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Wie weit darf die Kunst gehen? Ein Interview mit Medienkünstler Philip Schnurr und Anwalt Markus Haintz

Wie weit darf die Kunst gehen? Ein Interview mit Medienkünstler Philip Schnurr und Anwalt Markus Haintz


Ein Interview von Eugen Zentner mit Philip Schnurr und Markus Haintz

In seinem neuen Song «AfD – Offizieller Werbespot» greift der Rapper SchwrzVyce führende Politiker der Regierungsparteien an und findet deutliche wie derbe Worte. Dafür hat er viel Zuspruch bekommen, aber auch Kritik von einstigen Weggefährten geerntet. Der Song hat vor allem eine Diskussion darüber ausgelöst, was Kunst darf und wie weit sie gehen kann. An ihr beteiligt haben sich auch der Werberegisseur und Medienkünstler Philip Schnurr sowie der Anwalt und Bürgerrechtler Markus Haintz. In einem gemeinsamen Interview sprechen sie über die Grenzen der Kunst, über Meinungsfreiheit und über unterschiedliche Formen von Beleidigungen.

Philip Schnurr, der Rapper SchwrzVyce hat mit seinem neuen Song «AfD – Offizieller Werbespot» in den sozialen Medien eine heftige Diskussion über die Grenzen der Kunst ausgelöst. Auch Sie haben sich daran beteiligt. Wie bewerten Sie den Song?

Philip Schnurr: Aus künstlerischer Sicht bekommen der Song und das Video maximal eine 4 Minus. Weder der Song noch das Video sind mit Liebe zum Detail gemacht. Und das ist bei dem Text leider dann auch irgendwie logisch.

Markus Haintz, Sie haben den Song als „widerlich“ empfunden. Was hat Sie daran angewidert?

Markus Haintz: Kreative „Beleidigungen“ können in der Kunst durchaus zulässig sein. Der Song enthält aber mehrere Beleidigungen, die nur darauf abzielen, den politischen Gegner persönlich abzuwerten, ohne dabei kreativ zu sein. Der Song bewegt sich leider weit unterhalb von Jan Böhmermann-Niveau.

Aber muss Kunst nicht manchmal brachial und provokant sein, um Gehör zu finden und auf Missstände hinzuweisen?

Markus Haintz: Ja, durchaus. Aber reine Beschimpfungen von Politikern sind für mich keine Kunst, auch wenn ich inhaltlich zustimme, unsere Regierung zerstört (vorsätzlich) unser Land.

Philip Schnurr: Brachial? Es ist natürlich einfacher, mit Brutalität Aufmerksamkeit zu erzeugen als mit Intelligenz und Witz. Siehe die Metal-Band Rammstein, die meist mit reiner brachialer Gewalt und Horror-Szenen in ihren Videos und bei Liveauftritten Aufmerksamkeit erzeugen. Manchmal muss man seine Meinung laut hinausschreien. Das tue ich auch, aber ich versuche meine Frustration nicht auf einzelne Personen zu projizieren und biete wenn möglich einen Lösungsweg an.

In dem Song werden prominente Politiker der Regierungsparteien derbe beleidigt? Ist das von der Kunstfreiheit gedeckt?

Markus: Haintz: Nein, grundsätzlich sind Kollektivbeleidigungen zwar nicht strafbar, und gewisse Beleidigungen können von der Kunstfreiheit gedeckt sein. Im konkreten Fall wird aber zum Beispiel Außenministerin Baerbock als „Fotze“ betitelt und die Regierungsmitglieder werden als „Hurensöhne“ bezeichnet, während sie mit Bild eingeblendet werden. Das dürfte die Grenze des rechtlich Zulässigen überschreiten.

„Die Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt“. Dies hat das Bundesverfassungsgericht 2016 bezüglich der Kollektivbeleidigungen ACAB (all cops are bastards) entschieden. Nach diesem Maßstab ist die kollektive Beleidigung der Regierungsmitglieder als „Hurensöhne“ strafbar. Frau Baerbock als „Fotze“ zu bezeichnen, dürfte auch strafbar sein. Anfang 2020 änderte das Landgericht Berlin ein eigenes Urteil ab, in dem ursprünglich die Beleidigung von Renate Künast (Grüne) als „Dreck Fotze“ als zulässig erachtet wurde.

Die spannende Frage wird aber in dem hiesigen Fall sein, ob einzelne Regierungsmitglieder einen Strafantrag gegen SchwrzVyce stellen werden. Bezüglich Karl Lauterbach kann durchaus davon ausgegangen werden, da er dies schon mal gemacht hat, weil ihn jemand auf Twitter als „Pisser“ bezeichnet hat.

Philip Schnur: Die Kunstfreiheit geht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Absatz 1 GG als lex specialis vor, sofern die Meinung auf künstlerische Weise geäußert wird. Die Kunstfreiheit steht in unserem Staat daher noch über der Meinungsfreiheit und ist jedenfalls bis heute vom Grundgesetz geschützt. Im Gesamtkonzept kann man das selbstverständlich als Kunst bewerten. Daher sehe ich nicht das Problem, zumal ja weder bildlich noch textlich explizit zu Gewalt aufgerufen wird. Die Frage ist, wie tief ist die schöpferische Gestaltung? Zudem stellt sich für mich die Frage, was machen andere daraus und ist das eine Gewaltspirale, die dann möglicherweise losgetreten werden könnte oder Schule macht?

Markus Haintz: Die Kunstfreiheit steht nicht über der Meinungsfreiheit. Es gibt diesbezüglich keine höherwertigen Grundrechte, nur die Menschenwürde steht über allem, jedenfalls in der Theorie. Die Praxis der letzten drei Jahre war eine andere.

Nur weil man Beleidigungen singt, werden sie dadurch noch nicht legal und legitim. Satire dürfte hier wesentlich mehr, aber Satire sehe ich in diesem Lied nicht. Das größte Problem liegt meines Erachtens aber darin, dass derartige Lieder eben auch zu Hass, Wut und Gewalt anstacheln können. Wie das unsere gesellschaftlichen Probleme lösen soll, ist mir schleierhaft.

In diesem Fall stehen sich Kunst- bzw. Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht gegenüber. Herr Haintz, was wiegt schwerer?

Markus Haintz: Ich tue mich schwer, in unkreativen Beleidigungen Kunst oder eine Meinung zu sehen, jedenfalls überwiegt das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Politiker. Es gibt genug Möglichkeiten, unsere Politiker kreativ und mit Bezug zu einer Sachebene zu „beleidigen“ und scharf anzugehen. Das wäre zulässig. Das würde dann auch unter die Kunst- bzw. Meinungsfreiheit fallen.

Der Song kommt als „Werbespot für die AfD“ daher. Darf Kunst direkt oder indirekt für eine Partei werben?

Markus Haintz: Natürlich darf sie das. Das darf jeder. Ob das der Partei gefällt, ist dann eine andere Frage. Zivilrechtlich ist es natürlich nicht zulässig, die Banner oder geistiges Eigentum einer Partei ohne Genehmigung zu nutzen. Und eine Genehmigung lag hier natürlich nicht vor.

Philip Schnurr: Selbstverständlich darf jeder Künstler oder Person für eine Partei werben, nur eben nicht behaupten, dass es ein offizieller Spot sei. Insbesondere dann nicht, wenn man sich gegen Fake News verschrieben hat. Die Verwendung von eingetragen Logos könnte ebenfalls eine Verletzung von geistigem Eigentum darstellen, wenn sie nicht künstlerisch verfremdet werden und so einen eigenen Charakter haben. Kunst darf prinzipiell zwar alles, nur eben niemanden dabei körperlich verletzten, Sachbeschädigungen anrichten oder zu Gewalt aufrufen. Anders ist es bei der Satire. Sie ist eine besondere Kunstform, welche durch Zuspitzung und Humor die Grenzen der Meinungsfreiheit erweitert.

Beleidigen darf sie also schon?

Philip Schnurr: Ja, Musik bzw. Kunst darf selbstverständlich auch beleidigen. Die Frage ist doch nur, wie und in welcher Form. Es ist ein Unterschied, ob ich gute Argumente anführe und dann konkret werde oder ob ich einfach Behauptungen aufstelle und plump beleidige. Das eine hat Niveau und Intelligenz, das andere ist populistisch primitiv und plump. Ich bin manchmal auch beleidigend, wenn mir danach ist, aber nicht gegenüber Einzelpersonen. Es bringt daher nichts, Lauterbach zu beleidigen. Lauterbach ist ein Symptom des Systems. Ist er weg, kommt der nächste und dann wird es vielleicht noch schlimmer. Ich kann SchwrzVyce’ Wut auf das System absolut nachvollziehen. Aggressionen sind oft die letzten Mittel vor der Verzweiflung, und Kunst bzw. Musik dienen als ein Ventil, um dieser Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Die Ärzte sind für mich Verräter des Systems, aber in einem Satz haben sie Recht: Jede Form von Gewalt ist letztlich ein Hungerschrei nach Liebe.

Markus Haintz: Grundsätzlich darf Kunst auch beleidigen. Ob eine künstlerische Beleidigung dann auch strafbar ist, ist letztlich eine Einzelfallentscheidung und bedarf einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten, also zwischen Kunstfreiheit und vor allem dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 (1) GG und der Menschenwürde, Art 1 (1) GG.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Kunst? Welche Linie darf sie auf keinen Fall überschreiten?

Philip Schnurr: Wir müssen dabei unterscheiden zwischen Kunst und Satire. Und wir müssen unterscheiden, gegen wen sie gerichtet ist. Sprich: Machst du ein Lied über deine Ex-Freundin und veröffentlichst private Details oder machst du ein Lied gegen Merkel? Berücksichtigt werden muss auch die künstlerische Absicht, die man dabei verfolgt. In dem Fall von SchwrzVyce’ Song ist es eindeutig, dass es sich nicht um Satire handelt.

Jeder hat seine eigene Definition, was Kunst ist – wie wir etwa an der Künstlerin Marina Abramović sehen können, die ein international gefeierter Superstar ist, aber für meinen Geschmack die Kunst pervertiert und Kannibalismus als Kunst inszeniert. Oder an dem abartigen Kunstsammler und US-Präsidentenberater John Podesta, welcher kleine gefesselte Kinder als Gemälde in seiner Sammlung ausstellt und noch viel abartigere Dinge, von denen ich hier nicht reden möchte, weil sie in meinen Augen einfach nur pervers und geisteskrank sind. Aber sie sind real und anscheinend legal. Wir sehen auch an den unzähligen Horrorfilmen und Computerspielen, was Kunst alles darf. Von daher ist SchwrzVyce’ Video ziemlich harmlos. Ich frage mich halt nur: Qui bono? Was bringt es und wem nützt es?

Und zu welcher Schlussfolgerung sind Sie gekommen? Was bewirkt der Song? Wem nützt er?

Philip Schnurr: Der Song bewirkt im besten Fall eine Debatte über die Spaltung der Gesellschaft und darüber, wie wir sie vielleicht noch überwinden können. Aber die Fronten wurden so hochgefahren durch Politik und Medien, weil genau das gewollt ist. Es hat sich von daher seit 2000 Jahren nichts geändert: Divide et impera – teile und herrsche. Erzeuge ein Problem und spalte die Bevölkerung, um von deinen wahren Zielen abzulenken. Leider bedient dieser Song genau dieses Prinzip. Ich würde aber empfehlen die Künstler immer im Gesamtkonzept zu betrachten. SchwrzVyce’ Song «Von Verbrechern regiert» ist einer der besten Songs aus der Friedensbewegung und schlägt viel zartere und nachdenklichere Töne an. Pickt man bei mir einzelne Filme oder Aktionen raus, könnte man auch meinen, der Typ ist irre, aber im Gesamtkontext erkennt man dann, dieser Freak möchte einfach nur die Absurdität der scheinbaren Realität verdeutlichen.

Herr Haintz, darf Kunst wirklich alles? Was würden Sie als Anwalt sagen?

Markus Haintz: Nein, natürlich darf auch Kunst nicht alles. Sonst könnte man ja im Rahmen eines Theaterstücks jemanden töten, der authentischen Kunst wegen. Wie jedes Grundrecht hat auch die Kunstfreiheit Grenzen. Zuallererst die Menschenwürde. Aber auch viele andere Grundrechte schränken die Kunstfreiheit ein. Man kann nicht einfach auf eine fremde Hauswand Graffiti sprühen. Die Freiheit des Einzelnen wird vereinfacht gesagt immer dort eingeschränkt, wo die Grundrechte andere über Gebühr eingeschränkt werden.

Was ist für Sie die Hauptfunktion der Kunst?

Philip Schnurr: Die Hauptfunktion von Kunst ist es, die Menschen zum Nachdenken anzuregen, sei es über ein bestimmtes Thema oder über die eigene Existenz. Aber letztlich ist alles Kunst – auch einen Stuhl zu schreinern oder ein Brötchen zu backen. Selbst Schach oder Karate. Die Frage ist: Sind Atombombe oder Massenvernichtungswaffen auch eine Form der Kunst? Um es ganz auf die Spitze zu treiben. Man spricht ja auch von der Kunst des Krieges. Aber da kommen wir wieder zu dem Punkt, wo ich der Meinung bin, dass Kunst etwas schöpferisches Darstellen muss und nicht zerstörerisch sein darf. In meiner Welt würde ich daher Horrorfilme und jeder Form der Gewalt den Zugang zum Konsum maximal erschweren. Denn es ist schlicht und ergreifend absolut sinnlos und bringt uns als Menschheit keinen Millimeter nach vorne. Explizite Gewalt jeglicher Form, sei es in Bild, Wort oder Schrift lehne ich daher als Kunstform deutlich ab.

SchwrzVyce hat in seinem Song auf Entscheidungsträger in der Politik geschossen. Das entspricht dem Grundsatz der Satire, die sich seit jeher Personen auf der Hierarchieebene ganz oben vorknöpft. Gilt das für alle Kunstbereiche? Und dürfen sie auch nach unten treten, wie es der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann gerne tut?

Markus Haintz: Der Song enthält zwar so manche Wahrheit, aber keine satirischen Elemente. Wer in der Öffentlichkeit steht, und das tue ich auch, muss sich wesentlich mehr gefallen lassen. Aber auch hier gibt es Grenzen. Auch Jan Böhmermann teilt regelmäßig heftig aus – wenn auch nicht sonderlich kreativ. Auch hier gilt, je bekannter sein „Opfer“, desto mehr muss es sich auch gefallen lassen. Böhmermann ist allerdings mit individuellen Beleidigungen wesentlich vorsichtiger, da ihm klar sein dürfte, dass diese auch mal nach hinten losgehen können.

Philip Schnurr: Nein, SchwrzVyce ist kein Satiriker, weder in diesem Video noch in irgendwelchen Videos davor. Aber ja: Satire darf auch selbstverständlich den Otto Normalverbraucher auf den Arm nehmen und ist eines meiner Lieblingsstilmittel, um die Menschen zum Nachdenken anzuregen. Ich halte Satire daher als eine besser Aufklärungsmethode als zum Beispiel Demos, da sie die Menschen zum Lachen bringen kann und so emotional erreicht. Erreicht man die Menschen nicht auf der emotionalen Ebene, kann man es direkt bleiben lassen.

+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Philip Schnurr und KenFM


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