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Wer profitiert von der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik? | Von Christian Kreiß

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Des einen Leid, des andern Freud.

Ein Standpunkt von Christian Kreiß.

Fragestellung

In letzter Zeit werden die Prognosen für die deutsche Wirtschaft von Tag zu Tag düsterer. Doch es gibt auch Gewinner. Was steckt dahinter?

Wirtschaftliche Lage und Prognosen

In den letzten Wochen kommen fast täglich neue Hiobsbotschaften zur Wirtschaftslage in Deutschland. Dr. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), sagte bereits am 20. Juli: „Wir werden einfach alle ärmer. Für Deutschland male ich Ihnen ein Bild: Ich würde mich nicht wundern, wenn wir am Ende 20 bis 30 Prozent ärmer sind.“

Das Handelsblatt titelte am 29.8.: „Deutschland steckt in einer Energiepreisfalle – „In Schlüsselindustrien werden Betriebe reihenweise schließen“. Die Preise für Strom und Gas sind um ein Vielfaches teurer als in den USA und Asien – und der große Kostenschub kommt erst noch. Die deutschen Konzerne fürchten eine Deindustrialisierung.“ Demnach zahlt die deutsche Industrie „für Erdgas aktuell einen Marktpreis, der um den Faktor acht höher liegt als der Marktpreis in den USA“ zitiert das Blatt einen Experten. Das klingt nicht gut für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit. Führende Wirtschaftskräfte warnten daher vor einer Deindustrialisierung Deutschlands.

Besonders bitter ist die Situation für kleine und mittlere Unternehmen, den klassischen Mittelstand und das Rückrat der deutschen Wirtschaft. So arbeiteten 2019 in den DAX-Konzernen lediglich etwa 3,5 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Mittelständische Unternehmen bis 500 Mitarbeiter beschäftigten dagegen etwa 58 Prozent aller Werktätigen.

Am 29.8. lautete die Überschrift eines Artikels in einem Wirtschaftsmagazin: „Insider: „Tausenden Mittelständlern droht das Aus. Die extremen Preisanstiege für Strom und Rohstoffe bringen zahlreiche mittelständische Betriebe in eine akute Notlage, warnt ein Insider. Die Sorge vor Produktionsstopps ist groß, die Lage sei „katastrophal“.“ Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Mittelstandsbundes ergab bei der Frage nach dem Geschäftsausblick für die kommenden sechs Monate, dass 36 Prozent der befragten Mittelständler die Lage mit „schlecht“, 10 Prozent mit „existenzbedrohend“ bezeichneten. Das verheißt nichts Gutes.

Gewinner

Des einen Leid, des andern Freud: Nicht alle Unternehmen können über die aktuellen Entwicklungen klagen. So erhöhten sich beispielsweise bei dem US-amerikanischen Energiekonzern ExxonMobil im ersten Halbjahr 2022 die Umsätze um 61 Prozent auf etwa 200 Milliarden Dollar, die Gewinne nach Steuern verdreifachten sich auf 23,3 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Das deutsche Regierungspaket zur Abmilderung der gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise (Tankrabatt, 9-Euro-Ticket usw.) belief sich auf gut 10 Milliarden Euro. Gazprom erwirtschaftete im ersten Halbjahr 2022 mit 2,5 Billionen Rubel, umgerechnet etwa 41,6 Milliarden Euro Gewinn bereits mehr als im gesamten Vorjahr, obwohl auch 2021 kein schlechtes Jahr war. Die deutschen und europäischen Wirtschaftssanktionen scheinen Russland und Amerika nicht gerade zu schaden, im Gegensatz zum deutschen Mittelstand.

Was steckt dahinter?

Hinter diesen Entwicklungen stecken meiner Einschätzung nach vor allem zwei Haupttreiber. Erstens: Die Großen fressen die Kleinen. Die Macht der Großkonzerne und ihrer dahinterstehenden Milliardäre soll erhöht werden. Das betreiben die bestens vernetzten Lobbyisten der Großkonzerne. Zweitens: Die deutsche Wirtschaft, die viertstärkste der Welt, ein sehr unliebiger Konkurrent der USA, soll geschwächt werden. Dazu muss man besonders den deutschen Mittelstand treffen, der fast die Hälfte der etwa 2.700 weltweiten „hidden champions“ stellt.

Die Großen fressen die Kleinen

Schon Charles Schwab sagte in seinem im Juni 2020 erschienen Buch voraus, dass ein Großteil der kleinen und mittelständischen Betriebe zu Grunde gehen würden, die großen Konzernketten jedoch nicht. Die Corona-Lockdowns bewirkten genau das von Schwab Prophezeite: Die Konzerngewinne und die Vermögen der dahinterstehenden Milliardäre stiegen dramatisch, während viele kleine und mittlere Unternehmen geschwächt wurden. Jeder Tag Lockdown war ein Milliardengeschenk an die Großkonzerne. Stichwort amazon: Der lokale Einzelhandel wurde zur Ader gelassen, amazon’s Gewinne gingen deshalb durch die Decke.

Diese Entwicklung – Stärkung der Großen, Schwächung der Kleinen - wird nun durch die Zinserhöhungspolitik der US-Notenbank seit Mai 2022 und durch die Sanktionspolitik der Industrieländer gegenüber Russland verstärkt, vor allem in Europa. Die Liquiditätsreserven der Großkonzerne wurden während der Lockdowns dramatisch erhöht. Nach dem Motto „Cash is king“ in Krisen sind die big player für einen kommenden Wirtschaftsabschwung bestens gerüstet. Nicht so der Mittelstand. Vielen davon dürfte in den kommenden Monaten die Luft, sprich Cash ausgehen. Darüber sind nicht alle traurig.

Schwächung der US-Konkurrenz in Europa, insbesondere Deutschland

Die USA haben seit einigen Jahren ein großes Problem mit Überkapazitäten. Produktionskapazitäten und Massenproduktion sind in den letzten vier Jahrzehnten ungleich schneller gestiegen als die Masseneinkommen. Grund dafür war die ständig steigende Ungleichverteilung. Um dennoch die ganze Produktion absetzen zu können, wurde die Massennachfrage über immer höhere Schulden aufrechterhalten. Die Gesamtschulden der USA, private und öffentliche zusammen, belaufen sich derzeit auf 359 Prozent der Wirtschaftskraft (BIP). Anders ausgedrückt: Auf jeden Dollar Sozialprodukt kommen in den USA etwa 3,6 Dollar Schulden. Diese Schulden können unmöglich jemals in voller Höhe zurückgezahlt werden.

Dieses doppelte Problem von Überkapazitäten und Schulden haben nicht nur die USA. Die weltweiten Schulden sind derzeit so hoch wie noch nie. Ende März 2022 lagen sie bei schwer vorstellbaren 305 Billionen US-Dollar, also 305.000 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa 348 Prozent der Weltwirtschaftskraft. Der Schuldenexzess der letzten 14 Jahre seit der Finanzkrise 2008 war nur möglich, weil die Notenbanken in den Industrieländern die Zinsen so niedrig drückten wie noch nie in der Geschichte und so viel frisches Geld druckten wie noch nie. In den USA hat sich die Notenbankgeldmenge seit 2008 etwa verelffacht, im Euroraum verneunfacht. Nur durch dieses Geld-Drucken der Notenbanken und die extrem niedrigen Zinsen konnten die Schuldner, sowohl private wie die Regierungen, die Zinslast dieses Schuldenbergs bislang stemmen.

Die Zeiten billigen Geldes sind jedoch seit Mai 2022, als die US-Notenbank begann, die Zinsen drastisch anzuheben, vorbei. Die Zinserhöhungen dürften dazu führen, dass vielen hoch verschuldeten kleinen und mittleren Unternehmen – Stichwort Zombie-Unternehmen -  und einigen Staaten die Luft ausgeht.

Dazu kommen die Energie- und Rohstoffpreissteigerungen als Zusatzlast, die vor allem europäischen Unternehmen, und insbesondere von russischem Gas besonders abhängigen deutschen Unternehmen schaden werden. Diesen zweifachen Schlag dürften nicht alle deutschen Mittelständler überleben. Darüber sind nicht alle traurig. So stellt sich die Frage:

Warum schicken die deutschen Politiker sehenden Auges die Wirtschaft in den Ruin?

Darüber gab Oskar Lafontaine vor Kurzem eine aufschlussreiche Antwort: „Deutschland ist kein souveränes Land. […] Deutschland handelt im Ukraine-Krieg als Vasall der USA. […] Die führenden Politiker der Ampel, Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner sind treue US-Vasallen“. Die Grünen hätten sich „zur schlimmsten Kriegspartei im deutschen Bundestag gewandelt“. Die Aussagen von „Annalena Baerbock, wir sollten „Russland ruinieren“ muss man schon faschistoid nennen. […] Die deutsche Außenpolitik schadet den Interessen unseres Landes und ist kein Beitrag zum Frieden in Europa.“

Genau dies hat einen Tag nach der Veröffentlichung der Ausführungen von Oskar Lafontaine unsere Außenministerin bestätigt mit ihrer mittlerweile berühmt-berüchtigten Aussage: „Egal, was meine deutschen Wähler denken“, die die deutsche Wirtschaft und Menschen schädigenden Sanktionen werden bleiben, auch wenn es im Winter Unruhen geben sollte. Frau Baerbock rechnet selbst damit, die Menschen würden in Deutschland „auf die Straße gehen und sagen, dass sie ihre Energiepreise nicht bezahlen können.“ Trotzdem will sie Sanktionen um jeden Preis aufrechterhalten. Da könnte man die Frage stellen: Wenn sie nicht Politik für die deutschen Bürgerinnen und Bürger macht, für wen dann?

Diese Art Vasallenpolitik im Dienste der USA schädigt aber nicht nur sehenden Auges die deutsche Wirtschaft und besonders die unteren Einkommensschichten in unserem Lande, die schon heute Probleme haben, über die Runden zu kommen, sondern sie gefährdet ganz akut den Frieden. Denn die USA tun meiner Einschätzung nach alles, um einen Friedensschluss zu verhindern. Ja, mehr: Aus US-Sicht wäre eine Eskalation des Ukraine-Krieges zu einem NATO-Krieg eine Lösung ihrer Überkapazitäts- und Schuldenprobleme. Wenn sich der Krieg nach Westen ausbreitet, ergibt sich für die USA die Chance, dass große Produktionskapazitäten in Mitteleuropa zerstört werden – auf fremdem Boden und daher zu Gunsten der US-Industriebasis. Die USA haben meiner Meinung nach größtes Interesse, diesen Krieg zu eskalieren. Am 24.Februar 2022 dürften in manchen Hinterzimmern in den USA die Sektkorken geknallt haben: Endlich Krieg! Allein der Jubelsprung der Rüstungsaktien ab 24.2. spricht Bände.

Dazu kommt: Unter Hegemonialgesichtspunkten wären für die USA eine echte, tiefe Völkerverständigung und Kooperation zwischen Russland und Deutschland geradezu ein Alptraum. Das riesige russische Land in einer Allianz mit Mitteleuropa, das technische, geistige, ökonomische know-how, die Effizienz Mitteleuropas kombiniert mit der gewaltigen Landmasse Russlands und dessen vielen Menschen: eine solche Allianz wäre eine gewaltige machtpolitische Bedrohung für die Hegemonialinteressen der USA. Daher ist meines Wissens seit über 100 Jahren ein zentraler Eckpunkt angelsächsischer Außenpolitik, zwischen Russland und Deutschland einen Keil zu treiben, Misstrauen und Feindschaft zu erzeugen. Durch den Ukraine-Konflikt bietet sich den USA eine neue hervorragende Chance dazu, die beiden Länder, die beiden Völker zu entzweien. Und genau das geschieht geflissentlich durch unsere Politiker, deren Entscheidungen, wie Frau Baerbock selbst erfrischend offen sagt, gerade nicht im Dienste der deutschen Wähler steht.

Das eigentlich Verblüffende an allen diesen Entwicklungen ist, warum trotz der katastrophalen, das Land zutiefst schädigenden deutschen Politik kein Aufschrei erfolgt und warum keine personellen Konsequenzen gezogen werden.

Was tun?

Die Lösung wäre denkbar einfach, nämlich genau das, was Oskar Lafontaine vorschlägt: „Drängen auf einen Waffenstillstand, die Vorlage eines Friedensplanes und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2.“ Ich würde ergänzen: Und personelle Konsequenzen ziehen. Mit etwas gesundem Menschenverstand betrachtet, kann man sich eigentlich nur noch dem Twitter-Hashtag #BaerbockRuecktritt anschließen. Aber nicht nur Frau Baerbock: die beste Lösung wäre die Auflösung der Ampel und Neuwahlen.

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Zum Autor:

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor für BWL mit Schwerpunkt Investition, Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD). Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Mitglied bei ver.di und Christen für gerechte Wirtschaftsordnung. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: shutterstock / Natanael Ginting


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