu entscheiden hatten. Dabei sollte den Probanden mit Hilfe von verschiedenen Szenarien doch noch eine Bereitschaft zu Gewaltanwendung herausgelockt werden.
So wurde der Proband z.B. gefragt, wie er sich verhalten würde, wenn er zusehen müsste, wie seine kleine Schwester von einem brutalen Grobian vergewaltigt würde, er aber Zugang zu einer Waffe hätte, um das Verbrechen zu verhindern. Mit solchen Beispielen wurde damals so manchem Kriegsdienstverweigerer erfolgreich eine Falle gestellt und es ging ab in den Wehrdienst. Diese Methode hat auch bei Alice Schwarzer zum K.O. geführt.
Mit dem Argument, dass auch Deutschland die moralische Pflicht habe, den unschuldigen Menschen in der Ukraine zu helfen und die Frauen und Kinder, die angeblichen Hauptopfer des brutalen russischen Angriffskrieges, zu schützen. Und da Russland vermeintlich nicht zu einer Waffenruhe bereit sei, könne man den Menschen in der Ukraine nur noch mit Waffenlieferungen helfen, damit sie in der Lage wären, ihre Familien zu verteidigen. Dieser Argumentationsstrang wurde vom Moderator in verschiedenen Variationen Alice Schwarzer immer wieder vorgehalten, bis zumindest sie weichgeklopft war, während Sarah Wagenknecht aus den TALK-Runden zwar angeschlagen, aber immer noch aufrecht hervorging.
Im BILD-Talk „DieRichtigenFragen“ vom 24. Februar 23 unter dem Titel „Alice Schwarzer im Verhör“(!) räumte sie plötzlich ein, sie sei ja nicht generell für einen Stopp der Waffenlieferungen. Der sollte nur im Fall eines Waffenstillstands in der Ukraine erfolgen. Wörtlich sagte sie:
„Halten sie mich für naiv. Wir haben in unserem Manifest nicht jeden Schritt ausgearbeitet. Das muss natürlich Hand in Hand gehen und erst dann, wenn die Russen anfangen, sich aus den am 24. Februar vergangenen Jahres besetzten Gebieten zurückzuziehen, erst dann, wenn es einen wirklich echten Waffenstillstand gibt, erst dann sagt man wir liefern keine Waffen mehr. Ist ja klar.“ Das Video zu diesem Ausschnitt finden Sie hier[3]:
Mit der Kehrtwende von Alice Schwarzer ist eins klar geworden, wer den Bückling vor dem Gessler-Hut der NATO-Kriegstreiber macht und nicht auf der Vorgeschichte des Kriegs in der Ukraine besteht, der begibt sich argumentativ auf eine glatte, schiefe Ebene, an deren Ende eine Bejahung der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine steht.
Im Gegensatz dazu verfolgen die „Deutschen Freidenker“[4] seit Jahren ein Ende des Grundübel, nämlich:
Frieden mit Russland – Deutschland raus aus der NATO, NATO raus aus Deutschland!
Quellen und Anmerkungen:
[1] https://www.defense.gov/News/Feature-Stories/story/Article/1803420/nato-celebrates-70-years-of-peace/ [2] https://time.com/5564171/why-nato-is-essential-world-peace/ [3] https://twitter.com/i/status/1629167686088556544 [4] https://www.freidenker.org/
Klaus von Raussendorff (NRW-Freidenker-Landesvorsitzender, links vorn) und Freidenker-Bundesvorsitzender Klaus Hartmann (hinten rechts). Linker Liedersommer auf Burg Waldeck, Juni 2015
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Sergey Kohl / shutterstock
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