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Wissenschaftler fordern Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen

Wissenschaftler fordern Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen


Ein Meinungsbeitrag der Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.

Zusammenfassung

Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemäße Lösung von Bildungsfragen. Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe (Kl. 6): Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden. Diese haben nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen.

Zu untersuchen sind insbesondere Fragen der medizinisch-psychologischen, der pädagogisch-didaktischen und der politisch-demokratietheoretischen Implikationen. Zu den wissenschaftlich fundierten Einsprüchen zählt etwa die Stellungnahme von fünf Professorinnen und Professoren des schwedischen Karolinska-Instituts. Sie warnen vor negativen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf das Lernen und die Sprachentwicklung von Kindern. Der U.S. Surgeon General warnt vor den Folgen für die generelle mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter bei Bildschirmmedien. Das korrespondiert mit Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Empfehlungen von Kinderärzten und Psychologen. Die UNESCO kritisiert im „2023 Global Education Monitor“ darüber hinaus, dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen. Dazu kommen immer mehr Datenverarbeitungssysteme, die als „Künstliche Intelligenz“ (KI) automatisiert beschulen und testen sollen, um fehlende Lehrkräfte zu ersetzen. Dabei hat zuletzt die Corona-Pandemie das Scheitern solcher Ersatzsysteme belegt. Der Deutsche Ethikrat warnt daher in seinen Empfehlungen zur „KI und Bildung“ explizit vor der Ersetzung der Lehrkräfte durch Computerprogramme, die UNESCO empfiehlt den Umgang mit KI erst ab 13 Jahren.

Es ist daher dringend notwendig, die einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in KITAs und Schulen zu revidieren, um interdisziplinär und wissenschaftlich fundiert, mit Fokus auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse über IT und KI in Bildungseinrichtungen zu diskutieren. Bei Erziehung und Unterrichten muss das Wohl der Lernenden und die Wirksamkeit pädagogischen Handelns im Mittelpunkt stehen. Dazu fordern wir ein Moratorium und den öffentlichen Diskurs über die notwendigen pädagogischen Prämissen des Einsatzes digitaler Medien in Bildungseinrichtungen.

Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner: Prof. Dr. Volker Bank, Technische Universität Chemnitz, Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Chemnitz Prof. Dr. med. Jürg Barben, Leitender Arzt Pneumologie/Allergologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen Prof. Dr. Peter Bender, Universität Paderborn, Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik, Paderborn Prof. em. Dr. Carl Bossard, Gründungsrektor Pädagogische Hochschule PH Zug Dr. Jutta Breithausen, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften,Institut für Erziehungswissenschaft, Wuppertal Prof. Dr. Ute Büchter-Römer, apl. Professorin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln Dr. med. Uwe Büsching, Kinder- und Jugendarzt, Bielefeld Prof. Dr. Thomas Damberger, Bildungs- und Erziehungswissenschaften im Kontext der Digitalisierung, Freie Hochschule Stuttgart Prof. Dr. Karl-Heinz Dammer, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophie und Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik, Heidelberg Dr. med. Dr. h.c. Michaela Glöckler, Kinder-und Jugendärztin Prof. Dr. Johannes Grebe-Ellis, Universitätsprofessur für Physik und ihre Didaktik, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Bergische Universität Wuppertal Prof. Dr. Bernhard Hackl, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Schulpädagogik, Abteilung Schulpädagogik, Graz Prof. Dr. Gaby Herchert, Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften, Germanistik, Duisburg Prof. Dr. habil. Edwin Hübner, Lehrer und Medienpädagoge, Inhaber des von Tessin-Lehrstuhls für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart Prof. Dr. Norbert Hungerbühler, Departement Mathematik, ETH Zentrum, HG E63.1, Rämistrasse 101, CH-8092 Zürich Universitätsprofessor a.D., Dr. rer. pol. Hans-Carl Jongebloed, Universität Kiel, Institut für Pädagogik, Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik Prof. Dr. Rainer Kaenders, Mathematisches Institut, Hausdorff Center for Mathematics, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn Dr. Beat Kissling, Psychologe und Erziehungswissenschaftler/Gymnasiallehrer, Zürich Prof. em. Dr. Hans Peter Klein, Didaktik der Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt Prof. Dr. Jochen Krautz, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Design und Kunst Prof. em. Dr. Hans-Dieter Kübler, Professor für Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg PD Dr. Axel Bernd Kunze (Univ. Bonn) Prof. Dr. Volker Ladenthin, Arbeitsbereich Bildungswissenschaft, Lehrstuhl für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft, Bonn Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Fakultät Medien, HS Offenburg Hon. Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Hannover Prof. Dr. Jürgen Rekus, Institut für Allgemeine Pädagogik, Universitätsbereich im Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe Prof. Dr. Ingo Reuter, Kulturwissenschaften, Univ. Paderborn Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer, Professor für Erziehungswissenschaft am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen Dr. Klaus Rodens, Kinder- und Jugendarzt, Angertorstr. 6, 89129 Langenau Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski, Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität zu Köln, Köln Prof. Dr. Thomas Sonar, Institut Computational Mathematics, AG Partial Differantial Equations PDE, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt, Neurobiologin, ehem. Universität Bielefeld Prof. Dr. Christoph Türcke. em. Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig Prof. Dr. Anke Wegner, Institut für Germanistik, Didaktik der deutschen Sprache/Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universität Trier Prof. Dr. Ysette Weiss, Institut für Mathematik, AG Fachdidaktik Mathematik, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Prof. em. Dr. Dr.h.c Erich Ch.Wittmann, Projekt Mathe 2000, Technische Universität Dortmund Prof. Dr. Tomáš Zdražil, Anthropologische und anthroposophische Grundlagen der Waldorfpädagogik, Freie Hochschule Stuttgart

Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik, Universität Augsburg

Wissenschaftler und Mediziner warnen vor BiIdschirmmedien

Die skandinavischen Länder waren Vorreiter in der Digitalisierung von Bildungseinrichtungen. Doch korrigierte die schwedische Regierung 2023 die Entscheidung ihrer Vorgänger, bereits Vorschulen des Landes verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten. Der Grund für das Umdenken ist die Stellungnahme von fünf Professorinnen und Professoren des renommierten Karolinska-Instituts (Stockholm), die die Strategie der Digitalisierung der Nationalen Agentur für Bildung in einem Gutachten als falsch kritisierte.

Die behaupteten positiven Befunde wären nicht evidenzbasiert, die Forschung habe stattdessen gezeigt, dass „die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler“ habe. Die ausgelobten Ziele (Bildungs- und Chancengerechtigkeit, Unterrichtsverbesserung, gesellschaftliche Teilhabe) würden nicht erreicht, im Gegenteil: „Es ist offensichtlich, dass Bildschirme große Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung. Zu viel Bildschirmzeit kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die körperliche Aktivität verdrängen“ (Karolinska-Institut 2023). Die liberale schwedische Bildungsministerin Lotta Edholm stoppte daraufhin den Tablet-Einsatz in der Primarstufe: „Bildschirme haben in Vorschulen einfach nichts zu suchen“, so die Ministerin. (1)

Vor allem müsse der Schwerpunkt des Wissenserwerbs wieder über gedruckte Schulbücher und das Fachwissen der Lehrkräfte erfolgen. Wer sich Wissen „selbstorganisiert“ aus frei zugänglichen digitalen Quellen suchen müsse, wie es derzeit in schwedischen Schulen üblich ist, verliere viel Zeit, um es auf Richtigkeit zu prüfen und lerne nur halb so viel wie im regulären Unterricht. Zudem bestünde die Gefahr, dass Lernende eher horizontal lesen und Texte nur überfliegen statt vertiefend nach Wissen zu suchen: "Die Schülerinnen und Schüler lernen, der schnellen Informationsbeschaffung den Vorrang vor einer tiefgehenden Analyse zu geben, was wiederum zu oberflächlichem Wissen führen kann, das schneller verlorengeht" (ebda.)

Der U.S. Surgeon General (in etwa die oberste Gesundheitsbehörde in den USA) hat eine Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen herausgegeben. Sie zeigt detailliert auf, wie stark junge Menschen von digitalen Medien beeinflusst und abhängig werden. Die immer längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter habe Folgen für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (u.a. Körperunzufriedenheit, gestörtes Essverhalten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, geringes Selbstwertgefühl, Depression u.v.m.). Die US-Behörde fordert alle Beteiligten (politische Entscheidungsträger, Technologieunternehmen, Eltern, Betreuer, Forscher) auf, die Sicherheit, Gesundheit und Privatsphäre von Kindern und Jugendlichen zu schützen, Zugänge und Nutzungszeiten zu reglementieren und Suchtpotentiale dieser Systeme durch Gestaltungselemente und Funktionen zu eliminieren und technikfreie Zonen und Zeiten einzurichten.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hat vergleichbare Leitlinien zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend herausgegeben, die von vielen Fachverbänden aus Medizin, Psychologie und Suchtprävention mitgetragen werden. Die wichtigste Empfehlung für alle Altersstufen: Reduktion der Bildschirmzeiten, keine eigenen Geräte für Kinder und keinen unkontrollierten, unbegleiteten Zugang zum Internet. Eltern und Geschwister sollen z.B. in Gegenwart von jüngeren Familienmitgliedern ganz auf die Nutzung von Bildschirmmedien verzichten. (DGKJ 2022, 3)

UNESCO: IT in Schulen bedient Wirtschaftsinteressen statt Lernprozesse

Einen Schritt weiter geht der UNESCO-Bericht „2023 Global Education Monitor“, dessen Untertitel „Technologie in der Bildung: Ein Werkzeug zu wessen Nutzen?“ die entscheidende Frage stellt: Wem nutzt es? Das Ergebnis: Bei den aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen stünden nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt, sondern wirtschaftliche Interessen der IT-Anbieter und der Datenökonomie. Unparteiische Erkenntnisse über die Auswirkungen der Bildungstechnologie seien Mangelware, es gebe kaum belastbare Belege für den Mehrwert der digitalen Technologie im Bildungswesen, zudem stamme ein Großteil der Nachweise von denjenigen, die versuchen, sie zu verkaufen.

Generell gelte: „Nicht jede Veränderung ist ein Fortschritt. Nur weil etwas getan werden kann, heißt das nicht, dass es auch getan werden sollte. Von Technologien, die für andere Zwecke entwickelt wurden, kann nicht unbedingt erwartet werden, dass sie für alle Bildungsbereiche geeignet sind.“ Kritisiert werden die Folgekosten, die Erstinvestitionen in Bildungstechnologie nur ein Viertel oder weniger der Gesamtkosten abdecken (UNESCO-Report, S. 7). Das sei keine generelle Absage an IT in Schulen, sondern die Forderung nach einer Neu-Justierung mit dem Ziel von Bildungs- und sozialer Gerechtigkeit, verbunden mit der Besinnung auf den von qualifizierten Lehrkräften strukturierten Unterricht: “Kein Bildschirm kann jemals die Menschlichkeit eines Lehrers ersetzen.“ (UNESCO 2023a) Investiert werden müsse in die Qualifikation der Erziehenden und Lehrenden, um erfolgreiche Bildungsbiographien zu ermöglichen und früh zu fördern.

Der UNESCO-Report referiert zudem bestehende Verbote für private digitale Endgeräte, die bereits in fast einem Viertel der untersuchten Länder gelten, Tendenz steigend. Gründe sind das Ablenkungspotential, was die Aufmerksamkeit und Konzentration im Unterricht ebenso stört wie die Kommunikation und das direkte Miteinander im Unterricht und in den Pausen. Den Umgang mit KI empfiehlt die UNESCO erst ab 13 Jahren (UNESCO 2023b). In Frankreich z.B. gilt bereits seit 2010 ein Handyverbot im Unterricht, 2018 erweitert zum Komplettverbot internetfähiger Geräte wie Handys, Tablets und Smartwatches in allen Räumlichkeiten und bei schulischen Aktivitäten auch außerhalb des Schulgebäudes.

Die Niederlande führen 2024 ein Smartphone-Verbot ein, Dänemark diskutiert darüber. In Schweden wurden nach dem Bericht des Karolinska-Instituts die Tablets aus Vor- und Grundschulen wieder entfernt, dafür gedruckte Bücher („Lotta-Böcker“) verteilt. Bayern plant hingegen, in den nächsten fünf Jahren 1,6 Mio. Schülerinnen und Schüler mit Tablets zu versorgen (Zierer 2023). Baden-Württemberg will den Einsatz digitaler Geräte sogar per geändertem Schulgesetz verpflichtend machen, was u.a. gegen die Methodenfreiheit der Lehrkräfte verstößt. Zu den Kosten äußert sich das Kultusministerium in Stuttgart sinnigerweise nicht (Krauß 2023).

Ethikrat: KI darf Lehrpersonen nicht ersetzen

Der Deutsche Ethikrat hat eine Stellungnahme zu den die Auswirkungen digitaler Technologien auf das menschliche Selbstverständnis und Miteinander veröffentlicht. Darin spricht er sich für strikte Begrenzungen bei der Verwendung von Künstlicher Intelligenz u.a. in Medizin (Kap.5) und Bildung (Kap. 6) aus. KI dürfe den Menschen nicht ersetzen, der Einsatz von KI müsse menschliche Entfaltung erweitern, nicht vermindern: „Empfehlung Bildung 10: Eine vollständige Ersetzung von Lehrkräften läuft dem hier skizzierten Verständnis von Bildung zuwider und ist auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass schon heute in bestimmten Bereichen ein akuter Personalmangel und eine schlechte (Aus-)Bildungssituation herrschen.“ (S. 186). Softwaresysteme verfügten weder über Vernunft noch würden sie selbst handeln und könnten daher auch keine Verantwortung übernehmen, so Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates (Deutscher Ethikrat 2023a). Im Infobrief 01/2023 sind die elf Empfehlungen des Deutschen Ethikrates zu Bildung separat abgedruckt, da sie direkte Auswirkungen auf das Unterrichten und den Einsatz (oder Nicht-Einsatz) solcher Technologien begründen (siehe Deutscher Ethikrat 2023a). Ergänzend sollte man das Papier von Hamilton, William und Hattie zur Zukunft der KI in Bildungssystemen einbeziehen, in dem die Autoren 13 Vorschläge unterbreiten, „um den Schaden zu minimieren“ (Hamilton, William, Hattie 2013). Denn das Zerstörungspotential von KI wird selbst von deren Entwicklern wie dem „Godfather of AI“ (die NYT über Geoffrey Hinton) mit der Atombombe und Pandemien verglichen (Böhm 2023).

Digitalisierungszwang verstärkt existierende Probleme

Die flächendeckende Ausstattung der Schulen mit Tablets (wie vordem mit Laptops oder PCs) ist weder aus erziehungswissenschaftlicher, entwicklungspsychologischer noch aus lernpsychologischer Sicht begründbar. Das Bildungsniveau sinkt seit Jahrzehnten, trotz stetig steigender Ausgaben für IT und deren Einsatz im Unterricht. Zwar gibt es immer mehr Abschlüsse und bessere Noten, die Lernleistungen selbst werden aber konstant schlechter (KMK 2022). Daher war und ist Technik statt qualifiziertem Unterricht keine Lösung.

Wissenschaftlich belegt lässt sich festhalten:

  • Nutzen und Mehrwert digitaler Medien im Unterricht sind bis heute nicht belegt. Technik ist jedoch in der Pädagogik kein Selbstzweck. Jede Methode und jedes didaktische Mittel im Unterricht muss sich über den Nutzen und Mehrwert für Lernende legitimieren (Krautz 2020). Die Argumentation von Digitalanbietern, man müsse „die Diskussion um den Mehrwert digitaler Medien und Tools für Unterricht und Didaktik überwinden“ und stattdessen eine grundsätzlich „offene Haltung gegenüber der schulischen Transformation“ einnehmen (FBD 2021), offenbart, dass es diesen nicht um das Wohl der Kinder und Jugendlichen geht, sondern um eine weder wissenschaftliche begründbare noch demokratisch legitimierte „Transformation“, die vorrangig wirtschaftliche Interessen bedient.
  • Digitale Medien verstärken und fördern die Bildungsungerechtigkeit sowohl national wie international. Das Versprechen des leichteren Zugangs zu Bildung durch digitale Angebote hat sich nicht bewahrheitet. Die digitale Kluft und die Ungleichheit bereits beim Zugang zu Bildungsangeboten vertiefen sich weltweit und sind mit dem familiären und sozialen Umfeld assoziiert (ICILS 2018).
  • Über gelingenden Unterricht entscheidet nicht die technische Ausstattung, sondern entscheiden qualifizierte Lehrkräfte, ein gut strukturierter Unterricht und das gemeinsame, soziale Lernen im Klassenverband. „Die Lehrkraft als den Unterricht strukturierende und leitende Person lässt sich durch kein Medium ersetzen“ (Dammer 2022).
  • Frühkindliche Förderung und Bildungsbiographien beginnen im Elternhaus. Alle an Erziehung, Unterricht und Bildung Beteiligten müssen die Verantwortung dafür übernehmen, dass Kinder und Jugendliche auch in einer hochtechnisierten und flächendeckend medialisierten Welt Zeit, Räume und Möglichkeiten finden, sich altersangemessen körperlich, geistig und seelisch entwickeln können. Auch die Eltern sind in der Pflicht, hierzu beizutragen.

Intelligenter wäre es daher, von nationalen wie internationalen Praxiserfahrungen und Studienergebnissen zu lernen und darauf aufbauend Konsequenzen vor allem in der personellen statt der (medien-)technischen Ausstattung von Schulen und Ausbildungsstätten zu ziehen. Notwendig ist die Berücksichtigung ethischer, sozialer, entwicklungspsychologischer, pädagogischer und didaktischer Prämissen, um den Stellenwert digitaler Medien in der Schule verantwortbar zu gestalten.

Primat der Pädagogik statt Primat der Technik in Schulen!

Daher fordern wir ein Moratorium der Digitalisierung von Schulen und KITAs, damit Kinder und Jugendliche keine Nachteile erfahren und Schäden erleiden, die nicht mehr kompensierbar sind. Dann muss in einem interdisziplinär und multiperspektivisch besetzten Gremium, in dem neben Schul-Praktikern (!) und Theoretikern aus der Allgemeinen Pädagogik und (Fach)Didaktik auch Kolleginnen und Kollegen aus der Ethik und (Lern)Psychologie, der Pädiatrie (Kinder- und Jugendärzte), der Medienpädagogik und der herstellerneutralen und datenschutzkonformen (Digital-)Technik vertreten sind, ergebnisoffen (statt technikdeterminiert) über die Voraussetzungen gelingender Bildungsprozesse diskutiert werden. Es müssen konkrete Vorschläge für humane und demokratieförderliche Erziehungs- und Schulstrukturen erarbeitet werden, die ein selbstbestimmtes Leben durch Bildung ermöglichen, wie es in den Landesverfassungen verankert ist. Dabei gilt grundsätzlich das Primat des Pädagogischen vor allem vermeintlichen technischen Fortschritt zu stellen: Vorsicht ist in Erziehungs- und Bildungsfragen ethische Pflicht. Kinder und Jugendlichen brauchen ein menschliches Gegenüber, ihre Entwicklung und Förderung muss im Mittelpunkt von Bildungspolitik und -praxis stehen.

Zitierte Quellen

Böhm, Gottfried (2023) Der Taschenrechner, die Atombombe und ChatGPT; https://die-pädagogische-wende.de/der-taschenrechner-die-atombombe-und-chatgpt/ (20.8.2023) Dammer, Karl-Heinz (2022) Die „Digitale Welt“ im Diskurs. Gutachten für den Philologenverband NRW; https://phv-nrw.de/wp-content/uploads/2022/09/PhV-NRW Gutachten-Digitale Welt-im-Diskurs-150dpi.pdf (10.8.2023) Deutscher Ethikrat (2023a) Veröffentlichung der Stellungnahme "Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz“; https://www.ethikrat.org/pressekonferenzen/veroeffentlichung-der-stellungnahme-mensch-und-maschine/ (20.03.2023) Die Stellungnahme in voller Länge (PDF): https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-mensch-und-maschine.pdf (20.8.2023) Deutscher Ethikrat (2023b) Bildung und KI: Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrats zu Bildung. Stellungnahme „Mensch und Maschine“ – die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates im Wortlaut (Auszug Bildung, ohne Fußnoten, S. 184-186): https://die-pädagogische-wende.de/bildung-und-ki-die-empfehlungen-des-deutschen-ethikrats/ (20.8.2023) Hamilton, Arran; Wiliam, Dylan; Hattie, John (2023) The Future of AI in Education: 13 Things We Can Do to Minimize the Damage. EdArXiv. August 13. doi:10.35542/osf.io/372vr. DGKJ (2022) Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Aufl. 2022. AWMF-Register Nr. 027-075. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075 (15.07.2023) FBD (2021) Forum Bildung Digital, Konferenzankündigung: https://www.forumbd.de/veranstaltungen/konfbd22/ (24.10.2022) ICILS (2018) Birgit Eickelmann, Wilfried Bos, Julia Gerick, Frank Goldhammer, Heike Schaumburg, Knut Schwippert, Martin Senkbeil, Jan Vahrenhold (Hrsg.): ICILS 2018 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking Karolinska-Institut (2023) Beslut om yttrande över förslag till nationell digitaliseringsstrategi för skolväsendet 2023–2027. (Ert dnr U2022/03951, vårt dnr 1-322/2023); https://www.regeringen.se/contentassets/d818e658071b49cbb1a75a6b11fa725d/karolinskainstitutet.pdf; dt.: Stellungnahme des Karolinska-Institutes zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung (2023);https://die-pädagogische-wende.de/wp-content/uploads/2023/07/Karolinska-Stellungnahme_2023_dt.pdf KMK (2022): Bericht der KMK: Erste Ergebnisse zum IQB-Bildungstrend 2021: Geringere Leistungen in Deutsch und Mathematik in schulisch herausfordernden Zeiten; https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/erste-ergebnisse-zum-iqb-bildungstrend-2021-geringere-leistungen-in-deutsch-und-mathematik-in-schul.html (1.7.2022) Krauß, Bärbel (2023) Digitales Unterrichten soll Pflicht werden, Stuttgarter Zeitung vom 7.8.2023, S. 2 und 5, Kommentar S. 3, Kommentar S. 3 Krautz, Jochen (2020): Digitalisierung als Gegenstand und Medium von Unterricht. Keine digitale Transformation von Schule. GBW-Flugschriften Nr.1; https://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2020/10/krautz_flugschrift_digitalisierung.pdf UNESCO (2023a) Technology in Education – Full Report / GEM Report 2023 / UNESCO (418 S.): https://www.unesco.org/gem-report/en/technology; Technology in Education – Summary – GEM Report – 2023 UNESCO (35 pages): https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000386147; Website zum Report: https://www.unesco.org/gem-report/en/technology; Auszug (deutsch): UNESCO-Bericht zu IT in Schulen fordert mehr Bildungsgerechtigkeit; https://die-pädagogische-wende.de/unesco-bericht-zu-it-in-schulen-fordert-mehr-bildungsgerechtigkeit/ (20.8.2023) UNESCO (2023b): Regierungen müssen generative KI in Schulen schnell regeln, Medlung vom 7.9.2023; https://www.unesco.de/wissen/ethik/kuenstliche-intelligenz/regierungen-generative-ki-schulen-alters-grenze-13-jahre (09.09.2023) U.S. Surgeon General (2023) Social Media and Youth Mental Health; https://surgeongeneral.gov/ymh-social-media; dt.: Soziale Medien und psychische Gesundheit von Jugendlichen, https://die-pädagogische-wende.de/soziale-medien-und-psychische-gesundheit-von-jugendlichen/ (20.82023) Zierer Klaus (2023) „Kümmert euch endlich um die Kinder, nicht um Tablets!“; Der Augsburger Ordinarius Prof. Klaus Zierer zur Ankündigung von CSU-Generalsekretär Huber, bis 2028 alle Schülerinnen und Schüler mit Tablets auszustatten; https://die-pädagogische-wende.de/kuemmert-euch-endlich-um-die-kinder-nicht-um-tablets/

(1) Kinder von 1–5 Jahren werden in Schweden bis zum Schuleintritt in Vorschulen (förskola) betreut. Mit Vollendung des sechsten Lebensjahrs im Herbst (hösttermin) kommen sie in eine Vorschulklasse (förskoleklass). Es folgen regulär neun Jahre Grundschule und optional drei Jahre Gymnasium.

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Wir danken der Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V. für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Gorodenkoff / Shutterstock.com


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