Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Der Mann hat ein so freundliches Gesicht, ein so gewinnbringendes warmes Lächeln, dass ich ihm alles abkaufen würde: Schnürsenkel, Lutschbonbons, Rasierwasser, ja sogar seine These, dass weniger von allem mehr ist. Und beautiful dazu.
Das Attribut »gewinnbringend« ist mir so rausgerutscht, in Bezug auf Ernst Friedrich Schumacher (1911 - 1977) wirkt es deplatziert, ja fast aberwitzig. Schließlich ist er als leidenschaftlicher Verfechter einer Wirtschaftsordnung bekannt, die das »Menschliche Maß« zur Grundlage erhebt. Sein 1973 veröffentlichtes Buch »Small is beautiful« wurde ein weltweiter Bestseller. US-Präsident Carter war von den Ideen des britischen Ökonoms deutscher Herkunft dermaßen begeistert, dass er ihn ins Weiße Haus einlud. In seinem viel beachteten Werk, das aus einer Sammlung von Vorträgen und Fachartikeln besteht, die bis ins Jahr 1964 zurückreichen, heißt es:
»Immer größere Maschinen, eine immer komplizierter werdende Technologie als Triebkraft für die Wirtschaft, zieht automatisch eine wachsende Gewalt gegen unsere Umwelt nach sich. Das hat mit Fortschritt, so wie ich ihn verstehe, nichts zu tun. Es ist die Verweigerung einer weisen Politik. Weise wäre es, Wissenschaft und Technologie in Richtung eines organischen Umgangs mit der Natur auszurichten – der freundlichen, nicht gewalttätigen, der eleganten und wunderschönen Natur.«
Die Ernst-Friedrich-Schumacher-Gesellschaft brachte kurz nach dem Tod des Mannes eine Denkschrift heraus. Hier ein Zitat, das mir in bester Erinnerung geblieben ist:
„Arbeit erfüllt mindestens drei Aufgaben: Sie gibt dem Menschen die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu nutzen und zu entwickeln. Sie hilft ihm, aus seiner Ichbezogenheit herauszutreten, indem sie ihn mit anderen Menschen in einer gemeinsamen Aufgabe verbindet, und sie erzeugt die Güter und Dienstleistungen, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich sind. Arbeit so zu organisieren, dass sie für den Arbeiter sinnlos, langweilig, verdummend oder nervenaufreibend wird, ist ein Verbrechen. Eine solche Haltung zeigt, dass Güter wichtiger sind als Menschen. Das aber entspricht einem erschreckenden Mangel an Mitgefühl und der wesenszerstörenden Hinnahme eines Lebens auf der primitivsten Stufe der Existenz.“
Wer nach der Lektüre von Schumachers Schriften noch immer nicht umzudenken vermag, sollte sich zumindest darüber im Klaren sein, dass Ignoranz und Dummheit erst die Voraussetzung für ein global agierendes System himmelschreiender Ungerechtigkeit bilden, das uns demnächst auf die Füße fallen wird – mit schrecklichen politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Folgen.
Mitte der Fünfzigerjahre reiste Ernst Friedrich Schumacher als ökonomischer Berater nach Birma, dem heutigen Myanmar. Dort entwickelte er die Grundregeln seiner »Buddhist Economics«, die auf dem Glauben basiert, dass gute Arbeit für eine richtige menschliche Entwicklung wesentlich ist. In Indien, wohin er als Wirtschaftsberater eingeladen war, um die damalige Entwicklungshilfepolitik zu begutachten, hatte der gute Mann dann sein Saulus-Paulus-Erlebnis. Angesichts der unsäglichen Armut, die es dort zu konfrontieren galt, erlebte er sein persönliches Metanoia, wie er es nannte. Unter Metanoia versteht man in der christlichen Theologie einen transformativen Sinneswandel, eine spirituelle Bekehrung.
Ernst Friedrich Schumacher entdeckte, dass die Entwicklungshilfe ausschließlich der Ansiedlung von Unternehmen diente. Von konkreten Hilfsmöglichkeiten für die Armen keine Spur. Dabei sollte die Überwindung der perspektivlosen Armut, sowohl auf dem Lande wie in den Slums, doch das vorrangige Thema von Ökonomen sein! Schumacher machte genau dieses Ziel nun zu seiner vorrangigen Aufgabe, was ihn zu grundsätzlich neuen Erkenntnissen führte.
Sein Credo ist einfach und nachvollziehbar: Technologien sollen uns helfen. Dafür müssen sie erschwinglich sein und die Autonomie des Menschen erhöhen. Technologische Produktivitätssteigerungen für die Massenproduktion und primär zur Steigerung der Profite ist für Schumacher der falsche Weg. Ihm geht es um den Frieden und die soziale Gewaltlosigkeit in der Gesellschaft. Dafür sind Kleinheit, Einfachheit und niedrige Kapitalkosten am besten geeignet. Diese Kriterien sorgen dafür, dass der Mensch genügend Zeit behält, sich um seine persönliche, geistige Entwicklung zu kümmern.
Arbeit ist kein Selbstzweck, betonte Schumacher immer wieder, der vor den Nazis nach England flüchtete, wo er zunächst als Enemy Alien, als feindlicher Ausländer interniert wurde. Nach dem Krieg arbeitete Schumacher als Wirtschaftsberater bei der britischen Steuerkommission, die mit dem Umbau der deutschen Wirtschaft betraut wurde. Von 1950 bis 1970 war er Chefökonom der britischen Kohlebehörde, die über achthunderttausend Beschäftigte verfügte. Mit seiner weitsichtigen Planung (er sagte den Aufstieg der Organisation Erdöl exportierender Länder, OPEC, und die Probleme der Atomenergie voraus) half er Großbritannien bei seinem Wirtschaftsaufschwung.
Ernst Friedrich Schumacher hatte früh erkannt, dass der Wohlstand der westlichen Industrienationen auf der Ausbeutung endlicher Ressourcen basiert. Ihm wurde klar, dass wir auf keinen Fall an unserer Wachstumsideologie festhalten dürfen. Folgerichtig gründete er 1965 die Intermediate Technology Development Group, deren Aufgabe es wurde, technologische Lösungen für die praktischen Probleme der Armen in der Dritten Welt zu suchen. Die Organisation besteht noch heute, sie ist ausschließlich auf Projekte in der Dritten Welt spezialisiert. 2005 wurde sie in Practicalaction umbenannt und beschäftigt inzwischen über sechshundert Fachleute weltweit.
Manchmal fragt man sich, wie all diese Aktivitäten, all dieses Engagement in einem einzigen Menschenleben Platz haben.
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Miha Creative / Shutterstock.com
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