Logisch, denn es hieß ja Nationalsozialismus! Ein Standpunkt von Anke Behrend.
Hitler war ein Linker, der Nationalsozialismus war Sozialismus, Stalin, Mao und Pol Pot sind der Beweis. Diese ebenso schlichten wie ahistorischen Propagandafloskeln feiern auf Social Media und in rechten „Alternativmedien“ regelmäßig fröhliche Urständ. Doch was hat es damit auf sich? War Hitler tatsächlich links, und was ist das überhaupt? Oder wird hier in altbekannter Manier einem Erbfeind, in diesem Fall den Linken, nur das Etikett des absolut Bösen angeheftet, um das eigene Handeln zu legitimieren und dem Publikum eine schlichte Formel an die Hand zu geben, um gedankliche No-Go-Areas abzustecken? Case closed?
Und tut nicht die Gegenseite, aktuell als links etikettiert, exakt das Gleiche, wenn sie alle Abweichler als Vorboten des Faschismus denunziert?
Kompass Universalismus
Was ist die Grundidee aller linken sozialen Bestrebungen? Was eint sie, welche Grundsätze machen sie zu genuin linken Ideen? Der historisch linke Platz im Parlament kann es jedenfalls nicht sein, denn die Ziele und Handlungsweisen von Parteien ändern sich, wie am Beispiel der Grünen überdeutlich sichtbar wird.
Die wesentliche Eigenschaft linker Ideen besteht im Universalismus
(1)(2). Er ist die Grundlage des Humanismus und der Aufklärung (3). Er besagt, dass alle Menschen in ihrer Existenz als menschliche Wesen über die gleiche Würde verfügen. Aus dem Universalismus folgen die Menschenrechte. Tatsächlich dem Wesen nach linke Ideen und linke Politik sind ohne das Streben nach Universalismus nicht denkbar. Dem Universalismus wohnen Werte inne, die wir heute gern als „westlich“ titulieren: Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte. Dabei ist mit Gleichheit natürlich nicht gemeint, dass alle Menschen gleich im Sinne von identisch sind. Aber in dem einen entscheidenden Punkt sind sie sehr wohl identisch: nämlich in ihrem Menschsein. Denn sie sind beides: sie sind gleich und verschieden, sind Individuen und verfügen über das komplexeste Sozialleben – in Zeiten der schlichten Entweder-Oder-Wahrheiten schwer zu denkende Dialektiken.
Die Idee des Universalismus legt nah, dass niemand sich über einen Anderen erheben darf, ihn ausbeuten, beherrschen, indoktrinieren oder versklaven darf, dass eines jeden Menschen Identität und Würde zu respektieren sind, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt und diese Freiheiten möglichst gerecht verteilt sind. Aus diesen Prämissen ergeben sich weitere: Gerechte Verteilung von Arbeit und Eigentum, Gleichberechtigung der Geschlechter und Ethnien sowie das friedliche und gerechte Hinwirken auf die Umsetzung dieser Werte. Und da völlig klar ist, dass Gruppen und Kulturen nicht identisch sind, müssen sie genau wegen dieser Gleichheit das Recht auf Respekt und Entfaltung ihrer Unterschiede haben. Hier scheint ein Dilemma des Universalismus auf, denn es gibt Werte und Kulturen, die bei allem Respekt unvereinbar zu sein scheinen. Eine patriarchal geprägte Gesellschaft teilt die Werte der Gleichberechtigung nicht. Eine kapitalistische Gesellschaft teilt die Werte der gerechten Verteilung von Arbeit und Eigentum nicht, sondern erzählt die Ungleichheit als gerecht oder natürlich. Eine religiös geprägte Gesellschaft teilt die Werte des Säkularismus nicht und so weiter. Universalismus und Humanismus sind also als ein Prozess zu verstehen, in dessen Verlauf sich Zivilisationen weiter entwickeln und eine Evolution vollziehen können.Das Böse im Guten Der fraglos guten Sache zum Trotz sind unter dem Label linker Ideen Verbrechen begangen worden, die faschistische Züge trugen. Und zwar immer genau dann, wenn Linke die Werte des Universalismus verlassen haben und ihre Ziele mit unangemessener totalitärer Gewalt zur Geltung bringen wollten, weil sie sich auf der Seite des einzig Guten im Kampf gegen das ultimative Böse wähnten. An dieser Stelle wird deutlich, dass es eben nicht genügt, sich links, sozialistisch, grün oder demokratisch zu nennen und einen Platz in einer Sitzordnung zu belegen. Links ist, wer die Werte des Universalismus nicht nur proklamiert, sondern praktiziert. Pol Pot, Stalin oder Mao hingegen waren Verbrecher, die sich zwar auf linke Ideen beriefen, sich aber faschistischer Mittel bedienten. Folglich waren sie genauso wenig links wie ein Scharlatan Wissenschaftler sein kann. Zum Beispiel wird Joseph Stalin zwar links eingeordnet, seine Herrschaft und Praxis stand jedoch in vielerlei Hinsicht im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien des Universalismus, Humanismus und der Aufklärung. Im Kontext linker Ideen betrachtet war seine Herrschaft autoritär, totalitär, geprägt von staatlicher Überwachung, Unterdrückung und Vernichtung politischer Gegner und stand im Widerspruch zu den Idealen von Freiheit und Gleichheit. Überdies betrieb Stalin einen ausufernden Personenkult, der den egalitären Prinzipien widersprach. Unter Stalin kam es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, Gulag und Hungersnöten wie der von Holdomor. Millionen Tote gehen auf das Konto von Stalins Gewaltherrschaft. In der politischen Analyse wird Stalin als Diktator beschrieben, dessen Praktiken mit vielen grundlegenden linken Prinzipien unvereinbar sind. Die Zeit des Stalinismus mochte wirtschaftlich nach linken Maßstäben ausgerichtet gewesen sein, nach politischen Maßstäben jedoch war sie totalitär und faschistisch. (4)Stalinismus, Maoismus (5) und das Regime Pol Pots (6) haben trotz ihrer linken Selbstdarstellung viele fundamentale linke Prinzipien verraten, und es wird klar, dass der Hitlerfaschismus, der in seiner Ideologie und Praxis nicht nur von linken humanistischen Prinzipien fundamental abwich, sondern dezidiert das Gegenteil proklamierte, unter keinen Umständen mit dem Verweis auf Stalin als links eingeordnet werden kann. Partikularismus Der Nationalsozialismus und seine geistigen Verwandten verkörpern den Partikularismus, betonen die Überlegenheit und Vorrangstellung spezifischer Gruppen, Kulturen, Nationen oder Individuen gegenüber allgemeinen, universellen Prinzipien. Sie proklamieren exklusive Rechte und Pflichten, die nur bestimmten Gruppen oder Gemeinschaften, der Nation, den Angehörigen eines Geschlechts oder einem Staat zugestanden werden. Partikularisten gehen nicht von der gleichen Würde aller Menschen aus, die sie als Gleichmacherei und Kollektivismus verunglimpfen, sondern behaupten natürliche, genetische, biologische beziehungsweise gottgewollte und somit unveränderbare Hierarchien. (7) Das Ziel partikularer Politik ist nicht eine freie Gesellschaft mit möglichst wenig Machtgefälle, sondern ähnlich wie im Stalinismus und Maoismus eine durch Autoritäten geregelte hierarchische Gesellschaft. Progressive Bestrebungen, die diesen Status Quo in Frage stellen, lehnen sie ab. Partikular orientierte Kräfte beanspruchen ebenfalls das absolut Gute für sich und schreiben ihren Gegnern das Böse zu und agieren meist aus einer Machtposition heraus. Sowohl progressive als auch konservative Strömungen können in Totalitarismus oder sogar Faschismus abgleiten.Auch die postmoderne Identitätspolitik steht in ihrem Bestreben, Gerechtigkeit und Inklusion herzustellen, in einem Spannungsfeld mit den Werten des Universalismus und weist wie jede Identitätspolitik partikulare Attribute auf. Sie ist ein weiteres Beispiel dafür, dass simple Links-Rechts-Zuweisungen in die Irre führen oder für Propagandazwecke missbraucht werden. War Hitlerdeutschland nun also sozialistisch oder links? Das ist eindeutig mit nein zu beantworten. Denn entgegen der gängigen Propagandaphrasen ist Sozialismus nicht definiert als Armut oder Misswirtschaft – in Hitlerdeutschland boomte die Wirtschaft sogar anfangs. Im Gegensatz zu sozialistischen Systemen, die im Wesentlichen auf kollektives Eigentum und die Verstaatlichung der Produktionsmittel abzielen, unterstützte der Nationalsozialismus das private Unternehmertum und die kapitalistische Wirtschaft, sofern diese dem Staat und seinen Zielen dienten. Der Nationalsozialismus wies zwar kollektivistische Merkmale auf, basierte jedoch auf einer rassistischen Überlegenheitsideologie und dem Prinzip der Ungleichheit. Somit stand er im Widerspruch zu den egalitären Werten humanistisch geprägter kollektivistischer Ideologien. (8) War die NSDAP eine Arbeiterpartei?Die NSDAP war zwar eine Arbeiterpartei, aber vertrat keine linken Ziele, gab sich aber einen linken Anstrich, um linke Kräfte hinter sich zu versammeln. Faktisch war die NSDAP stark antimarxistisch und antikommunistisch, bekämpfte linke Parteien und Gewerkschaften aktiv und eliminierte sie nach der Machtübernahme. Obwohl die NSDAP in ihrer frühen Phase und in ihrer Propaganda teilweise auf soziale und wirtschaftliche Forderungen einging, um Arbeiter und unzufriedene Bürger anzusprechen, waren ihre grundsätzlichen Ideologien und Praktiken stark rechtsgerichtet und autoritär. Die NSDAP nutzte den Begriff „Arbeiterpartei“ in ihrem Namen als taktisches Mittel, um Wählerunterstützung zu generieren, ohne jedoch die linken, sozialistischen und humanistischen Prinzipien tatsächlich zu vertreten. Im späteren Verlauf verheizte man die mit Überlegenheitsrhetorik indoktrinierte Arbeiterklasse im Krieg. Linke und Sozialdemokraten kamen als erste ins KZ. Die Frage, ob die NSDAP links war, erübrigt sich praktisch. Der Historiker Heinrich-August Winkler formulierte es 2012 wie folgt: „Die NSDAP war die rechteste Partei, die es je gegeben hat.“ und bescheinigte der NSDAP eine radikale Verneinung der Aufklärung (9). Wer bezeichnet wen und warum? ... ist die Frage, die bei jeder schlichten Zuweisung gestellt werden muss. Ob einseitige herabwürdigende DDR-Vergleiche, Buzzwords wie Planwirtschaft oder eben „Hitler war ein Linker“. Diese dumpfen Losungen sollen diffamieren und diskreditieren. Wer sie benutzt, geht der Propagandasprache von Göbbels und Hitler auf den Leim oder benutzt sie mit Vorsatz.
Der sogenannte „Nationalsozialismus“ war weder ideologisch noch ökonomisch links oder Sozialismus. Er war eine nationalistische, antisemitische, militaristische, chauvinistische und rassistische Gewaltherrschaft. Seine ideologische Grundlage war anti-humanistisch. Der propagandistische Einfluss des Hitlerfaschismus reicht bis in die Gegenwart. Ihn zu erkennen und zu entlarven, ist ein wichtiger Teil der Aufarbeitung von Menschheitsverbrechen jeglicher Art, seien sie nun als links oder rechts etikettiert.
Quellen und Anmerkungen
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Universalismus_(Philosophie)
(3) https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320496/humanismus/
(4) https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/josef-stalin-vom-kriminellen-zum-sowjetischen-diktator
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturrevolution
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Partikularismus#PolitischePhilosophie
(8) https://www.kas.de/de/web/extremismus/rechtsextremismus/was-ist-nationalsozialismus
+++Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Andreas Wolochow / shutterstock
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