Ein Kommentar von Rudolf Hänsel.
Sich mit ihnen zusammenzuschließen, in sie einfühlen und ohne Zwang an sie appellieren
Immer wieder stehen mutige Aufklärer vor der Frage, wie sie ihre Mitmenschen intellektuell und gefühlsmäßig erreichen können, um ihnen die individuellen und kollektiven Vorurteile nehmen zu können. In einer Zeit, in der laut Präsident Putin die Gefahr eines Atomkrieges wächst (1) und die Selbstvernichtung der Menschheit möglich ist, bedürfen wir mehr denn je Mitbürgerinnen und Mitbürger, die uns sagen, was Wahrheit und was Lüge ist.
Erkenntnisse der wissenschaftlichen Psychologie noch wenig gefragt
Die Antwort der humanistischen Psychologie auf die aufgeworfene Frage könnte lauten: Vor den Mitmenschen keine Angst haben, sich mit ihnen zusammenschließen, sich in sie einfühlen und ohne Zwang an sie appellieren.
Welche segensreichen Auswirkungen würde es für unsere Kinder und unser gesellschaftliches Zusammenleben haben, wenn wir die Angst vor den Mitmenschen aufgeben könnten und sie freilassen würden. Der Mensch ist ein harmloses Wesen und von Natur aus nicht böse, sondern gut (Alfred Adler). Die Menschen – auch die seelisch kranken – würden gesund werden. Einige reife Menschen haben das bereits im vorletzten Jahrhundert erahnt und die Tiefenpsychologie hat ihnen Recht gegeben (2).
Zwar wird die Aufklärung durch alternative Medien als wichtig empfunden, doch immer weniger Menschen sind in der Lage, die eigenen Lebensprobleme wegen des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs im Land zu lösen. Deshalb wird eine friedliche Welt erst bei einer tiefgreifenden Änderung der gegenwärtigen Verhältnisse entstehen. Für eine solche Welt setzen sich die Menschen aber erst dann in Bewegung, wenn sie in der Lage sind, ihre eigenen Probleme zu lösen. Die humanistische Psychologie und nicht-spekulative Psychotherapien bieten hierfür Erfolg versprechende Lösungen an.
In einer Zeit, in der die grenzenlose soziale Not und Ungerechtigkeit weiter aufrecht erhalten bleibt und sich sogar verstärken wird, weltbedrohende Kriege inszeniert und der gewaltige Fortschritt von Natur und Technik zum Nachteil und Schaden der Menschen missbraucht werden, sind wir erst recht auf die Einsichten der modernen tiefenpsychologischen Forschung angewiesen.
Doch das Wissen der psychologischen Fakultät ist bis heute noch wenig gefragt, da ihre Forschungsergebnisse relativ neu, wenig bekannt und schwer vermittelbar sind. Überdies werden sie von den Herrschenden nicht geschätzt oder sogar bekämpft. Erst wenn man erkannt hat, dass die Menschheit ohne Psychologie nicht vorankommt, wird man auf ihre Erkenntnisse dankbar zurückgreifen.
Ausgangspunkt für das anstehende Problem sollte nach Erkenntnissen der Tiefenpsychologie die Erziehung sein.
Kasernenhof in der Erziehung – „da liegt der Hund begraben“
Natürlich lehren die Eltern das Kind die Regeln des Anstands: Wie sich zum Beispiel bei Tisch gut benehmen und sich zuvor die Hände gründlich waschen. Aber die meisten Eltern nehmen sich nicht die Mühe, dem Kind zu vermitteln, „komm mit mir, schau, wie ich die Hände wasche!“ und erklären ihm, warum es die Hände waschen soll.
In der Regel ist in der Erziehung Zwang im Spiel: „Gehe zuerst die Hände waschen, bevor du zu Tisch kommst, sonst bekommst du eine Ohrfeige!“ Die ganze Haltung der Eltern ist der Zwang, die Gewalt, der Kasernenhof. Und das macht die Kinder krank, verdirbt bereits in jungen Jahren ihre Seele. Man muss die Menschen nicht zum Kooperieren zwingen, das Kind kooperiert ohne Zwang gerne. Es sind gerade Zwang und Gewalt, die beim Kind das natürliche Bedürfnis zur Mitarbeit ersticken.
Als Erwachsene finden sich diese Menschen dann nicht zurecht; sie können mit dem Partner nicht zusammenleben und die Ehen gehen zugrunde, weil sie verschiedene Meinungen über die Erziehung, über die anderen Menschen und die Welt haben.
Die Welt wird nur dann genesen und die Menschheit weiterkommen – das zeigt uns die Geschichte –, wenn sich die Menschen auf freiwilliger Basis assoziieren; wenn sie sich zusammensetzen und überlegen, wie sie die Probleme gemeinsam lösen können. Die Freiheit im Sinne der Freiwilligkeit ist ein wesentlicher Teil der sozialen Natur des Menschen. Missbraucht man sie, kann das schwerwiegende Konsequenzen haben.
Negativ-Beispiel der Russischen Revolution und des Umgangs mit religiösen Menschen
In Russland haben die Führer der Revolution die Menschen verkannt und Zwang angewandt; sie konnten die Menschen nicht frei lassen. Hätte Russland auch nur zum Teil den humanistischen Weg gewählt, wäre eventuell der Zweite Weltkrieg verhindert worden.
Die Menschen machen ja mit, sie wollen leben. In Russland haben sich die Menschen in der Oktoberrevolution befreit, aber anschließend sind sie nicht unabhängig geworden. In einer Gesellschaft, die sich in zwei Klassen organisiert – in eine, die regiert und in eine, die regiert wird – entwickeln sich zwei Ideologien, zwei Mentalitäten: die Mentalität der Sklaven / Knechte und die des Meisters. Ein solche Organisation verunmöglicht die Freiheit.
Und wie haben sich die Bolschewiki religiösen Menschen gegenüber verhalten? Sie haben die Kirchen zugesperrt und daraus Versammlungslokale gemacht. Damit verletzten sie die Menschen in ihrem tiefsten Inneren, in ihrem Glauben, in ihrer Abhängigkeit, in ihrer Angst. Wurde der russische Bauer dadurch bekehrt? Nein! Er war unwillkürlich dagegen. Heute weiß man, dass man den Menschen die Religion nicht nehmen muss: „Willst du beten?“ Ja, bete nur!“
An die Bauern hätte man appellieren können: „Was, du willst deinen Acker, dein Korn nicht versichern? Dein Nachbar bekommt einen möglichen Schaden von der Versicherung in Rubel ausbezahlt und kann sich neues Korn kaufen. Und du? Wer wird dir helfen, wenn du in der Gemeinschaft der Versicherten nicht mitmachst?“ Die russischen Revolutionäre waren eben nicht so weit, weil das Problem der Psychologie noch nicht bekannt war.
Menschen die Freiheit geben, damit sie gerne mitmachen und gesund werden
Mit Freiheit ist nicht die Freiheit der Herrschenden gemeint. Diese nehmen sich die „Freiheit“ heraus, den Menschen auszubeuten: Eine Clique von Kapitalisten beutet die anderen Menschen aus. Diese haben dann kein Lebensrecht, die Freiheit wird ihnen nur vorgespielt. Ein Knecht zum Beispiel muss sein ganzes Leben Knecht bleiben; er kann nicht heiraten, keine Familie gründen, weil er eben Knecht ist. Aber wenn der Präsident oder Führer ruft, dann kann er nicht NEIN sagen. Er könnte sagen: „Ich habe doch nichts, deshalb habe ich auch nichts zu verteidigen!“
„Freiheit“ ist in dem Sinn zu verstehen, dass die Menschen ihre Sicherheit haben und nicht betteln müssen. Stellen wir uns das Prinzip der Freiheit so vor, dass jeder arbeitende Mensch weiß, dass wenn er nicht mehr arbeiten kann, wenn er zum Beispiel erkrankt oder alt wird, dass er dann dieselbe Möglichkeit hat zu leben, dass er den Lohn, den er heute hat, weiter bekommt, dass er seine Wohnung und eventuell sein kleines Häuschen behalten und dass er weiter leben kann. Im kapitalistischen System haben die Menschen keine Ruhe und keine Sicherheit. Das würden sie in einer freiheitlichen Gesellschaft haben.
Der Mensch ist doch ein harmloses Wesen – besonders derjenige in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Er ist eingestellt auf das Arbeiten. Für ein bisschen Freiheit wäre er froh. Auch mit den Kranken würde man fertig werden, sie würden nicht stören. Wenn seelisch kranke Menschen eine andere Gesellschaft vorfinden, eine andere Situation, eine andere Moralauffassung, dann werden sie gesund und verhalten sich anders.
Lassen wir die Menschen frei, verlangen wir nichts von ihnen. Sie werden das gerne aufnehmen. Assoziieren wir uns mit den Menschen, glauben wir an sie, fühlen wir uns ein in sie und appellieren an sie. Der andere will so gut leben wie ich. Dann wird er mitmachen. Wir müssen keine Angst haben vor unseren Mitmenschen.
An die Menschen appellieren und sie frei entscheiden lassen
Die Menschen werden von allen Institutionen – angefangen von der Erziehung zuhause und in der Schule bis hinauf zur Rekrutenschule – so programmiert, dass sie in der Regel alles machen, was die Machthaber von ihnen verlangen. Das ist Programm, das ist bewusst. Und in dieser Stimmung werden sie ein Leben lang gehalten – sowohl sogenannte Intellektuelle als auch die Masse der Bevölkerung. So liefern sich heute junge wie auch ältere „Handy-Süchtige“ ganz und gar den Wertvorstellungen großer, übelmeinender Tech-Giganten aus.
Doch gleichzeitig kann man feststellen, dass sowohl Jugendliche als auch ältere Mitbürger gerne bereit sind, sich im Kaffee oder Bus auf ein persönliches Gespräch von Angesicht zu Angesicht einzulassen, wenn man nicht als Besserwisser auftritt, der schon weiß, wenn man sich wirklich für ihre persönlichen Probleme interessiert und eine Ausdrucksweise wählt, die jeder verstehen kann. Dabei ist es ganz wichtig, nur an sie zu appellieren und sie frei entscheiden zu lassen.
Auch in schriftlichen Äußerungen geht es darum, selbst schwierigste tiefenpsychologische Erkenntnisse und Befunde in einer Sprache zu vermitteln, die nicht allein dem Fachmann, sondern auch dem interessierten Laien verständlich sein kann.
Es bleibt die zu Beginn gestellte Frage, wie man möglichst viele Mitmenschen intellektuell und emotional erreichen dann, damit sie eines Tages gegen das Unrecht aufstehen – gedanklich, gefühlsmäßig und politisch.
Basis- oder Graswurzel-Bewegungen entstehen aus der Basis der Bevölkerung
Die interessante Idee der Gründung einer Graswurzel-Bewegung wurde während einer internationalen Webinar-Debatte von einem Freund geäußert.
Eine Graswurzel-Bewegung ist laut „Wikipedia“ eine gesellschaftliche Initiative oder Bewegung, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht:
„Graswurzelbewegungen haben typischerweise basisdemokratische und konsensorientierte Strukturen, da sie den gewöhnlichen lobbyistischen oder parteipolitischen Meinungsbildungsprozess umgehen wollen. Der Wandel soll durch engagierte Artikulation von Bürgerinteressen (…) erreicht werden. (…).
Das Ziel von einigen Graswurzel-Initiativen ist es, gesellschaftliche Alternativen zum Bestehenden aufzubauen, bis hin zum revolutionären Anspruch, grundsätzliche Systemveränderungen zu bewirken. Dabei wird sowohl auf den langfristigen Aufbau von Netzwerken gesetzt als auch auf spektakuläre Einzelaktionen, die in erster Linie Öffentlichkeit schaffen sollen. Nicht selten bedient man sich hierbei der Methoden des zivilen Ungehorsams.“ (3)
Quellen:
- https://de.rt.com/kurzclips/video/156642-putin-bedrohung-atomkrieges-waechst-russischer/
- http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28358; https://www.globalresearch.ca/how-with-whom-can-we-reorganise-society/5800536
- https://de.wikipedia.org/wiki/Graswurzelbewegung
Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Doktor der Pädagogik (Dr. paed.) und Diplom-Psychologe (Dipl.-Psych.). Viele Jahrzehnte war Lehrer (Rektor) und bildete pädagogische Fachkräfte fort. Als Pensionär arbeitete er als Psychotherapeut in eigener Praxis.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: G-Stock Studio/ shutterstock
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