Tagesdosis

Warum keine gleiche Sicherheit für Russland? | Von Rainer Rupp

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Ein Kommentar von Rainer Rupp.

Warum sind die Russen auf einmal so aggressiv? Will der Putin die alte Sowjetunion wieder herstellen, ein neues Imperium aufbauen? Wollen die Russen Krieg? Fragen über Fragen, die derzeit in unseren Mainstream Medien gestellt werden. Wir haben den Russen doch nichts getan! Die brauchen doch keine Angst vor unserer NATO an ihren Grenzen zu haben, denn die ist schließlich weltweit als die erfolgreichste Friedensorganisation in der Geschichte der Menschheit bekannt.

Wir sind doch die Guten! Das hat der Westen oft genug bewiesen. Immer wieder haben wir unter Führung des einzigartigen humanistischen Leuchtturms USA an der Seite Engel autokratische Dämonen eliminiert. Mit unseren Bomben und Raketen haben wir rund um die Welt für unsere Art von Demokratie gekämpft, für freie Märkte für unsere Konzerne und für die grenzenlose Freiheit des Finanzkapitals. Unsere großartigen liberalen Werte haben universelle Gültigkeit, auch für Russland und das wollen Putin und seine Konsorten im Kreml einfach nicht verstehen.

Wir haben wiederholt betont, dass wir nicht gegen das russische Volk sind, im Gegenteil, wir lieben es. Aber damit wir dem russischen Volk helfen und ihm unsere fortschrittlichen westlichen Ideale bringen können, müssen zuerst die Autokraten im Kreml weg. Aber wie in jeder Demokratie, muss man manchmal auch das Volk zu seinem Glück zwingen. Aber wir sind sicher, dass das russische Volk unsere guten Absichten richtig versteht, auch wenn wir Russland zuerst mit schmerzhaften Wirtschaftssanktionen überziehen. Der Russe muss spüren, dass es im schlecht geht und der Kreml auf Grund seiner anti-westlichen Politik an seinem Elend schuld ist. Nur wenn Putin und Konsorten aus dem Kreml vertrieben sind, kann die Freiheit nach Russland kommen und die sibirische Schatzkammer für unsere Konzerne geöffnet werden.

Das eben Gesagte ist in aller Kürze der Kern der Russlandpolitik der westlichen Finanzeliten und ihrer gekauften und bezahlten Politikerkaste, die gemeinsam mit den Konzern- und Regierungsmedien diese verbrecherischen Machenschaften mit viel Heuchelei und offensichtlichen Widersprüchen dem gemeinen Volk im Westen verkaufen wollen.

Nur selten kommt es dazu, dass westliche Medien ihren Zuhörern und Zuschauern ungeschnittene und unbearbeitete Interviews russischer Politiker präsentieren. Der britische Privatsender Sky News machte jüngst eine wohltuende Ausnahme. Er brachte einen 7 minütigen unbearbeiteten Ausschnitt aus der traditionellen Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten, bei der Wladimir Putin über mehrere Stunden Fragen von Medien aus aller Welt beantwortet.

Von herausragender Bedeutung zum Verständnis der aktuell von den Kriegstreibern in Washington, London und der NATO in Brüssel angeheizten Zuspitzung der Ukraine-Krise ist Putins Antwort auf die Fragen der Russland-Korrespondentin von Sky News, Diana Magnay. Darin betonte er u.a., dass sein Land niemanden bedroht und dass er keinen Krieg in der Ukraine will. Aber es seien schließlich die USA und die NATO, die an die Grenzen Russlands expandieren - und nicht umgekehrt. „Es sind die USA, die ihre Raketen vor unserer Haustür stationieren und nicht umgekehrt“.

Das Magnay-Interviews mit Putin kann auf der youtube-Seite von Sky News im englischen Originalton als Video gesehen werden. (Im Schriftartikel verlinkt). Das Video wurde bereits über 1,1 Millionen Mal gesehen. Die über 8.500 Kommentare aus aller Welt sind überwältigend positiv. Aus unterschiedlichen Gründen wird Putin bewundert, z.B. weil er im Unterschied zu Westpolitikern keiner Frage ausweicht oder vom Thema ablenkt, er ganz ohne Handzettel faktenreiche Antworten gibt, oder weil er deutliche und klare Aussagen zu den Problemen macht, usw. Hiernach folgt nun der von mir in deutsche Sprache übersetzte Text des Videos:

Frage der englischen Journalistin Diana Magnay:

"Vielen Dank dass sie meine Frage angenommen haben. Ich werde Englisch sprechen, wenn Sie gestatten. Sie haben viel über Sicherheitsgarantien gesprochen und jetzt sehen wir neue Vorschläge. Sie sagen auch, dass Sie nicht die Absicht haben, die Ukraine anzugreifen.

Können Sie unmissverständlich garantieren, dass Sie die Ukraine oder einen anderen souveränen Staat wirklich nicht angreifen werden, oder wird das vom Fortgang der Verhandlungen abhängen? 

Und noch eine Frage. Was kann der Westen ihrer Meinung nach an Russland oder seinen Absichten nicht verstehen."

Antwort von Präsident Wladimir Putin:

"Also in Bezug auf ihre Frage nach Garantien und ob irgendwas vom Fortgang der Verhandlungen abhängen wird: Unsere Handlungen werden nicht vom Verlauf der Verhandlungen abhängen, sondern von der bedingungslosen Gewährleistung der Sicherheit Russlands heute und in historischer Perspektive.

In dieser Hinsicht haben wir klar und deutlich gemacht, dass die weitere Ausdehnung der NATO in Richtung Osten inakzeptabel ist! Was ist hier nicht klar? Platzieren wir Raketen in der Nähe der Grenzen der Vereinigten Staaten? Nein! Es sind die USA mit ihren Raketen, die zu unserem Haus gekommen sind. An der Türschwelle unseres Hauses stehen sie bereits. 

Ist es eine überflüssige Forderung, keine Angriffssysteme mehr an unsere Landesgrenzen zu verlegen? Was ist hier ungewöhnlich? Wie würden die Amerikaner reagieren, wenn wir unsere Raketen an die Grenze zwischen Kanada und den USA oder an die Grenze zwischen Mexiko und den USA bringen und dort platzieren würden?

Oder hatten Mexiko und die USA nie territoriale Probleme gehabt? Und wem gehörte Kalifornien zuvor? Und Texas? Habt Ihr das vergessen? Okay, alles hat sich beruhigt, niemand erinnert sich mehr daran, im Unterschied dazu, wie man sich heute an die Krim erinnert. Auch wir versuchen, uns nicht daran zu erinnern, wie die Ukraine entstanden ist. Wer hat sie gegründet? Lenin Wladimir Ilitsch, als er die Sowjetunion gründete: der Unionsvertrag von 1922 und 1924 - die Verfassung. Die kam zwar nach seinem Tod, aber nach seinen Grundsätzen wurde sie abgefasst. 

Aber die Frage der Sicherheit besteht jetzt! Deshalb lassen wir die Geschichte außen vor. Die Frage besteht in der Gewährleistung der Sicherheit! Deshalb ist uns nicht der Verhandlungsverlauf wichtig, sondern das Ergebnis. Als ob wir das alles nicht wissen, ich habe es schon oft gesagt, und Sie wissen es wahrscheinlich auch: Keinen Zentimeter nach Osten, hieß es in der NATO in den 90er Jahren. Und? 

Betrogen. Sie haben uns einfach dreist belogen: 5 Wellen NATO-Erweiterungen hat es seitdem gegeben. Und jetzt? In Rumänien, gleich danach tauchen entsprechende Raketensysteme in Polen auf. 

Verstehen Sie doch endlich! Nicht wir bedrohen jemanden. Sind wir etwa dorthin gekommen, an die Grenzen der USA oder an die Grenzen von Großbritannien oder sonst wohin? Zu uns sind Sie gekommen und jetzt sagen Sie noch: Nein, jetzt wird die Ukraine auch in der NATO aufgenommen und dann wird es auch dort die Raketensysteme geben, und wenn nicht als NATO-Mitglied, dann eben auf bilateraler Basis. Davon ist hier die Rede. Und sie verlangen Garantien von mir!? SIE müssen uns Garantien geben! SIE! Und zwar unverzüglich. Sofort! 

Anstatt jahrzehntelang mit netten Worten zu sprechen und trotzdem weiterzumachen wie zuvor, wollen wir über die Notwendigkeit der Sicherheitsgewährleistung sprechen.

Was war der zweite Teil ihrer Frage? Wiederholen Sie ihn bitte."

Diane Magnay: "Was versteht der Westen, ihrer Meinung nach nicht an Russland?"

Wladimir Putin:

"Wissen Sie, was der Westen versteht und was nicht: manchmal kommt es mir vor, wir leben in verschiedenen Welten. Ich habe gerade offensichtliche Dinge ausgesprochen. Kann man das nicht verstehen? Ihr habt gesagt, wir werden nicht expandieren, doch Ihr expandiert weiter. Ihr habt gesagt: es wird im Rahmen einer Reihe internationaler Abkommen gleiche Garantien für alle geben. Aber diese gleiche Sicherheit für alle ist nicht hergestellt worden.

Schauen Sie, im Jahre 1918 sagte einer der Assistenten von Woodrow Wilson, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten: „Die ganze Welt wird beruhigter sein, wenn an der Stelle des heutigen riesigen Russlands ein Staat in Sibirien und 4 weitere Staaten in seinem europäischen Teil geschaffen werden.“ Im Jahr 1991 haben wir uns selbst aufgeteilt. In 12 Teile. Aber ich habe den Eindruck, dass dies unseren Partnern nicht genug ist: Für sie ist Russland auch heute noch viel zu groß, weil die europäischen Länder selbst zu kleinen Staaten geworden sind. Keine großen Imperien mehr, sondern kleine Staaten, mit 60 – 80 Millionen Menschen. Selbst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wo heute nur 146 Millionen Menschen in Russland übrig geblieben sind, ist das noch zu viel. Ich glaube, dass das die einzige Erklärung für diesen Konstanten Druck auf uns ist.

In den 1990er Jahren tat Russland alles, um normale Beziehungen zum Westen und zu den Vereinigten Staaten aufzubauen. Ich habe es schon mal gesagt und wiederhole es, das sollen ihre Zuhörer und Zuschauer ruhig hören und sehen: In unseren Einrichtungen des Atomwaffenkomplexes, also des militärischen Komplexes, gab es Vertreter der zuständigen amerikanischen Dienste. Sie gingen dorthin zur Arbeit, in diese Einrichtungen des russischen Atomwaffenkomplexes, jeden Tag, sie lebten dort. 

Zahlreiche Berater arbeiteten in der russischen Regierung, darunter CIA-Mitarbeiter. Was braucht ihr denn noch mehr? Warum war es notwendig Terroristen im Nordkaukasus zu unterstützen und offensichtliche terroristische Organisationen einzusetzen, um zu versuchen die Russische Föderation zu zerschlagen? Genau das haben sie getan, und ich als ehemaliger Direktor des FSB (russische Spionageabwehr) weiß das ganz genau. Wir arbeiteten mit Doppelagenten, die berichteten uns, welche Aufgaben Ihnen die westlichen Spezialdienste gegeben hatten. Aber warum musste das getan werden? 

Man hätte im Gegenteil Russland als möglichen Verbündeten behandeln und es stärken sollen. Aber nein, sie wollten einen weitergehenden Zusammenbruch der Russischen Föderation. Und dann begann man die NATO in Richtung Osten zu erweitern. 

Und natürlich hatten wir gesagt: tut das nicht. Ihr habt uns doch versprochen, es nicht zu tun. Und sie sagten zu uns: Wo steht das geschrieben? Da gibt es nichts. Was wollt ihr überhaupt? Verschwindet! Wir spucken auf eure Sorgen! Und von Jahr zu Jahr ging das so weiter. Jedes Mal, wenn wir etwas dagegen sagten und versuchten, etwas zu verhindern und unsere Besorgnis zu äußern, lautete die Antwort immer NEIN! Geht uns aus dem Weg mit euren Sorgen, gefolgt von eins, zwei, drei, vier und fünf Expansionswellen. Wobei versteht der Westen uns nicht? Ich weiß nicht. Was ist nicht klar hier? Ich denke alles ist mehr als deutlich: „Wir wollen für unsere Sicherheit sorgen!"

Hier endete das Interview. Es folgt eine Schlussbemerkung des Autors:

Da sich Russland durch weitere Expansionen der US-NATO nicht länger mit dem Rücken gegen die Wand drücken lässt und eine neue europäische Sicherheitsarchitektur mit gleicher Sicherheit für alle fordert, steht die transatlantische Achse Kopf und die Kriegstreiber hüben wie drüben versuchen die Bevölkerung gegen Russland zu mobilisieren. Russland stellt mit seiner Forderung nach gleicher Sicherheit die von Washington den Europäern aufgedrückte Struktur in Frage, indem die US/NATO-Dominanz auf Kosten der russischen Sicherheit immer weiter ausgedehnt wurde. Der Bevölkerung in den NATO-europäischen Ländern wurde das als „Sicherheit“ verkauft. Das Gegenteil ist der Fall.

Noch vor wenigen Jahren konnte man in geopolitischen Analysen, die im Westen abgefasst waren, immer wieder diese existentielle Schlussfolgerung für Europa lesen:

Ohne Russland gibt es in Europa keine dauerhafte Sicherheitsordnung, und erst recht nicht gegen Russland. 

Von dieser jedem Europäer einleuchtenden Wahrheit hat man in den letzten Jahren in Medien und politischen Reden nichts mehr gehört. Die transatlantischen Eliten in US/NATO drängten auf Kosten der europäischen Völker weiter auf ihre Form der unidimensionalen „Sicherheit“ gegen Russland.

Das einzig solide Fundament, auf dem eine echte europäische Sicherheitsstruktur entstehen kann, ist, wenn die Verbesserung der eigenen Sicherheit stets die Verbesserung der Sicherheit des Gegenübers im Auge behält und mit einbezieht. Dieses Konzept läuft jedoch den Megalomanen in Washington, die gewohnt sind zu diktieren und statt zu verhandeln lieber sofort mit Sanktionen oder Militär drohen, total gegen den Strich. Dennoch gibt es inzwischen Hoffnung, denn eine Reihe von NATO-europäischen Regierungen zeigt zunehmend Distanz zu dieser gefährlichen alles-oder-nichts-Politik Washingtons, was in den letzten Tagen u.a. in den Absatzbewegungen Frankreichs, Italiens und Ungarns sichtbar geworden ist.

+++Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Zhenya Voevodina / shutterstock


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