Ein Kommentar von Anke Behrend.
Die Nazis
Einen Monat nach Beginn der Großoffensive „gegen Rechts“ startete am 15. Februar eine deutschlandweite politische Werbekampagne einflussreicher Medienhäuser in Zusammenarbeit mit der Unternehmensgruppe Ströer (1) und circa 500 Unternehmen, Stiftungen und Verbänden unter dem Slogan „#Zusammenland – Vielfalt macht uns stark“. „Weltoffenheit, Respekt und Gemeinschaft sind Werte“, mit denen die Beteiligten „gegen Hass und Spaltung. Für ein neues Miteinander“ zu Felde ziehen und klarmachen, wer in diesem Miteinander geduldet ist und wer nicht. Inkludiert in die säkulare Ökumene sind die viel beschworenen Anständigen, ausgeschlossen die als Feindbild ausgemachten Nazis. (2)
Explizit mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten heißt es auf Plakaten dumpf und populistisch: „Dumpfer Populismus? Nein danke! Die sogenannte Remigration unserer Freundinnen und Nachbarn, Kolleginnen? Ganz sicher nicht. Und Faschismus? Nie wieder!“ (2)
Wenig überraschend zahlt diese Kampagne des gutwollenden Meinungsadels unterkomplex und undifferenziert auf das tumbe Lagerdenken in der politischen Auseinandersetzung ein, das aus der Corona-Krise altbekannt und eingeübt ist. Die Parolen sind pauschal, schwammig und wohlfeil. Wo der Unterschied zwischen rechts, rechtsextrem und faschistisch liegt und ob es überhaupt eine legitime kritische Position gibt, bleibt offen, sodass die Menge derjenigen, gegen die sich die Proteste richten, nahezu beliebig ausgedehnt werden kann.
„Wir müssen dagegenhalten.“, tönt Rainer Esser, Geschäftsführer der Wochenzeitung „Die Zeit“, aus der Fankurve der Anständigen. Allerdings gehören Journalisten nicht auf die Tribüne, sondern in die Reporterkabine. Längst will niemand mehr argumentieren, überzeugen oder gar in Betracht ziehen, dass Kritik an der Regierungslinie berechtigt sein könnte und nicht jeder, der sie äußert, ein rechtsextremer Nazi ist. Somit ist der richtige und wichtige Antifaschismus zu einem dysfunktionalen Kult mutiert. Unter den vielen Beschuldigten sind echte Nazis nicht mehr auszumachen.
Die Ossis
„Der Osten ist etwas, das keiner haben will“, schreibt Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Dirk Oschmann, einer der wenigen ostdeutschen Professoren im akademischen Betrieb, in seiner polemischen Streitschrift „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“. (3)
Und nun wimmelt es dort auch noch von Rechtsextremen! Nicht genug damit, dass die Ossis seit dem Mauerfall vor allem jenen, die noch nie im Osten waren, als jammernde Nervensägen auffallen. Nun wählen sie auch noch falsch, gehen „Rattenfängern“ (4) auf dem Leim und behaupten, das sei Demokratie.
Geradezu prophetisch mutet heute Edmund Stoibers Aussage von 2005 an:
„Es darf nicht sein, dass die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands bestimmen.“ (5)
„Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.“ Matthias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, veröffentlicht aus einer SMS im April 2023. (6)
Aber warum sind diese Leute da drüben eigentlich frustriert? Sie haben doch jetzt die Demokratie, Westgeld und Reisefreiheit! Das mag sich so mancher „Wessi“ fragen. Schnell sind wohlfeile Diagnosen von Experten zu Hand: Die Diktatur, das Bildungswesen und die Jungen Pioniere, all das hat die Ostler deformiert und kollektiv krank gemacht, Kinderbetreuung und berufstätige Mütter haben sie traumatisiert – stimmt nicht, aber das Ressentiment sitzt wie ein Glacéhandschuh (7). Und so kann jeder sein Lieblingsthema auf das Mängelwesen Ossi projizieren ohne der Diskrimierung bezichtigt zu werden.
Döpfner instrumentalisiert die Ostdeutsche wie folgt:
„Meine Mutter hat mich immer vor den Ossis gewarnt. Von Kaiser Wilhelm zu hitler zu honnecker ohne zwischendurch us reeduction* genossen zu haben. Das führt in direkter Linie zu AFD.“ (6)
(* soll vermutlich US re-education heißen, Anm. AB, nicht mitlesen)
Universelle Diskursmechanismen konstruieren eine Gruppenidentität des Ostdeutschen, der der „Andere“ ist, nicht dazugehört, Probleme macht und jammert. Faktisch fehlt es ihm an Habitus, Netzwerken, Vermögen und Weltgewandtheit. Jahrzehntelange Westpropaganda gegen alles Östliche hängen dem Ostdeutschen in den Kleidern wie ein schlechter Geruch. Und nun ist er auch noch ein rechtsextremer Nazi.
„Osten“ das heißt bis heute Scheitern auf ganzer Linie, Verlierer der Geschichte, Stasi, Diktatur, Mauer, arme Verwandte. Nach 33 Jahren deutscher Einheit bedeutet „Osten“ noch immer 20 Prozent Lohndifferenz zum Westen, kaum ostdeutsche Führungskräfte, abfällige Witze, Framing, Zuschreibungen und Rechtsextremismus. Olaf Scholz rief protestierenden Ostdeutschen in Falkensee zu: „Wenn ihr nur ein bisschen verstand in euren Hirnen hättet“ (8).
Kein Aufschrei der Anständigen folgte. Ebenso wenig als „Die Welt“ 2009 als Satire deklariert von der „Endlagerung der Ossis“ träumte (9).
Abgrenzung nach unten, wie von den westdeutschen Eliten und denen, die sich dafür halten, vorangetrieben, bedeutet auch immer Abgrenzung nach Osten und schreibt historische Feindbilder und Ressentiments fort. Das schlechte Image alles Östlichen wurzelt in nationalistischen Traditionen eines westeuropäischen Dünkels und führte zu einer semantischen Negativ-Belegung der Himmelsrichtung „Osten“ mit Rückständigkeit, Unkultiviertheit und Barbarei. Bereits im frühkapitalistischen London lebten die Wohlhabenden im Westend, die Unterprivilegierten hausten im schmutzigen, armen Eastend (10). Ostzone, Ostblock, Ossi, Polenwitze, Antisemitismus, Antislawismus, Russophobie und das Bild des „russischen Untermenschen“ repetieren die westliche Überlegenheitserzählung bis heute, deutlich erkennbar unter anderem in der Kriegspropaganda (11) eben dieser Gesinnungs-Ökumene, die nun das „Zusammenland“ beschwört und gleichzeitig implizit dem Osten die Demokratiefähigkeit abspricht, ihn wahlweise als kommunistisch oder faschistisch abstempelt oder ahistorisch leichthin beides in Eines setzt.
In Folge dessen speist sich der Frust im Osten aus Abwertungserfahrungen, Delegitimierung und Ausgrenzung schon seit den Zeiten der deutschen Teilung. Ostdeutsche waren die armen Verwandten, die man bemitleidete, belächelte und herablassend mit abgelegter Kleidung und Billigschokolade bedachte. Sie sind noch immer Bürger zweiter Klasse. So wie die BRD sich selbst immer Deutschland nannte, wurde die DDR immer als Ost-Deutschland, ihre Hauptstadt als Ost-Berlin, als illegitim, ja geradezu als Bastard markiert.
Nun findet die Abwertung eines großen Teils der ostdeutschen Menschen und ihrer Anliegen in den Protesten „gegen Rechts“ einen weiteren wohlfeilen Höhepunkt, der sich durch die Maximalbehauptung, es würde hier und jetzt ein neuer Faschismus vor der Tür stehen, moralisch unangreifbar gemacht hat. Jeder Kritiker dieser Dynamiken setzt sich unweigerlich dem Vorwurf aus, Nazis zu verteidigen und selbst ein solcher zu sein.
Den Ostdeutschen stehen ihrerseits kaum Möglichkeiten zur Verfügung, sich den Zuschreibungen zu entziehen. Viele gehen nun auf die Straße „gegen Rechts“, wohl auch in der Hoffnung, man möge endlich anerkennen, dass auch im Osten anständige Menschen leben, die Respekt verdienen. Endlich einmal keine Schmähungen oder Diagnosen in den großen Medien lesen, endlich ankommen dürfen im „Zusammenland“ vereint im Kampf gegen Rechts. Andere wenden sich genau jenen Populisten zu, die in die Bresche springen und sich als Retter der Frustrierten andienen.
Die Postmoderne
Bemerkenswert parallel vollzieht sich das Verweisen der Ostdeutschen auf die hinteren Plätze der Gesellschaft in ähnlichen sozio-dynamischen Prozessen wie zuvor bei Frauen oder Türken. Doch hier trifft es auch die vermeintlich privilegierten weißen Männer, die laut postmoderner Identitätspolitik gar nicht diskriminiert werden können. Das Mantra lautet: Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße. Aber offensichtlich werden Ostdeutsche unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht diskriminiert auf Grund ihrer Herkunft. Für die Konstruktion einer marginalisierten Gruppe bedarf es also der Merkmale Geschlecht, Race, Religion oder Klasse gar nicht. Es genügt eine griffige Auswahl an Zuschreibungen und Medien, die sie perpetuieren, damit die Mehrheitsgesellschaft sich von einer als „minder“ erzählten Gruppe abgrenzt und sich über sie erhebt. Die Diskriminierung der weißen Ostdeutschen (cis-Männer!) (12) durch weiße Westdeutsche, wie Oschmann sie drastisch beschreibt und belegt, stellt nichts Geringeres dar, als die Real-World Widerlegung der postmodernen critical Race Theory (13).
Doch damit nicht genug: Sie straft auch identitäre und völkische Ideologien Lügen. Ost- und Westdeutsche bewegen sich im gleichen Kulturraum, sprechen die gleiche Sprache und teilen die selben Traditionen. Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind rein sozialer und ökonomischer Natur. Die Einflüsse einer anderen Gesellschaftsordnung im Osten dauerte nur etwas länger an, als man mit 35 Jahren eine Generation bemisst. Trotzdem wird der Osten vom Westen als homogene „andere“ Bevölkerung mit signifikanten und teils tatsächlich existenten Mentalitätsunterschieden wahrgenommen (14). Der Einfluss sozialer und ökonomischer Faktoren hat im Osten dazu geführt, dass die Ostdeutschen sich eben nicht „nahtlos“ in die westdeutsche Bevölkerung einfügen können oder wollen und dort auch keine gleichberechtigte Aufnahme finden.
Somit kann nicht nur die zentrale These der postmodernen Identitätspolitik, sondern auch die ideologische Basis völkischer Bewegungen anhand der Dynamik zwischen Ost- und Westdeutschland als widerlegt gelten. Überdies liegt ein sehr evidenter Hinweis auf das Primat gesellschaftlicher Einflüsse gegenüber biologisch-naturalistischen Erklärungsansätzen vor.
Quellen
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Str%C3%B6er_(Unternehmen)#Konzept_und_Struktur
(3) „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung: Wie die Konstruktion des Ostens unsere Gesellschaft spaltet“, Dirk Oschmann; Verlag: Ullstein 2023; ISBN: 9783550202346; Seite 91
(9) https://www.welt.de/satire/article5082800/Ossi-Problem-endlich-ein-fuer-allemal-geloest.html
(10) https://de.wikipedia.org/wiki/East_End
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Critical_Race_Theory
(14) https://de.wikipedia.org/wiki/Eigengruppe_und_Fremdgruppe
+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Master1305 / shutterstock
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