Ein Meinungsbeitrag von Eugen Zentner.
Ist die Justiz überhaupt noch unabhängig, so wie es das Grundgesetz vorsieht? Oder dient sie sich der Exekutive an, anstatt diese in die Schranken zu weißen, wenn sie das Recht bricht? Seit der Corona-Krise treibt diese Frage immer mehr Bürger um. Sie beschleicht das Gefühl, dass es im System der Gewaltenteilung zu einer Machtverschiebung gekommen ist. Die Judikative ordnet sich der Exekutive unter, so die Vermutung. Manche Juristen bestätigen diesen Verdacht, vertreten jedoch die Meinung, dass das schon immer so war. Nur wird das erst in Krisenzeiten für eine breite Bevölkerungsgruppe sichtbar. Während der Corona-Zeit zeigte sich die Unterordnung der Judikative etwa dann, als die „Ministerpräsidentenkonferenz“ als neues Gremium in Aktion trat und über freiheitseinschränkende Maßnahmen entschied, ohne im Grundgesetz verankert zu sein.
Ein weiteres Indiz für die Machtverschiebung stellte der Fall des Weimarer Familienrichters Christian Dettmar dar. Im April 2021 ließ er per Urteil an zwei Schulen die Masken-, Abstands- und Testpflicht aussetzen und begründete dies mit der Kindeswohlgefährdung. Zuvor hatte der Richter Gutachten eingeholt, von Fachleuten, die in dieser Frage professionelle Auskunft gaben. Dettmar tat seinen Job als Richter, so gewissenhaft und regelgebunden wie immer. Weil sein Urteil aber dem Regierungsnarrativ widersprach, schaltete sich schon bald die Staatanwaltschaft ein und warf ihm Rechtsbeugung vor. Die Verurteilung erfolgte im August dieses Jahres. Der Verein „Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte“ sprach von einer „Niederlage des Rechtsstaats“.
So sieht es auch Alexander Christ, Sprecher des Vereins „Anwälte für Aufklärung“. In seinem Buch «Corona-Staat» nennt er zahlreiche Beispiele, woran sich die Unterordnung der Judikative gegenüber der Exekutive in der Maßnahmen-Zeit ablesen ließ.
„Das Recht hat vor allem die Aufgabe, den Bürger vor dem Staat zu schützen oder zwischen den Bürgern, in Rechtsstreitigkeiten untereinander, zu vermitteln und eine faire, möglichst gerechte Lösung in einem Streit herbeizuführen“, heißt es an einer prägnanten Stelle. „Es hat also vor allem einen streitschlichtenden, ausgleichenden Charakter. Im Falle von Corona-bezogenen Streitigkeiten aber hatte das Recht eher einen streitfördernden Grundton, hier hat sich das Recht in Unrecht gewandelt, indem es vom Staat zur Bekämpfung seiner Bürger benutzt, ja missbraucht wurde.“
Christ gehört zu der Fraktion von Juristen, die der Meinung sind, dass der Rechtsstaat schon länger nicht mehr funktioniert; dass die Machtverschiebung also schon vor Corona stattgefunden hat. Der Rechtsanwalt veranschaulicht das unter anderem an Beispielen aus dem Familien- oder Arbeitsrecht, wo etwa bei Sorgerechtsstreitigkeiten und Konflikten zwischen Arbeitgebern und -nehmern nicht nach juristischen Grundsätzen unabhängig entschieden, sondern über den jeweiligen Rechtsfall ideologisch etwas drübergelegt und danach geurteilt werde. „Das System“, bringt er das strukturelle Problem auf den Punkt, „ist offenbar oder nicht mehr geeignet, ideologisch oder emotional belastete Themen vorurteilsfrei zu lösen.“
Die Judikative scheint dafür anfällig zu sein, sich von der Exekutive vereinnahmen zu lassen. Woran das unter anderem liegt, hat Jens Gnisa bereits 2017 in seinem Buch «Das Ende der Gerechtigkeit» beschrieben. Die rechtsprechende Gewalt habe es in Deutschland nie geschafft, sich voll zu entfalten, schreibt der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld. Das liege daran, dass die Judikative mit einem Bein in der Exekutive steht:
„An der Spitze unserer Rechtsprechung steht der Justizminister – also ein Politiker mit seinem Ministerium.“ Was die Verwaltung der Justiz betrifft, ist dieser weisungsbefugt. „Bei der Gerichtsorganisation regiert also die Exekutive bis zum Boden der Judikative durch“,
so Gnisa weiter. Er verweist dabei auf die Druckmittel, derer sich der Justizminister bedienen kann, um die Rechtsprechung politisch zu beeinflussen. Dazu gehört die Streichung von Finanzmitteln genauso wie das Sperren von Neueinstellungen, die Kürzung der Besoldung genauso wie die Beförderung eigener Kandidaten.
Internationaler Standard, gibt Gnisa zu bedenken, wäre eine selbstverwaltete Justiz, „die auch sicherstellt, dass die Politik keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Staatsgewalt nehmen kann“. Ebenfalls problematisch in Deutschland ist die Rolle der Staatsanwälte. Anders als Richter sind sie nicht unabhängig. „Ihre Hände sind in doppelter Hinsicht gebunden“, so Gnisa. „Zum einen muss ein Staatsanwalt Weisungen seines Behördenleiters entgegennehmen. Er ist dem Oberstaatsanwalt unterstellt und über dem sitzt der Generalstaatsanwalt.“ Und der Generalbundesanwalt gehöre nicht einmal der rechtsprechenden Gewalt an, sondern zähle zur Exekutive.
„Vom Bundesjustizminister mit Zustimmung des Bundesrats ernannt, ist er auch noch politischer Beamter – er kann jederzeit ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand geschickt werden.“
Gnisa unterstreicht die Problematik des externen Weisungsrechts, indem er auf die Möglichkeiten des Missbrauchs verweist. Der Justizminister könne als politische Instanz über die Staatsanwaltschaft direkt auf Entscheidungen in den Ermittlungsverfahren Einfluss nehmen – per Anweisung, etwa „Ermittlungen aufzunehmen oder fallen zu lassen, anzuklagen oder einzustellen“. Im Kontext der Corona-Politik laufe es genau so, bestätigt der Kölner Rechtsanwalt Gordon Pankalla, der es von einer bekannten Staatsanwältin aus erster Hand erfahren hat. Er selber kann beobachten, dass bestimmte Strafbestände verschärft werden, um Regierungskritiker schneller und einfacher verfolgen zu können. Pankalla verweist auf die jüngste Verurteilung eines Studenten aus München, der in einem Tweet Deutschland als „Drecksstaat“ bezeichnete, weil er während der Corona-Maßnahmen seine Oma nicht hatte besuchen dürfen. Die Strafe beträgt 1.500 Euro. Hinzu kommen Verfahrens- und Anwaltskosten.
Auslöser war eine „anonyme Anzeige“, die dazu führte, dass die zuständige Staatsanwaltschaft den Tweet unter der Kategorie „Staatsschutz/Terrorismus“ einordnete. „Würde es auch eine Strafverfolgung geben, wenn es in einem Tweet hieße: ‚Der Drecksstaat macht nicht genug für den Klimaschutz‘“, fragt Pankalla rhetorisch. Auch er stellt eine Ideologisierung und Politisierung sowohl der Strafverfolgung als auch der Rechtsprechung fest.
„Wenn Regierungskritiker öffentlich übel beleidigt werden, passiert nichts“,
so der Rechtsanwalt. Tatsächlich häufen sich Fälle, in denen Staatsanwaltschaften bei Volksverhetzungen und übler Nachrede die Klagen nach § 154 oder § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) einstellen, wenn sie von der „falschen Seite“ kommen. Andersherum geht es überraschenderweise sehr schnell und unkompliziert, meist nach Intervention der Exekutive.
Ein Novum fällt Pankalla hingegen bei der Rechtsprechung auf:
„Bestimmte Fälle werden einfach nicht bearbeitet“, sagt er. „Sie schimmeln dahin. Die Richter weigern sich zu entscheiden.“
Das habe er vor Corona nicht erlebt – und auch nicht, dass Verfahrensrechte nicht beachtet würden. „Mir wurde zum Beispiel mehrmals untersagt, Zeugen zu hören.“ Diese Methode könnte nach Corona Schule machen. Derzeit gehört sie zum Werkzeugkasten der Judikative, mit dem sie die von der Exekutive verursachten Rechtsbrüche stümperhaft kittet. Pankallas Beobachtungen decken sich mit denen anderer kritischer Juristen: „Wenn es um Trickbetrug oder Diebstahl geht, gibt es keinerlei Probleme. Der Rechtsstaat funktioniert.“ Er gerate aber ins Straucheln, wenn die Angelegenheit eine politische oder ideologische Note bekommt.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: CeltStudio / Shutterstock.com
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