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Wir haben keine Cancel Culture

Wir haben keine Cancel Culture


Die Stadt Trier auf den Spuren der DDR-Kulturpolitik

Ein Meinungsbeitrag von Eugen Zentner.

Die Cancel Culture in der Kulturbranche nimmt besorgniserregende Ausmaße an. Der Umgang mit regierungskritischen Künstlern erinnert an die DDR-Zeit, als Bürokraten und SED-Mitglieder darüber entschieden, wer auftreten durfte – und wer nicht. Dass es in der heutigen Bundesrepublik nicht viel anders läuft, beweisen die jüngsten Querelen rund um das Festival für Frieden, Freiheit und Freude in Trier. Organisiert hat es die Schauspielerin Joya Ghosh, um dem Publikum auch in der derzeit dunklen und krisenreichen Zeit ein wenig Hoffnung zu geben. Das Festival sollte die Seele aufhellen, wurde aber schnell zu einem Politikum, weil sich zunächst die Stadt und schließlich der Kulturdezernent eingeschaltet hatten.

Die Intervention zielte darauf ab, die beiden Künstler Jens Fischer Rodrian und Uli Masuth auszuladen – sie also buchstäblich zu canceln. Die Begründung machte die Stadt ein wenig später in einer Pressemitteilung publik:

„Beide Künstler sind in jüngerer Zeit mit politischen Äußerungen öffentlich in Erscheinung getreten, die ausdrücklich nicht den Positionen der Stadt Trier entsprechen.“

Müssen sie das überhaupt? Ist es in einer Demokratie nicht gerade gewünscht, dass Kultur und Politik im Sinne des Pluralismus möglichst unabhängig voneinander agieren? Sollte es zwischen den beiden Bereichen nicht auch Differenzen im Hinblick auf gewisse Themen geben? Und würde es sich nicht eher um ein totalitäres System handeln, wenn nur Künstler auftreten dürften, deren Positionen mit denen der Stadt oder der Exekutive im Allgemeinen übereinstimmen? Denn dann würde ja eine Ideologie alle Institutionen durchdringen. Genau das aber ist die Definition dessen, was man gemeinhin als Totalitarismus bezeichnet.

Bevor die Stadt Trier ihre Pressemitteilung veröffentlichte, übten die Verantwortlichen zunächst Druck auf die Veranstalterin aus. In einem persönlichen Gespräch sei Ghosh auf Anweisung des Kulturdezernenten gebeten worden, die beiden Künstler auszuladen, erzählte die Schauspielerin kürzlich in einem Interview mit den NachDenkSeiten. Irgendwer habe sich vorher bei der Stadt beschwert, wie es denn sein könnte, dass „rechtsradikale, antisemitische, regimefeindliche Künstler“ in einem städtischen Raum auftreten dürften. Es mutet schon wie ein Freudscher Versprecher an, wenn hier von „Regimefeindlichkeit“ die Rede ist. Wurde sie nicht auch in der DDR den Künstlern angedichtet. Wurden nicht auch zu jener Zeit allerlei Kampfbegriffe bemüht, um auf angebliche Verfehlungen hinzuweisen?

Ihrem Wortlaut nach mögen sie sich geändert haben, aber im Kern bleiben sie immer noch Kampfbegriffe, die dazu dienen, unliebsame Künstler unter Druck zu setzen, wenn deren Positionen von der herrschenden Meinung und somit von der herrschenden Ideologie abweichen. Welche sind es eigentlich im Fall von Jens Fischer Rodrian und Uli Masuth? In der Pressemitteilung werden sie nicht konkretisiert. Stattdessen enthält der Text bloß Behauptungen. Bei ihnen blieb es auch in dem persönlichen Gespräch zwischen der Stadt Trier und der Veranstalterin Ghosh, die sich nicht einschüchtern ließ und zu den beiden Künstlern hielt. Ihre Entscheidung gegen das Canceln erklärte sie so:

„Man hat mir vonseiten der Stadt sehr deutlich versucht zu zeigen, wo mein Platz im Gefüge ist. Dumm nur, dass ich den nicht akzeptiere. Ich habe meine Selbstachtung zu verlieren, ich würde niemals einen Kollegen canceln, weil er ‚die falsche Meinung‘ hat.“

Die Stadt und der Kulturdezernent hatten also Druck ausgeübt, besaßen zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht genug Macht, um die Auftritte Rodrians und Masuths durch direkten Einfluss zu verhindern. Also griff man zu Mitteln, von denen indirekter Druck ausging.

„Als ich mich weigerte, bekam ich einen geänderten Nutzungsvertrag vorgelegt, der die beiden Auftritte der genannten Künstler explizit ausschloss“, so Ghosh. „Das bedeutet, die städtischen Kulturfördergelder, die ich für die Umsetzung beziehungsweise die Künstlergagen des Festivals erhalten habe, darf ich nicht für Uli Masuth oder Jens Fischer Rodrian ausgeben, diese Gagen muss ich aus eigener Tasche zahlen, ebenso die Unterbringung und Verpflegung.“

Die Stadt Trier formulierte es in ihrer Pressemitteilung etwas verklausuliert, nicht ohne ein weiteres Mal Kampfbegriffe zu gebrauchen, damit möglichst genug Dreck an den unliebsamen Künstlern hängen bleibt:

„Bei der künftigen Vergabe der Räumlichkeiten an Dritte, die dort Programm anbieten, wird sich die Stadt vorbehalten, Künstlerinnen und Künstler, die öffentlich haltlose oder extremistische Positionen vertreten, nicht auftreten zu lassen. Die Leitlinien des Konzeptraums Kulturspektrum werden entsprechend ergänzt. Die Stadt Trier legt Wert auf die Feststellung, dass die beiden genannten Veranstaltungen ohne Fördergelder der Stadt Trier realisiert werden. Gleichzeitig kündigt die Stadt eine Info-Veranstaltung in Kooperation mit der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an, wie kulturelle Arbeit für extremes Gedankengut missbraucht werden kann.“

Es ist geradezu bezeichnend für den heutigen Zustand der Gesellschaft, wenn Äußerungen der Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik als „extremistischen Positionen“ bezeichnet werden. Und was, fragt man sich, hat eigentlich die Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung mit den beiden Künstlern zu tun, die sich nicht einmal antisemitisch geäußert haben. Den Beweis bleibt die Stadt Trier schuldig – weil sie ihn auch nicht erbringen kann. Stattdessen erhebt sie sich mit bloßen Behauptungen in den Stand der moralischen Überlegenheit, die mit vermeintlicher Achtung demokratischer Werte einhergeht: „Da es sich bei der Veranstaltungsreihe im Kulturspektrum jedoch nicht um städtische Veranstaltungen handelt, sondern diese in Verantwortung der Nutzenden liegen, werden die Auftritte im Sinne der Kunstfreiheit hingenommen“, heißt es in der Pressemitteilung, wobei die Scheinheiligkeit und Verlogenheit bereits auf der Sprachoberfläche ins Auge springt.

Die Auftritte werden eben nur „hingenommen“ statt akzeptiert, und nicht aus Respekt für die Kunstfreiheit, sondern weil zu dem Zeitpunkt die nötigen Druckmittel fehlten. Denn „hinnehmen“ wollte man ja die Auftritte nicht, auf gar keinen Fall. Sonst hätte es nicht ein persönliches Gespräch mit der Veranstalterin gegeben – und auch nicht die Bitte, beide Künstler auszuladen. Wenn man etwas im Sinne der Kunstfreiheit wirklich hinnimmt, muss man auch nicht artikulieren, dass man es hinnimmt. Und schon gar nicht braucht man die Leitlinien zu ändern, um es in Zukunft nicht mehr hinnehmen zu müssen. Ein bisschen erinnert der Fall an den Film «Das Leben der Anderen», wo der von Thomas Thieme gespielte Kulturminister Bruno Hempf eine Zensur in der DDR abstreitet. Als dieser von einem Schriftsteller gebeten wird, das Berufsverbot eines Kollegen zu überdenken, antwortet er:

„So etwas gibt es doch gar nicht in unserem Land.“

Offiziell gab es das Berufsverbot genauso wenig wie heute. Was aber ist es dann, wenn Künstler nicht auftreten sollen oder nicht dürfen, sobald die Leitlinien der städtischen Kulturförderung entsprechend nachjustiert sind? Die Zensur und Cancel Culture erfolgt nicht direkt, aber über subtile Mechanismen, die die Stadt Trier in ihrer Pressemitteilung im Grunde selber offenlegt. Wenn unliebsame Künstler von der städtischen Förderung abgeschnitten und mit Diffamierungskampagnen so diskreditiert werden, dass auch private Veranstalter von ihnen Abstand nehmen müssen, um auch künftig auf öffentliche Förderungen zu hoffen, dann lässt sich mit Fug und Recht von indirekter Zensur sprechen. Die Methoden der DDR treten heute in ihrer modernen und ausgefeilten Form zum Vorschein. Entscheidend ist aber nicht die Verkleidung, sondern das Wesen, das in ihr eine andere Identität vorzugeben versucht.

Wie wenig demokratisch jene sind, die heute anderen „Regimefeindlichkeit“ vorwerfen, unterstreichen die Ereignisse nach dem Festival-Auftritt Jens Fischer Rodrians am 9. November. Zuvor hatte der Berliner Musiker und Lyriker ein Gesprächsangebot auf der anschließenden Podiumsdiskussion unterbreitet. Vertreter der Stadt Trier, allen voran der Kulturdezernent, waren eingeladen, in einem Dialog über die Differenzen zu sprechen und den Künstler mit ihren Vorwürfen direkt zu konfrontieren. Rodrian war bereit, darauf einzugehen, musste aber enttäuscht feststellen, dass niemand kam – selbst nicht die Journalisten der Lokalzeitung Trierischer Volksfreund, in der sowohl vor als auch nach dem Auftritt Rodrians Artikel zu dem Fall erschienen. Allerdings kritisierten sie nicht die Stadt für ihren Cancel-Versuch, sondern standen ihr bei und warfen stattdessen weiter mit Schmutz in Richtung der beiden Künstler.

Rodrian wurde derart charakterisiert, dass er „radikale Ansichten zur politischen Lage“ formuliere, „etwa der, dass die Demokratie in Deutschland eine Illusion sei.“ Wenn eine derartige Aussage bereits als „radikal“ bezeichnet wird, ist das mehr als entlarvend. Die Berichterstattung stellt nichts anderes dar als einen hilflosen Versuch, jemandes Weste als schwarz erscheinen zu lassen, obwohl sie eigentlich weiß ist. Der ganze Fall um den Cancel-Versuch bestätigt nur, dass die Demokratie in Deutschland nur noch eine Illusion ist – quasi performativ, und erst recht, wenn die vermeintlich Vierte Gewalt mit der Exekutive kuschelt und sich eher an der Diffamierungskampagne beteiligt, anstatt sich für die Kunstfreiheit einzusetzen.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Henryk Sadura / Shutterstock.com


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