Ein Standpunkt von Hermann Ploppa.
Die Gefolgsleute von Donald Trump sind bei den Midterm Elections krachend durchgefallen. Die USA werden den Ukraine-Krieg jetzt wohl doch weiter finanzieren. Soziale Spannungen in der US-Gesellschaft werden weiter angeheizt
Der Journalist Marc Thiessen von der Washington Post machte in der verkaterten Wahlnacht beim Nachrichtensender Fox News aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Die Rote Welle hat nicht stattgefunden.“ Zur Erläuterung: Rot ist die Parteifarbe der amerikanischen Republikaner. Und ‚Rote Welle‘ meint: einen umfassenden Sieg der Republikaner. „Das ist ein absolutes Desaster für die Republikaner! Eine schallende Ohrfeige. Die extremistischen Trump-Kandidaten haben die Republikanische Partei in eine furchtbare Situation gebracht.“ Während eben, so Thiessen, gemäßigte Kandidaten der Republikaner wie der Gouverneur von Florida, Ronald DeSantis, durchaus Erdrutschsiege verbuchen können. Nun ist Marc Thiessen nicht gerade ein unschuldiger Chorknabe. Für George Bush den Zweiten hat er dereinst Reden geschrieben und öffentlich die Foltermethode des Waterboardings verteidigt. Das sei nur einmal gesagt um zu verdeutlichen, was „gemäßigt konservativ“ in den USA bedeutet.
Tatsächlich hatte man mit einem Erdrutschsieg der Republikaner bei den Zwischenwahlen am 8. November gerechnet. Die Zustimmungswerte für den amtierenden Präsidenten Joe Biden bei Umfragen sind historisch niedrig. Die Inflation lag im September bei 8,2 Prozent. Die Amerikaner müssen viel mehr als früher für Energie berappen. Und die Kriegsbegeisterung für die Ukraine befindet sich bei den US-Bürgern auf dem Sinkflug. Lediglich sechs Prozent waren laut Umfrage des Wall Street Journal im März dieses Jahres der Ansicht, die USA engagiere sich zu stark im Ukraine-Krieg. Jetzt im Herbst sind das bereits dreißig Prozent. Also eigentlich ein sicheres Ticket zum Wahlsieg. Denn die Abgeordnete im Repräsentantenhaus für die Republikaner, Marjorie Taylor Greene, sagte: „Unter den Republikanern wird nicht ein einziger Penny mehr an die Ukraine gehen!“ Und der designierte Führer der neuen Mehrheitsfraktion der Republikaner im Repräsentantenhaus in Washington, Kevin McCarthy, bekräftigt: „Wir werden der Ukraine keinen Blankoscheck ausstellen.“ Nach der schwachen Performance der Republikaner bei den Zwischenwahlen ist das wahrscheinlich Schnee von gestern.
Um besser verstehen zu können was in den USA eigentlich politisch abgeht, muss man folgendes wissen: die beiden Monopolparteien, Demokraten und Republikaner, sind keine weltanschaulichen Vereinigungen. Es handelt sich vielmehr um Dienstleistungsunternehmen. Wahlkampfmaschinen. Um diese Maschinen für sich arbeiten zu lassen, muss man sich in einem aufwendigen Vorwahlkampf gegen etliche Rivalen durchsetzen. Und wer sich auf diese Weise fit genug gezeigt hat, der wird dann in das auch für die Wahlkampfmaschine lukrative Wettrennen geschickt. Und dafür braucht man vor allen Dingen drei Dinge: erstens Geld, zweitens Geld und drittens auch wieder sehr viel Geld.
Während sich früher Gegner der Sklaverei aus den Nordstaaten um die Republikanische Partei geschart haben, weshalb man auch von der Grand Old Party, also: der großen alten Partei spricht, versammelten sich um die Demokraten eher Sklavenhalter aus den Südstaaten. Seit der Präsidentschaft von Lyndon Baines Johnson in den 1960er Jahren sind die Vorzeichen radikal umgekehrt: jetzt sind die Demokraten die Partei der ethnischen Minderheiten und der Bürgerrechte. Aber das hat sich gerade in den letzten Jahren wiederum radikal umgekehrt. Letzter Hand ist die Weltanschauung Nebensache. Entscheidend ist, welcher superreiche Oligarch dahinter steht. It’s all money that matters …
Heute kann man sagen: die Demokraten werden in erster Linie von den Gewinnern der Sozialdarwinismus-Rallye gewählt. Die Republikaner sind eher für die Verlierer attraktiv. Bei den Demokraten sind Leute mit High-School-Abschluss überrepräsentiert. Republikaner-Wähler sind meistens den sozialen Härten weit mehr ausgesetzt als ihre demokratischen Landsleute. Deshalb sind für die Wähler der Republikaner Themen wie Migration, Energiepreise oder Schutz vor Verbrechen sehr wichtig. Und damit sind wir bei der Frage: welche Themen haben die Amerikaner vor diesen Zwischenwahlen besonders beschäftigt? Laut Umfrage des Nachrichtensenders CNN steht die Inflation ganz oben auf der Sorgenliste mit 32 Prozent. Es folgt, für uns Europäer überraschend, die Frage der Abtreibung mit 27 Prozent. Und Leute ohne Studienabschluss sind besonders besorgt über den Zustand der amerikanischen Wirtschaft (50 Prozent). Aber eben auch die Zunahme des Verbrechens macht 43 Prozent der Befragten große Sorge. Fast zwei Drittel aller befragten US-Bürger empfinden die Erhöhung der Gaspreise als finanzielle Härte. Fast die Hälfte aller Befragten findet, dass sich ihre Situation seit Bidens Präsidentschaft verschlechtert hat. Und annähernd achtzig Prozent sind durch die Inflation in große oder mittlere Schwierigkeiten geraten. Und ebenfalls fast achtzig Prozent der Befragten bewerten die wirtschaftliche Lage als „nicht so gut“ oder gar „erbärmlich“.
Warum haben die regierenden Demokraten also bei den Wahlen keinen angemessenen Denkzettel erhalten? Und warum hat diesmal die typisch amerikanische Gewohnheit, bei den Zwischenwahlen die jeweils regierende Partei mit Stimmeneinbußen zu zähmen, nicht gegriffen? Von Fälschungen der Wahlergebnisse in den Wahllokalen und in den Rechenzentren ist diesmal wenig zu hören. Es gab hochgezogene Augenbrauen, als der Wahlgang im County Maricopa in Arizona scheiterte, weil einfach nicht genug Wahlscheine vorhanden waren. Auch war seltsam, dass die haushohe Favoritin der Republikaner für das Amt des Gouverneurs von Arizona, die TV-Talkmasterin Kari Lake, zunächst um zehn Prozentpunkte hinter der farblosen Katie Hobbs von den Demokraten gelegen haben soll. Jetzt ist das Endergebnis auf 50,3 Prozent für Hobbs und annähernd 50 Prozent für Lake zusammengeschmolzen. Ansonsten ist bislang wenig die Rede von Wahlmanipulationen. Warum auch? Beide Parteien, Republikaner und Demokraten, verfügen über genug dirty tricks zur Machterhaltung. Da ist zum Beispiel das berüchtigte Gerrymandering. Die regierenden Gouverneure der US-Bundesstaaten gestalten die Demarkationslinien für die Wahlbezirke jeweils nach eigenem Gusto in der Weise neu, dass die Gewinnchancen für die eigene Partei sich drastisch verbessern.
Und die Demokraten brauchten gewiss keine Manipulation der Wahlcomputer, um diesmal zu gewinnen. Sie haben da ganz andere Hebel. Zum einen haben sie missliebige Kandidaten bei den eigenen Vorwahlen, den Primaries, unfair ausgebootet <3>. Wer der in den USA allmächtigen Israel-Lobby im Weg steht, wird weggeputzt. So erging es der progressiven Demokratin Donna Edwards. Um diese kritische Frau in den Primaries auszubremsen, gab alleine das United Democratic Project die sagenhafte Summe von vier Millionen Dollar aus. Auf ähnliche Weise wurde Jessica Cisneros ausgehebelt. Zum anderen haben die Demokraten viel Geld ausgegeben, um bei dem Konkurrenzunternehmen Republican Party bei den Vorwahlen ultrarechte Kandidaten, die zum Trump-Lager gehören, mächtig mit Geld zu polstern <4>. Mit trumpistischen Kandidaten in traditionell liberalen Gegenden von Neu-England aufzutreten, das geht einfach nicht. So pumpten die Demokraten den Einsterne-General Don Bolduc zum republikanischen Herausforderer der Senatorin Maggie Hassan auf. Doch wurde den Demokraten im Wahlkampf dann doch etwas flau, weil der Trumpist Bolduc in den Umfragen erstaunlich gut aufholen konnte. Die Geister die ich rief. Dann ging es aber doch noch gut für die Demokraten: Hassan kann ihren Senatssitz behalten mit einem Wahlergebnis von 53,3 Prozent der abgegebenen Stimmen gegenüber immerhin 44,6 Prozent für Bolduc.
Auch sonst hatten die Demokraten viel Glück. Denn im Sommer dieses Jahres hob der oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, ein Urteil zur Abtreibung aus dem Jahr 1973 auf. Damals wurde höchstrichterlich verfügt, dass Frauen das Grundrecht besitzen, ihre Schwangerschaft bis zum Sechsten Monat abzubrechen. Es war jetzt den einzelnen US-Bundesstaaten nicht mehr erlaubt, anderslautende Gesetze zu erlassen. Der von Trump mit erzkonservativen Bundesrichtern ausgestattete Supreme Court hat damit den Bundesstaaten erlaubt, jeweils eigene Regelungen zu verfügen. US-Bürgerinnen sind somit höchst unterschiedlichen Grundrechten ausgesetzt in verschiedenen Bundesstaaten. Eine in der Tat schwierige Entscheidung: Grundrecht der Frau oder aber Grundrecht auf Leben für ein noch nicht geborenes Kind? Diese höchstrichterliche Entscheidung führte jedenfalls dazu, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit von der offenkundig als unbefriedigend empfundenen Wirtschaftslage auf eine Frage der Bürgerrechte verschob. Auch das kam den regierenden Demokraten zugute. Präsident Biden ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt. Er versprach, sofort im Januar 2023 die Frauenrechte aus dem Urteilsspruch von 1973 wiederherzustellen. Und in sechs US-Bundesstaaten wurde über eine Gesetzgebung zugunsten des erweiterten Schwangerschaftsabbruchs oder aber deren Einschränkung abgestimmt. In Michigan, Vermont und in Kalifornien wurden die erweiterten Befugnisse zum Schwangerschaftsabbruch von den Wählern unterstützt. Gesetze zur Verschärfung des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen wurden in Montana und Kentucky abgelehnt.
Die US-Wahlen sind sowieso schon massiven Manipulationen unterworfen. Eine Chance gewählt zu werden hat man nur, wenn man selber viel Geld mitbringt oder einem Oligarchen glaubhaft versichern kann, dass man als Politiker dessen Reichtum massiv steigern kann. So ist es kein Wunder, dass glatt die Hälfte aller Kongressabgeordneten, egal ob Senat oder Repräsentantenhaus, selber Millionäre sind <6>. Und die Superreichen haben allein für die Zwischenwahlen dieses Jahres sage und schreibe 16,7 Milliarden Dollar gespendet, um für ihre Geschäftsinteressen optimale politische Rahmenbedingungen zu schaffen <7>. Allein der vierfache Milliardär Peter Thiel hat 30 Millionen Dollar aus seiner Portokasse für Kandidaten aus dem Trump-Lager gespendet. Thiel unterstützt die Tea Party-Fraktion innerhalb der Republikanischen Partei. Geld ist immer noch und immer mehr das einzige Treib- und Schmiermittel der großen Politik. „He who pays the piper, calls the tune.“ Wer den Pfeiffer bezahlt, bestimmt welches Lied gepfiffen wird.
Quellen und Anmerkungen
<1> https://www.foxnews.com/video/6315205566112 <2> Handelsblatt, Nummer 215/2022, Seiten 6 und 7 <3> https://web.archive.org/web/20220818025248/https://www.theguardian.com/us-news/2022/aug/06/progressives-democratic-primaries-cori-bush-rashida-tlaib <4> https://web.archive.org/web/20220904212256/https://www.nytimes.com/2022/06/16/us/politics/democrats-midterms-trump-gop.html <5> https://www.npr.org/2022/11/08/1131261458/hassan-bolduc-nh-senate-results <6> https://www.opensecrets.org/news/2020/04/majority-of-lawmakers-millionaires/ <7> https://www.infosperber.ch/politik/us-milliardaere-nahmen-starken-einfluss-auf-den-wahlausgang/
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: shutterstock / Wileydoc
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